Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revisionen des N I in W, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14/7, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 12. Dezember 2022, 1. W141 2251275-1/58E (protokolliert zu Ra 2023/08/0019), betreffend Zurückweisung eines Vorlageantrags in einer Angelegenheit nach dem AlVG, und 2. W141 2250771-2/62E (protokolliert zu Ra 2023/08/0020), betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht jeweils: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Jägerstraße), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) sprach mit Bescheid vom 11. Juni 2021 aus, dass der Notstandshilfebezug des Revisionswerbers mit 7. Juni 2021 wegen der Verweigerung einer ärztlichen Untersuchung eingestellt werde. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde vom AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 26. Juli 2021 als unbegründet abgewiesen.
2 Mit Schriftsatz vom 4. November 2021 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags und holte gleichzeitig den Vorlageantrag nach.
3 Er führte aus, dass er eine Entscheidung über seine gegen den Bescheid vom 11. Juni 2021 erhobene Beschwerde bisher nicht erhalten habe. Mit Bescheid des AMS vom 14. September 2021 sei er allerdings zur Rückzahlung der Leistung verpflichtet worden, die er auf Grund der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen den Einstellungsbescheid weiter erhalten hatte. Auch gegen diesen Bescheid habe er Beschwerde erhoben. Aus der sodann ergangenen Beschwerdevorentscheidung vom 19. Oktober 2021 gehe hervor, dass die Beschwerde gegen den Einstellungsbescheid vom 11. Juni 2021 mit Beschwerdevorentscheidung vom 26. Juli 2021 abgewiesen worden sei. Dieser Bescheid solle laut Rückschein am 29. Juli 2021 vom Revisionswerber bzw. von seiner Mitbewohnerin übernommen worden sein. Weder er noch seine Ehefrau noch eines seiner vier Kinder hätten aber den Bescheid übernommen. Er selbst sei an diesem Tag in Linz und somit ortsabwesend gewesen. Er könne sich aber daran erinnern, dass er Anfang August nach seiner Rückkehr nach Wien eine Hinterlegungsanzeige im Postkasten vorgefunden habe. Er habe das Schreiben jedoch nicht von der Post abholen können, weil er und seine ganze Familie mit Corona-Symptomen erkrankt gewesen seien. Daher habe er telefonisch Kontakt mit dem AMS aufgenommen und mitgeteilt, dass er das Schreiben nicht abholen könne. Dabei sei ihm von einem Mitarbeiter des AMS zugesichert worden, dass ihm das Schreiben nochmals postalisch zugestellt werde. Er habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst, um welches Schreiben es sich handle. Schlussendlich habe er erst am 16. September 2021 den Rückforderungsbescheid vom 14. September 2021 erhalten. Er bestreite nach wie vor, dass ihm die Beschwerdevorentscheidung vom 26. Juli 2021 rechtswirksam zugestellt worden sei und dass es einen unterschriebenen Rückschein gebe, weil er ortsabwesend gewesen sei und sich nicht an der Abgabestelle aufgehalten habe. Sollte jedoch eine rechtswirksame Zustellung vorliegen, stelle er „in eventu“ einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
4 Zur Begründung dieses Antrags führte er aus, dass er - sollte tatsächlich eine rechtswirksame Zustellung vorliegen - ohne Verschulden erst durch die Beschwerdevorentscheidung vom 19. Oktober 2021, ihm zugestellt am 22. Oktober 2021, davon Kenntnis erlangt habe. Bis dahin sei er davon ausgegangen, dass der bei der Post hinterlegte Bescheid der Rückforderungsbescheid gewesen sei. Er sei daher möglicherweise einem Irrtum über den Zustellvorgang unterlegen.
5 Mit Bescheid vom 26. November 2021 wies das AMS den Wiedereinsetzungsantrag ab. Mit weiterem Bescheid vom 26. November 2021 wies das AMS den Vorlageantrag als verspätet zurück.
6 Das Bundesverwaltungsgericht wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem erstangefochtenen Erkenntnis die Beschwerde gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags und mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Vorlageantrags jeweils als unbegründet ab.
7 Beiden Erkenntnissen lag die Feststellung zugrunde, dass die Ehefrau des Revisionswerbers die Beschwerdevorentscheidung vom 26. Juli 2021 am 29. Juli 2021 übernommen habe. Dazu wurde beweiswürdigend jeweils ausgeführt, dass sich die Zustellung aus dem RSb-Rückschein ergebe, aus dem zweifelsfrei hervorgehe, dass die Beschwerdevorentscheidung am 29. Juli 2021 einem Mitbewohner des Revisionswerbers ausgefolgt worden sei. Darüber hinaus habe der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge befragte Postzusteller bestätigt, dass nur die Ehefrau und der Revisionswerber vom Postboten Schriftstücke übernehmen würden, keinesfalls eines ihrer Kinder. Die Ehefrau habe in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie das Schriftstück nicht entgegengenommen habe; am 29. Juli 2021 sei kein Postbote vorbeigekommen. Dem Rückschein sei jedoch zu entnehmen, dass das Schriftstück an diesem Tag an einen Mitbewohner ausgehändigt worden sei. Der Postbote habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar ausgeführt, dass er den Rückschein nicht selbst unterzeichnet habe. Die Richtigkeit der Unterschrift werde bei der Zustellung nicht geprüft, sodass es sein könne, dass lediglich mit dem Vornamen des Revisionswerbers unterzeichnet worden sei. Auf Grund der glaubhaften Aussage des Postboten sowie des im Akt liegenden Rückscheins stehe für das Bundesverwaltungsgericht zweifelsfrei fest, dass die Beschwerdevorentscheidung vom 26. Juli 2021 der Ehefrau des Revisionswerbers am 29. Juli 2021 ausgehändigt worden sei.
8 Demgegenüber seien die Angaben des Revisionswerbers im Zuge des Verfahrens in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Im Wiedereinsetzungsantrag habe er noch ausgeführt, dass er Anfang August eine Hinterlegungsanzeige im Postkasten vorgefunden habe, aber wegen einer Corona-Erkrankung die Sendung nicht abholen können habe. Dem widersprechend habe er in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass seine Ehefrau am 29. Juli 2021 einen gelben Zettel im Postkasten vorgefunden und er daher am 14. August 2021 Kontakt mit dem AMS aufgenommen habe. Das AMS habe in der mündlichen Verhandlung jedoch angegeben, dass nur am 17. August 2021 eine Kontaktaufnahme durch den Revisionswerber erfolgt sei, wobei er angegeben habe, dass er in Quarantäne sei. In derselben Einvernahme habe der Revisionswerber aber ausgeführt, dass er keinen Absonderungsbescheid erhalten habe, da er nicht krank gewesen sei. Es sei zudem darauf zu verweisen, dass die Beschwerdevorentscheidung nicht an das AMS rückübermittelt worden sei, sodass davon auszugehen sei, dass sie nicht durch Hinterlegung zugestellt worden sei.
9 Zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber bereits durch die Zustellung des Bescheides vom 14. September 2021 am 16. September 2021 davon Kenntnis erlangt habe, dass es einen Bescheid des AMS vom 26. Juli 2021 gebe. Die Übermittlung dieses Bescheides habe er in der Beschwerde vom 12. Oktober 2021 begehrt, woraus zu schließen sei, dass er zu diesem Zeitpunkt jedenfalls von der Existenz der Beschwerdevorentscheidung gewusst habe. Insofern sei das Verhalten des Revisionswerbers „deutlich über dem tolerierbaren Grad des Verschuldens einzustufen“, weshalb dem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattzugeben sei.
10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht in beiden angefochtenen Erkenntnissen aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
11 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Das unter diesem Gesichtspunkt erstattete Vorbringen ist in beiden Revisionen gleichlautend und wird daher im Folgenden unter einem behandelt.
15 Der Revisionswerber rügt zunächst, dass die Begründung der Unzulässigkeit der Revision unter Verwendung eines überhaupt nicht passenden Textbausteins erfolgt und völlig verfehlt sei. Mit dem Vorbringen, wonach die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Nichtzulassung der Revision nicht ausreichend sei, wird aber noch keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgeworfen (vgl. etwa VwGH 30.4.2019, 2018/04/0196, Rn. 7, mwN).
16 Weiters wird zur Begründung der Zulässigkeit der Revision vorgebracht, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, wonach der Nachweis der Zustellung eines Schriftstücks nicht erbracht sei, wenn auf einem Rückschein eine Bestätigung der Übernahme durch einen Übernehmer fehle. Im vorliegenden Fall fehle eine Unterschrift der Übernehmerin. Die auf die Unterschriftenzeile gesetzten Zeichen seien ganz augenscheinlich keine Unterschrift. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt, indem es diese Zeichenfolge keiner graphologischen Überprüfung zugeführt habe.
17 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bei der Bejahung einer wirksamen Zustellung aber ohnedies nicht tragend auf die Beweiskraft des Rückscheins gestützt, sondern in einer mündlichen Verhandlung insbesondere den Postboten und die Ehefrau des Revisionswerbers einvernommen und in die Beweiswürdigung u.a. auch einbezogen, dass die Sendung nicht an das AMS retourniert wurde. Schon deswegen verfängt der Vorwurf des Revisionswerbers - sowohl in Bezug auf die Beweiskraft des Rückscheins als auch in Bezug auf die Unterlassung der Einholung eines graphologischen Gutachtens - nicht.
18 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die - wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beschlussfassung verbundenen - Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 17. Februar 2023
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023080019.L00Im RIS seit
21.03.2023Zuletzt aktualisiert am
21.03.2023