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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2022, W131 2256520-1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: N M, vertreten durch J M als gesetzlichen Vertreter), den Beschluss gefasst:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union in den Rechtssachen C-608/22 und C-609/22 über die mit Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 2022, EU 2022/0016 (Ra 2021/20/0425) und EU 2022/0017 (Ra 2022/20/0028), vorgelegten Fragen ausgesetzt.
Begründung
1 Die minderjährige Mitbeteiligte ist afghanische Staatsangehörige. Sie stellte am 6. Mai 2022, vertreten durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter, einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Antrag stützte sich nicht auf eigene Fluchtgründe, sondern auf die Gründe, die zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Eltern sowie die Geschwister der Mitbeteiligten mit mündlich verkündeten Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 13. Jänner 2022, W146 2197149-1/12Z, W146 2197152-1/11Z, W146 2197150-1/5Z und W146 2232823-1/5Z, geführt hatten.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30. Mai 2022 wurde der Antrag der Mitbeteiligten hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
3 Der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten gab das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte der Mitbeteiligten den Status der Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, der Mitbeteiligten drohe als minderjährigem Mädchen aufgrund der sich stetig verschlechternden Lage für Frauen in Afghanistan die reale Gefahr, Opfer von - insbesondere auch kinderspezifischen, und dabei vor allem Mädchen betreffenden - Handlungen, Eingriffen sowie erheblichen Diskriminierungen wie etwa Zwangsverheiratung oder der Verweigerung des Zugangs zu Bildung zu werden und medizinische Versorgung erschwert in Anspruch nehmen zu können.
5 Die Zulässigerklärung der Revision begründete das BVwG damit, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliege, da sich der Verwaltungsgerichtshof im Wege der Vorabentscheidungsersuchen vom 14. September 2022, EU 2022/0017 (Ra 2022/20/0028) und EU 2022/0016 (Ra 2021/20/0425), hinsichtlich der Frage der Gewährung von Asyl aufgrund der Kumulierung von einschränkenden Maßnahmen gegen Frauen und ob dafür einzig die Betroffenheit aufgrund des Geschlechtes ausreichend sei oder eine Prüfung der individuellen Situation erforderlich sei, an den Europäischen Gerichtshof gewandt habe.
6 Dagegen wendet sich die vorliegende Amtsrevision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend macht, das BVwG habe seine Begründungspflicht verletzt, da es weder Feststellungen zu den „genauen Begebenheiten für Säuglinge in Afghanistan“, noch zu der Frage, ob auch Mädchen im Säuglingsalter von den für die Asylzuerkennung herangezogenen Handlungen betroffen seien, getroffen habe. Es fehle an konkreten Feststellungen, die eine Beurteilung ermöglichen würden, ob diese Gefahren mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohten und eine asylrelevante Intensität erreichten.
7 Das Revisionsverfahren ist aus folgenden Gründen auszusetzen:
8 Mit den im Spruch genannten Beschlüssen vom 14. September 2022 hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Ersuchen um Vorabentscheidung übermittelt, das dort zu den Zlen. C-608/22 und C-609/22 protokolliert worden ist.
9 Darin wird im Wesentlichen die Klärung der Rechtsfrage angestrebt, ob die von den machthabenden Taliban in Bezug auf afghanische Frauen gesetzten näher bezeichneten Maßnahmen als Verfolgungshandlungen im Sinne des
Art. 9 Statusrichtlinie anzusehen sind bzw. ob es für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten hinreichend ist, dass eine Frau von diesen Maßnahmen im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts betroffen ist, oder für die Beurteilung ihrer Betroffenheit die Prüfung ihrer individuellen Situation erforderlich ist.
10 Der Beantwortung dieser Fragen durch den EuGH kommt für die Behandlung der vorliegenden Revision ebenfalls Bedeutung zu. Es liegen daher die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, weshalb das Revisionsverfahren in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat auszusetzen war.
Wien, am 24. Februar 2023
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RO2022180003.J00Im RIS seit
21.03.2023Zuletzt aktualisiert am
21.03.2023