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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines Antrags eines Rechtsanwaltes auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung über die bescheidmäßige Vorschreibung des Kammerbeitrags an die OBDK; keine Bedenken gegen den Ausschluß der Anwendbarkeit des AVG im Verfahren über Kammerbeitragsangelegenheiten; ausreichender Rechtsschutz durch Überprüfbarkeit von Rückstandsausweisen im VollstreckungsverfahrenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Schreiben vom 3. Juli 1991 beantragte der Beschwerdeführer bei der Rechtsanwaltskammer für Vorarlberg die bescheidmäßige Vorschreibung seines Kammerbeitrages für das Jahr 1991, um gegebenenfalls gegen die Beitragsvorschreibung Berufung einbringen und in weiterer Folge die Frage der gesetzlichen Mitgliedschaft bei der Kammer relevieren zu können. Nach Zustellung eines Rückstandsausweises über seine ausstehenden Kammerbeiträge bezahlte der Beschwerdeführer diese mit dem Bemerken, daß dies "unpräjudiziell" erfolge.
2. Am 29. Juli 1992 richtete der Beschwerdeführer an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) folgendes Schreiben:
"Mein Kammerbeitrag 1991
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
mit Schreiben vom 3.7.1991 habe ich die Vorarlberger Rechtsanwaltskammer um bescheidmäßige Vorschreibung des Kammerbeitrags ersucht. Da binnen Jahresfrist keine Reaktion erfolgt ist, beantrage ich den Übergang der Zuständigkeit an die angerufene Behörde mit der Bitte um baldige Entscheidung. In der bescheidmäßigen Erledigung wolle insbesondere ausgesprochen werden, aus welchen Gründen die Zwangsmitgliedschaft bei der Rechtsanwaltskammer mit Art10 und 11 EMRK vereinbar ist.
Der Kammerbeitrag wurde bereits unpräjudiziell einbezahlt. Er wäre gegebenenfalls zurückzuzahlen."
Die OBDK wertete dieses Schreiben als Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde iS des §73 Abs2 AVG und wies den Antrag mit der Begründung als unzulässig zurück, im Verfahren vor den Rechtsanwaltskammern gebe es ebensowenig eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde iS des §4 Abs2 AVG wie gemäß §73 Abs2 leg.cit. In derartigen Verfahren finde gemäß ArtII Abs2 Z31 EGVG, BGBl. 50/1991 (Wiederverlautbarung), das AVG keine Anwendung; ein Antrag auf Devolution der Entscheidung an die OBDK sei daher nicht zulässig.
3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte ("Recht auf Entscheidung nach Art10 und 11 EMRK, Recht auf wirksames Rechtsmittel - Art13 EMRK, Recht auf Schutz vor Willkür") sowie die Verletzung von Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
Sie begründet dies unter Hinweis auf das Erkenntnis VfSlg. 10163/1984, daß in verfassungswidriger Weise dem Beschwerdeführer eine bescheidförmige Entscheidung in seinen Kammerbeitragsangelegenheiten verweigert worden sei, da auch die Organe der Rechtsanwaltskammern die fundamentalen Grundsätze eines fairen Verfahrens zu beachten hätten. Nach ständiger Judikatur der EKMR und des EGMR in Straßburg hätten Grundrechte mit materiellem Eingriffsvorbehalt auch eine prozessuale Komponente.
Die entscheidende Schwäche liege im "Halbsatz des ArtII Abs2 Abschnitt B Ziffer 27", wonach das AVG für die Organe der Körperschaften, Anstalten und Fonds des öffentlichen Rechts anwendbar sei, soweit es sich nicht um "gesetzliche berufliche Vertretungen" handle; diese Worte möge der Verfassungsgerichtshof wegen Widerspruchs zu Art13 EMRK aufheben.
4. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den Antrag stellt, der Beschwerde nicht Folge zu geben.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. ArtII Abs2 Abschn. B Z31 EGVG lautet:
"Artikel II
(1) ...
(2) Von den Verwaltungsverfahrensgesetzen sind anzuwenden:
A. ...
B. das AVG in vollem Umfang, das VStG mit Ausnahme der §§37, 39, 50 und 56 auf das behördliche Verfahren
...
31. der Organe der Körperschaften, Anstalten und Fonds des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter eine andere Bestimmung dieses Absatzes fallen und soweit es sich nicht um gesetzlich anerkannte Kirchen oder Religionsgesellschaften, Universitäten, die Akademie der bildenden Künste, Kunsthochschulen, gesetzliche berufliche Vertretungen oder Träger der Sozialversicherung handelt;
..."
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zurück.
Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987).
Der Beschwerdeführer wäre somit im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, wenn die belangte Behörde den Antrag auf Übergang der Zuständigkeit des Beschwerdeführers zu Unrecht zurückgewiesen hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall:
2.1. Rechtsanwaltskammern sind "gesetzliche berufliche Vertretungen" iS des ArtII Abs2 Abschn. B Z31 EGVG, sodaß auf das behördliche Verfahren ihrer Organe das AVG insgesamt und somit auch dessen §73 nicht anzuwenden ist. Es besteht deshalb keine Rechtsvorschrift, welche die OBDK zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers beruft; sie hat mithin, da auch keine andere Bestimmung ihre Zuständigkeit begründet, das Begehren des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer wurde sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Eine Verletzung des Beschwerdeführers in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten ist damit ausgeschlossen (vgl. zB VfSlg. 10374/1985).
2.2. Dem Beschwerdeführer steht aber auch eine entsprechende Rechtsschutzmöglichkeit gegen Rückstandsausweise offen. Diese stellen zwar keine bekämpfbaren Bescheide dar, sondern entfalten ihre Wirkung erst im Vollstreckungsverfahren; dieses eröffnet aber zugleich die Möglichkeit ihrer Überprüfung (vgl. VfSlg. 9673/1983, VfGH 9.6.1984, B245/84, 9.12.1986, B856/86, 25.2.1992, B1392/91). Daher liegt auch keine Verletzung in einem fundamentalen Grundsatz eines fairen Verfahrens vor, da ein ausreichender Rechtsschutz in Kammerbeitragsangelegenheiten gewährleistet ist.
Der Verfassungsgerichtshof teilt die vorgetragenen Bedenken nicht, der Ausschluß der Anwendbarkeit des §73 AVG verstoße gegen Art13 EMRK. Zwar hat eine Behörde in jedem Fall die fundamentalen Grundsätze eines fairen Verfahrens zu beachten (VfSlg. 10163/1984), nicht hingegen die besonderen Vorschriften des §73 Abs2 AVG zum Übergang der Entscheidungspflicht anzuwenden (vgl. VfSlg. 2967/1956, 3420/1958, 4447/1963, 5081/1965, 10374/1985), zumal es keine wie immer gearteten Hinweise dafür gibt, daß es sich hier um eine planwidrige - durch Analogie zu schließende - Gesetzeslücke handeln könnte. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen diese Rechtslage aus der Sicht des Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken, und zwar auch nicht unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes (VfSlg. 12167/1989); denn es steht dem Normsetzer nach ständiger Rechtsprechung frei, sich in einzelnen Verfahrensbereichen für eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten unterschiedlicher Verfahrensarten - hier: des Verfahrens in Beitragsangelegenheiten von Kammerangehörigen - adäquat Rechnung tragen (zB VfSlg. 10770/1986, ebenso VfGH 14.6.1993, B 179-205, 219/93).
Der Beschwerdeführer wurde deshalb auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
2.3. Das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde.
3. Die Beschwerde war deshalb als unbegründet abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit Verfahrensvorschriften, Verfahrensregelungen unterschiedliche, Entscheidungspflicht, Rechtsanwaltskammer, Devolution, Behördenzuständigkeit, Rechtsschutz, fair trial, Beiträge (Rechtsanwaltskammer)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B412.1993Dokumentnummer
JFT_10069072_93B00412_00