TE Vfgh Erkenntnis 1993/9/28 B1171/93

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Veröffentlicht am 28.09.1993
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art129a
StVO 1960 §89a

Leitsatz

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Abschleppung eines Autobusses durch den Unabhängigen Verwaltungssenat; keine Gegenstandslosigkeit der Maßnahmenbeschwerde durch die Aufhebung der Kostenvorschreibung für die Abschleppung; Vorliegen einer Verkehrsbeeinträchtigung als bloße Vorfrage im Kostenvorschreibungsverfahren

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Gemeinde Wien ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Vertreters die mit S 15.000,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft betreibt nach eigener Darstellung ein Busunternehmen. Am 22. April 1993 stellte ein Angestellter einen Bus des Unternehmens an der "dafür vorgesehenen Stelle gegenüber dem Eingang zum Rathaus" ab, um auftragsgemäß eine schwedische Politikerdelegation abzuholen, und verließ den Bus - nach eigenen Angaben - für wenige Minuten. In dieser Zeit wurde das Fahrzeug gemäß §89a StVO 1960 von seinem Standort entfernt.

2. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 1. Juni 1993, Z UVS-02/11/00016/93, wurde die auf Art129a B-VG iVm §67a Abs1 Z2 AVG gestützte Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der ungerechtfertigten Entfernung ihres Autobusses als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wird darin ausgeführt, daß zwar die Entfernung eines Fahrzeuges vom Abstellort im Sinne des §89a StVO 1960 als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen sei, über den gegenständlichen behördlichen Zwangsakt jedoch bereits durch einen förmlichen Bescheid abgesprochen worden sei. Der Magistrat der Stadt Wien habe nämlich "gemäß §89a Abs7 im Zusammenhalt mit §89 Abs2 und Abs2a im (enderledigenden) Kostenbescheid über die den Gegenstand der Beschwerde bildende Amtshandlung abgesprochen ..., in der Form, daß kein Ersatz der Kosten festgelegt worden ist". Grundlage für die Kostenvorschreibung gemäß §89a Abs7 StVO 1960 sei aber "die Rechtmäßigkeit der vorausgehenden Abschleppung". Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien erachtete aus diesem Grund "die Einbringung einer auf §67a Abs2 Z. 2 AVG gestützten Beschwerde nicht mehr als zulässig".

In der nunmehrigen auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde rügt die beschwerdeführende Gesellschaft die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf Erwerbsausübungsfreiheit sowie im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil der unabhängige Verwaltungssenat den "Antrag, die faktische Amtshandlung für gesetzwidrig zu erklären, rechtswidriger Weise zurückgewiesen" hat und begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides.

3. Die belangte Behörde hat auf eine Gegenschrift verzichtet und den Verwaltungsakt vorgelegt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verletzt ein Bescheid das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dann, wenn die bescheiderlassende Verwaltungsbehörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert (VfSlg. 11597/1988, 12125/1989, ua.).

2. Die Entfernung von Hindernissen auf Straßen iSd §89a Abs2 und Abs2a StVO 1960 stellt gemäß der ständigen Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes eine Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar (VfSlg. 7852/1976, 7924/1976, 8046/1977; VwGH 13.4.1984, 83/02/0287; 16.12.1983, 83/02/0513). Art129a B-VG beruft die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen zu erkennen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein.

Die belangte Behörde geht - wie sich aus der Bescheidbegründung ergibt - davon aus, daß die Maßnahmenbeschwerde dadurch gegenstandslos geworden ist, daß der Bescheid, mit dem gemäß §89a Abs7 StVO 1960 die Kosten vorgeschrieben wurden, aufgehoben wurde. §89a Abs7 StVO 1960 regelt die Kostentragung anläßlich der Entfernung und Aufbewahrung eines verkehrsbeeinträchtigend abgestellten Gegenstandes bzw. Fahrzeuges. Die Behörde hat in einem Kostenvorschreibungsverfahren zwar gleichsam als Vorfrage zu beurteilen, ob eine Verkehrsbeeinträchtigung im Sinne des §89a Abs2 bzw. Abs2a StVO 1960 gegeben und demnach die zwangsweise Entfernung des Fahrzeuges durch die Behörde berechtigt war und erst bei Bejahung dieser Frage zu prüfen, ob auch die Voraussetzungen vorliegen, dem Zulassungsbesitzer die Kosten dafür aufzuerlegen (VwGH 21.11.1980, 1093/80). Das Vorliegen einer Verkehrsbeeinträchtigung ist aber nicht Hauptgegenstand eines Kostenverfahrens nach §89a Abs7 StVO 1960, sondern bloß die Voraussetzung für die Kostenvorschreibung (vgl. auch VwGH 25.4.1985, 85/02/0002). Die Frage der Rechtmäßigkeit der Entfernung und die Frage der Rechtmäßigkeit der Kostenvorschreibung sind also getrennt zu beurteilende Rechtsfragen.

3. Es wäre demnach Sache der belangten Behörde gewesen, über die Maßnahmenbeschwerde der beschwerdeführenden Gesellschaft gegen die behauptete ungerechtfertigte Entfernung eines Autobusses gemäß §89a StVO 1960 zu entscheiden. Die belangte Behörde hat insofern der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert, indem sie die Beschwerde als unzulässig zurückwies.

Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Der Kostenausspruch stützt sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten sind S 2.500,- an Umsatzsteuer enthalten. Kosten für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung waren nicht zuzusprechen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Unabhängiger Verwaltungssenat, Behördenzuständigkeit, Straßenpolizei, Abschleppung, Verwaltungsverfahren, Vorfrage, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B1171.1993

Dokumentnummer

JFT_10069072_93B01171_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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