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62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
B-VG Art11 Abs2Leitsatz
Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des AlVG betreffend die Ausnahme vom Erfordernis einer Amtssignatur bei automationsunterstützt erstellten Erledigungen; keine Unerlässlichkeit der vom AVG abweichenden Regelung, nur Ausfertigungen in Form von Ausdrucken mit einer Amtssignatur zu versehen, mangels Vorliegens besonderer Umstände oder eines Regelungszusammenhangs mit den materiellen Vorschriften im ArbeitslosenversicherungsrechtRechtssatz
Aufhebung des §47 Abs1 fünfter Satz des AlVG idF BGBl I 8/2017. Fristsetzung: Inkrafttreten mit Ablauf des 31.03.2024. Erstreckung der Anlassfallwirkung: Die aufgehobene Bestimmung ist in den am 09.03.2023 beim VwGH und BVwG anhängigen Verfahren nicht mehr anzuwenden.
Die "Unerlässlichkeit" einer abweichenden Regelung iSd Art11 Abs2 B-VG in einem Materiengesetz kann sich aus "besonderen Umständen" oder aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften ergeben. Das AVG beruht auf der kompetenzrechtlichen Grundlage des Art11 Abs2 B-VG und die Bestimmungen des AVG stellen "einheitliche Vorschriften" iSd Art11 Abs2 B-VG dar. §47 Abs1 fünfter Satz AlVG weicht von den Vorschriften des AVG über schriftliche Ausfertigungen ab, wonach "Erledigungen", die "Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten" sind, "mit einer Amtssignatur versehen sein" müssen und (nur) "Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke [...] keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen" brauchen, wohingegen "[s]onstige Ausfertigungen [...] die Unterschrift des Genehmigenden zu enthalten" haben, wobei "an die Stelle dieser Unterschrift [...] die Beglaubigung der Kanzlei treten kann".
Zunächst war auch im AVG für automationsunterstützt hergestellte "externe Erledigungen" eine Ausnahme vom Gebot der Unterschrift (bzw der Kanzleibeglaubigung) vorgesehen. Diese entfiel jedoch mit der Erlassung des E-Government-Gesetzes wobei gleichzeitig als Alternative zum Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift durch den Genehmigenden (oder der beglaubigten Ausfertigung durch die Kanzlei) die Amtssignatur eingeführt wurde.
Es ist zu untersuchen, ob die angefochtene Norm zum Zeitpunkt der Prüfung verfassungswidrig ist. Das Instrument der Amtssignatur wurde im Jahr 2004 mit dem E-Government-Gesetz eingeführt. Seither ist eine Zeit von mehr als 18 Jahren verstrichen; die ursprünglich vorgesehenen Übergangsfristen sind vor 12 Jahren abgelaufen. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Technik innerhalb der Verwaltung (mittlerweile) weit verbreitet, geläufig und bewährt sowie ohne große technische Probleme umsetzbar ist. Auch setzt das AMS die Amtssignatur selbst zum Teil bereits bei seinen Erledigungen ein.
Das Arbeitslosenversicherungsrecht ist zwar eine Materie, in der verhältnismäßig viele Entscheidungen zu ergehen haben, wodurch die eigenhändige Unterfertigung durch den Genehmigenden oder eine Beglaubigung durch die Kanzlei schwierig zu bewerkstelligen sein könnte. Gerade in solchen Konstellationen kann jedoch mit dem Instrument der Amtssignatur sichergestellt werden, dass ein ausreichendes (und mit der herkömmlichen Unterschrift vergleichbares) Niveau der Identifizierbarkeit und Authentifizierbarkeit (somit auch der Fälschungssicherheit) von automationsunterstützt erstellten Erledigungen erreicht wird. Dass ein solches im Arbeitslosenversicherungsrecht - etwa auf Grund allfälliger materienspezifischer Besonderheiten - nicht notwendig wäre, ist für den VfGH nicht erkennbar und auch im Verfahren nicht behauptet worden.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Arbeitslosenversicherung, elektronischer Rechtsverkehr, elektronische Signatur, Bescheidbegriff, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Anlassverfahren, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Gerichtsantrag, Verwaltungsverfahren, Bescheid UnterschriftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:G295.2022Zuletzt aktualisiert am
20.03.2023