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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag WienNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Mag. Liebhart-Mutzl und Dr.in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Y-Vereins der X in W, vertreten durch die Hule Bachmayr-Heyda Nordberg Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 47, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 1. Dezember 2020, 1. VGW-111/084/14923/2020-2, 2. VGW-111/V/084/14925/2020, 3. VGW-111/V/084/14926/2020, 4. VGW-111/V/084/14927/2020, 5. VGW-111/V/084/14928/2020, 6. VGW-111/V/084/14929/2020, 7. VGW-111/V/084/14930/2020, 8. VGW-111/V/084/14931/2020, 9. VGW-111/V/084/14932/2020, 10. VGW-111/V/084/14933/2020, 11. VGW-111/V/084/14934/2020 und 12. VGW-111/V/084/14935/2020, betreffend u.a. Parteistellung in einer Bausache (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. A P, 2. Ing. H L, 3. C W, 4. T O, 5. Dr. C K, 6. Dr. Ü K, 7. E B, 8. P W, 9. Mag. J W, 10. A W, 11. Mag. A P und 12. Mag. T F, alle in W, alle vertreten durch Mag. Wolfgang Andreas Orsini und Rosenberg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Annagasse 8; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Antrag der belangten Behörde auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber brachte am 13. Juni 2016 beim Magistrat der Stadt W. (belangte Behörde) eine Bauanzeige gemäß § 62 Bauordnung für Wien (BO für Wien) betreffend die Durchführung von baulichen Änderungen, Raumumwidmungen sowie Änderungen der Raumkonfigurationen im Erdgeschoß des Gebäudes E.-Straße X, in W. ein. Dieses Verfahren wurde zur Aktenzahl MA37-BB/565809-2016-1 geführt (Verfahren I).
2 Am 10. Jänner 2019 langte bei der belangten Behörde eine Teilfertigstellungsanzeige betreffend einen „Raum für kulturelle Zwecke“ sowie diverse Sanitär- Lagerräume zur Aktenzahl MA37-BB/565809-2016-14 (Verfahren II) ein.
3 Am 20. Februar 2020 brachte der Revisionswerber eine weitere Bauanzeige gemäß § 62 BO für Wien betreffend näher genannte Änderungen im Erdgeschoß, die Herstellung eines Feuermauerdurchbruchs gemäß 94 Abs. 4 BO für Wien ein. Dieses Verfahren wurde zur Aktenzahl MA-37 BB/167917-2020-1 protokolliert (Verfahren III) und anschließend in das bereits anhängige Verfahren I überführt.
4 Mit Eingabe vom 24. Juni 2020 beantragten die mitbeteiligten Parteien, allesamt Miteigentümer der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft, die Zuerkennung der Parteistellung in den Verfahren I, II und III.
5 Mit weiterer Eingabe vom 22. Juli 2020 erhoben die mitbeteiligten Parteien Einwendungen gegen die Bauvorhaben, in denen sie näher ausführten, weshalb sie von einer Bewilligungspflicht der Bauvorhaben ausgingen.
6 Mit Planwechselbescheid zur Aktenzahl MA37-BB/565809-2016/45 vom 21. August 2020 zur Bauanzeige vom 13. Juni 2016 (Verfahren IV) erfolgte die Bewilligung der Umwidmung des Raumes für kulturelle Zwecke in einen Raum für kultische Zwecke sowie des geringfügigen Rückversetzens der östlichen Eingangstür an der E-Straße.
7 Mit Bescheid vom 1. September 2020 stellte die belangte Behörde fest, dass den mitbeteiligten Parteien in den Verfahren I bis IV Parteistellung nur hinsichtlich der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen eines Bauanzeigeverfahrens zukomme (Spruchpunkt I.), dass die Bauvorhaben in Verfahren I und III in Verbindung mit dem Planwechselbescheid zu Verfahren III die Voraussetzungen für ein Bauanzeigeverfahren nach § 62 BO für Wien erfüllen würden (Spruchpunkt II.) und die Einwendungen der mitbeteiligten Parteien vom 24. Juni 2020 und vom 22. Juli 2020 als unzulässig zurückgewiesen würden (Spruchpunkt III.).
8 Dagegen erhoben die mitbeteiligten Parteien Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht), in der sie unter anderem mit näherer sachverhaltsbezogener Begründung vorbrachten, das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben sei nicht bauanzeige-, sondern baubewilligungspflichtig, und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragten. Unter einem legten die mitbeteiligten Parteien Ausdrucke einer Homepage betreffend die einzelnen Räume des Bauprojektes sowie Lichtbilder über die Anlieferung von Bestandteilen einer für den Betrieb eines Gastgewerbebetriebes ausgelegten Küche vor.
9 Das Verwaltungsgericht gab dieser Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, behob Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides (I.), stellte in Abänderung von Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides fest, dass die Bauvorhaben in Verfahren I und III in Verbindung mit dem Planwechselbescheid zu Verfahren III die Voraussetzungen für ein Bauanzeigeverfahren nach § 62 BO für Wien nicht erfüllten (II.), und stellte ebenso fest, dass den mitbeteiligten Parteien Parteistellung im baubehördlichen Bewilligungsverfahren zukomme (III.). Weiters sprach es aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision gemäß Art. 133. Abs. 4 B-VG unzulässig sei (IV.).
10 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach kurzer Wiedergabe des Verfahrensganges aus, dass in der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien vorgebracht worden sei, dass durch den Raum für kultische Zwecke eine Stellplatzverpflichtung ausgelöst werde, da es sich nicht um eine unmittelbare kultische oder der Bestattung dienenden Anlage handle. Die - nicht näher ausgeführten - Feststellungen würden auf den Einreichplänen und dem Verfahrensakt beruhen.
11 Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht, nach auszugsweiser Wiedergabe der §§ 60, 62 und 134 BO für Wien sowie § 50 Wiener Garagengesetz (Wr. Garagengesetz) fest, dass die Baubehörde nach Einreichung eines Projektes zu prüfen habe, ob die Voraussetzungen für eine Bauanzeige erfüllt seien, bevor ein Baubewilligungsverfahren nach § 60 BO für Wien geführt würde. § 62 BO für Wien setze für ein Bauanzeigeverfahren unter anderem voraus, dass keine Verpflichtung zur Schaffung von Stellplätzen ausgelöst werde. Der Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach „durch die Widmung des von der Bauanzeige umfassten, 394,3 m2 großen ‚Raum[es] für kultische Zwecke, maximal 256 Personen‘ die Bestimmung des § 50 Wr. Garagen Gesetz anwendbar sei“ könne aus mehreren, näher genannten Gründen nicht gefolgt werden. Der Raum für kultische Zwecke sei nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 50 Abs. 9 Wr. Garagengesetz subsumierbar, sondern als Versammlungsraum gemäß § 50 Abs. 3 Wr. Garagengesetz einzuordnen, der eine Stellplatzverpflichtung auslöse. Es bestehe daher eine Bewilligungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 lit. c BO für Wien, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, dem Revisionswerber sei entgegen näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Beschwerdeverfahren der mitbeteiligten Parteien eine Parteistellung betreffend seine eigene Bauanzeige verwehrt und er sei durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten schlechter gestellt worden; das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen und es fehle Rechtsprechung zur Auslegung der Ausnahmebestimmung des § 50 Abs. 9 Wr. Garagengesetz.
13 Die belangte Behörde und die mitbeteiligten Parteien erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung, jeweils verbunden mit einem Antrag auf Kostenersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
14 Die Revision erweist sich bereits angesichts ihres Zulässigkeitsvorbringens hinsichtlich der Parteistellung des Revisionswerbers als zulässig; sie ist auch begründet.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung ist die Frage, ob jemandem Parteistellung in einem bestimmten Verfahren zukommt, primär nach Maßgabe des anzuwendenden Materiengesetzes, in Ermangelung entsprechender Regelungen nach den Grundsätzen des § 8 AVG zu beurteilen (vgl. VwGH 30.6.2015, Ra 2015/03/0022, mwN).
16 Schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 134 Abs. 1 BO für Wien ist Partei im Sinne des § 8 AVG in allen Fällen, in denen dieses Gesetz ein Ansuchen oder eine Einreichung vorsieht, der Antragsteller oder Einreicher; dies ist im vorliegenden Fall der Revisionswerber.
17 Im Bauanzeigeverfahren nach § 62 BO für Wien ist gemäß § 134 Abs. 5 BO für Wien (nur) der Bauwerber Partei; auch dies ist im vorliegenden Fall der Revisionswerber. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch bereits ausgesprochen, dass bei verfassungskonformer Auslegung in Beachtung des Sachlichkeitsgebotes der §§ 62 und 134 Abs. 5 iVm § 134a Abs. 1 BO für Wien dem Nachbarn im Bauanzeigeverfahren gemäß § 62 leg. cit. die auf die Frage der Überprüfung der Zulässigkeit des Bauanzeigeverfahrens beschränkte Parteistellung zuzubilligen ist (vgl. VwGH 4.10.2022, Ra 2020/05/0014 mit Verweis auf 4.11.2016, Ro 2014/05/0029).
18 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht von Amts wegen für die Beiziehung der Parteien zu sorgen hat (vgl. erneut VwGH 30.6.2015, Ra 2015/03/0022).
19 Dabei liegt der Zweck der Mitteilung der Beschwerde in der Wahrung des rechtlichen Gehörs und ist als Mittel zur Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit zwischen den Parteien (Art. 6 Abs. 1 EMRK) zu sehen (vgl. VwGH 30.3.2016, Ra 2015/09/0075). Fallbezogen hat das Verwaltungsgericht, das dem Revisionswerber trotz Parteistellung die Beschwerde nicht übermittelt und ihn auch sonst im Verfahren über die Beschwerde der mitbeteiligten Parteien nicht beigezogen hat, die Rechtslage verkannt, und seine Entscheidung schon deshalb mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet.
20 Im Übrigen leidet das angefochtene Erkenntnis auch an einem Begründungsmangel, da es den sich aus § 29 Abs. 1 VwGVG ergebenden Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht wird (vgl. VwGH 28.3.2022, Ra 2019/06/0061, oder auch 29.11.2018, Ra 2016/06/0113, jeweils mwN). Insbesondere vor dem Hintergrund der Feststellungen der belangten Behörde im baubehördlichen Verfahren und dem Inhalt der von den mitbeteiligten Parteien erhobenen Beschwerde ist aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht erkennbar, von welchen Feststellungen zum Bauvorhaben des Revisionswerbers aufgrund welcher Beweiswürdigung das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, erschöpft sich doch der festgestellte Sachverhalt bloß in der Wiedergabe des Verfahrensgangs. Im fortzusetzenden Verfahren wird das Verwaltungsgericht dazu auch eine mündliche Verhandlung durchzuführen haben (vgl. VwGH 9.6.2022, Ra 2021/05/0109, mwN).
21 Das angefochtene Erkenntnis war deshalb aufgrund vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.
22 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der Antrag der belangten Behörde auf Zuerkennung von Kostenersatz war abzuweisen, weil gemäß § 47 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 5 VwGG der Rechtsträger, in dessen Namen die belangte Behörde in dem dem Verfahren vor dem LVwG vorangegangenem Verfahren tätig geworden ist, Anspruch auf Aufwandersatz nur im Falle einer Abweisung der Revision, nicht aber im Falle der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, hat (vgl. VwGH 29.7.2015, Ra 2015/07/0034).
Wien, am 6. Februar 2023
Schlagworte
Baurecht Nachbar Individuelle Normen und Parteienrechte Diverses VwRallg9/5 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1 ParteiengehörEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021050047.L00Im RIS seit
20.03.2023Zuletzt aktualisiert am
20.03.2023