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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
StVO 1960 §18 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Amstetten gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 10. Mai 2022, LVwG-S-583/001-2022, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: M in S, vertreten durch die Schärmer + Partner Rechtsanwälte GmbH in 1230 Wien, Dr. Neumann-Gasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 24. Jänner 2022 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe zu einem näher genannten Zeitpunkt an einem näher genannten Ort zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre, wobei der mittels Videomessung festgestellte zeitliche Abstand zwischen den Fahrzeugen 0,41 Sekunden betragen habe. Der Mitbeteiligte habe dadurch gegen § 18 Abs. 1 StVO verstoßen, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe in Höhe von € 110,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 50 Stunden) verhängt wurde.
2 Der ausschließlich gegen die Strafbemessung erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis insofern statt, als unter Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen und dem Mitbeteiligten unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens eine Ermahnung erteilt wurde. Die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichthof erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte habe sein Fahrzeug zum Tatzeitpunkt auf dem linken Fahrstreifen mit ca. 130 km/h gelenkt. Aufgrund eines unvorhergesehenen Fahrstreifenwechsels eines PKW vom mittleren Fahrstreifen vor das Fahrzeug des Mitbeteiligten habe der Abstand für zumindest zwei Sekunden nur knappe 15 Meter betragen. Der Mitbeteiligte habe somit den objektiven Tatbestand des § 18 Abs. 1 StVO erfüllt und es sei ihm zumindest leichte Fahrlässigkeit zur Last zu legen. Schutzzweck der übertretenen Norm sei die Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit. Dieser Schutzzweck sei aber sowohl vom Mitbeteiligten als auch von dem vor ihm befindlichen Fahrzeuglenker gefährdet worden, wobei die Gefährdung durch den Mitbeteiligten im Vergleich zu jener durch den beteiligten Lenker als untergeordnet erachtet werde. Da dem Mitbeteiligten lediglich ein minderer Grad an Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei und das Verhalten auch keine weiteren Konsequenzen nach sich gezogen habe, sei von der Verhängung einer Strafe abzusehen und gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG eine Ermahnung zu erteilen gewesen.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.
5 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die kostenpflichtige Zurück- oder Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:
6 In der Zulässigkeitsbegründung wird vorgebracht, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG im gegenständlichen Fall nicht erfüllt seien und das Verwaltungsgericht damit von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei.
7 Die Revision ist im Hinblick darauf zulässig und berechtigt.
8 Nach ständiger Rechtsprechung zu § 45 Abs. 1 Z 4 VStG müssen die dort genannten Umstände - geringe Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, geringe Intensität der Beeinträchtigung dieses Rechtsgutes durch die Tat sowie geringes Verschulden - kumulativ vorliegen. Fehlt es an einer der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen für die Einstellung des Strafverfahrens, kommt auch keine Ermahnung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG in Frage (vgl. etwa VwGH 18.12.2019, Ra 2019/02/0180, mwN).
9 Im gegenständlichen Fall liegt schon die erste Voraussetzung für die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG, nämlich eine geringe Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht vor.
10 Wie das Verwaltungsgericht selbst festgehalten hat, ist das zu schützende Rechtsgut im vorliegenden Fall die Aufrechterhaltung der Sicherheit im Straßenverkehr. Dieser kommt erhebliche Bedeutung zu, keinesfalls kann davon gesprochen werden, dass die Bedeutung dieses strafrechtlich geschützten Rechtsgutes gering ist.
11 Diese Wertigkeit des durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgutes findet ihren Ausdruck auch in der Höhe des gesetzlichen Strafrahmens, der für entsprechende Zuwiderhandlungen gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO immerhin Geldstrafen bis zu EUR 726,- und eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen vorsieht (vgl. VwGH 19.6.2018, Ra 2017/02/0102, mwN).
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 13. Februar 2023
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022020117.L00Im RIS seit
20.03.2023Zuletzt aktualisiert am
20.03.2023