TE Lvwg Erkenntnis 2023/2/8 LVwG-2022/30/2832-7

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Veröffentlicht am 08.02.2023
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Entscheidungsdatum

08.02.2023

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Dr. Rieser über die Beschwerde der serbischen Staatsangehörigen AA, geboren am XX.XX.XXXX, vertreten durch die Rechtsanwälte BB & CC, Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z vom 25.10.2022, Zl ***, betreffend die Aussetzung eines Verfahrens nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG),

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Sachverhalt und rechtliche Erwägungen:

Die Beschwerdeführerin hat am 11.07.2022 persönlich bei der belangten Behörde einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers gemäß § 54 NAG angesucht. Die Beschwerdeführerin beruft sich in ihrem Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte darauf, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin ein österreichischer Staatsbürger sei, der sein unionsrechtlich eingeräumtes Freizügigkeitsrecht in Deutschland in Anspruch genommen habe. Als Nachweis dafür wurde eine Bescheinigung des Landratsamtes Y, ausgestellt am 03.07.2022, vorgelegt. Das angeführte Landratsamt habe im Rahmen des durchgeführten Ermittlungsverfahrens mitgeteilt, dass ein Rücknahmeverfahren betreffend diese Bescheinigung zu der angeführten Zahl anhängig sei. Laut Ausführungen der belangten Behörde müsse die Frage der Erteilung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes und somit die Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechtes in einem anderen Staat von den Behörden dieses Staates beurteilt werden und stelle dies somit eine Vorfrage nach § 38 AVG dar. Da der Bestand des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes des Ehegatten (Bescheinigung des Landratsamtes Y betreffend den Ehegatten der Antragstellerin) somit eine Vorfrage im Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltskarte für die Antragstellerin sei, werde das Verfahren gemäß § 38 AVG ausgesetzt.

In der rechtzeitig per E-Mail am 03.11.2022 eingebrachten Beschwerde wurde Folgendes ausgeführt:

„In umseitiger Rechtssache erhebt die Beschwerdeführerin (Bf) innerhalb offener Frist

Beschwerde

an das Landesverwaltungsgericht Tirol gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z vom 25.10.2022, Zl ***, zugestellt am 02.11.2022.

Die Bf fechtet den angefochtenen Bescheid in seinem gesamten Umfang an und macht als Beschwerdegründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend.

Die Bf wird durch den angefochtenen Bescheid in ihrem subjektiven Recht auf Durchführung des Verfahrens ohne Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG, da keine für dieses Verfahren präjudizielle Vorfrage vorliegt, sowie auf Ausstellung der Aufenthaltskarte nach § 54 NAG verletzt.

1.) Die Anwendung des § 38 AVG setzt eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage voraus, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist.

Wie von der belangten Behörde richtig erkannt wurde, geht es in diesem Verfahren um die Frage, ob der Ehemann der Bf, DD, österreichischer Staatsbürger, das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht in Deutschland in Anspruch genommen hat. Wenn dem so ist, hat die Bf einen Rechtsanspruch auf die beantragte Aufenthaltskarte.

Das derzeit vor dem Landratsamt Y anhängige Rücknahmeverfahren unter der Zahl *** hat jedoch mit dieser Frage aus nachfolgenden Gründen nichts zu tun bzw. wird dabei über keine für das gegenständliche Verfahren präjudizielle Vorfrage entschieden:

a.) Das Recht, sich als Staatsangehöriger eines EU-Staates in einem anderen EU-Staat mehr als drei Monate lang aufhalten und arbeiten zu können (die Freizügigkeit), beruht auf der EU-Richtlinie 2004/38/EG, welche von den Nationalstaaten umgesetzt wurden. In Österreich wurde dies im NAG und in Deutschland im Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) geregelt.

b.) Nach § 53 Abs 1 NAG haben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Liegen die Voraussetzungen vor, ist ihnen von der Behörde auf Antrag eine EWR-Anmeldebescheinigung auszustellen.

Nach § 53a Abs 1 NAG kommt diesen nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt zu und ist ihnen eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

c.) Im Vergleich dazu stellte Deutschland nur bis zum 28.01.2013 nach einem dreimonatigen Aufenthalt eine solche Freizügigkeitsbescheinigung aus. Diese wurde sodann wegen der großen damit verbundenen Bürokratie abgeschafft.

Nach einem fünfjährigen Aufenthalt wird - wie in Österreich - auch in Deutschland eine Bescheinigung dieses Rechtes ab dem Eintritt des Daueraufenthaltsrechtes ausgestellt (vgl. § 4a FreizügG/EU).

Da es zum Nachweis dieses Freizügigkeitsrechtes vor Erlangung des Daueraufenthaltsrechts in Deutschland keine eigene Freizügigkeitsbescheinigung mehr gibt, wird das Freizügigkeitsrecht in Deutschland durch die normale Anmeldung nach dem Meldegesetz

nachgewiesen.

2.) Der Ehemann der Bf hat sich am 15.02.2022 in der Gemeinde X in Deutschland zur Anmeldung gebracht und hat in Deutschland zu arbeiten begonnen. Er hat daher spätestens mit 16.05.2022 das Freizügigkeitsrecht erworben.

Bereits per Email vom 11.07.2022 sowie in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 10.08.2022 wurde diese Anmeldung durch Vorlage der Meldebestätigung vom 15.02.2022 nachgewiesen. Weiters wurden Einkommensunterlagen nachgewiesen. Damit hätte die belangte Behörde spätestens am 10.08.2022 die beantragte Aufenthaltskarte zur Dokumentation des Rechtes der Bf in Auftrag geben müssen.

3.) Das Landratsamt Y hat dem Ehemann mit 03.03.2022 eine Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts ausgestellt, nachdem der Ehemann dort seine Meldebescheinigung in Vorlage gebracht hat. Weshalb diese Ausstellung erfolgte ist, ist Sache des Landratsamtes und wurde vom Ehemann damals - auch mangels Kenntnisse der genauen deutschen Regelung – nicht weiter hinterfragt.

Da eine solche wohl erst nach 5 Jahren auszustellen gewesen wäre, wurde vom Landratsamt ein Rücknahmeverfahren der Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechtes eingeleitet. Dieses Rücknahmeverfahren hat aber nichts mit dem Bestand des Freizügigkeitsrechtes des Ehemannes an sich zu tun, welches er durch seinen länger als drei Monate dauernden Aufenthalt und seine Arbeit in Deutschland erlangt und durch entsprechende Dokumente nachgewiesen hat.

4.) Da somit das Rücknahmeverfahren der Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechtes des Ehemannes DD keine Vorfrage im Sinne der § 38 AVG für das gegenständliche Verfahren der Bf zur Ausstellung der Aufenthaltskarte darstellt, ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und daher aufzuheben.

Gestützt auf obiges Vorbringen werden daher gestellt nachfolgende

Beschwerdeanträge:

Das Landesverwaltungsgericht Tirol wolle eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, der Beschwerde Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben;

Z, am 03.11.2022                                               für AA“

Von der belangten Behörde wurde der Aufenthaltsakt samt Beschwerde dem Landesverwaltungsgericht Tirol zur Entscheidung vorgelegt. Im Beschwerdeverfahren wurde noch ergänzend eine Erhebung beim Landratsamt Y durchgeführt. Es wurde angefragt in welcher Form das am 13.10.2022 eingeleitete Verfahren zur Rücknahme der am 03.03.2022 erteilten Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechtes abgeschlossen wurde bzw bis wann gegebenenfalls mit einem diesbezüglichen Verfahrensabschluss gerechnet werden könne. Das Landratsamt Y teilte per E-Mail am 24.01.2023 dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit, dass im Falle des Ehegattens der Beschwerdeführerin schon die Entscheidung getroffen sei, dass die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht widerrufen werde, jedoch seien sie noch nicht zur Ausfertigung eines entsprechenden Bescheides gekommen. Der zuständige Sachbearbeiter hofft, dass er diesen in den kommenden Wochen seinem Vorgesetzten zur Mitunterzeichnung und dem anschließenden Versand vorlegen könne.

Mit E-Mail vom 07.02.2023 wurde seitens des Landratsamtes Y ergänzend mitgeteilt, dass der Betroffene (= der Ehemann der Beschwerdeführerin) melderechtlich mit Wirkung vom 28.01.2023 in W unter der Adresse 2, ***** W, angemeldet worden sei. Somit liege der in der BRD gemeldete Wohnsitz nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde des Landratsamtes Y und der Fall werde an die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt W abgeben.

Aufgrund des Inhaltes des vorgelegten Aufenthaltsaktes und der durchgeführten Erhebungen ergibt sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt, der grundsätzlich unstrittig ist. Der belangten Behörde ist grundsätzlich zuzustimmen, dass es für die Entscheidung über den verfahrensgegenständlichen Antrag der Beschwerdeführerin eine Vorfrage darstellt, ob deren österreichische Ehegatte sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedsstaat oder in der Schweiz in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückgekehrt ist.

Vorfragen im Sinne des für die gegenständliche Verfahrensaussetzung herangezogenen § 38 AVG setzen voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer Vorfrage durch eine andere österreichische Behörde oder ein anderes österreichisches Gericht als Hauptfrage gefällt werden kann (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 38, Rz 2). Dies liegt im gegenständlichen Falle nicht vor, weil die Klärung der für das gegenständliche aufenthaltsrechtliche Verfahren erforderlichen Vorfrage nicht bei einer zuständigen österreichischen Verwaltungsbehörde oder bei einem zuständigen österreichischen Gericht, sondern bei einer deutschen Behörde und nun auch nicht mehr beim Landratsamt Y anhängig ist.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes und der aufgezeigten rechtlichen Erwägungen liegen im gegenständlichen aufenthaltsrechtlichen Verfahren die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung nach § 38 AVG nicht vor und war daher der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Aussetzungsbescheid ersatzlos zu beheben.

Es wird darauf hingewiesen, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Aussetzung des Verfahrens und nicht eine etwaige Sachentscheidung im anhängigen aufenthaltsrechtlichen Verfahren nach dem NAG ist. Seitens der belangten Behörde ist nunmehr das anhängige aufenthaltsrechtliche Verfahren der Beschwerdeführerin fortzusetzen.

II.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag. Dr. Rieser

(Richter)

Schlagworte

Aussetzung des Verfahrens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2023:LVwG.2022.30.2832.7.

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2023
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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