Entscheidungsdatum
27.04.2021Norm
EpidemieG 1950 §1 Abs1Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch die Richterin MMag. Dr. Cervenka-Ehrenstrasser über die Beschwerde des A, ***, ***, vertreten durch den Kindesvater B, vertreten durch RA C, ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 22.4.2021, GZ. ***, betreffend Absonderung nach dem Epidemiegesetz 1950 (EpiG) folgenden
BESCHLUSS:
1. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wegen sachlicher Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich als unzulässig zurückgewiesen.
2. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 22.4.2021, GZ. ***, wurde unter Zugrundelegung der §§ 1, 5, 6, 7, 43 Abs. 4 Epidemiegesetz 1950, BGBI. Nr. 186/1950 i.d.g.F., und der §§ 1, 2, 4 und 5 Absonderungsverordnung, RGBI Nr. 39/1915, i.d.g.F., sowie § 57 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) aufgrund der möglichen Ansteckung mit der Lungenerkrankung COVID-19 die Absonderung des Beschwerdeführers in dessen Wohnung in ***, ***, beginnend mit 22.4.2021 bis einschließlich 3.5.2021 angeordnet. Mit Ablauf dieses Tages trete dieser Bescheid wieder außer Kraft.
Als begleitende Maßnahme wurde unter anderem angeordnet, dass die Wohnung abgesehen von einer Fahrt mit einem privaten Pkw zu einer Teststation nicht verlassen werden dürfe.
Begründend führte dazu die Bezirkshauptmannschaft Baden zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer am 19.4.2021 mit einer Person Kontakt gehabt habe, welche mittels PCR- bzw. Antigentest positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden sei. Aufgrund der medizinischen Erfahrungen und virologischen Eigenart von Sars-CoV-2, einer anzeigepflichtigen Krankheit iSd § 1 Abs. 1 Z. 1 Epidemiegesetz 1950, bestehe bei nahem Kontakt mit einer an Sars-CoV-2 infizierten Person eine hohe Wahrscheinlichkeit der Ansteckung, wobei aus epidemiologischer Sicht und den bisherigen medizinischen Erfahrungen eine mit Sars-CoV-2 infizierte Person insbesondere auch im Zeitraum von 48 Stunden vor Auftreten von Symptomen die Krankheit übertragen könne, auch ohne Symptome zu haben. Der Beschwerdeführer sei daher im Sinne des Epidemiegesetzes als ansteckungsverdächtig einzustufen und sei die Absonderung zur Vermeidung einer Weiterverbreitung der Krankheit gemäß § 57 Abs. 1 AVG 1991 anzuordnen gewesen.
Dagegen hat der nunmehrige Beschwerdeführer mit Schreiben vom 22.4.2021 Bescheidbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG und Art. 6 Abs. 1 BVG Pers. Freiheit erhoben, welche direkt beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich sowie bei der Bezirkshauptmannschaft Baden am 22.4.2021 eingebracht wurde. Darin wurde beantragt, das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich möge unverzüglich, längstens jedoch binnen einer Woche ab Antragstellung den angefochtenen Bescheid mit sofortiger Wirkung aufheben, feststellen, dass der Freiheitsentzug rechtswidrig sei und die sofortige Freilassung des Beschwerdeführers sowie die sofortige Beendigung der Absonderung anordnen.
Begründung wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer sechs Jahre alt sei und einen Kindergarten in *** besuche, wobei ein Kind in derselben Gruppe scheinbar positiv getestet worden sei. Ein Schnelltest beim Beschwerdeführer habe ein negatives Ergebnis gebracht. Der Beschwerdeführer sei symptomfrei und weise kein Verhalten auf, welches auf eine Viruserkrankung hindeutete. Die Familie des Beschwerdeführers habe viele Selbsttests zu Hause, alle Familienmitglieder würden sich regelmäßig testen. Bislang sei noch keine Infektion aufgetreten.
Im nunmehr angefochtenen Bescheid fehle jede Begründung, ob überhaupt, wie häufig, wie lange, in welcher Art und Weise und in welcher Intensität der Beschwerdeführer tatsächlich Kontakt zu den (angeblich) positiv getesteten Personen gehabt habe. Es sei auch nicht bekannt, ob und inwiefern die angeblich positiv getesteten Personen bislang Symptome einer COVID-Erkrankung entwickelt hätten.
Der Beschwerdeführer wohne mit seinen zwei Geschwistern und seinen Eltern in einer kleinen Doppelhaushälfte mit Garten auf ca. 100 m² Wohnfläche, sodass die Wohnsituation relativ beengt sei. Er sei ein sehr aktives Kind, welches über einen Zeitraum von 14 Tagen in Innenräumen keinesfalls kindgerecht beschäftigt und befriedigt werden könne, so dass die Absonderung eine enorme psychische Belastung für ihn darstellen werde. Zudem sei er bereits im März 2020 einmal als K1 Person in Quarantäne gewesen, vor einigen Wochen sei die Schwester des Beschwerdeführers ebenfalls in Quarantäne gewesen.
Nachdem die Bestimmung des § 7 Abs. 1a Satz 2 EpidemieG mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 10.3.2021, GZ G 380/2020, als verfassungswidrig aufgehoben worden sei, welche Aufhebung am 9.4.2021 in Kraft getreten sei, sei der Beschwerdeführer nunmehr nicht mehr berechtigt, beim Bezirksgericht einen Antrag auf Überprüfung der Absonderung einzubringen.
Seine zwangsweise Anhaltung infolge der Absonderung gemäß § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz stelle einen Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit nach Art. 5 EMRK bzw. nach dem PersFrG dar, sodass die Bestimmungen über das „Haftprüfungsverfahren“ der Art. 5 Abs. 4 EMRK sowie Art. 6 PersFrG unmittelbar anwendbar seien, zumal nach Aufhebung von § 7 Abs. 1a Satz 2 Epidemiegesetz nicht ersichtlich sei, dass ein dem Art. 5 Abs. 4 EMRK und dem Art. 6 Abs. 1 PersFrG entsprechender Rechtsweg einfachgesetzlich eingeräumt wäre, da die Vorstellung gemäß § 57 Abs. 2 AVG den verfassungsgesetzlichen Anforderungen weder des Art. 5 Abs. 4 EMRK noch des Art. 6 Abs. 1 PersFrG gerecht werde. Einerseits sei über die Vorstellung nicht binnen einer Woche zu entscheiden, andererseits entscheide über die Vorstellung weder ein Gericht noch eine andere unabhängige Behörde, schließlich sei als Rechtsfolge einer Vorstellung lediglich die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorgesehen, nicht jedoch die unmittelbare Aufhebung der in der Vorstellung enthaltenen Anordnung.
Der Beschwerdeführer gehe daher davon aus, dass gegen den Absonderungsbescheid eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG unmittelbar erhoben werden könne und sodann die Verwaltungsgerichte dazu berufen seien, im Rahmen dieser Beschwerde den gemäß Art. 6 Abs. 1 PersFrG gebotenen Rechtsschutz in der darin vorgesehenen Frist zu gewähren. Außerdem sei gegen Mandatsbescheide die Beschwerdemöglichkeit an die Verwaltungsgerichte nur einfachgesetzlich und überdies nur implizit, aber nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Nach Auffassung des Beschwerdeführers sei das „Haftprüfungsverfahren“ gemäß Art. 6 Abs. 1 PersFrG gegen einen Absonderungsbescheid nichts anderes als ein Bescheidbeschwerdeverfahren gegen den Absonderungsbescheid gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 und Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG. Zudem entspreche es auch der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs, dass Verfassungsbestimmungen - wie hier Art. 6 Abs. 1 PersFrG - als höherrangige Rechtsnorm einfachgesetzliche Anordnungen etwa im VwGVG oder im AVG verdrängen können. Auch sei die einwöchige Entscheidungsfrist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs unmittelbar anwendbar.
Weiters wurde der Antrag auch unmittelbar auf die im Verfassungsrang stehenden Bestimmungen des Art. 5 Abs. 4 EMRK sowie Art. 6 PersFrG gestützt, welche dem Beschwerdeführer ein verfassungsunmittelbares Recht auf ein Rechtsschutzverfahren einräumen würden. Das Landesverwaltungsgericht habe den verfassungsgesetzlich eingeräumten Rechtsschutz für den Beschwerdeführer zur Verfügung zu stellen. Subsidiär wurde schließlich der Antrag auf Beendigung der Freiheitsbeschränkung auf Art. 13 EMRK und das rechtsstaatliche Prinzip des B-VG im allgemeinen gestützt. Auch aus dem rechtsstaatlichen Prinzip lasse sich ableiten, dass dem Beschwerdeführer ein unmittelbarer Rechtsschutz gegen die angeordnete Freiheitsbeschränkung eingeräumt werden müsse.
Weiters wurde darauf hingewiesen, dass die Beschwerde/der Haftprüfungsantrag aufgrund der Dringlichkeit aufgrund der andauernden Freiheitsbeschränkung sowie aufgrund der verfassungsgesetzlich angeordneten Entscheidungsfrist binnen einer Woche sowohl bei der belangten Behörde als auch direkt beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eingebracht werde.
In inhaltlicher Hinsicht wurde vorgebracht, dass nicht klar sei, ob und inwiefern der Beschwerdeführer sich in der Nähe der (angeblich) positiv getesteten Personen aufgehalten habe. Hier sei zu klären, ob der Beschwerdeführer tatsächlich als Kontakt-1-Person zu qualifizieren sei, was ausdrücklich bestritten werde. Weiters wurde bestritten, dass Personen, welche keine Symptome aufweisen würden, das Virus tatsächlich in sich tragen würden, zumal der PCR-Test nicht hinreichend geeignet sei, eine Infektion nachzuweisen. Sollte sich herausstellen, dass positiv getesteten Personen zum Zeitpunkt des Letztkontakts mit dem Beschwerdeführer asymptomatisch gewesen seien, müsse berücksichtigt werden, dass es äußerst unwahrscheinlich sei, dass diese Personen das Virus tatsächlich an den Beschwerdeführer übertragen hätten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass dieser keine Symptome habe, was die Gefahr einer Weiterverbreitung umso unwahrscheinlicher mache. Schließlich sei noch zu berücksichtigen, dass Kinder bei der Übertragung eine geringere Bedeutung als Erwachsene hätten, sodass insgesamt die Behörde zum Ergebnis hätten kommen müssen, dass beim Beschwerdeführer nur ein sehr geringer Grad der Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er das Virus weitertrage und somit eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen bestehe. Somit liege die Tatbestandsvoraussetzung des § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz nicht vor.
Schließlich wurde noch auf das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit und das BVG über die Rechte von Kindern und auf die mit dieser Quasi-Inhaftierung verbundenen Auswirkungen auf die kindliche Psyche hingewiesen. Die Quarantäneentscheidung stehe damit außer Verhältnis zum Zweck der Maßnahme, der Verhinderung der Verbreitung der Pandemie.
Auch sei nicht geprüft worden, ob es nicht gelindere Mittel gebe. Nach dem Wortlaut des Bescheides sei es dem Beschwerdeführer nicht gestattet, unter bestimmten näher zu definierenden Sicherheitsvorkehrungen seine Unterkunft zu verlassen, etwa für Spaziergänge im Freien.
Schließlich wurde beantragt, bei Wahrung der Entscheidungsfrist von einer Woche ein kinderpsychologisches Amtssachverständigengutachten einzuholen zum Beweis dafür, dass die Absonderung eines sechsjährigen Kindes eine unzumutbare psychische Belastung für dieses darstelle.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde ausdrücklich nicht beantragt.
Mit Schreiben vom 26.4.2021 hat die Bezirkshauptmannschaft Baden die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Entscheidung vorgelegt. Unter einem wurde mitgeteilt, dass auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werde.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat dazu in rechtlicher Hinsicht wie folgt erwogen:
Gemäß § 17 VwGVG sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles ... und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lauten:
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
§ 31 Abs. 1 VwGVG lautet
(1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
§ 7 Epidemiegesetz 1950, BGBl Nr. 186/1950, idgF lautet auszugsweise:
1) Durch Verordnung werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungsmaßnahmen verfügt werden können.
(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Jede Anhaltung, die länger als zehn Tage aufrecht ist, ist dem Bezirksgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen, die sie verfügt hat. Das Bezirksgericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung oder der letzten Überprüfung die Zulässigkeit der Anhaltung in sinngemäßer Anwendung des § 17 des Tuberkulosegesetzes zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde.
…
§ 57 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) lautet:
(1) Wenn es sich um die Vorschreibung von Geldleistungen nach einem gesetzlich, statutarisch oder tarifmäßig feststehenden Maßstab oder bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, ist die Behörde berechtigt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen.
(2) Gegen einen nach Abs. 1 erlassenen Bescheid kann bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist.
(3) Die Behörde hat binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Auf Verlangen der Partei ist das Außerkrafttreten des Bescheides schriftlich zu bestätigen.
§ 12 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:
Bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht sind die Schriftsätze bei der belangten Behörde einzubringen. Dies gilt nicht in Rechtssachen gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG.
§ 14 VwGVG lautet:
(1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.
(2) Will die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.
Art. 83 Abs. 2 Bundesverfassungsgesetz (B-VG) lautet:
(1) Die Organisation und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte werden durch Bundesgesetz geregelt. Die Sprengel der Bezirksgerichte sind durch Verordnung der Bundesregierung festzulegen.
(2) Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
Art. 130 B-VG lautet auszugsweise:
(1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden
1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;
2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;
3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.
(Anm:: Z 4 aufgehoben durch Art. 1 Z 13, BGBl. I Nr. 138/2017)
(1a) Das Verwaltungsgericht des Bundes erkennt über die Anwendung von Zwangsmitteln gegenüber Auskunftspersonen eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates nach Maßgabe des Bundesgesetzes über die Geschäftsordnung des Nationalrates.
(2) Durch Bundes- oder Landesgesetz können sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über
1. Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde in Vollziehung der Gesetze oder
2. Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens oder
3. Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten der öffentlich Bediensteten oder
4. Beschwerden, Streitigkeiten oder Anträge in sonstigen Angelegenheiten
vorgesehen werden. In den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, sowie in den Angelegenheiten der Art. 11, 12, 14 Abs. 2 und 3 und 14a Abs. 3 und 4 dürfen Bundesgesetze gemäß Z 1 und 4 nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden.
Art. 131 Abs. 1 B-VG (B-VG) lautet:
(1) Soweit sich aus Abs. 2 und 3 nicht anderes ergibt, erkennen über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 die Verwaltungsgerichte der Länder.
(2) Soweit sich aus Abs. 3 nicht anderes ergibt, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Sieht ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 2 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vor, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens, die gemäß Art. 14b Abs. 2 Z 1 in Vollziehung Bundessache sind. Sieht ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 3 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vor, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten der öffentlich Bediensteten des Bundes.
(3) Das Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen erkennt über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 bis 3 in Rechtssachen in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und Gemeinden) und des Finanzstrafrechts sowie in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten, soweit die genannten Angelegenheiten unmittelbar von den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes besorgt werden.
(4) Durch Bundesgesetz kann
1. eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder vorgesehen werden: in Rechtssachen in den Angelegenheiten gemäß Abs. 2 und 3;
2. eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte des Bundes vorgesehen werden:
a) in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung für Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist (Art. 10 Abs. 1 Z 9 und Art. 11 Abs. 1 Z 7);
b) in Rechtssachen in den Angelegenheiten des Art. 14 Abs. 1 und 5;
c) in sonstigen Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, sowie in den Angelegenheiten der Art. 11, 12, 14 Abs. 2 und 3 und 14a Abs. 3.
Bundesgesetze gemäß Z 1 und Z 2 lit. c dürfen nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden.
(5) Durch Landesgesetz kann in Rechtssachen in den Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte des Bundes vorgesehen werden. Art. 97 Abs. 2 gilt sinngemäß.
(6) Über Beschwerden in Rechtssachen, in denen ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 und 4 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vorsieht, erkennen die in dieser Angelegenheit gemäß den Abs. 1 bis 4 dieses Artikels zuständigen Verwaltungsgerichte. Ist gemäß dem ersten Satz keine Zuständigkeit gegeben, erkennen über solche Beschwerden die Verwaltungsgerichte der Länder.
Art 6 des Bundesgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG) lautet:
(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.
(2) Im Fall einer Anhaltung von unbestimmter Dauer ist deren Notwendigkeit in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde zu überprüfen.
Art. 5 EMRK lautet:
(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a) wenn er rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird;
b) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird wegen Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung;
c) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, daß der Betreffende eine strafbare Handlung begangen hat, oder begründeter Anlaß zu der Annahme besteht, daß es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d) wenn es sich um die rechtmäßige Haft eines Minderjährigen handelt, die zum Zwecke überwachter Erziehung angeordnet ist, oder um die rechtmäßige Haft eines solchen, die zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Behörde verhängt ist;
e) wenn er sich in rechtmäßiger Haft befindet, weil er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet, oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist;
f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.
(2) Jeder Festgenommene muß in möglichst kurzer Frist und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden.
(3) Jede nach der Vorschrift des Abs. 1c dieses Artikels festgenommene oder in Haft gehaltene Person muß unverzüglich einem Richter oder einem anderen, gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Er hat Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.
(4) Jedermann, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen wird, hat das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht ehetunlich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden wird und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird.
(5) Jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz.
Der nunmehrige Beschwerdeführer geht davon aus, dass das Landesverwaltungsgericht als jenes Gericht, welches über die Rechtmäßigkeit von Bescheiden zu befinden hat, verpflichtet sei, den verfassungsgesetzlich eingeräumten Rechtsschutz für den Beschwerdeführer zur Verfügung zu stellen, wobei er ausdrücklich wegen der Dringlichkeit aufgrund der andauernden Freiheitsbeschränkung sowie aufgrund der verfassungsgesetzlich angeordnet Entscheidungsfrist binnen einer Woche gemäß Art. 6 Abs. 1 PersFrG den Antrag auch beim Verwaltungsgericht eingebracht hat.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden
1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;
2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;
3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.
Darüber hinaus können vom einfachen Bundes- oder Landesgesetzgeber sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über
1. Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde in Vollziehung der Gesetze oder
2. Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens oder
3. Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten der öffentlich Bediensteten oder
4. Beschwerden, Streitigkeiten oder Anträge in sonstigen Angelegenheiten
vorgesehen werden.
Im konkreten Fall liegt weder ein Anfechtungsgegenstand im Sinne des Abs. 1 vor, noch wurde auf einfachgesetzlicher Ebene eine entsprechende Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Anträge der gegenständlichen Art gegründet.
Gegenständlich wurde die Absonderung des Beschwerdeführers mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden angeordnet, welcher ausdrücklich auf die Bestimmung des § 57 Abs. 1 AVG 1991 gestützt wird. Ob ein Mandatsbescheid oder ein „normaler“ Bescheid vorliegt, richtet sich nach der höchstgerichtlichen Judikatur nicht danach, ob die Voraussetzungen für ein Mandat vorliegen, sondern danach, ob sich die Behörde tatsächlich unmissverständlich auf § 57 AVG gestützt hat (vgl. VwGH 20.3.2001, 99/11/0226; 23.10.2015, Ra 2015/02/0029 etc.). Da die belangte Behörde sowohl unter den Rechtsgrundlagen als auch in der Begründung ausdrücklich auf die Bestimmung des § 57 Abs. 1 AVG verweist, ist der gegenständlich angefochtene Bescheid somit zweifelsfrei als Mandatsbescheid zu qualifizieren, wogegen der Partei das Recht der Vorstellung gemäß § 57 Abs. 2 AVG zusteht, sodass die Behörde binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten hat, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Damit ist durch das remonstrative Rechtsmittel der Vorstellung weiterhin die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde festgelegt und wurde auf dieses Rechtsmittel auch in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides hingewiesen.
Der Beschwerdeführer vermeint nun, dass aufgrund des Eingriffs in das Grundrecht der persönlichen Freiheit durch die Anordnung der Absonderung mittels Mandatsbescheid unmittelbar die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts gegeben sei, da gemäß Art. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit jedermann das Recht auf ein Verfahren habe, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs entschieden und im Fall der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet werde, wobei die Entscheidung binnen einer Woche zu ergehen habe.
Dem ist allerdings die Verfassungsbestimmung des Art. 18 (iVm Art. 83 Abs. 2) B-VG entgegenzuhalten, welche nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs den Gesetzgeber zu einer - strengen Prüfungsmaßstäbe standhaltenden - präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit verpflichtet (vgl. z. B. VfSlg. 3994/1961, 5698/1968, 9937/1984, 10.311/1984, 13.029/1992, 13.816/1994, 16.794/2003, 17.086/2003, 18.639/2008, 19.970/2015, G 380/2020-18 und andere). Eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts über eine Beschwerde gegen einen Mandatsbescheid gemäß § 57 Abs. 1 AVG ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung würde dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter verletzen. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof auch Beschwerden gegen Mandatsbescheide mangels Instanzenzugserschöpfung aufgrund der Nichterhebung einer Vorstellung zurückgewiesen (vgl. z. B. B 1252/90, B 944/04 ua.).
Schließlich ergibt sich noch die Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Mandatsbescheide aus § 14 Abs. 1 VwGVG, wonach es im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG der Behörde freisteht, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). Durch die Möglichkeit innerhalb von zwei Monaten eine Beschwerdevorentscheidung zu treffen, ergibt sich zweifelsfrei, dass es sich bei dem Bescheid im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG nicht um einen Mandatsbescheid gemäß § 57 Abs. 1 AVG handelt, da hier die Frist für die Entscheidung der Behörde nach Einlangen einer Vorstellung gemäß § 57 Abs. 3 AVG zwei Wochen beträgt, widrigenfalls der Bescheid außer Kraft tritt.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ist daher zur Behandlung der erhobenen Bescheidbeschwerde sachlich unzuständig.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG abgesehen werden, da die Beschwerde zurückzuweisen ist. Zudem wurde keine mündliche Verhandlung beantragt.
Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig. Es liegt zwar im gegenständlichen Verfahren in Bezug auf die Zuständigkeiten eine Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor und existiert auch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, jedoch liegt hinsichtlich der zu lösen gewesenen Rechtsfrage ein eindeutiger Gesetzeswortlaut und somit eine eindeutige Rechtslage vor (vgl. VwGH 27.2.2018, Ra 2018/05/0011).
Schlagworte
Gesundheitsrecht; COVID-19; Absonderung; Verfahrensrecht; Mandatsbescheid; Bescheidbeschwerde; Unzuständigkeit;Anmerkung
VfGH 02.03.2023, E 1737/2021-17, AufhebungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.734.002.2021Zuletzt aktualisiert am
17.03.2023