Index
10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VGLeitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ein auf ein Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger und stellte am 16. Juni 2021 – nach rechtskräftiger Abweisung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz – einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 17. Juni 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Indien zulässig ist, sprach das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise aus, und sprach ein einjähriges Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer aus.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 5. August 2022 als unbegründet ab. Das Einreiseverbot begründet das Bundesverwaltungsgericht unter anderem damit, dass die Gefahr bestünde, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt weiterhin nicht auf legale Weise finanzieren oder ein weiterer Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne, weil der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen in Österreich habe, die ihn unterstützen könnten, er auch keinen Rechtsanspruch auf Unterstützung durch andere habe, sondern seinen Lebensunterhalt durch eine illegale Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller finanziere. Er habe bereits in der Vergangenheit die Grundversorgung in Anspruch genommen und dadurch sei eine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft bereits eingetreten. Da er zudem nach negativem Abschluss seines ersten Asylverfahrens nicht nach Indien zurückgekehrt, sondern illegal in Österreich verblieben sei und seine Mitwirkungspflicht im Verfahren verletzt habe, indem er etwa gesetzliche Bestimmung des Meldegesetzes nicht eingehalten habe, habe der Beschwerdeführer gezeigt, dass er nicht gewillt sei, sich an die Rechtsordnung zu halten, weshalb der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
6. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Erlassung des befristeten Einreiseverbotes richtet, ist sie auch begründet:
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012, als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Die Kundmachung dieser Aufhebung erfolgte durch den Bundeskanzler am 27. Dezember 2022 in BGBl I 202/2022.
Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).
Das Bundesverwaltungsgericht wandte bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung eines auf ein Jahr befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.
Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.
7. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Indien und den Ausspruch, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.
Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua, ÖJZ1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).
Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005; zu den krankheitsbedingten Gründen vgl auch VfSlg 18.407/2008 und 19.086/2010). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung des Beschwerdeführers in seinen Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).
Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Beweiswürdigung in jeder Hinsicht rechtmäßig erfolgte, nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
9. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
10. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2023:E2469.2022Zuletzt aktualisiert am
17.03.2023