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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §13 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des J K in B, vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Wendling GmbH in 6370 Kitzbühel, Obere Gänsbachgasse 7/Kirchplatz, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 5. September 2022, LVwG-2021/36/2105-4, betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages in einer baurechtlichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Brandenberg; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) den Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend seine Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Brandenburg vom 25. Juni 2021 in einer baurechtlichen Angelegenheit ab (Spruchpunkt A.), die Beschwerde mit Beschluss als verspätet zurück (Spruchpunkt B.) und erklärte eine ordentliche Revision gegen beide Spruchpunkte für unzulässig.
Begründend führte das LVwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - aus, der Bescheid sei nachweislich am 29. Juni 2021 durch die Post zugestellt und von der Lebensgefährtin des Revisionswerbers übernommen worden; die Frist zur Einbringung der Beschwerde habe daher am 27. Juli 2021 geendet. Die am 27. Juli 2021 um 16:59 Uhr mittels E-Mail eingelangte Beschwerde sei verspätet, weil die Amtsstunden an diesem Tag (einem Dienstag) um 12 Uhr geendet hätten. Die per Post eingebrachte Beschwerde sei nachweislich erst am 28. Juli 2021 um 8:14 Uhr der Post zur Beförderung übergeben worden und sei daher ebenfalls verspätet.
Den Wiedereinsetzungsantrag habe die Rechtsvertreterin damit begründet, dass der Revisionswerber den Tag der Zustellung (per E-Mail vom selben Tag) mit 30. Juni 2021 angegeben habe. Für die Einhaltung der Rechtsmittelfrist sei jedoch der berufliche Parteienvertreter verantwortlich; ein allfälliger Mangel in der Kommunikation zwischen der Partei und ihrem Vertreter stelle kein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis iSd § 71 Abs. 1 Z 1 AVG dar (Hinweis ua auf VwGH 27.4.2016, Ra 2016/05/0015).
Der Wiedereinsetzungsantrag sei daher abzuweisen und die Revision als verspätet zurückzuweisen gewesen.
5 In der - inhaltlich nur auf Spruchpunkt A. Bezug nehmenden - Zulässigkeitsbegründung bringt der Revisionswerber zunächst vor, das LVwG habe gegen tragende Verfahrensvorschriften verstoßen und verkenne, dass der Revisionswerber selbst (als Machtgeber) einem Irrtum unterlegen sei, weil ihm als juristischem Laien die Konsequenzen der Ersatzzustellung fremd gewesen seien. Er habe seiner Rechtsvertretung unmissverständlich jenes Datum kommuniziert, an dem er von der Zustellung Kenntnis erlangt habe. Es liege kein „Kommunikationsproblem“ zwischen dem Revisionswerber und seiner Rechtsvertretung vor, weil die Zustellung hinreichend klar und deutlich kommuniziert worden sei; für eine Unrichtigkeit habe es nicht den geringsten Anhaltspunkt gegeben.
Dabei wird außer Acht gelassen, dass der ständigen hg. Rechtsprechung zufolge (vgl. etwa das auch vom LVwG zitierte Erkenntnis VwGH 27.4.2016, Ra 2016/05/0015, mwN) der rechtskundige Vertreter einer Partei die ihm von einem Klienten mitgeteilten Umstände über den für den Beginn der Rechtsmittelfrist maßgebenden Zustelltag (im Übrigen liegt den Verfahrensakten die E-Mail des Revisionswerbers vom 30. Juni 2021 nicht bei) nicht ungeprüft seiner Fristvormerkung zugrunde legen darf, sondern sich über den angenommenen Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses zu vergewissern hat. Generell unterliegt das Zustelldatum einer besonderen Prüfpflicht, weil es für das Ende von Fristen in Bezug auf die Erhebung von Rechtsmitteln von ausschlaggebender Bedeutung ist (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 51 [Stand März 2020] zitierte hg. Rechtsprechung). Auf diese, im angefochtenen Erkenntnis zitierte hg. Rechtsprechung geht der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung mit keinem Wort ein.
Mit dem Hinweis, der Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung sei der Partei selbst und nicht der rechtskundigen Vertretung unterlaufen, ist für den Revisionswerber nichts zu gewinnen, weil ein solcher Irrtum keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellt (vgl. etwa VwGH 13.12.2011, 2011/22/0301; sowie die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 [1998] § 71 AVG E 126 ff zitierte hg. Rechtsprechung).
6 Zum weiteren Zulässigkeitsvorbringen, es sei unsachlich und teleologisch wie auch im Ergebnis unvertretbar, dass bei der Zustellung einer E-Mail der Postenlauf nicht berücksichtigt werde, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 30.8.2022, Ra 2022/06/0191, Rn. 6, mit Hinweisen auf VfGH 3.3.2014, G 106/2013 [VfSlg. 19.849]) zu verweisen, wonach unterschiedliche Regelungen hinsichtlich des Einbringens schriftlicher Anbringen (gleichgültig ob sie elektronisch oder nicht elektronisch sind) direkt bei der Behörde einerseits und von Anbringen, die im Weg eines Zustelldienstes übergeben werden andererseits, ausdrücklich als nicht unsachlich zu beurteilen sind. Im vorliegenden Fall lehnte der Verfassungsgerichtshof auch die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 29. November 2022, E 2811/2022, ab.
7 Schließlich macht der Revisionswerber eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betreffend die Auslegung der unbestimmten Gesetzesbegriffe „unvorhergesehenes“ Ereignis und „minderer Grad des Versehens“ in § 71 Abs. 1 Z 1 AVG geltend.
Aus welchen Gründen die umfassende, teilweise im angefochtenen Erkenntnis zitierte hg. Rechtsprechung zu § 71 Abs. 1 Z 1 AVG, die auf § 33 Abs. 1 VwGVG übertragen werden kann (vgl. etwa VwGH 22.8.2022, Ra 2022/06/0118, Rn. 6, mwN), auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sein sollte, bleibt in der Zulässigkeitsbegründung jedoch offen. Soweit dieses Vorbringen in Zusammenhang mit dem nicht anzuwendenden Postenlaufprivileg bei schriftlichen Anbringen direkt bei der Behörde steht, wird auf die Ausführungen in Rn. 6 verwiesen.
8 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.
Wien, am 3. Februar 2023
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023060015.L00Im RIS seit
14.03.2023Zuletzt aktualisiert am
14.03.2023