Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §37Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revisionen des AT in I, vertreten durch Mag. Sylvia Unger, Rechtsanwältin in 1090 Wien, Ferstelgasse 1/1, gegen 1. den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 2022, Zl. W158 2261806-1/2E, (protokolliert zu Ra 2023/03/0007) betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer luftfahrtrechtlichen Angelegenheit und 2. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 2022, Zl. W158 2261806-1/3E, (protokolliert zu Ra 2023/03/0008) betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Austro Control österreichische Gesellschaft für Zivilluftfahrt mbH), den Beschluss
Spruch
gefasst:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. Juni 2022 wurde die auf den Revisionswerber ausgestellte Privatpilotenlizenz PPL(A) auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates widerrufen.
2 Dieser Bescheid wurde nach einem Zustellversuch am Standort des vom Revisionswerber betriebenen Einzelunternehmens zur Abholung ab 17. Juni 2022 bei der zuständigen Post-Geschäftsstelle hinterlegt und nach Ablauf der Abholfrist als nicht behoben an die belangte Behörde retourniert.
3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber am 9. September 2022 Beschwerde an das Verwaltungsgericht, in welcher er angab, den Bescheid am 13. August 2022 „persönlich“ zugestellt bekommen zu haben. Nachdem der Vertreterin des Revisionswerbers am 12. September 2022 seitens der belangten Behörde mitgeteilt wurde, dass der Bescheid (ausgehend von einer wirksamen Zustellung am 17. Juni 2022) bereits rechtskräftig sei, ergänzte der Revisionswerber am 15. September 2022 seine Beschwerde und gab an, wegen „Nichterreichbarkeit wegen aufgrund seiner internationalen Tätigkeit“ bei der Post eine Ortsabwesenheitsmeldung für den Zeitraum 18. Jänner 2022 bis 17. Jänner 2023 zu seiner Privatadresse erstattet zu haben. Er habe vom Bescheid erstmals am 13. August 2022 Kenntnis erlangt, sodass dieser nicht rechtwirksam durch Hinterlegung nach § 17 ZustG zugestellt worden sei. In eventu stellte der Revisionswerber weiters einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist und begründete dies damit, dass ihn kein Verschulden an einer mangelnden Kenntnis von der (vermeintlichen) Zustellung treffe. Als Bescheinigungsmittel bot er die Post-Ortsabwesenheitsmeldung und seine Parteienvernehmung an.
4 Über Aufforderung der belangten Behörde, die Ortsabwesenheit an der Abgabestelle und den Auslandsaufenthalt zu konkretisieren sowie Beweise dafür vorzulegen, teilte der Revisionswerber mit, als ehrenamtlicher Präsident für ein näher genanntes Institut (ein Verein mit Sitz an der Unternehmensadresse des Revisionswerbers) im In- und Ausland tätig zu sein. Er sei von 17. Juni bis 5. Juli 2022 nicht am Standort seines Einzelunternehmens aufhältig gewesen. Die Mitglieder des genannten Institutes würden den Revisionswerber laufend als Gast einladen und Kosten und Spesen übernehmen, weshalb Rechnungen oder Quittungen nicht vorgelegt werden könnten. Als Beweis wurden erneut die Post-Ortsabwesenheitsmeldung und die Vernehmung des Revisionswerbers angeboten.
5 Die belangte Behörde erließ am 11. Oktober 2022 eine Beschwerdevorentscheidung, mit der sie die Beschwerde gegen den Bescheid vom 10. Juni 2022 als verspätet zurückwies (Spruchpunkt I.). Zugleich wies sie auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist als verspätet zurück (Spruchpunkt II.), weil sie vom Wegfall des Hindernisses im Sinne des § 33 Abs. 3 VwGVG mit 13. August 2022 (Kenntnis vom Bescheid) ausging.
6 Gegen die Beschwerdevorentscheidung stellte der Revisionswerber einen Vorlageantrag an das Verwaltungsgericht, der sich auch gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags richtete.
7 Mit dem (erstangefochtenen) Beschluss des Verwaltungsgerichtes vom 1. Dezember 2022 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 10. Juni 2022 als verspätet zurückgewiesen und eine Revision gegen diese Entscheidung für nicht zulässig erklärt.
8 Begründend stellte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass die belangte Behörde dem Revisionswerber die erste Aufforderung zur Stellungnahme im Widerrufsverfahren an dessen Privatadresse gesendet hat, von dort sei die Sendung jedoch mit dem Vermerk „verzogen“ retourniert worden. Für diese Adresse habe der Revisionswerber für den Zeitraum 18. Jänner 2022 bis 17. Jänner 2023 eine Ortsabwesenheitsmeldung für RSa- und RSb-Sendungen bei der Post abgegeben. Daraufhin sei die Zustellung an den Standort seines Einzelunternehmens veranlasst worden. Dort habe er in der Folge zwei Mal Zustellungen in diesem Verfahren entgegengenommen und am 24. Februar 2022 sowie am 11. März 2022 Stellungnahmen an die belangte Behörde gesendet, in denen dieser Unternehmensstandort als Anschrift angegeben worden sei. Weitere Sendungen habe der Revisionswerber nicht mehr entgegengenommen, sodass diese als „nicht behoben“ an die belangte Behörde retourniert worden seien. So sei auch der bekämpfte Bescheid - weil der Revisionswerber dort nicht angetroffen worden sei - bei der zuständigen Postgeschäftsstelle hinterlegt worden (erster Tag der Abholfrist: 17. Juni 2022). Die schriftliche Verständigung darüber sei dem Revisionswerber in seine Abgabeeinrichtung eingelegt worden. Nach Ende der Abholfrist sei auch der Bescheid am 5. Juli 2022 mit dem Vermerk „nicht behoben“ an die belangte Behörde retourniert worden.
9 Der Revisionswerber sei jedenfalls am 2. Juni 2022 und 20. Juni 2022 an seinem Unternehmensstandort anwesend gewesen. Dazu führte das Verwaltungsgericht beweiswürdigend aus, dass der Revisionswerber zwar behauptet habe, dass er von 17. Juni bis 5. Juli 2022 ortabwesend gewesen sei, dafür aber keine konkreten Beweise angeboten habe. Es sei den diesbezüglichen Erwägungen der belangten Behörde (in der Beschwerdevorentscheidung) zu folgen, wonach sich die Anwesenheit des Revisionswerbers am 2. Juni 2022 aus einem näher genannten YouTube-Video ergebe, in dem er über eine bei ihm durchgeführte Hausdurchsuchung berichte. Am 20. Juni 2022 wiederum sei (in einem anderen Verfahren) auf Ersuchen der Bezirkshauptmannschaft Imst an der betreffenden Adresse eine Zustellung durch die Polizei vorgenommen worden, wobei der Revisionswerber angetroffen worden sei, die Annahme aber verweigert habe.
10 In rechtlicher Hinsicht erwog das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung -, die Anwesenheit des Revisionswerbers am 2. Juni 2022 sei im Internet öffentlich ersichtlich gewesen. Der Zusteller habe daher Grund zur Annahme haben können, dass sich der Empfänger dort regelmäßig aufgehalten habe, weshalb die Hinterlegung nach § 17 ZustG zulässig und wirksam gewesen sei. Selbst bei Annahme eines Fristbeginns am 20. Juni 2022 (an dem der Revisionswerber - noch innerhalb der Abholfrist - festgestelltermaßen anwesend gewesen sei) sei die Beschwerde jedenfalls verspätet erhoben worden.
11 Die beantragte mündliche Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen können, weil die Beschwerde schon auf Grund der Aktenlage zurückzuweisen gewesen sei. Dem Revisionswerber sei auch keine weitere Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage der Verspätung zu geben gewesen, weil er sich dazu bereits mehrfach - insbesondere nach Vorhalt durch die belangte Behörde - geäußert habe.
12 Mit dem (zweitangefochtenen) Erkenntnis, ebenfalls vom 1. Dezember 2022, gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides vom 11. Oktober 2022 über die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags statt und behob diesen Spruchpunkt. Weiters wies das Verwaltungsgericht diesen Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet ab. Schließlich wurde eine Revision für nicht zulässig erklärt.
13 Dazu stellt es begründend fest, dass der Bescheid vom 10. Juni 2022 dem Revisionswerber durch Hinterlegung am 17. Juni 2022 zugestellt und eine schriftliche Verständigung darüber in seine Abgabeeinrichtung eingelegt worden sei. Die am 9. September 2022 zur Post gegebene Beschwerde sei verspätet gewesen. Der Revisionswerber habe erstmals am 12. September 2022 erfahren, dass diese Zustellung den Widerrufsbescheid betroffen habe. Er habe von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren zu einem möglichen Widerruf der Privatpilotenlizenz gewusst und dazu in diesem Verfahren auch zweimal Stellung genommen. Er sei während der Abholfrist zumindest am 20. Juni 2022 an der Zustelladresse anwesend gewesen.
14 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Feststellungen zur Zustellung des Bescheides und der Verspätung der Beschwerde „auf die rechtskräftige Entscheidung W158 2261806-1/2E“ (den erstangefochtenen Beschluss) und für die übrigen Feststellungen auf den Akteninhalt, insbesondere auf die Mitteilung der Polizeiinspektion Imst (zur Anwesenheit am 20. Juni 2022), der der Revisionswerber nicht substantiiert entgegengetreten sei.
15 In rechtlicher Hinsicht erwog es zunächst, dass der Revisionswerber von der abgelaufenen Frist zur Beschwerdeerhebung erst am 12. September 2022 erfahren habe, sodass der am 15. September 2022 gestellte Wiedereinsetzungsantrag entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht verspätet sei. Die Antragszurückweisung sei daher aufzuheben.
16 Weil über den Antrag nach § 33 Abs. 4 VwGVG ab Vorlage der Beschwerde das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden habe, sei die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag auf das Verwaltungsgericht übergegangen.
17 Es überscheite den minderen Grad des Versehens im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGVG auch einer nicht rechtskundigen Person, wenn der Revisionswerber - obwohl er vom Verfahren gewusst habe und daher mit einer Entscheidung habe rechnen müssen - die in seiner Abgabeeinrichtung hinterlassene Verständigung über die erfolgte Zustellung ignoriert habe, obwohl er während der Abholfrist an der Zustelladresse anwesend gewesen sei. Darüber hinaus wäre jedenfalls auch die im Beschwerdeverfahren einschreitende Rechtsanwältin hinsichtlich des mehrmonatigen Abstands zwischen dem Bescheiddatum und dem vom Revisionswerber angegebenen Zustellzeitpunkt (an einem Samstag) verpflichtet gewesen, bei der belangten Behörde diesbezüglich nachzufragen; auch diese Unterlassung übersteige den minderen Grad des Versehens. Der Wiedereinsetzungsantrag sei daher abzuweisen.
18 Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 VwGVG.
19 Gegen diese Entscheidungen - hinsichtlich des zweitangefochtenen Erkenntnisses nur, soweit damit der Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen wurde, - richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden hat.
Allgemeines
20 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
Zur Zurückweisung der Beschwerde wegen Verspätung
21 Die Revision gegen den erstangefochtenen Beschluss begründet ihre Zulässigkeit mit einer Abweichung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weil das Verwaltungsgericht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen sowie den festgestellten Sachverhalt mangelhaft begründet habe, und weil die Voraussetzungen des § 17 ZustG für eine Hinterlegung nicht vorgelegen seien.
22 Nach § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann die Verhandlung unter anderem dann entfallen, wenn - wie vorliegend - die Beschwerde zurückzuweisen ist. Trotz Erfüllung des Tatbestandes des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann jedoch in Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens des Verwaltungsgerichtes die Durchführung einer Verhandlung geboten sein (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214, mwN), etwa wenn für die Zulässigkeit oder Rechtzeitigkeit der Beschwerde relevante Sachverhaltsfragen durch die strittige Auslegung von Urkunden und die beantragte Einvernahme von Personen zu klären sind (vgl. VwGH 13.12.2021, Ra 2021/04/0190, Pkt 5.4., mwN).
23 Zwar besteht hinsichtlich der von der Partei des Verwaltungsverfahrens behaupteten vorübergehenden Ortsabwesenheit gemäß § 17 ZustG keine Beweispflicht, sondern lediglich eine mit dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens korrespondierende Verpflichtung der Partei zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes. Durch die bloße Behauptung der Ortsabwesenheit im Zeitpunkt der erfolgten Hinterlegung ohne nähere Konkretisierung dieser Behauptung in sachverhaltsmäßiger Hinsicht entspricht die Partei dieser Mitwirkungspflicht aber nicht (vgl. VwGH 19.4.2001, 99/06/0049, mwN). Die Partei ist insofern verpflichtet, einer Aufforderung der Behörde zur Mitwirkung an der Ermittlung des zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit maßgebenden Sachverhaltes nachzukommen, liegt es doch in der Natur der Sache, dass ihr allein konkrete Unterlagen über ihre Ortsabwesenheit bekannt und zugänglich sind. Die bloße Behauptung einer Ortsabwesenheit (ohne nähere Angaben und Anbot von Beweismitteln) kann das Vorliegen einer unwirksamen Zustellung durch Hinterlegung nicht dartun; die Durchführung eines Beweisverfahrens zur Frage der Ortsanwesenheit ist in einem solchen Fall entbehrlich (vgl. VwGH 26.1.2001, 2000/02/0164, mwN).
24 Die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass der Revisionswerber angesichts der nicht weiter konkretisierten Behauptung einer Ortsabwesenheit und der bloßen Angabe, diesbezügliche Rechnungen oder Quittungen könnten angesichts der Kostenübernahme durch (nicht näher genannte) Dritte nicht vorgelegt werden, seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, sodass der Sachverhalt keiner näheren Klärung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bedurft habe, hält sich innerhalb der Leitlinien der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt daher insoweit nicht vor.
25 Soweit der Revisionswerber die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zu seiner Anwesenheit an der Abgabestelle am 2. Juni 2022 sowie am 20. Juni 2022 bekämpft, erschöpft sich dies - wie schon im Verfahren vor der belangten Behörde und dem Verwaltungsgericht - in der bloßen Behauptung, er sei während der Abholfrist dort nicht aufhältig gewesen. Die Revision setzt sich weder mit der diesbezüglichen Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes auseinander, noch legt sie auch nur im Ansatz dar, warum die Begründung insofern mangelhaft wäre und von welcher konkret bezeichneten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dabei abgewichen worden sein soll.
26 Im Hinblick auf eine inhaltliche Rechtswidrigkeit behauptet die Revision schließlich eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Hinterlegung nach § 17 ZustG, weil der Zusteller nicht davon ausgehen habe dürfen und somit keinen Grund zur Annahme gehabt habe, dass sich der Revisionswerber regelmäßig an der Abgabestelle (dem Sitz des von ihm betriebenen Einzelunternehmens) aufgehalten habe. Es sei dafür die (für die Privatadresse abgegebene) Ortsabwesenheitsmeldung „generell beachtlich“. Von der Existenz eines Youtube-Videos könne nicht automatisch darauf geschlossen werden, dass der Zusteller dieses auch gesehen habe und annehmen dürfte, dass der Revisionswerber regelmäßig an der Abgabestelle aufhältig sei. Der Revisionswerber habe innerhalb der Abholfrist wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen können.
27 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein „regelmäßiger Aufenthalt“ an der Abgabestelle im Sinne des § 17 Abs. 1 ZustG nur dann vor, wenn der Empfänger, von kurzfristigen Abwesenheiten abgesehen, immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt. Hinsichtlich der im § 17 Abs. 1 leg. cit. normierten Voraussetzung, dass der Zusteller Grund zur Annahme haben müsse, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte, ist darauf abzustellen, ob objektive Gründe dafür gegeben sind, dass sich der Empfänger tatsächlich regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (vgl. VwGH 29.1.2004, 2003/11/0070, mwN).
28 Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht schon angesichts dessen nicht abgewichen, als an der fraglichen Abgabestelle - ungeachtet der für einen Zeitraum von einem ganzen Jahr abgegebenen Ortsabwesenheitsmeldung für eine andere Abgabestelle - in diesem Verfahren in den Monaten zuvor mehrmals Zustellungen erfolgreich vorgenommen wurden (auf die der Revisionswerber auch reagiert hat). Die vom Revisionswerber allein ins Treffen geführte Ortsabwesenheitsmeldung betreffend seine Privatanschrift stand daher der Annahme, der Revisionswerber würde sich regelmäßig am Standort des von ihm betriebenen Einzelunternehmens aufhalten, nicht entgegen.
29 Im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht mängelfrei festgestellte Anwesenheit des Revisionswerbers an der Abgabestelle am Montag, den 20. Juni 2022 (somit am vierten Tag der Abholfrist, wobei angesichts deren Beginn am vorangehenden Freitag ein Wochenende dazwischen lag) entspricht auch die Beurteilung, er habe - selbst unter der Annahme, er sei bis dahin ortabwesend gewesen - „rechtzeitig“ im Sinne des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen können, der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. diesbezüglich etwa VwGH 1.9.2021, Ro 2019/03/0027, sowie VwGH 20.12.2017, Ra 2017/03/0052, beide mwN).
30 In der Revision gegen den erstangefochtenen Beschluss werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war.
Zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags
31 Die Revision gegen das zweitangefochtene Erkenntnis begründet ihre Zulässigkeit mit einer Abweichung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weil das Verwaltungsgericht zur Begründung von Feststellungen lediglich auf den Inhalt einer (zu diesem Zeitpunkt noch anfechtbaren) Entscheidung verwiesen habe, sodass eine Beweiswürdigung fehle, es von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe und schließlich in denkunmöglicher Weise ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden des Revisionswerbers und seiner Vertreterin angenommen habe.
32 Nach § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis u.a. eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erlitten hat. „Versäumt“ ist eine Frist, wenn sie zu laufen begonnen hat und ungenutzt verstrichen ist. Hängt der Fristenlauf von der Zustellung eines behördlichen Schriftstücks an die Partei ab, so beginnt die Frist dann nicht zu laufen - und kann deshalb auch nicht versäumt werden -, wenn die Zustellung wegen Mängeln unwirksam ist. In einem solchen Fall wäre der Wiedereinsetzungsantrag aufgrund der nicht erfolgten Zustellung schon mangels Vorliegens einer Fristversäumnis zurückzuweisen (vgl. VwGH 18.9.2020, Ra 2019/08/0142, mwN, zur vergleichbaren Rechtslage nach dem VwGG).
33 Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag lediglich das Vorliegen einer wirksamen Zustellung des Bescheides vom 10. Juni 2022 und damit einer verspäteten Beschwerde mit einem Hinweis auf seinen zuvor gefassten Beschluss über die Zurückweisung der Beschwerde begründet. Dadurch kann der Revisionswerber aber schon deshalb nicht beschwert sein, weil diese Annahmen notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags sind. In diesem Sinn wurde auch der Eventualantrag auf Wiedereinsetzung nur für den Fall gestellt, dass das Verwaltungsgericht der Rechtsansicht des Revisionswerbers zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde nicht folgen sollte. Gegen die Beweiswürdigung zu den übrigen Feststellungen - insbesondere zu seiner Ortsanwesenheit am 20. Juni 2022, die das Verwaltungsgericht mit dem Vorliegen eines entsprechenden polizeilichen Berichtes begründet hatte - wendet sich die Revision hingegen nicht.
34 Das Unterbleiben der beantragten mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 VwGVG begründet. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht nur dann ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
35 Die Akten lassen dann im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, wenn also die Voraussetzungen hinsichtlich der Klärung des Sachverhaltes gegeben sind und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, für die eine Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 16.10.2019, Ra 2019/07/0095, mwN). Hingegen liegen die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung vor, wenn in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet wurde und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Ein bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts kann außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2016/08/0010, mwN).
36 Der Revisionswerber hatte zur relevanten Sachverhaltsfrage - dass und warum er nicht erkannt haben soll, dass eine Zustellung an ihn erfolgt ist - sowohl gegenüber der Behörde als auch im als Beschwerde zu wertenden Vorlageantrag, abgesehen von der unsubstantiierten Behauptung seiner Ortsabwesenheit während der Abholfrist, kein Vorbringen erstattet. Die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, dass damit die Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung vorgelegen sind, hält sich daher innerhalb der Leitlinien der zitierten Rechtsprechung.
37 Schließlich bekämpft die Revision die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichtes hinsichtlich eines Verschuldens des Revisionswerbers an der Fristversäumnis, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgehe, und bringt dazu vor, diese sei unzutreffend, weil der Revisionswerber an der Zustelladresse nicht aufhältig gewesen sei. Dem steht jedoch der festgestellte Sachverhalt entgegen, wonach er jedenfalls am 20. Juni 2022 an der Abgabestelle anwesend gewesen sei.
38 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich der Revisionswerber bei der Zulässigkeitsbegründung vom - mängelfrei - festgestellten Sachverhalt, kann schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen (vgl. VwGH 14.10.2022, Ra 2022/10/0122, mwN).
39 Auf die Frage, ob darüber hinaus auch die Vertreterin des Revisionswerbers ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft, insbesondere ob das ihr vorgeworfene Unterlassen überhaupt kausal dafür sein konnte, kommt es damit nicht mehr an.
40 Die Unzuständigkeit eines Verwaltungsgerichtes ist vom Verwaltungsgerichtshof von Amts wegen nur dann aufzugreifen, wenn der Revisionswerber eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in der allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung aufwirft (vgl. VwGH 29.6.2021, Ra 2021/17/0088, und 24.9.2014, Ra 2014/03/0025, 0026, mwN). Weil dies nach dem Gesagten hier nicht der Fall ist, kann es auf sich beruhen, dass zur Entscheidung über einen vor Vorlage der Beschwerde gestellten Wiedereinsetzungsantrag nach § 33 Abs. 1 VwGVG die belangte Behörde auch nach Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht weiterhin zuständig bleibt (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2020/15/0126, mwN).
41 Auch in der Revision gegen das zweitangefochtene Erkenntnis werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher ebenso gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 13. Februar 2023
Schlagworte
Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Ermessen VwRallg8 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023030007.L00Im RIS seit
14.03.2023Zuletzt aktualisiert am
14.03.2023