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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AlVG 1977 §45;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der E AG in L, vertreten durch S, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24. März 1993, Zl. 122.538/12-7/92, betreffend Vollversicherungspflicht nach dem ASVG und dem AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit 15 gleichlautenden Bescheiden vom 10. April 1990 stellte die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse fest, daß der jeweils namentlich genannte polnische Staatsangehörige aufgrund seiner Beschäftigung bei der Beschwerdeführerin in näher angeführten Zeiträumen des Jahres 1989 gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen sei.
Die Beschwerdeführerin erhob gegen die fünfzehn Bescheide Einspruch.
Mit Bescheid vom 24. Juni 1991 gab der Landeshauptmann von Oberösterreich dem Einspruch statt und stellte fest, daß die namentlich genannten polnischen Staatsbürger in den genannten Zeiträumen in keinen die Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnissen gestanden seien.
Gegen den Einspruchsbescheid erhob ausschließlich das Landesarbeitsamt Oberösterreich Berufung mit dem Antrag, die belangte Behörde möge die angefochtene Entscheidung dahingehend abändern, daß die in den 15 Bescheiden der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse vom 10. April 1990 namentlich genannten 15 polnischen Staatsbürger hinsichtlich ihrer Tätigkeit bei der Beschwerdeführerin der Vollversicherung (Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung Folge und stellte fest, daß die in der Anlage des Bescheides, die einen Bestandteil des Spruches darstelle, angeführten Personen in den dort jeweils angeführten Zeiträumen aufgrund ihrer Beschäftigung bei der Beschwerdeführerin der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete aber keine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem Recht auf Feststellung, daß die in der Anlage des angefochtenen Bescheides genannten Personen während der dort angeführten Zeiträume nicht der Vollversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 AlVG unterlegen seien, verletzt.
Das Landesarbeitsamt als Behörde der unmittelbaren Bundesverwaltung ist der belangten Behörde (Bundesminister für Arbeit und Soziales) im Sinne des Art. 20 B-VG untergeordnet und weisungsgebunden und hat in dieser Eigenschaft unter der Leitung des Bundesministers für Arbeit und Soziales die ihm zugewiesenen Verwaltungsgeschäfte zu führen. In dieser Eigenschaft kam dem Landesarbeitsamt nach der im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage vor dem AMSG, BGBl. Nr. 313/1994, und dem AMS-BegleitG, BGBl. Nr. 314/1994, in den Streitigkeiten "über die Arbeitslosenversicherungspflicht oder über Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in den für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Verfahren" Parteistellung gemäß § 45 AlVG zu. Gemäß § 409 ASVG sind zur Behandlung der Verwaltungssachen, welche unter anderem die Versicherungspflicht betreffen, "unbeschadet der Bestimmung des § 411", die Träger der Krankenversicherung berufen. Hat der Träger einer Krankenversicherung einen Bescheid in einer Angelegenheit erlassen, welche die Unfall-, Pensions- oder Arbeitslosenversicherung betrifft, so hat der Träger der beteiligten Versicherung bzw. das Landesarbeitsamt im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden über diese Bescheide Parteistellung (§ 411 ASVG). Nach § 413 Abs. 2 ASVG hat in einem Einspruchsverfahren vor dem Landeshauptmann der Versicherungsträger, gegen dessen Bescheid sich der Einspruch richtet, Parteistellung.
Daraus ergibt sich für die Berufungslegitimation die Konsequenz, daß zwar die Gebietskrankenkasse aufgrund ihrer umfassenden Zuständigkeit berechtigt ist, die Vollversicherung und die Arbeitslosenversicherung geltend zu machen, die anderen Versicherungsträger jedoch grundsätzlich auf die jeweils von ihnen durchzuführende Sparte beschränkt sind. Dem Landesarbeitsamt fehlte die Berechtigung, die Vollversicherungspflicht nach dem ASVG in seiner Berufung geltend zu machen, weil diese Berechtigung weder im § 411 ASVG noch im § 45 AlVG eingeräumt wird. Vielmehr ist das Landesarbeitsamt ausschließlich dazu berufen, als Partei das Vorliegen der Arbeitslosenversicherungspflicht (oder deren Fehlen) geltend zu machen. Dem Landesarbeitsamt als Behörde steht nämlich anders als den Versicherungsträgern kein rechtliches Interesse im Sinne des § 8 AVG zu, sondern lediglich die im Gesetz abschließend geregelte Zuständigkeit. Es ist Sache des Gesetzgebers, die Zuständigkeiten der Behörden zu verteilen. Gemäß § 411 ASVG und § 45 AlVG wurde im gegebenen Zusammenhang eine Verteilung dahingehend getroffen, daß sich das Mitspracherecht des Landesarbeitsamtes auf Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht oder über Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezieht. Diese Stellung als (Formal-)Partei im Verwaltungsverfahren räumt dem Landesarbeitsamt aber kein subjektives öffentliches Recht auf die gesetzmäßige Führung der Verwaltung ein.
Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, daß die Berufung des Landesarbeitsamtes, soweit mit ihr die Feststellung der Vollversicherungspflicht begehrt wird, schon mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung hätte zurückgewiesen werden müssen. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich des Begehrens auf Feststellung der Arbeitslosenversicherungspflicht, war die Berufung zwar zulässig, aber nicht berechtigt. Denn da der Ausspruch der Einspruchsbehörde über die fehlende Krankenversicherungspflicht der betroffenen Personen mangels Erhebung einer Berufung durch eine dazu berechtigte Person in Rechtskraft erwachsen ist, die Krankenversicherungspflicht einer Person aber eine entscheidende Vorfrage für ihre Arbeitslosenversicherungspflicht darstellt, hätte die belangte Behörde - in Bindung an die rechtskräftige Entscheidung dieser Vorfrage als Hauptfrage durch die Einspruchsbehörde - den Ausspruch der Einspruchsbehörde über die fehlende Arbeitslosenversicherungspflicht schon deshalb bestätigen und insofern die Berufung abweisen müssen.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren auf Stempelgebührenersatz war wegen der bestehenden sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 Abs. 1 Z. 2 ASVG) abzuweisen.
Schlagworte
SozialversicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993080132.X00Im RIS seit
18.10.2001