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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Nedwed, Mag. Samm, Dr. Faber und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Ö AG in W, vertreten durch die Walch/Zehetbauer/Motter Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Biberstraße 11, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 13. Juli 2022, Zl. LVwG-AV-1377/001-2021, betreffend eine Angelegenheit nach dem EisbG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptfrau von Niederösterreich; mitbeteiligte Parteien: 1. Land Niederösterreich, 2. Stadtgemeinde M, M), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbende Partei (im Folgenden: Ö) ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eigentümerin bzw. Betreiberin der Schieneninfrastruktur der verfahrensgegenständlichen Eisenbahnstrecke (in den Verfahrensakten großteils bezeichnet als Korneuburg - Hohenau). Diese Eisenbahnstrecke kreuzt bei km 51,252 die innerhalb des Ortsbereiches der zweitmitbeteiligten Gemeinde (im Folgenden: Stadtgemeinde M) verlaufende Landesstraße L3095. Auf Grund eines Bescheides der belangten Behörde vom 16. November 2011 war diese Eisenbahnkreuzung durch Bewachung gesichert.
2 Sowohl die Ö als auch die Stadtgemeinde M begehrten (aufgrund einer geplanten Verbreiterung der Landesstraße im Bereich der Kreuzung durch einen Geh- und Radweg) im Juli bzw. im September 2020 bei der belangten Behörde die Überprüfung der Sicherung dieser Eisenbahnkreuzung.
3 Mit Bescheid vom 15. Juli 2021 legte die Landeshauptfrau von Niederösterreich gemäß § 49 Abs. 2 Eisenbahngesetz 1957 (EisbG) in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Z 5 Eisenbahnkreuzungsverordnung 2012 fest, dass die Eisenbahnkreuzung in km 51,252 der besagten Eisenbahnstrecke mit der L3095 („Estraße“), deren Träger das Land Niederösterreich sei, innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides durch Bewachung mit Armzeichen eines Bewachungsorgans zu sichern sei, wobei ein (bereits vorhandener) Handschranken als Hilfseinrichtung zu verwenden sei.
4 Gegen diese Entscheidung erhob das Arbeitsinspektorat (gemäß § 12 Abs. 4 Arbeitsinspektionsgesetz 1993) Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht).
5 Mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts stellte dieses gemäß § 38 AVG in Verbindung mit § 11 lit. a EisbG einen Antrag an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (in der Folge: BMK), zu entscheiden, ob es sich bei der in Rede stehenden Eisenbahnstrecke im Bereich km 51,252 um eine Eisenbahn handle (Spruchpunkt 1.). Unter einem setzte es das Beschwerdeverfahren bis zum Vorliegen der Entscheidung der BMK aus (Spruchpunkt 2.) und sprach aus, dass eine ordentliche Revision gegen diesen Beschluss nicht zulässig sei (Spruchpunkt 3.).
6 Begründend hielt das Verwaltungsgericht zusammengefasst fest, in einer im Rahmen des Beschwerdeverfahrens abgegebenen Stellungnahme habe das Arbeitsinspektorat darauf hingewiesen, dass der eisenbahnrechtliche Status der gegenständlichen Eisenbahnstrecke (speziell im Bereich der hier relevanten Kreuzung) nicht hinreichend geklärt worden sei. Die belangte Behörde habe lediglich die nicht näher begründete Feststellung getroffen, die „ehemals“ an dieser Strecke befindliche Kreuzung sei nunmehr im Verschubbereich des Bahnhofes M gelegen. Von der Ö seien zwar Unterlagen zu einer (ihrer Auffassung nach) bewilligungsfreien Umwidmung gemäß § 36 EisbG vorgelegt worden. Es bleibe jedoch offen, ob es sich bei der gegenständlichen Eisenbahnstrecke zum Zeitpunkt der Umwidmung überhaupt noch um eine Eisenbahn gehandelt habe oder ob der Begriff „ehemalige“ dahin verstanden werden müsse, dass die Strecke eingestellt (gemäß § 28 EisbG) und anschließend aufgelassen (gemäß § 29 EisbG) worden sei. Denkmöglich sei auch, dass eine Bewilligung zum Bau und Betrieb sowie zur Erbringung von Eisenbahnverkehrsdiensten auf einer nicht-öffentlichen Eisenbahn (insbesondere Anschlussbahn) nach § 17 EisbG erteilt worden sei.
7 Letztlich sei offen, ob es sich bei der genannten Eisenbahnstrecke um eine der in § 1 EisbG taxativ aufgezählten Eisenbahntypen und damit um eine Eisenbahn im Sinne dieser Bestimmung handle. Zur Klärung dieser Vorfrage sehe § 11 lit. a EisbG zwingend eine Entscheidung der BMK vor. § 11 lit. a EisbG sei als Sondervorschrift zu § 38 AVG zu qualifizieren, die abweichend von der dort getroffenen subsidiären Regelung eine verpflichtende Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung durch die BMK vorsehe.
8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Ö, die zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache geltend macht, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab (Verweis auf VwGH 14.3.1975, 1683/74). Die Regelung des § 11 EisbG beziehe sich demnach nur auf Vorfragen, die vor einer Entscheidung eines Zivilgerichts oder einer anderen Verwaltungsbehörde als der Eisenbahnbehörde auftreten würden. Bei der vorliegenden Strecke handle es sich um eine Nebenbahn im Sinne des § 1 Abs. 1 lit. b EisbG. Der Streckenabschnitt km 50,400 bis 53,765 (in dem sich auch die gegenständliche Kreuzung befinde) sei lediglich Ö-intern einer anderen Betriebsstelle zugeordnet - sohin umgewidmet - worden. Diese interne betriebliche Zuordnung zu einer bestimmten Betriebsstelle sei allerdings für das Vorliegen einer Eisenbahn im Sinne des § 1 EisbG ohne Relevanz.
9 Die Stadtgemeinde M hat zu dieser Revision eine als „Revisionsbeantwortung“ bezeichnete Stellungnahme erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist im Sinne des angeführten Zulässigkeitsvorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.
11 Vorauszuschicken ist, dass eine gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG ergangene Aussetzungsentscheidung keine bloß verfahrensleitende Entscheidung im Sinne des § 25a Abs. 3 VwGG ist und damit nicht dem Revisionsausschluss nach dem ersten Satz dieser Bestimmung unterliegt (vgl. VwGH 13.3.2020, Ra 2020/03/0031, mwN). Nichts anderes gilt für die vorliegende Aussetzungsentscheidung, die ihre Grundlage in § 11 lit. a EisbG iVm § 38 AVG findet.
12 § 38 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lautet:
„§ 38. Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.“
13 Die maßgeblichen Bestimmungen des Eisenbahngesetz 1957, BGBl. Nr. 60/1957, in der Fassung BGBl. I Nr. 25/2010 lauten (auszugsweise):
„Begriffsbestimmungen
Eisenbahnen
§ 1. Eisenbahnen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind:
1. Öffentliche Eisenbahnen, und zwar:
a) Hauptbahnen;
b) Nebenbahnen:
c) Straßenbahnen;
2. Nicht-öffentliche Eisenbahnen, und zwar:
a) Anschlussbahnen;
b) Materialbahnen.
...
Zuständigkeiten und Aufgaben der Eisenbahnbehörden
Entscheidung über Vorfragen
§ 11. Ist die Entscheidung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde von der Klärung der Vorfrage abhängig,
a) ob eine Beförderungseinrichtung als Eisenbahn (§ 1) oder
... zu gelten hat ...
so ist vorher die Entscheidung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie einzuholen.
...
Sicherung und Verhalten bei Annäherung und Übersetzung
§ 49. (1) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie setzt durch Verordnung fest, in welcher Weise schienengleiche Eisenbahnübergänge nach dem jeweiligen Stand der Technik einerseits und nach den Bedürfnissen des Verkehrs andererseits entsprechend zu sichern sind und inwieweit bestehende Sicherungseinrichtungen an schienengleichen Eisenbahnübergängen weiterbelassen werden dürfen. Die Straßenverwaltungen sind zur kostenlosen Duldung von Sicherheitseinrichtungen und Verkehrszeichen, einschließlich von Geschwindigkeitsbeschränkungstafeln, verpflichtet.
(2) Über die im Einzelfall zur Anwendung kommende Sicherung hat die Behörde nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse und Verkehrserfordernisse zu entscheiden, wobei die Bestimmungen des § 48 Abs. 2 bis 4 mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden sind, dass die Kosten der Sicherungseinrichtungen für Materialbahnen, ausgenommen solche mit beschränkt-öffentlichem Verkehr, vom Eisenbahnunternehmen alleine zu tragen sind, sofern nicht eine andere Vereinbarung besteht oder getroffen wird.
...“
14 Nach § 49 Abs. 2 EisbG hat die Behörde über die im Einzelfall zur Anwendung kommende Sicherung einer Eisenbahnkreuzung nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse und Verkehrserfordernisse zu entscheiden. Dabei handelt es sich um eine Entscheidung über die Ausgestaltung der Art und Weise der Sicherung und damit deren inhaltlich gestaltende Festlegung im Einzelfall (vgl. etwa VwGH 2.4.2020, Ra 2019/03/0161, mwN).
15 Im vorliegenden Fall vertrat das Verwaltungsgericht - hier auf das Wesentliche zusammengefasst - die Rechtsauffassung, dass vor Überprüfung der Sicherungsart der Kreuzung als Vorfrage zu klären sei, ob überhaupt eine Eisenbahn im Sinne des § 1 EisbG vorliege. Das Vorliegen einer klärungsbedürftigen Vorfrage stützte das Verwaltungsgericht auf die Mutmaßung, dass die Eisenbahnstrecke möglicherweise eingestellt und aufgelassen oder auf dieser Strecke allenfalls eine Bewilligung für den Bau und Betrieb einer nicht-öffentlichen Eisenbahn (Anschlussbahn) nach § 17 EisbG erteilt worden sei. Zur Klärung dieser Frage sehe § 11 lit. a EisbG zwingend die Konsultation der BMK vor.
16 Damit hat das Verwaltungsgericht die Rechtslage unzutreffend beurteilt:
17 Gemäß § 11 EisbG ist, wenn die Entscheidung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde von der Klärung einer der in lit. a bis lit. e dieser Bestimmung abschließend aufgezählten Tatbestände abhängig ist, vorher die Entscheidung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie (nunmehr BMK) einzuholen.
18 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird mit dieser Regelung generell die in behördlichen Verfahren auftauchende Vorfrage der Beurteilung der jeweils zur Entscheidung in der Hauptsache zuständigen Behörde entzogen und deren Bindung an die von der BMK vorzunehmende Feststellung normiert (vgl. in diesem Sinne zu § 11 lit. b EisbG: VwGH 17.12.2014, 2012/03/0156, mwN).
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch bereits ausgesprochen, dass sich die Bestimmung des § 11 EisbG nur auf jene Fälle bezieht, in denen die Entscheidung eines Gerichtes oder einer anderen Verwaltungsbehörde (nicht der Eisenbahnbehörde selbst) von der Klärung derartiger Fragen abhängig ist (vgl. VwGH 14.3.1975, 1683/74).
20 Tritt demnach - wie hier - eine der in § 11 lit. a bzw. d EisbG genannten Fragen bei der nach der Bestimmung des § 12 leg. cit. zuständigen Eisenbahnbehörde auf, so ist sie von dieser selbständig zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne auch Catharin/Gürtlich/Walder-Wintersteiner, Eisenbahngesetz4 [2022], 484f). Nichts anderes gilt gemäß § 17 VwGVG, wenn das Verwaltungsgericht - wie hier - im Rahmen des Beschwerdeverfahrens in Eisenbahnangelegenheiten tätig wird.
21 Indem das Verwaltungsgericht nicht - nach Setzung der notwendigen Ermittlungsschritte - selbst beurteilt hat, ob es sich bei der verfahrensgegenständlichen Strecke um eine Eisenbahn im Sinne des § 1 EisbG handelt, sondern das Verfahren ausgesetzt und die BMK zur Klärung dieser Frage angerufen hat, hat es daher seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
22 Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung auch nicht nachvollziehbar dargetan hat, weshalb es fraglich sei, dass die verfahrensgegenständliche Eisenbahnstrecke eine Eisenbahn im Sinne des § 1 EisbG ist.
23 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat das Arbeitsinspektorat der Aktenlage nach in seiner Beschwerde bzw. im behördlichen und weiteren verwaltungsgerichtlichen Verfahren nämlich nicht in Frage gestellt, dass es sich bei der Strecke um eine Eisenbahn im Sinne des § 1 EisbG handelt. Das Arbeitsinspektorat hat in seinen Schriftsätzen lediglich angemerkt, dass die im Verfahren zu beurteilende Eisenbahnkreuzung nicht auf freier Strecke, sondern im Verschubbereich des Bahnhofes Mistelbach liege und auf die Auswirkungen dieser Lage bezüglich des Bauverbotsbereichs sowie auf eine notwendige Konkretisierung des Spruches hinsichtlich der Bezeichnung der Strecke hingewiesen (vgl. Seite 1, Stellungnahme vom 14. Februar 2021; Seite 2, Beschwerde; Seite 4, Stellungnahme vom 17. Juni 2022).
24 Sofern das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung Spekulationen anstellt, dass die in Rede stehende Strecke (bzw. der Streckenabschnitt, an dem sich die gegenständliche Eisenbahnkreuzung befindet,) gemäß § 28 EisbG eingestellt und anschließend gemäß § 29 EisbG aufgelassen worden sein könnte, ist darauf hinzuweisen, dass dem Akt keinerlei Hinweise auf einen derartigen Vorgang erliegen.
25 Soweit das Verwaltungsgericht weiters mutmaßt, dass es sich bei der Eisenbahnstrecke allenfalls um eine Anschlussbahn im Sinne des § 17 EisbG handeln könnte, verkennt es zudem, dass dies keinerlei Konsequenzen für die Qualifikation als Eisenbahn im Sinne des § 1 EisbG hat (vgl. § 1 Z 2 lit. a EisbG).
26 Zusammengefasst bestand im vorliegenden Fall daher für einen Antrag auf Entscheidung der BMK, ob es sich bei der gegenständlichen Strecke um eine Eisenbahn im Sinne des § 1 EisbG handle und eine damit verbundene Aussetzung des Verfahrens kein Raum. Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, hat es seinen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
27 Der angefochtene Beschluss war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
28 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 3. Februar 2023
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022030209.L00Im RIS seit
08.03.2023Zuletzt aktualisiert am
08.03.2023