Entscheidungsdatum
26.02.2023Index
L24009 Gemeindebedienstete WienNorm
DO Wr. 1994 §15c Abs1Text
Das Verwaltungsgericht Wien stellt durch seinen Richter Dr. Gerhard Kienast im Verfahren über die Beschwerde des A. B. gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien (Magistratsabteilung 2 – Personalservice) vom 11.10.2022, Zl ..., betreffend Neuberechnung der Vordienstzeiten gemäß § 15c Dienstordnung 1994 (DO 1994), an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm Art. 135 Abs. 4 B-VG und Art. 89 Abs. 2 B-VG den
A n t r a g,
der Verfassungsgerichtshof möge die Zeichenfolge „ 2,“ im ersten Satz des § 15c Abs. 1 Dienstordnung 1994, LGBl. für Wien 1994/56, zuletzt geändert durch LGBl. für Wien 2020/48 (2. Dienstrechts-Novelle 2020), als verfassungswidrig aufheben.
B e g r ü n d u n g:
I. Anlassfall:
A. B. (Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichts Wien, im Folgenden: beteiligte Partei) schloss am 21.12.2016 aufgrund der (Wiener) Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO 1995) einen Dienstvertrag mit der Stadt Wien ab; das Dienstverhältnis begann am 23.1.2017 und wurde auf unbestimmte Zeit eingegangen; die beteiligte Partei wurde in Schema IV, Verwendungsgruppe D und Dienstklasse III in die Bedienstetengruppe der Feuerwehrmänner eingereiht. Gemäß § 14 Abs. 2 DO 1994 iVm § 18 VBO 1995 wurde ihm die Zeit seines Präsenzdienstes vom 1.4.2014 bis 30.9.2014 im Ausmaß von sechs Monaten angerechnet. Sein Besoldungsdienstalter betrug „00 TT 06 MM 00 JJ“.
Mit Bescheid vom 6.7.2017 unterstellte der Magistrat der Stadt Wien die beteiligte Partei mit Wirksamkeit vom 1.8.2017 der DO 1994 („Anstellung“) unter Einreihung in die Beamtengruppe der Feuerwehrmänner der Verwendungsgruppe D des Schemas II (Spruchpunkt 1). In Spruchpunkt 2 sprach der Magistrat der Stadt Wien aus, dass sich gemäß § 15 Abs. 5 DO 1994 das Besoldungsdienstalter der beteiligten Partei und ihre besoldungsrechtliche Stellung durch die Unterstellung unter die DO 1994 nicht ändern.
Mit Schreiben vom 24.3.2022 informierte der Magistrat der Stadt Wien die beteiligte Partei, dass er ihre Vordienstzeiten amtswegig neu berechne, weil sich die Rechtslage geändert habe. Nach dieser neuen Rechtslage (§ 15c DO 1994) seien bis zum Tag vor der Aufnahme in den Dienst der Stadt Wien keine Zeiten anrechenbar, sodass sich ein Besoldungsdienstalter am Tag der Aufnahme von „00 Jahren 00 Monaten und 00 Tagen“ ergebe. Der Magistrat der Stadt Wien räumte der beteiligten Partei die Möglichkeit ein, „eine Stellungnahme zum bisherigen Ergebnis abzugeben“; eine Stellungnahme der beteiligten Partei ist im Verwaltungsakt nicht dokumentiert.
Mit Bescheid vom 11.10.2022, ..., stellte der Magistrat der Stadt Wien fest, dass das Besoldungsdienstalter der beteiligten Partei am 23.1.2017 „00 Jahre, 00 Monate und 00 Tage“ beträgt; dieser Bescheid stützte sie auf § 15c DO 1994.
Diesen Bescheid zog die beteiligte Partei fristgerecht in Beschwerde, in der sie unter anderem ausführte, dass sie ohne ihre 3,5-jährige Lehre als Maschinenbautechniker (Wiener Linien) oder ihren abgeleisteten Präsenzdienst ihren Beruf bei der MA 68 nicht ausüben könnte, weil beides bei ihrer Aufnahme strenge Voraussetzung war.
Mit Note vom 7.12.2022 legte der Magistrat der Stadt Wien dem Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde samt bezughabendem Akt zur Entscheidung vor.
II. Rechtslage:
1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Dienstordnung 1994 – DO 1994, LGBl. für Wien 1994/56 idF LGBl. für Wien 2022/60, lauten:
„Anrechenbare DienstzeitMit der 4. Dienstrechts-Novelle 2019, LGBl. für Wien 2019/63, die am 13.12.2019 kundgemacht wurde und am 14.12.2019 in Kraft trat, wurde in die DO 1994 insbesondere § 15c eingefügt; § 15c DO 1994 lautet (in der geringfügig mit LGBl. für Wien 2020/48 geänderten Fassung) wörtlich:
2. Der mit LGBl. für Wien 2015/28 der Besoldungsordnung 1994 (BO 1994) eingefügte § 49l, der am 1.8.2015 in Kraft trat, lautet samt Überschrift wörtlich:
„Besoldungsreform 2015 – Überleitung bestehender Dienstverhältnisse3. Das am 1.1.2018 in Kraft getretene Wiener Bedienstetengesetz, LGBl. für Wien 2017/33 idF LGBl. für Wien 2023/4 sieht in § 7 folgende Regelung zur Anrechnung von Vordienstzeiten vor:
„Anrechnung von Vordienstzeiten4. Die Gesetzesmaterialien zur 4. Dienstrechts-Novelle 2019, LGBl. für Wien 2019/63, heben im „Allgemeinen Teil“ als Ziel dieser Novelle die „vollständige Beseitigung der festgestellten Alterdiskriminierung und die Beseitigung der aus der festgestellten Verletzung des Grundsatzes der Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer resultierenden Nachteile“ hervor.
Zu § 15c DO 1994 führen sie wörtlich aus:
„Durch die Regelung des (ebenfalls für Vertragsbedienstete geltenden) § 15c DO 1994 soll ebenso wie durch den § 15b DO 1994 eine im Lichte der obzitierten EuGH-Judikatur zur Arbeitnehmerfreizügigkeit unbedenkliche Neugestaltung der Rechtslage erreicht werden. In Ergänzung zum Regelungsinhalt des § 15b DO 1994, dessen Anwendungsbereich auf Bedienstete beschränkt ist, die (unter potentieller Fortschreibung einer nach der früheren Rechtslage erfolgten Altersdiskriminierung) in das Besoldungssystem der Dienstrechts-Novelle 2015 übergeleitet wurden, sollen durch den § 15c DO 1994 auch jene Bediensteten erfasst werden, deren Vordienstzeiten unmittelbar auf Grund einer ab der Dienstrechts-Novelle 2015 geltenden Rechtslage (altesdiskriminierungsfrei) angerechnet wurden. Dazu gehören insbesondere jene Bediensteten, deren Dienstverhältnis im Zeitraum vom 1. August 2015 (= Inkrafttreten der Dienstrechts-Novelle 2015) bis zum 31. Dezember 2017 begründet worden ist, […].
Auch im Rahmen des § 15c DO 1994 hat die Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung der Bediensteten von Amts wegen zu erfolgen. Gemäß § 15c Abs. 1 DO 1994 sollen für die Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung bzw. des Besoldungsdienstalters ausschließlich die Zeiten einer berufseinschlägigen Tätigkeit, unabhängig davon, ob diese Zeiten bei einem öffentlichen oder einem privaten Arbeitgeber zurückgelegt wurden, anrechenbar sein. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen jener des § 7 Abs. 2 des Wiener Bedienstetengesetzes, die für sämtliche Neuaufnahmen in den Dienst der Stadt Wien ab dem 1. Jänner 2018 maßgebend ist. Gemäß § 15c Abs. 3 und Abs. 4 DO 1994 sollen nunmehr auch weitere berufseinschlägige Vordienstzeiten, sofern sie den Dienstzeiten bei der Stadt Wien gleichwertig sind, angerechnet werden.
Die vom Verfahren gemäß §§ 15a und 15b DO 19490 abweichende Regelungstechnik wurde auf Grund der großen zeitlichen Nähe des Aufnahmedatums der betroffenen Bediensteten zu der wenig später erfolgten umfassenden Neugestaltung der Rechtslage im Zuge der Dienstrechts- und Besoldungsreform (LGBl. Nr. 33/2017) gewählt, zumal eine Neufestsetzung im Sinn der §§ 15a und 15b DO 1994 unter Heranziehung des Vergleichsstichtages gemäß § 49v BO 1994 bei diesen Bediensteten aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsrechtslage nicht möglich wäre. Auf Grund des mit der Neuregelung verbundenen Entfalls der Einschränkungen des § 14 Abs. 3 Z 1 und 2 DO 1994 (in der Fassung der Dienstrechts-Novelle 2015) ist davon auszugehen, dass es durch die zusätzliche Berücksichtigung von Zeiten einer berufseinschlägigen Tätigkeit in vielen Fällen zu einer Verbesserung der besoldungsrechtlichen Stellung kommen wird. Auf Grund der unterschiedlichen Anrechnungstatbestände kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in Einzelfällen auch eine geringfügige Verschlechterung der besoldungsrechtlichen Stellung ergeben kann. Für diese Fälle ist durch § 15c Abs. 5 DO 1994 sichergestellt, dass sich die Verschlechterung nur bei zukünftigen Vorrückungen auswirkt und keine Rückforderung für die vergangenen Zeiträume erfolgen darf. Die Gleichbehandlung sämtlicher von der Neuregelung betroffenen Bediensteten im Sinne einer Angleichung der besoldungsrechtlichen Stellung nach den neun den Vorgaben der Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechenden Regelungen ist europarechtlich geboten.“
III. Zur Zulässigkeit des Antrags:
1. Präjudizialität:
Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH ist ein Antrag iSd Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG nur dann mangels Präjudizialität zurückzuweisen, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglichen) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfGH 16.12.2021, G 390/2020 ua, mwN).
Das Verwaltungsgericht Wien hat bei Entscheidung über die Beschwerde der beteiligten Partei zu beurteilen, ob bei der Neuberechnung der Vordienstzeiten die Zeit der Leistung des Grundwehrdienstes als Vordienstzeit anzurechnen ist, denn nach § 15c Abs. 1 Satz 1 DO 1994 ist das (anders als bishin gemäß § 14 Abs. 2 Z 2 DO 1994) nur dann der Fall, wenn der Grundwehrdienst berufseinschlägig für die Ausübung des Dienstes (in casu: bei der Feuerwehr) ist, wovon der Magistrat der Stadt Wien in seinem von der beteiligten Partei bekämpften Bescheid nicht ausging.
Die beteiligte Partei hat sich zwar zu dem ihr vom Magistrat der Stadt Wien mitgeteilten „vorläufigen Ergebnis der Ermittlung“ nicht geäußert und es damit unterlassen, „binnen sechs Monaten allfällige weitere Zeiten einer berufseinschlägigen Tätigkeit im Sinn des Abs. 1 geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise zu erbringen“ (vgl. § 15c Abs. 3 DO 1994); das antragstellende Verwaltungsgericht Wien geht jedoch davon aus, dass von dieser Bestimmung lediglich jene Tätigkeiten erfasst sind, von denen die Behörde bislang keine Kenntnis hatte; das ist aber beim von der beteiligten Partei abgeleisteten Präsenzdienst nicht der Fall; die Zeiten des Präsenzdienstes sind somit nach Auffassung des antragstellenden Verwaltungsgerichts Wien nicht iSd § 15c Abs. 3 vorletzter Satz DO 1994 präkludiert.
Das Verwaltungsgericht Wien hat somit § 15c Abs. 1 Satz 1 DO 1994 anzuwenden, und damit auch die in diesem Satz enthaltene und von ihm angefochtene Zeichenfolge.
2. Anfechtungsgegenstand und -umfang:
Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind – wie der VfGH sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat – notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Dieser Grundposition folgend hat der VfGH die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrags nicht zu eng gewählt werden darf. Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des VfGH, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit, sollte der VfGH die Auffassung des antragstellenden Gerichts teilen, beseitigt werden kann (vgl. z.B. VfGH 16.12.2021, G 390/2020 ua, mwN).
Das antragstellende Verwaltungsgericht Wien hegt das Bedenken, dass durch die „Wegnahme“ des Präsenzdienstes von den der beteiligten Partei (bislang) angerechneten Vordienstzeiten in deren Rechtsposition eingegriffen und damit der Vertrauensschutz verletzt wird, dass der rückwirkend in der Vergangenheit festgesetzte Anstellungsstichtag, vor dem (im Unterschied zu Anstellungen zeitlich danach) die Anrechnung des Präsenzdienstes unangetastet bleibt, nicht sachlich gewählt ist und dass schließlich der Gesetzgeber (abweichend von den diesbezüglichen Regeln des AVG) in die Rechtskraft von Bescheiden eingreift, ohne dass dies für die Regelung des Gegenstandes iSd Art 11 Abs. 2 letzter Satz B-VG erforderlich wäre; siehe zu alldem genauer unten Pkt IV.
Diese Verfassungswidrigkeit, die dazu führt, dass auf Grundlage des Gesetzes (§ 15c Abs. 1 DO 1994) der Magistrat der Stadt Wien im konkreten Fall den bereits als Vordienstzeit angerechneten Präsenzdienst mangels Berufseinschlägigkeit nicht mehr als Vordienstzeit qualifiziert hat, lässt sich dadurch beseitigen, dass die Vorgabe des § 15c Abs. 1 DO 1994, dass die der Anstellung vorangegangene Zeiten berufseinschlägig zu sein haben, um bei der amtswegig vorzunehmenden Neuberechnung der Vordienstzeiten als Vordienstzeit angerechnet werden zu können, sich nicht auch auf § 14 Abs. 2 Z 2 DO 1994 bezieht, der die zwingende Anrechnung der Zeit der Leistung eines Grundwehrdienstes vorsieht, dass somit ein bereits nach § 14 Abs. 2 Z 2 DO 1994 angerechneter Grundehrdienst bei der Neuberechnung nach § 15c DO 1994 unangetastet bleibt. Dieses Ziel lässt sich am einfachsten durch den Entfall der Zeichenfolge „ 2,“ im ersten Satz des § 15c Abs. 1 DO 1994 erreichen.
3. Auswirkungen der Entscheidung des VfGH auf die anhängige Rechtssache:
Sollte der VfGH antragsgemäß die angefochtene Zeichenfolge aufheben, hätte das antragstellende Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde der beteiligten Partei (zumindest) insoweit stattzugeben, als die beteiligte Partei darin den Entfall der Anrechnung des Präsenzdienstes als Vordienstzeit moniert. Daher ist die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Zeichenfolge eine Vorfrage iSd § 62 Abs. 2 VfGG für die Entscheidung der beim antragstellenden Verwaltungsgericht Wien anhängigen Rechtssache.
IV. Verfassungsrechtliche Bedenken:
1. Verletzung des Vertrauensschutzes:
Der beteiligten Partei wurde bereits in ihrem Dienstvertrag vom 21.12.2016 der von ihr geleistete Präsenzdienst als Vordienstzeit im Ausmaß von sechs Monaten angerechnet und ihr Besoldungsdienstalter mit sechs Monaten festgelegt. Bei ihrer Unterstellung unter die DO 1994 wurde an dieser festgestellten Vordienstzeit bescheidmäßig festgehalten. Aufgrund der (auch heute noch bestehenden) klaren gesetzlichen Anrechnungsanordnung (§ 14 Abs. 2 Z 2 DO 1994) und auch der Bestätigung mit Bescheid vom 1.7.2017 konnte die beteiligte Partei darauf vertrauen, dass der von ihr abgeleistete Präsenzdienst auch weiterhin als Vordienstzeit angerechnet bleibt. Da § 15c DO 1994 erst am 13.12.2019 im LGBl. für Wien kundgemacht wurde, konnte dieses Vertrauen zumindest bis zu diesem Tag bestehen; regelmäßig währt dieses Vertrauen aber bis zur amtswegigen Neuberechnung der Vordienstzeiten, denn für einen durchschnittlichen Normunterworfenen erschließen sich die sich aus § 15c DO 1994 ergebenden Konsequenzen bei seiner Lektüre nicht; auch die Gesetzesmaterialien enthalten diesbezüglich keinen Hinweis.
In dieses berechtigte Vertrauen griff der Gesetzgeber mit Erlassung des § 15c DO 1994 ein. § 15c DO 1994 entfaltet eine Wirkung auf Sachverhalte, die vor seinem Inkrafttreten (14.12.2019) liegen, nämlich auf die (in casu im Jahre 2014 erfolgte) Ableistung des Präsenzdienstes durch die beteiligte Partei bzw. die Begründung seines Dienstverhältnisses am 23.1.2017 und damit zwischen dem 1.8.2015 und 31.12.2017 (siehe dazu die Gesetzesmaterialien). Es ist nicht auszuschließen, dass Personen ein Dienstverhältnis zur Gemeinde Wien überhaupt nur wegen der Anrechnung des abgeleisteten Grundwehrdienstes als Vordienstzeit begründet haben.
Darüber hinaus griff der Gesetzgeber in ein „wohlerworbenes Recht“ der beteiligten Partei ein, das eine öffentlich-rechtliche Grundlage (nämlich § 14 Abs. 2 Z 2 DO 1994 und Spruchpunkt 2 des Bescheids vom 1.7.2017) hat. Eine Begründung für diesen Eingriff in den Vertrauensschutz ist den Gesetzesmaterialien zu § 15c DO 1994 zumindest nicht hinreichend deutlich zu entnehmen. Öffentliche Interessen, die (gerade) die „Herausnahme“ des abgeleisteten Präsenzdienstes aus den anzurechnenden Vordienstzeiten rechtfertigen könnten, sind in den Gesetzesmaterialien nicht (hinreichend deutlich) ausgebreitet und auch für das antragstellende Verwaltungsgericht Wien nicht erkennbar.
§ 15c Abs. 1 DO 1994 greift daher ohne hinreichenden Grund in das Vertrauen der beteiligten Partei in die bestehende Rechtslage ein und verletzt damit den in Art. 7 B-VG verfassungsgesetzlich verankerten Gleichheitssatz.
2. Verletzung des Sachlichkeitsgebots des Gleichheitssatzes:
Gemäß der ausdrücklichen Anordnung des (am 14.12.2019 in Kraft getretenen) § 15c Abs. 1 DO 1994 ist die verpflichtende amtswegige Neuberechnung der Vordienstzeiten und damit der mit ihr einhergehende Verlust der Zeiten des Grundwehrdienstes (sofern dieser nicht berufseinschlägig ist) lediglich auf Dienstverhältnisse anwendbar, die nach dem 1.8.2015 (und bis zum 31.12.2017) begründet wurden; dies ergibt sich aus den Verweis in § 15c Abs. 1 Satz 1 DO 1994 auf § 49l BO 1994. In den Gesetzesmaterialien wird als Ende des zeitlichen Anwendungsbereichs der 31.12.2017 angegeben; damit ist wohl lediglich das faktische Ende gemeint; mit 1.1.2018 trat nämlich das Wiener Bedienstetengesetz in Kraft, von dem nunmehr grundsätzlich alle abgeschlossenen Dienstverhältnisse erfasst werden sollen.
Stichtagsregelungen weisen stets ein gewisses Maß an Beliebigkeit auf (z.B. VfSlg 20298/2018). Ist es rechtspolitisch beispielsweise gewünscht, dass der Grundwehrdienst nur dann als Vordienstzeit angerechnet werden soll, wenn er berufseinschlägig ist, dann liegt es freilich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, dies gesetzlich auch vorzusehen. Regelmäßig wird dann der Beginn dieser Neuregelung, also der Stichtag, ab dem bei neu eingegangenen Dienstverhältnissen der Grundwehrdienst nur mehr bei Berufseinschlägigkeit als Vordienstzeit angerechnet wird, mit dem Beginn des zeitlichen Geltungsbereichs dieser Neuregelung festgelegt. Sofern dies der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz zulässt, kann der Gesetzgeber auch anordnen, dass bei sämtlichen im Dienst zur Gemeinde Wien stehenden Personen (bei einer zwingend vorzunehmenden Neuberechnung der Vordienstzeit) ein allfällig geleisteter Grundwehrdienst nur (mehr) bei Berufseinschlägigkeit anzurechnen ist.
Es erscheint dem antragstellenden Verwaltungsgericht Wien jedoch kein nachvollziehbarer Grund zu bestehen, warum der Gesetzgeber gerade den 1.8.2015 als (bei Gesetzeserlassung über vier Jahre zurückliegenden) Stichtag wählt. Es ist für die Differenzierung zwischen jene Bediensteten, die vor diesem Stichtag ihr Dienstverhältnis begründet haben (und bei denen ein allfällig geleisteter Präsenzdienst als Vordienstzeit angerechnet bleibt), und jenen Bediensteten, die nach diesem Stichtag in den Dienst getreten sind und ihren Präsenzdienst als Vordienstzeit verlieren, kein sachlicher Grund ersichtlich. Die in den Gesetzesmaterialien diesbezüglich angeführte „große[n] zeitliche[n] Nähe des Aufnahmedatums der betroffenen Bediensteten zu der wenig später erfolgten umfassenden Neugestaltung der Rechtslage im Zuge der Dienstrechts- und Besoldungsreform (LGBl. Nr. 33/2017)“ erklärt den Stichtag 1.8.2015 gerade nicht und rechtfertigt damit die hinsichtlich der Anerkennung des Präsenzdienstes als Vordienstzeit gänzlich unterschiedliche Behandlung jener Personen, die vor und die nach diesem Stichtag ihren Dienst angetreten haben, nicht.
Die gesetzliche Festlegung des Stichtags 1.8.2015 erscheint dem antragstellenden Verwaltungsgericht Wien daher unsachlich und damit gleichheitswidrig.
3. Unzulässige vom AVG abweichende Regelung:
Der Magistrat der Stadt Wien sprach in Spruchpunkt 2 des Bescheids vom 6.7.2017, ..., aus, dass sich das Besoldungsdienstalter und die besoldungsrechtliche Stellung der beteiligten Partei durch ihre Unterstellung unter die DO 1994 nicht ändern. Mit diesem Bescheidspruch wurde nach Auffassung des antragstellenden Verwaltungsgerichts Wien das im Dienstvertrag vom 21.12.2016 fixierte Besoldungsdienstalter der beteiligten Partei von sechs Monaten aufgrund seines Grundwehrdienstes vom 1.4.2014 bis 30.9.2014 normativ festgelegt.
§ 15c DO 1994, der die amtswegigen Neuberechnung der Vordienstzeiten anordnet, sieht folglich einen Eingriff in die (materielle) Rechtskraft des Bescheids vom 6.7.2017 vor, mit dem der Magistrat der Stadt Wien das Besoldungsdienstalter normativ festgelegten hatte. Die Rechtskraft von Bescheiden ist im AVG grundgelegt; ebenso sind auch (abschließend) die (zulässigen) Eingriffe in diese Rechtskraft (vgl. die §§ 68 bis 72 AVG) geregelt.
Nach Art. 11 Abs. 2 B-VG darf der Materiengesetzgeber nur dann abweichende Regelungen von aufgrund der Bedarfskompetenz erlassenen einheitlichen Vorschriften wie dem AVG treffen, wenn diese zu Regelung des Gegenstands erforderlich sind. Dieses Erforderlichkeitskriterium wird vom VfGH im Sinne von „Unerlässlichkeit“ verstanden (vgl. zuletzt VfGH 1.12.2022, G 10/2022).
Für das antragstellende Verwaltungsgericht Wien ist es nicht ersichtlich, warum es unerlässlich sein soll, in die Rechtskraft von Bescheiden einzugreifen, die das Besoldungsdienstalter von Bediensteten normativ festlegen, die zwischen dem 1.8.2015 und dem 31.12.2017 bei der Gemeinde Wien angestellt wurden. § 15c DO 1994 enthält daher nach Auffassung des antragstellenden Verwaltungsgerichts Wien eine unzulässige Abweichung vom AVG.
Schlagworte
Normprüfungsantrag; Gesetzesprüfung; Besoldungsrechtliche Stellung; Besoldungsdienstalter; Vordienstzeiten; Dienstzeit; Neuberechnung; Vertrauensgrundsatz; Sachlichkeitsgebot; Gleichheitssatz; BedarfskompetenzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2023:VGW.171.092.15191.2022.5Zuletzt aktualisiert am
07.03.2023