Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BDG 1979 §118 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Fuchs und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des B in K, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 29. August 1991, Zl. 18/90-DK 48, betreffend Verhandlungsbeschluß, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, geboren 1941, steht als Revierinspektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine letzte Dienststelle vor seiner (mit 20. August 1990 erfolgten) Suspendierung (im Instanzenzug bestätigt durch den Bescheid der Disziplinaroberkommission vom 30. November 1990) war der Gendarmerieposten H. Nach Aufhebung seiner Suspendierung (Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 14. März 1993) ist er infolge seiner Versetzung (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1993, Zl. 92/12/0041, 0042) beim Gendarmerieposten V tätig.
Mit dem angefochtenen Bescheid faßte die belangte Behörde den Beschluß, nach dem am 17. Oktober 1991 erfolgten Einleitungs- und Unterbrechungsbeschluß wegen Verdachtes der Dienstpflichtverletzungen gemäß § 91 BDG 1979 (Verletzung der Dienstpflichten nach §§ 43 Abs. 1 und 2, 44 Abs. 1 bis 3 und 56 Abs. 1 bis 3 BDG 1979 in Verbindung mit §§ 14 Abs. 1 und 17 Abs. 1 sowie 109a Abs. 4 GDI und Kanzleiordnung Anhang II-1/2 "Dienstvorschreibung, im besonderen Abs. 7" und Erlaß des Bundesministeriums für Inneres vom 23. Dezember 1970, Zl. 189.810-B/70) aufgrund des zu dem Zeitpunkt beendeten gerichtlichen Strafverfahrens gemäß § 124 Abs. 1 BDG 1979 eine mündliche Disziplinarverhandlung anzuberaumen (Verhandlungsbeschluß).
Der Beschwerdeführer werde neben fünf anderen Vorwürfen beschuldigt, er habe
"1. a) Gruppeninspektor S, Kommandant des Gendarmeriepostens L, am 19. Juli und 16. August 1990 bezichtigt, dadurch einen Amtsmißbrauch begangen und seine Dienstpflichten verletzt zu haben, als er anläßlich des Bezirksmusikfestes vom 13. bis 15. Juli 1990 in S einen alkoholisierten Fahrzeuglenker unbehelligt weiterfahren lassen habe, ohne die nach § 5 StVO 1960 notwendigen Maßnahmen ergriffen zu haben, obwohl er wußte, daß diese Verdächtigung falsch war und Gruppeninspektor S dadurch der Gefahr der behördlichen Verfolgung ausgesetzt wurde;
b) am 16. August 1990 auf dem Gendarmerieposten H gegenüber den Revierinspektoren A und F angekündigt, er werde Gruppeninspektor S, dieses "Schießmänndle" und diesen "Drecksack", wie er ihn bezeichnete, bei einer gemeinsamen Geschwindigkeitsmessung am nächsten Morgen niederschlagen und ihm bei nächster Gelegenheit eine "Holzfällerwatsche" verabreichen, sollte Gruppeninspektor S ihm irgendwie in die Quere kommen; dabei werde er - Revierinspektor B - sicher von seinem Kollegen, Revierinspektor J des Gendarmeriepostens H, unterstützt und gemeinsam "werden sie es ihm schon zeigen";
...
3. seine Befugnisse bzw. seine Verpflichtung, im Frühjahr 1990 die erst vierzehnjährige MR, die fast regelmäßig ein Moped auf öffentlichen Straßen lenkte, anzuzeigen unterlassen und stattdessen in seiner Eigenschaft als nebenberuflicher Versicherungsvertreter für sie eine Unfallversicherung abgeschlossen, um dadurch einen finanziellen Vorteil durch Erhalt der Provision zu erlangen; ..."
4. ..."
Dadurch habe der Beschwerdeführer die oben erwähnten Dienstpflichten verletzt.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird - soweit dies für die angefochtenen Teile des Bescheides von Relevanz ist - ausgeführt, die im Spruch angeführten Vorwürfe stützten sich auf die Disziplinaranzeigen des Gendarmerieabteilungskommandos Bregenz vom 26. August und vom 6. Oktober 1990, samt den dazugehörigen Beilagen, die Strafanzeigen des Gendarmerieabteilungskommandos Bregenz vom 26. August 1990 und vom 5. Oktober 1990 an die Staatsanwaltschaft Feldkirch sowie die Note der Staatsanwaltschaft Feldkirch vom 9. März 1990 über die Zurücklegung der Strafanzeige des Landesgendarmeriekommandos für Vorarlberg vom 29. Jänner 1990 wegen Verdachtes des Vergehens nach "§ 302 Abs. 1 - 299 Abs. 1 StGB" und das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15. Mai 1991, mit dem der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 29. Jänner 1991 wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 StGB keine Folge gegeben worden sei.
Zwischen Gruppeninspektor S und dem Beschwerdeführer bestünden bereits seit Jahren Streitigkeiten, die bereits mehrfach Anlaß zu Untersuchungen von seiten der Dienstbehörde, zuletzt aber auch von seiten der Staatsanwaltschaft geführt hätten.
Am 19. Juli 1990 habe der Beschwerdeführer im Rahmen eines Funkpatrouillendienstes gemeinsam mit Revierinspektor A vom Gendarmerieposten L gegenüber dem nichtanwesenden Postenkommandanten des Gendarmeriepostens L, Gruppeninspektor S, den Vorwurf erhoben, dieser habe anläßlich des Bezirksmusikfestes in S vom 13. bis 15. Juli 1990 einen alkoholisierten Fahrzeuglenker weiterfahren lassen, ohne die gemäß § 5 StVO 1960 notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Er habe diesen Vorwurf erneut im Beisein der Revierinspektoren A und F anläßlich einer Zusammenkunft am 16. August 1990 auf dem Gendarmerieposten H erhoben, obwohl er gewußt hätte, daß dieser Vorwurf des Amtsmißbrauchs und der Verletzung der Amtspflichten falsch gewesen sei und daß Gruppeninspektor S dadurch der Gefahr der behördlichen Verfolgung ausgesetzt würde. Gleichzeitig mit den Vorwürfen bezüglich des Amtsmißbrauchs habe der Beschwerdeführer die im Punkt 1b des angefochtenen Bescheides angeführten Drohungen geäußert. Vom Abteilungskommandanten Oberleutnant L am 20. August 1995 telefonisch zu den Vorwürfen des Amtsmißbrauchs befragt, habe er überrascht und verdutzt reagiert und angegeben, eine Person zu kennen, von der er von den Verfehlungen des Gruppeninspektor S erfahren hätte. Er sei jedoch nicht bereit gewesen, den Namen dieser Person zu nennen. Dadurch sei der dringende Verdacht entstanden, er habe die Vorwürfe gegen Gruppeninspektor S wissentlich falsch erhoben.
Zur Person des Gruppeninspektor S wird ausgeführt, daß er nach langjähriger Verwendung als dienstführender Beamter des Gendarmeriepostens H mit Wirkung vom 1. Dezember 1989 zum Postenkommandanten von L ernannt worden sei. Gruppeninspektor S gelte als überaus korrekter Beamter, der insbesondere sein Augenmerk auf alkoholisierte Verkehrsteilnehmer richte. Anläßlich des Bezirksmusikfestes vom 13. bis 15. Juli 1990 hätte er drei Anzeigen gemäß § 5 StVO 1960 erstattet und seinen Angaben zufolge auch mehrere Alkoholisierte darauf aufmerksam gemacht, ihr Fahrzeug nicht mehr in Betrieb zu nehmen. Insgesamt ergebe sich nach den Erhebungen nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu Recht bestünden.
Wegen des Verdachtes der Verleumdung und der gefährlichen Drohung (Punkte 1a und 1b des Verhandlungsbeschlusses) sei vom Abteilungskommando Bregenz am 26. August 1990 Anzeige an die Staatsanwaltschaft Feldkirch erstattet worden.
Zu den Punkten 3 und 4 des Verhandlungsbeschlusses (Punkt 4 wurde in der Beschwerde nicht angefochten, er betraf die erwerbsmäßige Nebenbeschäftigung des Beschwerdeführers als Versicherungsvertreter der Ersten Allgemeinen Versicherung insgesamt) führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer von 1971 bis 1981 auf dem Gendarmerieposten L gewesen und im September 1981 auf den Gendarmerieposten H versetzt worden sei. Als er im Jahre 1975 mit seiner nebenberuflichen Versicherungstätigkeit für die Erste Allgemeine Versicherung begonnen hätte, hätte er sich seinen Kundenstock hauptsächlich im Überwachungsrayon des Gendarmeriepostens L aufgebaut. Diese Tätigkeit hätte er auch fortgesetzt, als er zum Gendarmerieposten H versetzt worden sei. Der Gendarmerieposten L gehöre zum Überwachungsbereich des Funkpatrouillenrayons H, ebenso der Wohnort des Beamten, K. Spätestens seit Frühjahr 1990 hätte der Beschwerdeführer gewußt, daß die zum damaligen Zeitpunkt erst vierzehn Jahre alte Schülerin MR beinahe regelmäßig das Moped V nnn1, Marke Puch Maxi, zugelassen auf ihre Mutter GR, auf öffentlichen Straßen in K und Umgebung benützt hätte. Der Beschwerdeführer wohne nur ca. 100 bis 200 m vom Haus der Familie R entfernt. Anstatt die ständigen Verwaltungsübertretungen der Mopedlenkerin und ihrer Mutter, mit deren Einverständnis sie das Moped gelenkt hätte, abzustellen und der Bezirkshauptmannschaft Bregenz anzuzeigen, wäre der Beschwerdeführer im April 1990 an die Familie R mit dem Ansinnen herangetreten, ihre Tochter wenigstens versichern zu lassen, wenn sie schon ständig unberechtigt das Moped lenke. Er hätte in seiner Eigenschaft als nebenberuflicher Vertreter der Ersten Allgemeinen Versicherungsanstalt mit GR eine Unfallschutzversicherung für seine Tochter MR abgeschlossen. Es sei dem Beamten nicht darum gegangen, seiner Dienstpflicht zur Überwachung der Einhaltung des Kraftfahrgesetzes nachzukommen, sondern er hätte versucht, aus seiner Kenntnis der ständigen Verwaltungsübertretungen unter Mißbrauch seiner Amtspflicht einen finanziellen Vorteil zu erlangen. Zur Untermauerung dieses Vorwurfs werden Aussagen von Gruppeninspektor S, MR, GR und UR angeführt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, der jedoch deren Behandlung mit Beschluß vom 20. November 1992 ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof antragsgemäß abtrat.
In seiner über Aufforderung ergänzten Beschwerde ficht der Beschwerdeführer den Verhandlungsbeschluß in seinen Punkten 1a, 1b und 3 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften an. Er verweist ausdrücklich auf seine beim Verfassungsgerichtshof vorgetragenen Beschwerdepunkte und Beschwerdegründe. Darüber hinaus verletze ihn der angefochtene Bescheid in den einfachgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Beachtung der Unschuldsvermutung, auf Beachtung des § 95 Abs. 2 zweiter Satz BDG 1979 und auf vollständige Sachverhaltsdarstellung.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 124 Abs. 1 und 2 BDG 1979 lauten:
"(1) Ist nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen der Sachverhalt ausreichend geklärt, so hat die Disziplinarkommission die mündliche Verhandlung anzuberaumen (Verhandlungsbeschluß) und zu dieser die Parteien sowie die in Betracht kommenden Zeugen und Sachverständigen zu laden. Die mündliche Verhandlung ist so anzuberaumen, daß zwischen ihr und der Zustellung des Beschlusses ein Zeitraum von mindestens zwei Wochen liegt.
(2) Im Verhandlungsbeschluß sind die Anschuldigungspunkte bestimmt anzuführen. Gegen den Verhandlungsbeschluß ist kein Rechtsmittel zulässig."
§ 118 Abs. 1 BDG 1979 lautet:
"Das Disziplinarverfahren ist mit Bescheid einzustellen, wenn
1. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtsverletzung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen,
2. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt,
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen, oder
4. die Schuld des Beschuldigten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder der Verletzung von Dienstpflichten durch andere Beamte entgegenzuwirken.
§ 95 BDG 1979 (Stammfassung) ordnet an:
"(1) Wurde der Beamte wegen einer gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes, so ist von der Verfolgung abzusehen, wenn anzunehmen ist, daß die Verhängung einer Disziplinarstrafe nicht erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienspflichtverletzungen abzuhalten.
(2) Die Disziplinarbehörde ist an die den Spruch eines rechtskräftigen Urteils zugrundegelegte Tatsachenfeststellung eines Strafgerichtes (Straferkenntnis einer Verwaltungsbehörde) gebunden. Sie darf auch nicht eine Tatsache als erwiesen annehmen, die das Gericht (die Verwaltungsbehörde) als nicht erweisbar angenommen hat.
(3) Wird von der Verfolgung nicht abgesehen, dann ist, wenn sich eine strafgerichtliche oder verwaltungsbehördliche Verurteilung auf denselben Sachverhalt bezieht, eine Strafe nur auszusprechen, wenn und so weit dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten."
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß es ihm nicht zuzumuten sei, ein Verfahren über sich ergehen zu lassen, wenn sich bereits aus den "Anklagevorwürfen" die Einstellungsbedürftigkeit des diesbezüglichen Verfahrens ergebe. Die frühzeitige Klärung grundsätzlicher Strukturprobleme des Disziplinarverfahrens könne verhindern, daß gegen den Beschwerdeführer unter Mißachtung seiner Menschenrechte ein aufwendiges Ermittlungsverfahren geführt werde, dessen Kosten dann möglicherweise im Amtshaftungsweg die Republik Österreich zu zahlen haben würde, da nach jüngerer Rechtsprechung die Kosten der Abwehr denkunmöglicher Übergriffe von Behörden amtshaftungsersatzfähig seien.
Dem Beschwerdeführer ist insoweit beizupflichten, daß das Vorliegen von OFFENKUNDIGEN Einstellungsgründen zu berücksichtigen ist. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Prüfung von Einleitungsbeschlüssen wiederholt festgestellt (vgl. hiezu z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1987, Zl. 86/09/0194, vom 25. Juni 1992, Zl. 91/09/0190, und vom 20. April 1995, Zl. 93/09/0359, vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 4. Dezember 1979, B 304/78, VfSlg 8686. Weiters wurde die Pflicht zur Beachtung offenkundiger Einstellungsgründe im Erkenntnis vom 11. Oktober 1993, Zl. 92/09/0318 und 93/09/0077, in bezug auf die Entscheidung über eine Suspendierung ausgesprochen.
Für die Einleitung eines Verfahrens reicht es aus, wenn genügende Verdachtsgründe gegen den Beschuldigten vorliegen, welche die Annahme einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Ein Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen gegeben erscheinen lassen (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs, z.B. vom 23. April 1993, Zl. 92/09/0398, und die dort zitierten Vorjudikate).
Mit dem Verhandlungsbeschluß wird der Gegenstand des Disziplinarverfahrens, also Inhalt und Umfang der Anschuldigung(en) festgelegt. Damit wird einerseits klargelegt, welche Verhaltensweisen nicht zu erörtern sind und andererseits zu welchen Vorwürfen dem Beschuldigten Gelegenheit zur sachgerechten Verteidigung in der mündlichen Verhandlung gegeben werden wird (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 5. April 1990, Zl. 90/09/0001). Aus der Verpflichtung, im Spruch des Verhandlungsbeschlusses die Anschuldigungspunkte bestimmt anzuführen, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß im Anschuldigungspunkt der dem Beschuldigten angelastete strafbare Sachverhalt darzustellen ist, wobei alle Umstände anzugeben sind, die zur Bezeichnung der strafbaren Handlung und zur Subsumtion unter einen bestimmten gesetzlichen Tatbestand notwendig sind. Aus dem Begriff der Anschuldigung folgt weiters, daß anzugeben ist, welche Dienstpflichten der beschuldigte Beschwerdeführer im einzelnen durch welches Verhalten verletzt haben soll, also welchen gesetzlichen Bestimmungen der angeführte Sachverhalt zu unterstellen sein wird (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1994, Zl. 92/09/0382, und das Erkenntnis vom 21. September 1995, Zl. 93/09/0449 mit weiteren Judikaturhinweisen).
Eine darüber hinausgehende Behandlung des Sachverhaltes im Rahmen der einzelnen Anschuldigungspunkte erübrigt sich im Stadium des Verhandlungsbeschlusses, weil damit der Beurteilung im folgenden Disziplinarverfahren vorgegriffen würde und es nicht Aufgabe des Verhandlungsbeschlusses, sondern des nachfolgenden Disziplinarverfahrens ist, die Rechts- bzw. Schuldfrage abschließend zu klären (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. September 1995, Zl. 93/09/0449, unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 22. April 1993, Zl. 92/09/0315).
Wie beim Einleitungsbeschluß oder bei der Entscheidung über die Suspendierung erfolgt die Entscheidung der Disziplinarkommission beim Verhandlungsbeschluß daher noch im Verdachtsbereich.
Daraus folgt, daß in dieser Phase des Disziplinarverfahrens (Fassung des Verhandlungsbeschlusses und damit Weiterführung des Disziplinarverfahrens oder dessen Einstellung) nur offenkundige Einstellungsgründe zu beachten sind.
"Strukturprobleme des Disziplinarverfahrens" sind daher in diesem Stadium des Verfahrens nur unter diesem Gesichtspunkt beachtlich. Solche offenkundige Einstellungsgründe liegen aber, wie unten näher dargelegt wird, nicht vor.
Zu Punkt 1a sieht der Beschwerdeführer die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in der Nichtberücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK. Aus dieser Bestimmung folgert er, daß von einem Gendarmeriebeamten nicht gefordert werden könne, gegen eigene engste Verwandte amtszuhandeln (hier: keine Pflicht des Gruppeninspektors S, seinen Bruder - dies sei der im Anschuldigungspunkt 1a namentlich nicht genannte alkoholisierte Fahrzeuglenker gewesen - gemäß § 5 StVO anzuzeigen). Dafür spreche auch die Regelung des § 7 AVG, wonach niemand gezwungen werden könne, in Angelegenheiten der engsten Angehörigen behördlich tätig zu werden. Wenn dies gelte, dann könne die Äußerung des Beschwerdeführers über Gruppeninspektor S keine Verleumdung darstellen (und der Beschwerdeführer disziplinarrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden).
Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Zu einem wesentlichen Teil des dem Beschwerdeführer unter Punkt 1a des Verhandlungsbeschlusses vorgeworfenen Verhaltens liegt eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung durch das Urteil des Oberlandesgerichts für Strafsachen Innsbruck vom 15. Mai 1991, Zl. 7 Bs 168/91, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Feldkirch vom 29. Jänner 1991, Zl. 24 EVr 1319/90-25, bestätigt wurde, vor. "Das Erstgericht hat", so heißt es im Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck, Seite 3, "insbesonders folgenden Sachverhalt festgestellt: Am 19.7.1990 behauptete der Angeklagte gegenüber dem im Dienst stehenden Gendarmeriebeamten A wahrheitswidrig und im Bewußtsein, daß die Behauptung objektiv falsch war, daß Gruppeninspektor S beim Bezirksmusikfest in S, das vom 13. bis 15.7.1990 dauerte, einen alkoholisierten Fahrzeuglenker habe weiterfahren lassen. Er warf damit dem Gruppeninspektor S das Verbrechen des Mißbrauchs der Amtsgewalt vor und setzte ihn auch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung wegen dieser von Amts wegen zu verfolgenden Straftat aus. Der Angeklagte sprach diese Falschbeschuldigung in der Absicht aus, daß diese Information zu einer strafrechtlichen Verfolgung des Gruppeninspektor S führt, wobei auch tatsächlich behördliche Schritte eingeleitet wurden." Zu dem Vorwurf, der Beschwerdeführer hätte diese Bezichtigung auch am 16. August 1990 ausgesprochen, gibt es keine gerichtliche Feststellung.
Insoweit sich das Gerichtsurteil auf den Vorfall vom 19. Juli 1990 bezieht, besteht gemäß § 95 Abs. 2 BDG 1979 Bindung an die diesbezüglichen gerichtlichen Tatsachenfeststellungen. Wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und dem Zweck der Norm ergibt, gilt diese Bindung gemäß § 95 Abs. 2 BDG 1979 in allen Phasen des Disziplinarverfahrens. Gegen diese Norm bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Februar 1990, Zl. 90/09/0191, vom 6. Juni 1991, Zl. 91/09/0033, vom 24. Februar 1995, Zl. 93/09/0418, sowie die dort angeführte Vorjudikatur).
§ 95 Abs. 1 und Abs. 3 BDG 1979 ermächtigen und verpflichten die Disziplinarbehörde, Verhaltensweisen, die zum Gegenstand eines rechtskräftigen Strafurteils oder Verwaltungsstraferkenntnisses geworden sind, unter disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.
Anders als im Strafrecht, wo moralische Wertung, Vergeltung und Sühne im Vordergrund stehen, bezweckt das Disziplinarrecht die Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes und erfüllt eine dem Interesse der Allgemeinheit dienende Ordnungsfunktion. Die Handlungsgesichtspunkte liegen vorwiegend in der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen und korrekten Dienstbetriebes. Durch eine Disziplinarstrafe soll der der Disziplinargewalt Unterworfene entweder an seine dienstlichen Pflichten gemahnt und angehalten werden, diese Pflichten künftig zuverlässig zu erfüllen, oder, wenn er schuldhaft in seinem Dienstverhältnis untragbar geworden ist, im Wege der Entlassung aus dem Dienstverhältnis entfernt werden (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0070, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 31. Mai 1990, Zl. 90/09/0020).
Gemäß § 43 Abs. 2 BDG 1979 hat der Beamte in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, daß das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt. Das dem Beschuldigten in Punkt 1a des angefochtenen Bescheides vorgeworfene und in Bezug auf den 19. Juli 1990 auch gerichtlich festgestellte Verhalten kann dieser Norm, insbesondere in ihrem Aspekt der Erhaltung des Betriebsfriedens und eines Klimas, in dem dienstliche Zusammenarbeit möglich ist, jedenfalls grundsätzlich unterstellt werden (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof vom 11. Dezember 1985, Zl. 85/09/0223).
Unter diesem Gesichtspunkt spielt die vom Beschwerdeführer aufgeworfene EMRK-Problematik keine Rolle; es ist für das Disziplinarverfahren des Beschwerdeführers irrelevant, ob Gruppeninspektor S bei dieser Fallkonstellation strafgerichtlich wegen Amtsmißbrauchs verfolgt werden könnte bzw. ob die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Verleumdung zu Recht erfolgte oder nicht.
Im weiteren Disziplinarverfahren wird zu klären sein, ob das Verhalten unter Anschuldigungspunkt 1a zur Gänze dem § 43 Abs. 2 BDG 1979 und allenfalls noch den Tatbeständen anderer Dienstpflichtverletzungen zu unterstellen ist und ob nach den Maßstäben des § 95 Abs. 3 BDG 1979 eine Strafe zu verhängen sein wird. Angesichts der Vielzahl der Vorwürfe von Dienstpflichtverletzungen und der hiedurch möglicherweise verletzten Rechtsvorschriften wird auf eine jeweils eindeutige Zuordnung zueinander zu achten sein.
Durch die Anschuldigungen Punkte 1b (gefährliche Drohung) und 3 (Amtsmißbrauch), zu denen die Strafanzeigen gemäß § 90 Abs. 2 StPO zurückgelegt worden seien, werde, so führt der Beschwerdeführer weiter aus, das Recht auf Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK verletzt. Darüber hinaus erblickt der Beschwerdeführer darin eine Verletzung des § 95 Abs. 2 BDG 1979. Aus der Zulassungsentscheidung 9295/91/X/Österreich der Menschenrechtskommission gehe hervor, daß keine staatliche Behörde oder kein staatliches Gericht eine Person einer strafbaren Handlung schuldig erklären dürfe, solange nicht eine ordnungsgemäße Verurteilung im gesetzmäßig vorgesehenen Verfahren durch das zuständige Gericht erfolgt sei. Dies gelte auch für den Verwaltungsgerichtshof. Nach Beendigung der (gerichtlichen) Strafverfahren durch die Niederlegung der Strafanzeigen stelle es eine Verletzung der Unschuldsvermutung dar, wenn dem Beschwerdeführer nunmehr dieselben Delikte vorgeworfen werden.
Darauf ist folgendes zu erwidern:
Zweifellos ist die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK ("Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.") von allen österreichischen Behörden und Gerichten, auch dem Verwaltungsgerichtshof, zu beachten.
Die Vermutung der strafrechtlichen Unschuld bleibt dem Beschwerdeführer, insbesondere bei einem Verhandlungsbeschluß, der das Disziplinarverfahren vorbereitet, auch unbenommen. Der Beschwerdeführer verkennt jedoch, daß das "disziplinäre Strafrecht" grundsätzlich nicht unter den Strafrechtsbegriff des Art. 6 Abs. 1 EMRK fällt (vgl. VfSlg 7366/1974, 7907/1976 mit Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 8. Juni 1976 im Fall "Engel", Europäische Grundrechte-Zeitschrift 1976, 221 folgende, siehe auch Adamovich/Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, 3. Auflage 1985, S. 400). Es geht im Disziplinarverfahren nicht darum, jemanden strafrechtlich zu verurteilen oder einer Straftat zu bezichtigen, sondern darum, das Verhalten des Beamten (unabhängig von seiner strafrechtlichen Würdigung) auch unter disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.
Wie oben gezeigt, ist die Zielrichtung des Disziplinarverfahrens eine andere als die des Strafverfahrens. Von der Gesellschaft unerwünschte Verhaltensweisen können gleichzeitig gegen strafrechtliche und disziplinarrechtliche Verbots- oder Gebotsnormen verstoßen und sind nach den jeweiligen Kriterien zu ahnden. Daß eine zweifache Verfolgung desselben Verhaltens nicht von vornherein ausgeschlossen ist und wie in einem solchen Fall von den Disziplinarbehörden vorzugehen ist, regelt § 95 BDG 1979.
Das Grundrecht der Unschuldsvermutung wird daher durch die Aufnahme der Anschuldigungspunkte 1b und 3 in den angefochtenen Bescheid nicht verletzt.
Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Bindung gemäß § 95 Abs. 2 BDG 1979 bedeutet nicht, daß ein bestimmtes Verhalten, das zu keiner gerichtlichen Verurteilung geführt hat, nicht zum Gegenstand eines Disziplinarverfahrens gemacht werden dürfte. Selbst ein gerichtlicher Freispruch würde das nicht behindern. Im Disziplinarverfahren ist in einem solchen Fall lediglich zu beachten, welche Tatsachen im gerichtlichen Urteil nicht als erweisbar festgestellt wurden. Im übrigen kann aber auch das einem Freispruch zugrundeliegende Verhalten wegen der unterschiedlichen Maßstäbe zur Durchführung eines Disziplinarverfahrens führen.
Ferner liegen bei Zurücklegung der Anzeigen durch die Staatsanwaltschaft keine gerichtlich festgestellten Tatsachen im Sinne des § 95 Abs. 2 BDG 1979 vor. Eine Bindung in der Form, daß die Zurücklegung einer Strafanzeige eine Beurteilung eines Verhaltens im Disziplinarverfahren ausschließen soll, ist daher aus dem Gesetz keineswegs ableitbar. Die Bindung gemäß § 95 Abs. 2 BDG 1979 soll lediglich verhindern, daß Tatsachen, deren Existenz schon in einem mit allen Rechtsschutzgarantien ausgestatteten gerichtlichen Verfahren festgestellt wurden, noch einmal in einem unter Umständen aufwendigen Verfahren festgestellt werden. Es ist jedoch nicht Zweck dieser Norm, Verhaltensweisen, die zu einer strafrechtlichen Verfolgung keinen Anlaß geben, auch der Beurteilung durch Disziplinarbehörden zu entziehen.
Durch die Aufnahme der Anschuldigungspunkte 1b und 3 wurde der Beschwerdeführer daher auch nicht in seinem Recht auf Beachtung des § 95 Abs. 2 BDG 1979 verletzt. Ob er durch die ihm darin vorgeworfenen Verhaltensweisen Dienstpflichten tatsächlich verletzt hat, wird abschließend im weiteren Disziplinarverfahren zu klären sein.
Sonstige offenkundige Einstellungsgründe hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht, ihr Vorliegen kann der Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdefall im Rahmen des Anfechtungsumfanges nicht erkennen.
Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Ein Kostenzuspruch hatte mangels einer Antragstellung der belangten Behörde im Sinne des § 59 Abs. 1 VwGG zu unterbleiben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1993090054.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
31.10.2016