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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §18 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in N, vertreten durch Dr. U, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 7. Juni 1994, Zl. St 35-2/94, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes und Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.300,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 7. Juni 1994 wurde unter Spruchpunkt I. gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1 sowie den §§ 19 und 20 FrG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen und unter Spruchpunkt II. gemäß § 54 Abs. 1 FrG festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei; seine Abschiebung in die Türkei sei somit zulässig.
Der Beschwerdeführer halte sich seit 29. November 1989 im Bundesgebiet auf. Er habe am Tage nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt, der mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 2. März 1990 abgewiesen worden sei. Die Berufung gegen diesen Bescheid habe der Beschwerdeführer zurückgezogen. Während des Asylverfahrens sei ihm die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1968 zugekommen.
Dem Beschwerdeführer sei eine Beschäftigungsbewilligung erteilt und in der Folge seien von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck Sichtvermerke, der letzte mit einer Gültigkeitsdauer bis 20. Dezember 1994 ausgestellt worden.
Am 24. März 1993 habe er bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck die Ausstellung einer Bescheinigung zum Zweck der Nachführung seiner Ehegattin beantragt. Dieser Antrag sei mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß dem Beschwerdeführer in einem derartigen Verfahren keine Parteistellung zukomme.
Die Gattin des Beschwerdeführers sei in seiner Begleitung am 2. Juli 1993 mit einem verfälschten Paß über den Grenzübergang Nickelsdorf in das Bundesgebiet gelangt. Der durch Auswechseln des Lichtbildes verfälschte Reisepaß sei mit Hilfe einer Schlepperorganisation beschafft worden. Die Gattin des Beschwerdeführers sei wegen der Verwendung des verfälschten Reisepasses vom Landesgericht Salzburg gemäß den §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Wochen rechtskräftig verurteilt worden.
Der Beschwerdeführer habe seine Mitwirkung an der Einreise seiner Gattin dahingehend umschrieben, daß er sie bei ihrer Ausreise von der Türkei nach Österreich begleitet hätte. Die Einreise mittels eines gefälschten, türkischen Reisepasses habe seiner Gattin und ihm die einzige Möglichkeit geschienen, nach Österreich zu gelangen, weil sie beide der kurdischen Minderheit in der Türkei angehörten und ihre Familien nachweislich politischen Verfolgungen ausgesetzt seien. Zur Erlangung der notwendigen Dokumente für ein Visum wäre seine Gattin zusätzlichen Schwierigkeiten und Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Es sei daher eine Schlepperorganisation mit der Erstellung eines gefälschten Passes beauftragt worden. Dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers sei zu entnehmen, daß er die rechtswidrige Einreise seiner Gattin gefördert habe. Seinem Vorbringen sei nicht zu entnehmen, daß er sich etwa nicht an der Beauftragung der Schlepperorganisation einschließlich der Beschaffung des verfälschten Reisepasses beteiligt hätte. Bei diesem Sachverhalt habe der Beschwerdeführer Schlepperei im Sinne des § 80 Abs. 1 FrG begangen, gleichgültig, ob diesbezüglich ein (Verwaltungs-)Strafverfahren eingeleitet worden sei oder nicht. Die belangte Behörde laste dem Beschwerdeführer im besonderen an, daß er sich über den legalen Weg zur Einreise seiner Gattin in das Bundesgebiet hinweggesetzt habe. Seine Gattin sei entsprechend ihren Angaben im Asylverfahren mit ihrem Original-Reisepaß von der Türkei bis nach Bulgarien gelangt. Von Bulgarien aus sei sie dann mit dem verfälschten Reisepaß weiter gereist. Bei dieser Sachlage hätte der Beschwerdeführer bzw. seine Gattin keine, ohnehin nicht näher bezeichneten Schwierigkeiten von seiten der türkischen Behörden zu erwarten gehabt, wie aufgrund seines Vorbringens möglicherweise vermutet hätte werden können. Der Beschwerdeführer habe lediglich Schwierigkeiten bei der Erlangung eines österreichischen Sichtvermerkes für seine Gattin durch die Beauftragung einer Schlepperorganisation einschließlich der Besorgung eines verfälschten Reisepasses aus dem Weg gehen wollen. Bei Fremden, die sich in derartiger Weise über gesetzliche Bestimmungen hinwegsetzten, sei die Annahme gerechtfertigt, daß deren Aufenthalt die öffentliche Ordnung gefährde. Zufolge der Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG sei gegen solche Fremde ein Aufenthaltsverbot zu erlassen.
Trotz des Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers scheine der durch das Aufenthaltsverbot erfolgende Entzug der Aufenthaltsberechtigung zur Aufrechterhaltung der Ordnung, nämlich eines geordneten Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 MRK) dringend geboten.
Der Beschwerdeführer halte sich seit etwa viereinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Er stehe in einem Arbeitsverhältnis; zu seiner Gattin "bestünden intensive" Bindungen. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie seien als nicht so schwerwiegend anzusehen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes.
Der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines Feststellungsantrages ausgeführt, er gehöre der kurdischen Minderheit in der Türkei und dem Sympathisantenkreis der PKK an. Die beiden Brüder seiner Gattin seien hochrangige Funktionäre der PKK. Dadurch sei er in seiner Heimat aufgrund der bisher gemachten Erfahrung ständigen Hausdurchsuchungen, Drohungen und Übergriffen seitens der türkischen Behörden ausgesetzt gewesen. Einer der Brüder seiner Gattin befinde sich sogar in Haft. Im Falle einer Zurückweisung würde er Gefahr laufen, einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein, darüber hinaus sei nicht einmal die Todesstrafe auszuschließen.
In der Berufung (gegen den erstinstanzlichen Bescheid) habe der Beschwerdeführer ausgeführt, die politische Situation habe sich besonders in seinem Heimatbezirk zunehmend verschärft. Der Beschwerdeführer habe Unterlagen über angebliche Verfolgungshandlungen der türkischen Behörden vorgelegt, die allerdings nicht ihn selbst beträfen.
Im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer seinerzeit angegeben, von den Milizsoldaten öfters "aufs Korn" genommen worden zu sein. Er hätte einmal Partei für einen Ortsbewohner ergriffen, der grundlos arg beschimpft und geschlagen worden sei. Seither sei er den Soldaten ein Dorn im Auge gewesen und sie hätten es besonders auf ihn abgesehen gehabt.
Daß gegen den Beschwerdeführer in der Türkei ein Strafverfahren eingeleitet worden sei, behaupte er nicht. Es sei daher nicht zu ersehen, weshalb er einer unmenschlichen Strafe oder gar der Todesstrafe ausgesetzt sei. Die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, weil Brüder seiner Gattin hochrangige Funktionäre der PKK seien, sei nicht zu ersehen, nachdem nicht einmal seine Gattin diesbezüglichen Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei. Gegen die Annahme von Verfolgungen durch die türkischen Behörden spreche auch, daß seine Gattin offenbar unangefochten im Besitz eines türkischen Reisepasses gewesen sei. Gründe, die der Abschiebung des Beschwerdeführers im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG entgegenstehen würden, seien nicht zu ersehen.
Dies gelte auch für eine allfällige Bedrohung gemäß § 37 Abs. 2 FrG. Allfällige Verfolgungen durch die türkischen Behörden führe der Beschwerdeführer dem Grunde nach lediglich auf die Verbindung seiner Gattin zu Funktionären der PKK zurück. Dies bedeute aber keine Verfolgung seiner Person aus den in der Konvention genannten Gründen. Nicht der Beschwerdeführer selbst sei, sollte sein Vorbringen zutreffen, aus diesen Gründen bedroht. Eine allgemein schlechte Lage der kurdischen Bevölkerung vermöge keine individuelle Verfolgung im Sinne der Konvention zu begründen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bekämpft den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides mit der Behauptung, daß der Tatbestand der Schlepperei nicht vorliege und daher sein Aufenthalt in Österreich keinesfalls die öffentliche Ordnung gefährde.
Die belangte Behörde hat richtig erkannt, daß ein Aufenthaltsverbot auch rechtens ausschließlich auf § 18 Abs. 1 FrG (gegebenenfalls unter Bedachtnahme auf die §§ 19 und 20 leg. cit.) gestützt werden kann, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im § 18 Abs. 2 leg. cit. angeführten Fälle aufweisen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 29. Juli 1993, Zl. 93/18/0301). Das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers muß aber einem der in § 18 Abs. 2 leg. cit. angeführten Fälle gleichzuhalten sein. Im vorliegenden Fall ist die Behörde - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - zutreffend davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer Schlepperei im Sinne des § 80 Abs. 1 FrG zu verantworten hat. Ein weiteres Fehlverhalten hat die belangte Behörde nicht angenommen. Das zu Recht der Schlepperei im Sinne des § 80 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 FrG zu unterstellende Fehlverhalten des Beschwerdeführers rechtfertigt für sich allein nicht die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes. Nach § 18 Abs. 2 Z. 5 FrG ist als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 anzusehen, wenn ein Fremder um seines Vorteiles willen Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat. Eine solcherart gekennzeichnete Schlepperei wird dem Beschwerdeführer sachverhaltsmäßig nicht zur Last gelegt. Die von ihm zu verantwortende Schlepperei gemäß § 80 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 FrG ist lediglich einer rechtskräftigen Bestrafung nach dem Fremdengesetz gleichzuhalten. Eine solche rechtskräftige Bestrafung stellt jedoch keine bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 des § 18 FrG dar, sondern muß zur Erfüllung dieser Qualifikation dem § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG zufolge grundsätzlich eine solche Bestrafung mehr als einmal erfolgen. Dies zeigt, daß das Fehlverhalten des Beschwerdeführers den in Frage kommenden Tatbeständen des § 18 Abs. 2 FrG keinesfalls gleichzuhalten ist. Die Auffassung der belangten Behörde, die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei aufgrund des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers gerechtfertigt, ist demnach rechtswidrig. Damit hat sie ihren Bescheid diesbezüglich mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Zum Spruchpunkt II:
Der Beschwerdeführer meint, daß aufgrund der Zugehörigkeit der Brüder seiner Frau zur PKK sehr wohl Gründe für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung bestünden. Es sei zwar richtig, daß gegen ihn in der Türkei kein Strafverfahren eingeleitet worden sei, jedoch sei aufgrund der Verhältnisse in seiner Heimat ungeachtet der Einleitung eines Strafverfahrens mit unmenschlicher Strafe oder Todesstrafe zu rechnen, weil auch nur Unwesentliches ausreichend wäre, ein Strafverfahren gegen ihn einzuleiten und er somit Strafe oder Todesstrafe unterworfen wäre.
Damit verkennt der Beschwerdeführer die Rechtslage. Im Verfahren nach § 54 FrG hat der Fremde zumindest glaubhaft zu machen, daß er aktuell, also im Fall seiner Abschiebung in die Türkei, dort die im § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG genannten Gefahren zu erwarten habe. Die von der belangten Behörde ihrer Entscheidung - in unbedenklicher Weise - zugrundegelegten Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren und im gegenständlichen Antragsverfahren entbehren der erforderlichen Konkretheit, um zu einem solchen Ergebnis gelangen zu können. Die belangte Behörde hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Behauptung, die Brüder seiner Gattin seien Funktionäre der PKK, nicht ausreiche, um eine Gefährdung seiner Person glaubhaft zu machen, weil selbst seine Gattin unangefochten im Besitz eines türkischen Reisepasses war. Dazu kommt aber noch das Vorbringen des Beschwerdeführers selbst, daß er in die Türkei gereist sei und mit seiner Gattin wieder die Ausreise hat vornehmen können. Wenn sich der Beschwerdeführer selbst in seinen Heimatstaat begibt, ist im Zweifel nicht davon auszugehen, daß er selbst der Meinung ist, es drohen ihm die im § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG umschriebenen Gefahren. Die belangte Behörde hat zutreffend auf die aktuelle Bedrohungs- und Gefährdungssituation des Beschwerdeführers abgestellt und ihr in rechtlich einwandfreier Weise die Stichhaltigkeit im Grunde des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG abgesprochen.
Da die belangte Behörde ihren Bescheid im Spruchpunkt I. mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet hat, war er diesbezüglich gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben; im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die begehrte Umsatzsteuer ist im Pauschbetrag bereits enthalten.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995210019.X00Im RIS seit
20.11.2000