Index
24/01 Strafgesetzbuch;Norm
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des H in M, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 27. Juli 1994, Zl. III 269/93, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebühren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 27. Juli 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1, §§ 19 bis 21 sowie § 31 Abs. 1 FrG ein Aufenthaltsverbot mit einer Dauer von zehn Jahren erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer vom Landesgericht Innsbruck am 15. Dezember 1992 wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach den §§ 12 dritter Fall, 159 Abs. 1 Z. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer sei für schuldig befunden worden, als de facto-Leiter der in Mötz etablierten Firma F, welche Schuldnerin mehrerer Gläubiger gewesen sei, durch Vernachlässigung der Buchhaltung sowie falscher Führung des Betriebes in organisatorischen und kaufmännischen Belangen "a) in der Zeit von 1982 bis Juni 1989 fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens herbeigeführt zu haben, auch durch mangelnde Ausstattung mit Eigenkapital; b) in der Zeit ab Juli 1989 bis 20. Februar 1991 in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit fahrlässig die Befriedigung der Gläubiger weiter geschmälert zu haben, durch Fortführung des Unternehmens, Eingehen neuer Schulden und Bezahlung alter Schulden, nicht rechtzeitige Beantragung des Insolvenzverfahrens und dagegen vielmehr weitere Lieferungen gegen unverhältnismäßige Zahlungsziele".
Am 15. Oktober 1993 sei der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Telfs wegen der §§ 15, 127 StGB zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei ein versuchter Ladendiebstahl des Beschwerdeführers am 30. Juli 1993 zugrunde gelegen.
Dieses relevante Gesamtverhalten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit dem Jahre 1982 bis zum vorläufigen Schlußpunkt des Ladendiebstahles im Jahre 1993 im Verein mit dem rechtswidrigen, ohne die erforderliche gültige Aufenthaltsbewilligung für das Bundesgebiet erfolgenden, ständigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ab dem Jahre 1991 bis zum 31. Dezember 1993 (Inkrafttreten des EWR am 1. Jänner 1994) rechtfertige die Annahme, daß der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit sowie Ordnung gefährde. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer sei daher zulässig. Sie stelle einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Dieser Eingriff sei aber zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet bzw. zum Schutz der Rechte, insbesondere der Vermögensrechte anderer sowie zum Schutz der öffentlichen Ordnung dringend geboten.
Demgegenüber stünden die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie, die aber nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes. Der Beschwerdeführer habe seinen Hauptwohnsitz, und somit Lebensmittelpunkt erst seit dem Jahre 1991 im Bundesgebiet. Hinsichtlich der Ehegattin des Beschwerdeführers und deren 92jährigen pflegebedürftigen Vaters sei ein größeres Ausmaß an Integration im Bundesgebiet anzunehmen; immerhin sei der Ehegattin des Beschwerdeführers im Jahre 1979 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Intensive familiäre Bindungen des Beschwerdeführers seien zweifellos vorhanden, weil er mit seiner Gattin und deren pflegebedürftigen Vater in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Die durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Beeinträchtigungen der Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie müßten allerdings in den Hintergrund treten, wenn man sich die vom Beschwerdeführer ausgehende große Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere für die Vermögensrechte anderer vor Augen halte.
Die belangte Behörde sei aufgrund des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit dem Jahre 1982 der Ansicht, daß bis zum Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes das Verstreichen von zehn Jahren vonnöten sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet; auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Bei der Behandlung der Beschwerde ist zu beachten, daß mit 1. Jänner 1994 das EWR-Abkommen (BGBl. Nr. 909/1993) in Kraft getreten ist, sodaß die belangte Behörde bereits die Bestimmungen des 4. Teiles des FrG, der Sonderbestimmungen für die Einreise und den Aufenthalt von EWR-Bürgern enthält, anzuwenden hatte.
§ 31 Abs. 1 FrG bestimmt, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger oder einen begünstigten Drittstaatsangehörigen nur zulässig ist, wenn aufgrund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Die belangte Behörde nahm dies aufgrund des festgestellten Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers an.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Aufenthaltsverbot gestützt auf § 18 Abs. 1 FrG auch dann erlassen werden, wenn keiner der Tatbestände des § 18 Abs. 2 FrG erfüllt ist, jedoch wichtige Gründe vorliegen, die in ihrer Gesamtheit die im § 18 Abs. 1 umschriebene Annahme rechtfertigen. Dies hat sinngemäß auch für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 31 Abs. 1 FrG zu gelten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 94/18/0184).
Der Beschwerdeführer meint, die belangte Behörde hätte dem Landesgericht Innsbruck folgen müssen und die Zukunftsprognose bezüglich des Beschwerdeführers als günstig anzusehen gehabt. Bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Krida und dem Ausspruch einer bedingten Strafe werde die öffentliche Ordnung keinesfalls gefährdet.
Der Beschwerdeführer ist darauf hinzuweisen, daß der vom Gericht ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht insofern für das vorliegende fremdenrechtliche Verfahren keine Relevanz zukommt, als die belangte Behörde ihre Entscheidung - frei von jeglicher Bindung an gerichtliche Beurteilungen -ausschließlich aus dem Blickwinkel der von ihr anzuwendenden fremdenrechtlichen Normen zu treffen hatte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/1142).
Hingegen ist dem Beschwerdeführer zuzustimmen, daß das Vergehen der fahrlässigen Krida die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme nicht rechtfertigt. Bei einem mit der Schuldform der Fahrlässigkeit begangenen Vermögensdelikt kann im Regelfall nicht davon ausgegangen werden, daß der Aufenthalt des betreffenden Fremden eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit darstellt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. Juni 1993, Zl. 93/18/0150, und vom 20. Februar 1992, Zl. 90/19/0478).
Bei der Beurteilung des im Grunde des § 18 Abs. 1 FrG relevanten Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers hatte die belangte Behörde entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch die Verurteilung durch das Bezirksgericht Telfs und auch den rechtswidrigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in den Jahren 1991 bis 1993 zu berücksichtigen. Auch dieses Gesamtfehlverhalten reicht aber nicht aus, um die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme zu rechtfertigen: Der Beschwerdeführer braucht als EWR-Bürger zur Einreise und zum Aufenthalt seit 1. Jänner 1994 keinen Sichtvermerk (§ 28 Abs. 2 FrG) und keine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 1 Abs. 3 Z. 1 AufG). Daß der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens unter diesem Aspekt gefährdet, ist sohin ausgeschlossen. Das der rechtskräftigen Verurteilung durch das Bezirksgericht Telfs zugrunde liegende verpönte Verhalten des Beschwerdeführers reicht jedoch nicht zur Rechtfertigung der im § 18 Abs. 1 FrG umschriebenen Annahme aus.
Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer ist daher nicht zulässig. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 420,-- (Eingabengebühr S 360,--, Beilagengebühr S 60,--) zu entrichten waren.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995210029.X00Im RIS seit
02.05.2001Zuletzt aktualisiert am
20.08.2009