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24/01 Strafgesetzbuch;Norm
FrG 1993 §21 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, in der Beschwerdesache der S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 19. Mai 1994, Zl. III 221-1/93, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund ist schuldig, der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (belangte Behörde) vom 19. Mai 1994, mit welchem gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 18 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 Z. 1 und §§ 19, 20 und 21 des Fremdengesetzes (FrG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden ist.
Begründet wurde der angefochtene Bescheid damit, daß die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der früheren sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien, die sich seit 1988 im Bundesgebiet aufhalte, im September 1990 in fünf Geschäften Diebstähle begangen habe und deswegen wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB mit einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen, mit einer Probezeit von drei Jahren bestraft worden sei. Die Beschwerdeführerin sei weiters am 25. März 1993 wegen des Vergehens des Betruges gemäß § 146 StGB mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen bestraft worden. Die Beschwerdeführerin lebe seit dem August 1993 mit ihrem Dienstgeber, einem österreichischen Staatsbürger zusammen. Die belangte Behörde wertete die gegen die Beschwerdeführerin ergangenen Verurteilungen als bestimmte Tatsache im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall sowie des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG. Sie qualifizierte das Aufenthaltsverbot als einen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin und ihres Freundes. Dieses werde durch das Aufenthaltsverbot zwar beeinträchtigt, es habe aber angesichts der von der Beschwerdeführerin ausgehenden großen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und für die Vermögensrechte anderer in den Hintergrund zu treten, sodaß das Aufenthaltsverbot auch im Sinne der §§ 19 und 20 gerechtfertigt sei. Die Beschwerdeführerin neige "zumindest bei fehlenden bzw. nicht ausreichenden Unterhaltsmitteln bzw. aus Selbstjustizgründen" zu Vermögensstraftaten, was eine negative Zukunftsprognose rechtfertige. Kreditschulden bei Banken seien keine Kriterien, die bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zugunsten des Fremden den Ausschlag geben könnten.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher seine Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sie sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 18 Abs. 1 FrG ist gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, "wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt
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die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder
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anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft". Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG u. a. "zu gelten, wenn ein Fremder ... mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist". Greift ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden ein, so darf es nur erlassen werden, "wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist". Ein Aufenthaltsverbot darf weiters gemäß § 20 Abs. 1 FrG nicht erlassen werden, "wenn seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung", bei welcher Abwägung auf "die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen" sowie "die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen" Bedacht zu nehmen ist. Gemäß § 21 Abs. 2 FrG ist "bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ... auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen".
4. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, daß sie zweimal von einem inländischen Gericht wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist und daß daher der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG erfüllt sei. Sie meint aber, daß aus den diesen Bestrafungen zugrundeliegenden Delikten nicht darauf geschlossen werden könne, daß sie als eine für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährliche Person anzusehen sei. Sie wolle die von ihr im Jahre 1990 begangenen Ladendiebstähle zwar nicht bagatellisieren, diese seien jedoch auf die Einflußnahme ihres Ehemannes zurückzuführen, von dem sie inzwischen geschieden worden sei. Im übrigen sei auch wegen dieser Tat nur eine geringfügige bedingte Geldstrafe von 100 Tagessätzen und wegen ihrer zweiten Tat nur eine - wenn auch unbedingte - Geldstrafe von 60 Tagessätzen verhängt worden. Der zweiten gegen sie ergangenen Verurteilung liege ein Sachverhalt zugrunde, der eher zivilrechtlich zu behandeln gewesen wäre, zumal es um die Zurückzahlung einer Kaution für eine komplett neu eingerichtete Wohnung gegangen sei, die sie untervermietet habe und wofür sie selbst als Mieterin jedenfalls eine Kaution zu bezahlen gehabt hätte, welche sie ebenfalls nicht zurückerhalten habe. Daß sie aus "Selbstjustizgründen" zu Vermögensdelikten neige, treffe nicht zu, zumal sie inzwischen auch älter und reifer geworden sei.
Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes sei daher nicht gerechtfertigt.
Dieser Beurteilung vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anzuschließen. Aus den beiden, der Beschwerdeführerin zur Last liegenden Straftaten konnte die belangte Behörde nämlich zu Recht das Vorliegen bestimmter Tatsachen im Sinne des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG ableiten. Jedenfalls das zweite von ihr begangene - und im Ergebnis auch nicht bestrittene - Vermögensdelikt kann die Beschwerdeführerin nicht auf den negativen Einfluß ihres ehemaligen Ehegatten zurückführen. Die belangte Behörde konnte somit zu Recht von einer gewissen Rücksichtslosigkeit der Beschwerdeführerin gegenüber dem Eigentumsrecht von anderen - und somit auch vom Vorliegen des Tatbestandes des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG - ausgehen.
5. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde das vorliegende Aufenthaltsverbot auch angesichts des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin im Sinne der §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG nicht erlassen dürfen, zumal die Beschwerdeführerin seit mehr als fünf Jahren in Österreich lebe und ihre Bindung zu ihrem Lebensgefährten in Österreich ungleich stärker und wichtiger sei, als jene zu ihren in Jugoslawien lebenden Eltern. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes würde für sie einen nicht wiedergutzumachenden persönlichen Nachteil bringen.
Auch dieser Einwand ist im Ergebnis nicht berechtigt. Die Beschwerdeführerin hielt sich zwar zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes etwa bereits fünf Jahre im Bundesgebiet auf, war hier beschäftigt und lebte seit etwa zehn Monaten mit einem österreichischen Staatsbürger zusammen. Bei diesem Sachverhalt liegt daher eine Integration der Beschwerdeführerin im Sinne der §§ 19 und 20 FrG vor, was die belangte Behörde auch zutreffend erkannt hat. Dem angefochtenen Bescheid haftet jedoch keine Rechtswidrigkeit insoferne an, als die belangte Behörde darin die privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin und ihres österreichischen Lebensgefährten nicht höher bewertete als die im vorliegenden Fall gegebenen öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Die belangte Behörde konnte nämlich durchaus davon ausgehen, daß die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 19 FrG zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig war, und daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und die ihres Lebensgefährten gemäß § 20 Abs. 1 FrG nicht schwerer wogen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.
Soweit die Beschwerde diesbezüglich den Vorwurf von Verfahrensmängeln erhebt, unterläßt sie es aufzuzeigen, auf welche Weise bei Vermeidung derartiger Fehler die Behörde zu einem anderen, für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis hätte kommen können.
6. Schließlich hält die Beschwerde den angefochtenen Bescheid auch deswegen für rechtswidrig, weil seine unbefristete Verhängung nicht angemessen sei.
Diesem Vorwurf vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht zu verschließen. § 21 Abs. 1 FrG sieht vor, daß ein Aufenthaltsverbot nur in den Fällen des § 18 Abs. 2 Z. 1 und 5 FrG auch unbefristet, sonst nur für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden kann. Nach Abs. 2 der genannten Bestimmung ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Nach der ständigen
hg. Rechtsprechung ist ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 21 Abs. 1 FrG - für jenen Zeitraum befristet zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu verhängen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Erlassung nicht vorhergesehen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 1994, Zl. 94/18/0189). Bei der Verhängung eines befristeten Aufenthaltsverbotes wird das künftige Wohlverhalten des Fremden in die Überlegungen einbezogen und damit vorausgesetzt (vgl. das soeben genannte hg. Erkenntnis vom 8. September 1994, m.w.N.).
Für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im vorliegenden Fall waren zwei gerichtliche Verurteilungen zu relativ geringen Geldstrafen, einmal wegen Diebstahls, ein weiteres Mal wegen Betruges maßgeblich. Die erstere Straftat liegt - und lag auch zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - schon einige Zeit zurück. Die Beschwerdeführerin hat private und familiäre Beziehungen im Bundesgebiet. Die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechenden Gründe rechtfertigen daher im vorliegenden Fall nicht die Festsetzung eines Aufenthaltsverbotes mit unbefristeter Gültigkeitsdauer. Auch im vorliegenden Fall muß nämlich zugunsten der Beschwerdeführerin in Betracht gezogen werden, daß die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes unter der Voraussetzung künftigen Wohlverhaltens nach einigen Jahren wegfallen werden, mit welcher Frage sich die belangte Behörde im übrigen gar nicht befaßt hat.
7. Die belangte Behörde verkannte somit bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes die Rechtslage. Dies hat - da es sich hiebei um einen vom übrigen Inhalt des angefochtenen Bescheides nicht trennbaren Abspruch handelt - zur Folge, daß der angefochtene Bescheid zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war deswegen abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in dem in Art. I Z. 1 der genannten Verordnung genannten Pauschalbetrag bereits enthalten ist.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995210376.X00Im RIS seit
20.11.2000