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66/01 Allgemeines SozialversicherungsgesetzNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des ASVG betreffend den Ausschluss einer unschuldig geschiedenen Ehegattin von der Auszahlung einer Abfindung im Falle des Ablebens eines Versicherten wegen zu engen AnfechtungsumfangsSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Gestützt auf §528b ZPO, Art139 Abs1 B-VG und §§62 ff. VfGG sowie Art140 Abs3 B-VG iVm §64 Abs1 VfGG begehrt die Antragstellerin, die Wortfolge "vorliegt, die Witwe (der Witwer) oder der/die hinterbliebene eingetragene PartnerIn und zu gleichen Teilen die Kinder (§252);" in §269 Abs1 Z1 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
§269 Abs1 Z1 ASVG lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Abfindung
§269. (1) Anspruch auf Abfindung haben im Falle des Todes des (der) Versicherten
1. sofern Hinterbliebenenpensionen nur mangels Erfüllung der Wartezeit (§236) nicht gebühren, jedoch mindestens ein Beitragsmonat vorliegt, die Witwe (der Witwer) oder der/die hinterbliebene eingetragene PartnerIn und zu gleichen Teilen die Kinder (§252);
[…]"
III. Anlassverfahren und Antragsvorbringen
1. Die Antragstellerin war bis zum Jahr 1997 verheiratet; ihre Ehe wurde aus dem Alleinverschulden des R. W. geschieden. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (in der Folge: PVA) wurde ihrem Antrag auf Zuerkennung der Witwenpension nach dem im Jahr 2018 verstorbenen R. W. abgelehnt, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Die dagegen erhobene Klage der Antragstellerin, mit der sie die Aufhebung des genannten Bescheides der beklagten PVA und den Ausspruch begehrte, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu Handen des Klagsvertreters eine Abfindung iHv € 6.801,60 netto samt 4 % Zinsen seit 1. April 2018 (in eventu seit 1. Februar 2019) zu bezahlen, wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht abgewiesen. Begründend führt das Landesgericht aus, es handle sich um eine Leistungssache nach §65 Abs1 Z1 ASGG, weshalb der bekämpfte Bescheid bereits durch die rechtzeitige Klagseinbringung ex lege außer Kraft getreten sei; das diesbezügliche Klagebegehren sei gegenstandslos und (mangels rechtlichen Interesses) abzuweisen. Da beim verstorbenen R. W. zum Stichtag (1. Mai 2018) insgesamt 102 Versicherungsmonate vorgelegen seien, sei die Wartefrist von 180 Versicherungsmonaten für den Anspruch auf Witwenpension nicht erfüllt. Schließlich werde in der Rechtsprechung und in der Literatur der Anspruch der geschiedenen Ehegattin auf eine Abfindung iSd §269 Abs1 Z1 ASVG verneint.
2. Gegen dieses Urteil erhob die Antragstellerin Berufung und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Darin äußert sie das Bedenken, die angefochtene Wortfolge in §269 Abs1 Z1 ASVG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz:
Die Witwe (der Witwer) habe im Falle des Ablebens des Versicherten als Ausgleich für den Verlust des Unterhaltsanspruches einen Abfindungsanspruch, wenn die Voraussetzungen für eine Witwenpension infolge fehlender Versicherungsmonate nicht vorlägen. Die unschuldig geschiedene Ehegattin habe diesen Anspruch ex lege nicht. Die Schlechterstellung sei evident und bedürfe keiner weiteren Ausführungen.
Der Gleichheitsgrundsatz verpflichte den Staat grob gesprochen, "gleiches gleich, ungleiches ungleich" zu behandeln. Dies bedeute für den einfachen Gesetzgeber das Verbot einer sachlich nicht gerechtfertigten Bevorzugung oder Benachteiligung von bestimmten Personen(gruppen). Nach einhelliger Judikatur erfolge die Unterhaltsbemessung bei Vorliegen der Voraussetzungen des §66 EheG nach den Grundsätzen des §94 ABGB bei aufrechter Ehe, im Besonderen bestehe auch der Höhe nach kein Unterschied zwischen dem Anspruch nach §66 EheG und jenem während aufrechter Ehe. Sohin habe ein unschuldig geschiedener Ehegatte (weiterhin) den gleichen Unterhaltsanspruch wie bei aufrechter Ehe. Die Intention des §66 leg.cit. sei, dass ein an der Zerrüttung der Ehe unschuldiger Ehegatte seine Unterhaltsansprüche wie bei aufrechter Ehe behalte und durch die Scheidung hinsichtlich seiner Unterhaltsansprüche nicht schlechter gestellt werde.
Während §66 EheG Ehegatten und unschuldig geschiedene Ehegatten hinsichtlich der Unterhaltsansprüche gleich behandle, sehe §269 Abs1 Z1 ASVG einen Abfindungsanpruch nur für die Witwe des Versicherten vor, nicht jedoch für den unschuldig geschiedenen Ehegatten. Diese Differenzierung sei sachlich nicht gerechtfertigt, was sich insbesondere auch darin zeige, dass die genannte Bestimmung im Widerspruch zu §66 EheG stehe, nach dem der Unterhaltsanspruch des unschuldig geschiedenen Ehegatten gleich wie bei aufrechter Ehe sei.
§269 Abs1 Z1 ASVG sei insofern verfassungswidrig, als ein Abfindungsanspruch nur der Witwe (dem Witwer) des (der) Versicherten zustehe, nicht jedoch der (dem) unschuldig geschiedenen Ehegattin (Ehegatten). Die Antragstellerin sei sohin in Ihren Rechten auf Anspruch einer Abfindung nach §269 Abs1 Z1 ASVG verletzt.
IV. Erwägungen
1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass der Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. September 2021 gestellt. Mit diesem Urteil wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B-VG).
1.3. Als Klägerin ist die Antragstellerin Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit sie zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG berechtigt ist.
1.4. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat die Antragstellerin jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen das genannte Urteil am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl VfSlg 20.074/2016).
Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht und auf Grund eines Beschlusses des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen, mit dem das Berufungsverfahren bis zum Abschluss des vorliegenden Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof unterbrochen wurde, davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.
1.5.1. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).
1.5.2. Das Erstgericht hat jene Wortfolge, deren Verfassungswidrigkeit die Antragstellerin behauptet, angewendet. Die angefochtene Bestimmung ist somit als präjudiziell anzusehen.
1.6.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Umfang der in Prüfung gezogenen Norm nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014, 20.070/2016; VfGH 13.10.2016, G640/2015 ua; 12.12.2016, G105/2016 ua).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.02/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
1.6.2. Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass der Antrag zu eng gefasst ist:
Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Wortfolge "vorliegt, die Witwe (der Witwer) oder der/die hinterbliebene eingetragene PartnerIn und zu gleichen Teilen die Kinder (§252);" in §269 Abs1 Z1 ASVG. Für den Fall der Aufhebung im begehrten Umfang lautete der verbleibende §269 Abs1 Z1 leg.cit.: "Anspruch auf Abfindung haben im Falle des Todes des (der) Versicherten 1. sofern Hinterbliebenenpensionen nur mangels Erfüllung der Wartezeit (§236) nicht gebühren, jedoch mindestens ein Beitragsmonat". Die Bedeutung dieser Wortfolge wäre unklar. Da somit ein sprachlich unverständlicher Torso bestehen bliebe, der inhaltsleer und unanwendbar wäre, ist der Aufhebungsumfang zu eng gewählt.
Der Antrag ist daher unzulässig.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Sozialversicherung, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / ParteiantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G329.2021Zuletzt aktualisiert am
27.02.2023