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22/02 ZivilprozeßordnungNorm
B-VG Art 7 Abs1, Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung der ZPO betreffend den Ausschluss eines Rechtsmittels gegen die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren und im GleichheitsrechtSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge "§153 ZPO zur Gänze aufheben".
II. Rechtslage
§153 des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO), RGBl. 113/1895, lautet:
"§. 153. Gegen die Entscheidung, wodurch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt wird, ist ein Rechtsmittel nicht zulässig."
III. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Der Antragsteller im verfassungsgerichtlichen Verfahren ist Kläger in einem Zivilprozess vor dem Landesgericht Klagenfurt. Mit Beschluss vom 11. November 2022, 70 Cg 53/20v-182, bewilligte das Landesgericht Klagenfurt dem Beklagten dieses Prozesses die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Verbesserung seines Verfahrenshilfeantrages (Spruchpunkt 1). Unter einem bewilligte das Landesgericht Klagenfurt dem Beklagten die Verfahrenshilfe in näher bezeichnetem Umfang für die Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen ein Urteil des Oberlandesgerichtes Graz (Spruchpunkt 2). Darüber hinaus wies das Landesgericht Klagenfurt einen Antrag des Beklagten auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zurück (Spruchpunkt 3), wies einen Antrag des Klägers auf Unterbrechung des Verfahrens ab (Spruchpunkt 4), sprach aus, dass ein Kostenersatz nicht stattfinde (Spruchpunkt 5), und wies einen Antrag des Klägers auf Kostenersatz in näher bezeichneter Höhe ab (Spruchpunkt 6).
2. Der Antragsteller im verfassungsgerichtlichen Verfahren und Kläger des zivilgerichtlichen Verfahrens erhob gegen die Spruchpunkte 1, 2, 5 und 6 des genannten Beschlusses Rekurs und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels den vorliegenden Antrag auf Gesetzesprüfung an den Verfassungsgerichtshof.
Der Antragsteller ist auf das Wesentliche zusammengefasst der Ansicht, der Ausschluss eines Rechtsmittels gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §153 ZPO verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK, den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 B-VG sowie das Rechtsstaatsprinzip. Der Rechtsmittelausschluss gelte auch dann, wenn durch den Wiedereinsetzungsantrag kein berechtigtes Interesse des Wiedereinsetzungswerbers verfolgt werde. Der Wiedereinsetzungswerber könne zudem einen Beschluss, mit dem sein Antrag abgewiesen worden sei, stets anfechten. Art6 EMRK vermittle zwar kein Recht auf einen Instanzenzug; sei ein solcher eingerichtet, müsse dieser aber fair ausgestaltet sein. Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil nur der Wiedereinsetzungswerber einen (abweisenden) Beschluss anfechten könne, sein Prozessgegner umgekehrt aber nicht gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgehen könne.
IV. Zur Zulässigkeit
Der Antrag ist nicht zulässig.
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels, wobei es sich hiebei um ein zulässiges Rechtsmittel handeln muss.
2. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil §153 ZPO ein Rechtsmittel gegen die – hier ausschließlich verfahrensgegenständliche – Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich aus Anlass dieses Antrages auch nicht dazu veranlasst, ein amtswegiges Verfahren zur Prüfung des §153 ZPO einzuleiten.
2.1. Art6 Abs1 EMRK garantiert das Recht auf Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen sowie strafrechtliche Anklagen, wobei über die Sache in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt werden muss. Dieses Recht gilt allerdings nicht absolut; der Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung kann Beschränkungen unterworfen werden, solange mit diesen ein legitimes Ziel verfolgt, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen und nicht in den Wesensgehalt des Rechts eingegriffen wird (EGMR 17.7.2003, Fall Luordo, Appl 32.190/96 [Z85]; 15.11.2007, Fall Khamidov, Appl 72.118/01 [Z155]). Weiterhin ist der Garantie des Art6 Abs1 EMRK bereits dann hinreichend Rechnung getragen, wenn eine einzige gerichtliche Instanz über die Sache entscheidet. Im Übrigen fordert weder Art6 Abs1 EMRK noch eine andere Bestimmung der EMRK – mit Ausnahme des Art2 7. ZPEMRK für das strafgerichtliche Verfahren – die Einrichtung von mehrstufigen Verfahren (vgl VfSlg 20.160/2017 mwN). Entscheidet sich ein Staat allerdings dazu, ein Gerichtssystem mit mehreren Instanzen einzurichten, hat er sicherzustellen, dass die in Art6 Abs1 EMRK niedergelegten Garantien unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Verfahrens und der Stellung der übergeordneten Gerichte auch in den anderen Instanzen gewährleistet sind (EGMR 17.1.1970, Fall Delcourt, Appl 2689/65 [Z25 f.]; 2.3.1987, Fall Monnell und Morris, Appl 9562/81, 9818/82 [Z56]; 13.7.1995, Fall Miloslavsky, Appl 18.139/91 [Z59]; 23.10.1996, Fall Levages Prestations Services, Appl 21.920/93 [Z44 f.]; 31.7.2007, Fall Fc Mretebi, Appl 38.736/04 [Z39]; VfSlg 13.553/1993).
Da Art6 Abs1 EMRK die Einrichtung eines Instanzenzuges nicht fordert, sondern es vielmehr ausreicht, wenn nur eine gerichtliche Instanz über die Sache entscheidet, erweist sich der Rechtsmittelausschluss des §153 ZPO unter dem Aspekt des Art6 Abs1 EMRK nicht als verfassungswidrig.
2.2. §153 ZPO verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 B-VG: Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch den Gesetzgeber liegt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dann vor, wenn das Gesetz an gleiche Tatbestände ungleiche Rechtsfolgen knüpft oder ungleiche Tatbestände gleich behandelt. Differenzierungen durch das Gesetz müssen immer sachlich gerechtfertigt sein (VfSlg 11.190/1986, 11.641/1988, 13.477/1993). Der Verfassungsgerichtshof hat gelegentlich allgemeine Gesichtspunkte hervorgehoben, die eine sachliche Rechtfertigung begründen können; danach kann eine Regelung aus Gründen der Verwaltungsökonomie gerechtfertigt sein (zB VfSlg 13.299/1992, 13.726/1994, 13.977/1994, 15.819/2000, 19.831/2013). In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont und hervorgehoben, dass es diesem freisteht, sich in einzelnen Verfahrensbereichen für eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die den Erfordernissen und Besonderheiten unterschiedlicher Verfahrensarten adäquat Rechnung tragen. Zwischen verschiedenen Verfahren sind daher differenzierende Regelungen zulässig, sodass ein Vergleich untereinander nicht erfolgt (vgl zB VfSlg 11.795/1988, 13.420/1993, 13.455/1993, 13.527/1993, 19.762/2013).
Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, aus Gründen der Verfahrensökonomie kein Rechtsmittel gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzusehen. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom Gesetzgeber streng geregelt worden sind.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Wiedereinsetzung, Zivilprozess, Rechtsschutz, Rechtspolitik, VfGH / ParteiantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G312.2022Zuletzt aktualisiert am
27.02.2023