TE OGH 2023/2/21 10Ob2/23a

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2023
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. C*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH & Co KG, *, und 2. V*, Deutschland, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 22.201,76 EUR sA, in eventu 6.000 EUR, in eventu Feststellung, infolge Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. November 2022, GZ 4 R 100/20p-30, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Mai 2020, GZ 20 Cg 21/18z-25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Dem Rekurs wird hinsichtlich der erstbeklagten Partei Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird in diesem Umfang aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts gegen die erstbeklagte Partei als Teilurteil zu lauten hat:

1. Der zwischen der klagenden Partei und der erstbeklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag vom 31. März 2015 über den Ankauf des VW Tiguan Lounge TDI BMT, Fahrgestellnummer: *, um 26.890 EUR wird aufgehoben.

2. Die Klageforderung gegen die erstbeklagte Partei besteht mit 22.201,76 EUR zu Recht.

3. Die Gegenforderung der erstbeklagten Partei besteht mit 2.875,45 EUR zu Recht.

4. Die erstbeklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 19.326,31 EUR samt 4 % Zinsen pa aus 26.890 EUR von 1. April 2015 bis 10. Jänner 2018, aus 22.201,76 EUR von 11. Jänner 2018 bis 22. Oktober 2019 und aus 19.326,31 EUR seit 23. Oktober 2019 Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs VW Tiguan Lounge TDI BMT, Fahrgestellnummer * zu zahlen.

5. Das Mehrbegehren, die erstbeklagte Partei sei darüber hinaus schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 2.875,45 EUR sowie 4 % Zinsen pa aus 4.688,24 EUR von 11. Jänner 2018 bis 22. Oktober 2019 und aus 7.563,69 EUR seit 23. Oktober 2019 Zug um Zug gegen Rückstellung des genannten Kraftfahrzeugs zu zahlen, wird abgewiesen.

6. Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 9.625,69 EUR (darin 1.534,41 EUR Barauslagen und 1.348,55 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.

7. Die Entscheidung über die Ersatzpflicht der erstbeklagten Partei für einen weiteren Kostenbetrag von 1.166,47 EUR (darin enthalten 74,30 EUR Barauslagen und 182,03 EUR Umsatzsteuer) bleibt der Kostenentscheidung nach rechtskräftiger Entscheidung über das gegen die zweitbeklagte Partei erhobene Klagebegehren vorbehalten.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.365,75 EUR (darin 994,41 EUR Barauslagen und 395,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz sowie die mit 3.785,20 EUR (darin 1.327,62 EUR Barauslagen und 409,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz zu ersetzen.

Die Entscheidung über die Ersatzpflicht der erstbeklagten Partei für einen weiteren Kostenbetrag von 622,22 EUR (darin enthalten 114,30 EUR Barauslagen und 34,43 EUR USt des Verfahrens zweiter und 152,60 EUR Barauslagen und 24,79 EUR USt des Verfahrens dritter Instanz) bleibt der Kostenentscheidung nach rechtskräftiger Entscheidung über das gegen die zweitbeklagte Partei erhobene Klagebegehren vorbehalten.

II. Hinsichtlich der zweitbeklagten Partei wird das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 17. Februar 2021 beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C-100/21 des Europäischen Gerichtshofs behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Die Fortsetzung des Rekursverfahrens erfolgt nur auf Antrag.

Text

Begründung und Entscheidungsgründe:

[1]            Der Kläger kaufte mit Vertrag vom 31. März 2015 von der Erstbeklagten den von der Zweitbeklagten hergestellten VW Tiguan Lounge TDI BMT um einen Kaufpreis von 26.890 EUR. Das am 25. März 2015 erstmals zum Verkehr zugelassene Fahrzeug wies zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses einen Kilometerstand von 500 km auf.

[2]       Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20 Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EU). Es ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse EU 5 ausgestattet.

[3]            Der Dieselmotor war mit einer Software ausgestattet, die bewirkte, dass dieses Fahrzeug am Prüfstand (NEFZ) die Stickoxid-(NOx-)Werte der Euro 5 Abgasnorm einhielt, während es im normalen Fahrbetrieb auf Straßen einen deutlich höheren NOx-Ausstoß aufwies, weil im normalen Straßenverkehr (Modus 0 oder Standardmodus 0) weniger Abgase rückgeführt wurden als am Prüfstand (Modus 1 oder NEFZ-Modus 1). Die Abgasrückführung dient vor allem der Reduktion der NOx-Werte. Ein Teil des bei der motorischen Verbrennung entstandenen Gases wird dem Verbrennungsmotor rückgeführt und dort mit Frischluft vermengt, wodurch der Sauerstoffgehalt der Frischluft und dadurch die Verbrennungstemperatur absinkt, und es im Verbrennungsprozess zu niedrigeren NOx-Emissionen kommt. Wird die Abgasrückführung erhöht, so sinken die NOx-Emissionen, die Rußemissionen aber steigen an. Die Rußemissionen werden sodann im Dieselpartikelfilter gesammelt und in regelmäßigen Abständen abgebrannt.

[4]            Für den gegenständlichen Fahrzeugtyp wurde vom zuständigen deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (künftig: KBA) die EG-Typengenehmigung erteilt. Die „Umschaltlogik“ (Standardmodus 0 und NEFZ-Modus 1) war der Typengenehmigungsbehörde gegenüber nicht offengelegt.

[5]            Am 15. Oktober 2015 verhängte das KBA der Zweitbeklagten gegenüber eine „Nachträgliche Anordnung einer Nebenbestimmung zur EG-Typengenehmigung“ gemäß § 25 Abs 2 (deutsche) EG-FGV (Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge, EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung), mit der es (ua) anordnete, zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der genehmigten Aggregate des Typs EA189 EU 5 die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen.

[6]       Um den vom KBA geforderten Zustand herzustellen, hat die Zweitbeklagte ein Software-Update entwickelt. Dieses bewirkt, dass die „Umschaltlogik“ eliminiert wird, wodurch das Fahrzeug durchgehend im Modus 1 betrieben wird.

[7]       Das sogenannte „Thermofenster“ bleibt auch nach Durchführung dieses Software-Updates im jeweiligen Fahrzeug. Bei diesem handelt es sich um eine in allen gemäß Euro 5 akkreditierten Fahrzeugen verbaute Abschalteinrichtung, die dazu dient, dass die volle Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius erfolgt. Bei Temperaturen darüber oder darunter wird die Abgasrückführung sukzessive reduziert, weil bei zu geringen Temperaturen die Gefahr einer Versottung besteht und es bei zu hohen Temperaturen zu erhöhten thermischen Belastungen und einem Versagen oder einer Beschädigung der Bauteile kommen könnte. Das Thermofenster dient vor allem der Schonung von Anbauteilen des Motors.

[8]            Am 1. Juni 2016 gab das KBA das von der Zweitbeklagten entwickelte Software-Update betreffend den gegenständlichen VW Tiguan Lounge frei. Gleichzeitig wurde festgehalten, dass die Überprüfung der Fahrzeuge nach erfolgtem Software-Update erneut durchgeführt wurde und nunmehr keine unzulässige Abschaltvorrichtung vorliege. Der Kläger wurde hierüber von der Erstbeklagten mit Schreiben vom 26. August 2016 informiert und aufgefordert, sich wegen des Updates mit einem VW-Betrieb seiner Wahl in Verbindung zu setzen. Dieser Aufforderung kam der Kläger jedoch nicht nach. Er ließ das Software-Update bei seinem Fahrzeug nicht durchführen, weil dies für ihn keine Lösung darstellt.

[9]            Der Kläger hatte bislang keine Probleme mit dem Fahrzeug und konnte es ohne Einschränkungen nutzen. Es besteht jedoch theoretisch die Möglichkeit, sollte das von der Zweitbeklagten entwickelte Software-Update nicht durchgeführt werden, Fahrzeuge zu einer „besonderen Überprüfung“ gemäß § 56 Kraftfahrgesetz vorzuladen.

[10]           Der Kläger ging beim Abschluss des Kaufvertrags davon aus, dass das Fahrzeug den geltenden Normen entspricht. Er wollte kein Fahrzeug, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Weder der Kläger noch die Erstbeklagte waren zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses in Kenntnis der bei dem Fahrzeug verbauten Software; diese war auch nicht erkennbar. Wäre dem Kläger bei Abschluss des Kaufvertrags bekannt gewesen, dass sein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die von der akkreditierenden Behörde als unzulässig eingestuft und aufgrund derer der Entzug der Zulassung droht, hätte er diesen nicht abgeschlossen.

[11]           Das Fahrzeug des Klägers hatte zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Kilometerstand von 70.680 km, weist keine Kollisionsschäden auf, befindet sich in einem, dem Alter von etwas mehr als 4 ½ Jahren entsprechenden, durchschnittlichen Zustand und hat einen Eurotaxwert (blau) von 12.200 EUR. Der Listenneupreis betrug 32.425 EUR, sodass sich beim tatsächlichen Kaufpreis von 26.890 EUR ein dem Kläger gewährter Rabatt von 17 % errechnet, womit über den Rabatt der initiale Wertverlust des Fahrzeugs abgedeckt ist.

[12]           Der Kläger macht Ansprüche aus Schadenersatz, Gewährleistung und Vertragsanfechtung wegen Willensmangels gegenüber der Erstbeklagten und aus Schadenersatz gegenüber der Zweitbeklagten geltend. Er begehrt gegenüber der Erstbeklagten die Aufhebung des Kaufvertrags und gegenüber beiden Beklagten die Zahlung von 22.201,76 EUR (Kaufpreis von 26.890 EUR abzüglich 4.688,24 EUR Benützungsentgelt) samt Zinsen zur ungeteilten Hand, Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs. Hilfsweise begehrt er aus dem Titel der Preisminderung die Zahlung von 6.000 EUR, in eventu die Feststellung, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand für jeden Schaden haften, der ihm aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehe. Das Fahrzeug sei mangelhaft, weil die vorhandene „Umschaltlogik“ eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU gewesen sei.

[13]           Das Software-Update könne den Mangel nicht beheben. Das mit dem Software-Update installierte „Thermofenster“ sei keine erlaubte Abschalteinrichtung im Sinn des Ausnahmetatbestands des Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EU, weil ein System, nach dem die Abgasrückführung nur bei Umgebungstemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius wirke, in Österreich nur während vier bis fünf Monaten voll aktiv sei. Dadurch werde das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt, weil der Regelfall der voll aktiven Abgasrückführung seltener eintrete als die Anwendung der Ausnahme (einer nicht voll aktiven Abgasrückführung). Das laufe dem Regelungszweck des Art 5 VO 715/2007/EU zuwider. Dem Kläger drohten ein zukünftiger Wertverlust und Folgeschäden durch das Software-Update.

[14]     Der Kläger habe darüber geirrt, ein manipulationsfreies, den gesetzlichen Vorschriften entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Der Irrtum sei von den Beklagten veranlasst, hilfsweise wird vorgebracht, der Kläger habe gemeinsam mit den für die Erstbeklagte handelnden Personen geirrt.

[15]           Der Kläger habe darüber hinaus gegen die Beklagten Anspruch auf Schadenersatz durch Naturalrestitution, weil er ein Fahrzeug erworben habe, das nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Das Verschulden der Zweitbeklagten sei der Erstbeklagten zuzurechnen. Die Repräsentanten der Zweitbeklagten hätten von der Manipulationssoftware gewusst und sie bewusst eingesetzt. Die Zweitbeklagte hafte aufgrund arglistiger (in eventu fahrlässiger) Verleitung des Klägers zum Vertragsschluss sowie aus dem In-Verkehr-Bringen von Fahrzeugen, die den rechtlichen Vorgaben nicht entsprächen.

[16]           Der Kläger rechne sich ein Benützungsentgelt von 4.688,24 EUR an, das er von seiner Forderung von 26.890 EUR in Abzug bringe. Er bringt vor, der von ihm gezogene Gebrauchsnutzen des Fahrzeugs ergebe sich aus dem Bruttokaufpreis von 26.890 EUR multipliziert mit den gefahrenen Kilometern zum Zeitpunkt der Klageeinbringung (43.500 km) dividiert durch die erwartete (restliche) Gesamtlaufleistung, die – nach Abzug des bei Übergabe bestehenden Kilometerstands von 500 km – mit 249.500 km angesetzt werde.

[17]     Werde der Kaufvertrag nicht rückabgewickelt, begehre er Preisminderung von 6.000 EUR. Das hilfsweise dazu erhobene Feststellungsbegehren sei wegen möglicher Spät- und Dauerfolgen durch die Mehrbelastung der Einspritzinjektoren, des AGR-Ventils, des AGR-Kühlers und des Dieselpartikelfilters nach dem Software-Update berechtigt.

[18]           Die Beklagten vertraten zunächst die Ansicht, weder die „Umschaltlogik“ noch das „Thermofenster“ seien als Abschalteinrichtung im Sinn von Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU, daher auch nicht als nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren. Erst in der Berufungsbeantwortung gestanden sie zu, dass es sich beim „Thermofenster“ um eine Abschalteinrichtung handle. Diese sei aber nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU ausnahmsweise zulässig. Daher habe der Kläger keine Ansprüche gegen die Beklagten. Darüber hinaus habe eine Täuschung durch die Zweitbeklagte nicht stattgefunden; die vorgeworfenen Verhaltensweisen seien für den geltend gemachten Schaden nicht kausal.

[19]           Für den Fall des teilweisen Zurechtbestehens der Klageforderung werde ein Benützungsentgelt von 14.690 EUR aufrechnungsweise eingewendet.

[20]           Das Erstgericht wies sämtliche Begehren ab.

[21]           Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es folgende – vom Kläger in der Berufung bekämpfte – Feststellungen:

[22]           Infolge des Software-Updates werden die Grenzwerte und andere Anforderungen der Euro-Abgasnorm 5 eingehalten.

[23]     Ein höherer Verschleiß des Lüfters oder des Dieselpartikelfilters lässt sich aber nicht feststellen. Auch ein Anstieg von Ausfällen des Abgasrückführventils oder des Abgasrückkühlers lässt sich – im Vergleich zu Ausfällen vor dem Software-Update – nicht feststellen, da das Ventil aufgrund der erhöhten Anzahl an Betätigungen besser geschmiert wird und dadurch die Ausfallwahrscheinlichkeit sinkt. Zusammenfassend sind negative Auswirkungen des Software-Updates auf das Fahrzeug in technischer Hinsicht nicht objektivierbar.

[24]     Es kann allenfalls die Zulassung entzogen werden.

[25]           Das Berufungsgericht unterbrach das Berufungsverfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. März 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung. Nach Vorliegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juli 2022, C-145/20, setzte es dieses fort, gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück. Den Rekurs erklärte es für zulässig.

[26]           Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs lasse sich ableiten, dass die vollständige Abgasrückführung im Fahrzeug nur bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius ein nicht geringfügiger Mangel iSd § 932 Abs 4 ABGB sei. Kein Mangel läge vor, wenn durch das „Thermofenster“ schwerwiegende und unmittelbare Beschädigungen des Motors oder Verkehrsunfälle vermieden werden können, die durch Fehlfunktionen eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursacht würden. Bleibe die Abschalteinrichtung allerdings unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres über aktiviert, liege wiederum ein – nicht geringfügiger – Mangel vor. Basierend auf den unbekämpft getroffenen Feststellungen sei dies nicht abschließend beurteilbar. Die Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofs habe das Erstgericht mit den Parteien bislang nicht erörtern können. Aufgrund der aufhebenden Entscheidung sei ein näheres Eingehen auf die Tatsachenrüge nicht erforderlich. Dabei handle es sich um Rechtsfragen bzw seien die Feststellungen zu den technischen Auswirkungen des Software-Updates auf Basis des eingeholten Sachverständigengutachtens unbedenklich.

[27]           Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers, mit dem er beantragt, in der Sache selbst (erkennbar: im Sinn einer Stattgabe der Klage) zu erkennen, hilfsweise wird beantragt, den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Rechtssache an dieses zur inhaltlichen Entscheidung über die Berufung zurückzuverweisen.

[28]           Die Beklagten beantragen in der Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[29]           Der Rekurs ist zulässig. Hinsichtlich der Erstbeklagten ist er berechtigt (I.). Hinsichtlich der Zweitbeklagten ist das Verfahren im Hinblick auf ein anhängiges Vorabentscheidungsersuchen beim Europäischen Gerichtshof über präjudizielle Rechtsfragen zu unterbrechen (II.).

zu I.:

I.A. Zur EG-Typengenehmigung

[30]           I.A.1. Auf Unionsebene regelte zunächst die „Rahmenrichtlinie“ (RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46/EG) ein System gemeinschaftlicher Typgenehmigungen für alle Fahrzeugklassen (vgl nunmehr die VO 2018/858/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge).

[31]           Gemäß Art 3 Z 3 RL 2007/46/EG bezeichnet der Ausdruck „Typengenehmigung“ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht. Diese Vorschriften und Anforderungen ergeben sich aus der Richtlinie selbst und den in ihren Anhängen aufgeführten Rechtsakten. Derartige Rechtsakte können insbesondere andere Einzelrichtlinien oder Einzelverordnungen sein, wobei jeder dieser Rechtsakte einen spezifischen Aspekt betrifft (vgl EuG T-339/16, T-352/16, T-391/16, vom 13. 12. 2018, Ville de Paris, Ville de Bruxelles, Ayuntamiento de Madrid, Rz 2 [insofern von der über diese Entscheidung ergangenen Rechtsmittelentscheidung des EuGH C-177/19P bis C-179/19P vom 13. 1. 2022 nicht berührt]). Der unter dem Gesichtspunkt der Schadstoffemissionen angesprochene Rechtsakt ist hinsichtlich der leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge die VO 715/2007/EU (vgl Art 1 Abs 1 VO 715/2007/EU).

[32]           I.A.2. Gemäß Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EU rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.

[33]           I.A.3. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[34]     Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EU normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.

[35]           I.A.4. Nach Art 3 Z 9 Unterabs 3 der Durchführungsverordnung 692/2008 (VO [EG] 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung [EG] Nr 715/2007/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen [Euro 5 und Euro 6] und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge) sind die Hersteller von Dieselfahrzeugen verpflichtet, bei Beantragung einer Typengenehmigung der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführsystems (AGR) einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen zu machen.

[36]           I.A.5. Gemäß Art 4 Abs 1 VO 715/2007/EU weist der Hersteller nach, dass alle von ihm verkauften oder in der Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Gemäß Art 18 Abs 1 RL 2007/46 hat der Hersteller als Inhaber einer EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge jedem Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde, eine Übereinstimmungsbescheinigung beizulegen.

[37]           I.A.6. Die Behandlung einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten EG-Betriebserlaubnis in Österreich ist in § 28b KFG geregelt. Nach § 28b Abs 1 KFG hat der Inhaber einer EG-Betriebserlaubnis für die von ihm in den Handel gebrachten Fahrzeuge eine Übereinstimmungsbescheinigung im Sinn der jeweils anzuwendenden Betriebserlaubnisrichtlinie auszustellen. Darüber hinaus hat er für von ihm in Österreich in den Handel gebrachte Fahrzeuge, für die eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt, die Genehmigungsdaten in die Genehmigungsdatenbank einzugeben. Die erstmalige Zulassung eines Kraftfahrzeugs setzt gemäß § 37 Abs 2 lit a KFG die Erbringung des Genehmigungsnachweises für das Fahrzeug – das ist bei Fahrzeugen mit EG-Betriebserlaubnis die gültige Übereinstimmungsbescheinigung oder der Datenauszug aus der Genehmigungsdatenbank – voraus.

I.B. Zur Vorabentscheidung des EuGH

[38]           I.B.1. Mit Beschluss vom 17. 3. 2020 legte der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 44/19x dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1. Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Abl L 171/1 vom 29. 6. 2007) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG-Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?

2. Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus?

3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?

[39]           I.B.2. Mit Urteil vom 14. 7. 2022 hat der Europäische Gerichtshof die ihm gestellten Fragen wie folgt beantwortet:

1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG-Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung verboten ist.

2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.

3. Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als ?geringfügig? eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.

I.C. Zu den Gewährleistungsansprüchen gegen die Erstbeklagte

I.C.1. Grundsätze der Gewährleistung

[40]           I.C.1.1. Eine Leistung ist mangelhaft im Sinn des § 922 ABGB, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem Geschuldeten, das heißt dem Vertragsinhalt, zurückbleibt (RS0018547). Der geschuldete Vertragsgegenstand wird durch die gewöhnlich vorausgesetzten oder die ausdrücklich oder stillschweigend zugesicherten Eigenschaften bestimmt (RS0018547 [T5]). Er muss der Natur des Geschäfts oder der geschlossenen Verabredung entsprechend benützt und verwendet werden können (RS0114333 [T3]; 4 Ob 168/18m mwN), wozu bei einem Kfz das Vorliegen der entsprechenden behördlichen Genehmigungen erforderlich ist (3 Ob 5/07t).

[41]     Die Vertragsparteien können eine Sache, die objektiv gesehen mangelhaft ist, als vertragsgemäß ansehen. Wenn allerdings – wie im vorliegenden Fall – eine Vereinbarung über die geschuldeten Eigenschaften des Leistungsgegenstands fehlt, sind gemäß §§ 922 ff ABGB die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften der veräußerten Sache maßgebend (RS0107681).

[42]           I.C.1.2. Ein Sachmangel liegt vor, wenn es der Sache (im weiten Sinn des § 285 ABGB) an sachlicher Substanz (ebenfalls im weiten Sinn) mangelt (Zöchling-Jud in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 923 Rz 9 [Stand 1. 1. 2016, rdb.at]; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 [2018] §§ 922, 923 Rz 119; vgl 1 Ob 105/08k).

[43]           Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn dem Erwerber nicht die geschuldete rechtliche Position verschafft wird (P. Bydlinski in KBB6 [2020] § 933 ABGB Rz 3 mwN; 3 Ob 5/07t). Unter Rechtsmängel fallen auch öffentlich-rechtliche Fehler, so etwa das Fehlen baubehördlicher Bewilligungen (1 Ob 105/08k; 6 Ob 263/08g [erloschene Baugenehmigung]; 10 Ob 192/98b; 6 Ob 653/86; vgl 10 Ob 502, 503/94 [gegen Widerruf erteilte Genehmigung]) oder gewerberechtlicher Genehmigungen (7 Ob 184/03i).

[44]           I.C.1.3. Ein in der Substanz der Sache liegender Mangel kann aber auch gleichzeitig einen Sach- und einen Rechtsmangel begründen. Zu 3 Ob 5/07t wurde klargestellt, dass die Behauptung, ein PKW mit tiefer gestelltem Fahrwerk weise eine zu geringe Bodenfreiheit auf, weshalb die Gefahr bestehe, dass der erteilte Einzelgenehmigungsbescheid von der Behörde aufgehoben werde, sowohl die Behauptung eines Sach- als auch eines Rechtsmangels in sich trage.

[45]           I.C.1.4. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 1 ABGB zunächst ein Verbesserungsanspruch. Um diesen Verbesserungsanspruch zum Erlöschen zu bringen, muss der Übergeber als anspruchsvernichtende Tatsache behaupten und beweisen, dass er den Mangel durch Verbesserung beseitigt hat (2 Ob 34/11f; allgemein: RS0106638 [T2]). Tritt daher nach einem Verbesserungsversuch derselbe Mangel wieder auf, trifft den Übergeber die Beweislast für den Erfolg seines Verbesserungsversuchs (2 Ob 34/11f).

I.C.2. Das Vorhandensein der „Umschaltlogik“ im Übergabezeitpunkt begründet einen Sachmangel

[46]           I.C.2.1. Nach den Feststellungen waren sämtliche mit einem Dieselmotor des Typs EA198 der Abgasklasse EU 5 bestückten Fahrzeuge mit einer im Motorsteuerungsgerät enthaltenen „Umschaltlogik“ ausgestattet, die für die Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vorsah, einen Betriebsmodus für das Emissionsprüfungsverfahren mit einer relativ hohen Abgasrückführung und einen Betriebsmodus mit einer geringeren Rückführungsrate, der unter normalen Fahrbedingungen zum Einsatz gelangte. Das Vorhandensein dieser Software wurde der zuständigen Typengenehmigungsbehörde nicht offengelegt.

[47]           I.C.2.2. Wie bereits im Vorlagebeschluss vom 17. 3. 2020 ausgeführt, ist die im Zeitpunkt der Übergabe des Kaufgegenstands an den Kläger vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU zu qualifizieren.

[48]           Eine Abschalteinrichtung, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EU vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, läuft der Verpflichtung zuwider, bei normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicherzustellen (EuGH 17. 12. 2020, C-693/18, CLCV, Rn 98, ÖJZ 2021/38 [Kumin/Maderbacher]). Daher kann eine Abschalteinrichtung – wie die auch im vorliegenden Fall zu beurteilende Einrichtung –, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Emissionskontrollsystems verbessert, damit die in der VO 715/2007/EU festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden können und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU fallen (EuGH 17. 12. 2020, C-693/18, CLCV, Rn 115).

[49]           I.C.2.3. Nach dem Urteil C-145/20 des EuGH (Rs Porsche Inter Auto und Volkswagen, ÖJZ 2022/114 [Brenn]; s dazu Schröder, Thermofenster vor dem EuGH, Anmerkung zu den Urteilen vom 14. 7. 2022 [Rs C-128/20, C-134/20 und C-145/20], NZV 2022, 408; Janssen, The Dieselgate Saga: the Next Round, EuCML 2022, 169; Mehring, Kein acte éclairé zum Begriff der Abschalteinrichtung, NJW 2022, 2587; Bach, Thermofenster als zum Rücktritt berechtigender Sachmangel, LMK 2022, 813515) ist ein Kfz, das im Zeitpunkt der bedungenen Übergabe mit einer gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, nicht vertragskonform im Sinne der Verbrauchsgüterkauf-RL (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999), konkret deren Art 2 Abs 2 lit d, weil es nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftiger Weise erwarten kann (Beantwortung der Frage 1).

[50]           I.C.2.4. Diese Beurteilung nach der Verbrauchsgüterkauf-RL führt auch zur Qualifikation eines solchen Kfz als mangelhaft gemäß § 922 ABGB, weil es nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweist (vgl zu § 434 BGB den Hinweisbeschluss des BGH vom 8. 1. 2019, VIII ZR 225/17 Rn 17). Diese Beurteilung beruht außerhalb von Verbrauchergeschäften auf dem Umstand, dass das österreichische Gewährleistungsrecht (in der hier anwendbaren Fassung) in weiten Teilen auf der Verbrauchsgüterkauf-RL basiert und der Wille des Gesetzgebers des GewRÄG 2001 (BGBl I 2001/48) darauf gerichtet war, ein einheitliches – also nicht auf die Verbrauchereigenschaft eines Vertragspartners abstellendes – Gewährleistungsrecht zu schaffen (ErläutRV 422 BlgNR 21. GP 8). Daher sind die Vorgaben der Richtlinie bei der Auslegung der nationalen Vorschriften besonders zu berücksichtigen (P. Bydlinski in KBB6 Vor §§ 922 ff ABGB Rz 1; Ofner in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar5 [2021] § 922 ABGB Rz 2; vgl Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 Vor §§ 922 ff Rz 7; zu den – hier nicht vorliegenden – Voraussetzungen einer gespaltenen Auslegung s nur 9 Ob 64/13x EvBl 2014/89, 612 [Perner] = ZVB 2014/109, 363 [Kraus] = VbR 2014/114, 191 [Steurer] = ecolex 2015/2, 21 [Schoditsch]; vgl 7 Ob 94/14w ZRB 2015, 99 [Wenusch]; RS0129424).

[51]           I.C.2.5. Das Vorhandensein der „Umschaltlogik“ begründet daher einen Mangel iSd § 922 ABGB. Da es sich dabei um einen Mangel der Substanz des Fahrzeugs handelt, ist er als Sachmangel zu qualifizieren.

[52]           I.C.2.6. Darauf, ob darüber hinaus ein Rechtsmangel darin zu sehen ist, dass die Typengenehmigung nicht rechtsbeständig sei, woran nach dem Klagevorbringen auch die Billigung des Software-Updates durch das KBA nichts geändert habe (vgl zur latenten Möglichkeit der Betriebsuntersagung BGH 8. 12. 2021, VIII ZR 190/19 Rz 82), muss im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden, weil bereits die nicht erfolgreiche Behebung des Sachmangels die begehrte Wandlung rechtfertigt (dazu im Folgenden).

I.C.3. Zur Behebbarkeit des bei Übergabe vorhandenen Sachmangels

[53]           I.C.3.1. Liegt ein behebbarer Mangel vor, besteht gemäß § 932 Abs 2 ABGB zunächst (nur) ein Verbesserungsanspruch.

[54]           I.C.3.2. Da die Erstbeklagte dem Kläger aus dem Kaufvertrag ein nicht mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug schuldete (oben I.C.2.3.), setzt eine Verbesserung iSd § 932 ABGB voraus, dass das Fahrzeug nach Durchführung der Verbesserung nicht mehr mit einer solchen verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre. Es ist daher zu beurteilen, ob dieser Zustand durch die von der Beklagten angebotene Durchführung des Software-Updates erreicht worden wäre. Das ist nicht der Fall:

[55]           I.C.3.3. Die neu installierte Software beinhaltet ein „Thermofenster“, aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist.

[56]           I.C.3.4. Dass das „Thermofenster“ als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EU zu qualifizieren ist, ist nicht zweifelhaft (EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 81). Zu prüfen ist daher weiter, ob die hier zu beurteilende Abschalteinrichtung – das „Thermofenster“ in seiner konkreten Ausgestaltung – verboten ist.

[57]           I.C.3.5. Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EU normiert ein grundsätzliches, von Ausnahmen durchbrochenes Verbot von Abschalteinrichtungen. Nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Von diesem Verbot normiert Art 5 Abs 2 Satz 2 drei Ausnahmen. Die Beklagten nehmen für sich – wenn auch nur indirekt durch Verweis auf die Rechtsansicht des KBA – die Ausnahmebestimmung des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU in Anspruch.

[58]           I.C.3.6. Nach dieser Bestimmung muss die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

[59]           In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen (EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73; C-128/20, GSMB Invest, Rn 62; C-134/20, IR gegen Volkswagen, Rn 74; C-873/19, Deutsche Umwelthilfe, Rn 89, ÖJZ 2023/16 [Brenn]).

[60]           Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 1 lit a VO 715/2007/EU, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C-873/19, Deutsche Umwelthilfe, Rn 95).

[61]           I.C.3.7. Der Europäische Gerichtshof hat darüber hinaus klargestellt, dass – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU normierten Voraussetzungen – eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU fällt (Urteile C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73, 81; C-128/20, GSMB Invest, Rn 65, 70; C-134/20, IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C-873/19, Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f).

[62]           I.C.3.8. Unabhängig davon, ob die in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU normierten Voraussetzungen des Motorschutzes erfüllt sind, ist die Abschalteinrichtung somit jedenfalls unzulässig, wenn sie den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste. Es kommt für die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung daher darauf an, ob sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen im überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt ist und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist.

[63]           I.C.3.9. Wendet man die rechtlichen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs auf den hier zu beurteilenden Fall an, so zeigt sich, dass die Feststellungen zu dem beim vorliegenden Fahrzeugtyp vorhandenen „Thermofenster“ nicht ausreichen, um beurteilen zu können, ob die Voraussetzungen der Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EU im Hinblick auf die Notwendigkeit der Abschalteinrichtung für den Motorschutz in der engen Auslegung des Europäischen Gerichtshofs erfüllt sind. Das Erstgericht hat zwar Feststellungen dazu getroffen, welche Folgen die volle Abgasrückführung außerhalb des Temperaturbereichs zwischen 15 und 33 Grad Celsius haben könnte. Daraus ist aber – wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt – nicht ersichtlich, ob und inwiefern eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs entsteht, die durch keine andere technische Lösung abgewendet werden könnte.

[64]           Entgegen der – im Rahmen der Verfahrensrüge überprüfbaren (RS0040078 [T1]) – Beurteilung des Berufungsgerichts reicht die Tatsachengrundlage aber aus, um eine Sachentscheidung über die Ansprüche gegen die Erstbeklagte zu treffen, weil bereits aufgrund eines schlüssigen Tatsachengeständnisses der Beklagten feststeht, dass die Abgasrückführung beim vorliegenden Fahrzeugtyp nach dem Software-Update aufgrund der im deutschsprachigen Raum herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist:

[65]           I.C.3.10. Tatsachen, die der Prozessgegner iSd §§ 266, 267 ZPO ausdrücklich oder schlüssig zugestanden hat, bedürfen keines Beweises (RS0039941 [T6]). Sie sind der Entscheidung – auch im Rechtsmittelverfahren – ohne weiteres zugrunde zu legen (RS0040101

Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten