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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Aufhebung der Festlegung eines unterschiedlichen Anfallsalters der Altersversorgung bei männlichen und weiblichen Kammerangehörigen in der Satzung des Wohlfahrtsfonds einer Ärztekammer mangels gesetzlicher Deckung; Abweisung der Beschwerde im Anlaßfall; KostenzuspruchSpruch
Der Abs4 des §22 der Satzung über die Einrichtung und den Betrieb eines Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark, beschlossen in der Vollversammlung der Steiermärkischen Ärztekammer vom 15. Dezember 1969, kundgemacht in den Mitteilungen der Ärztekammer für Steiermark, Sondernummer Mai 1970, idF des Beschlusses der Vollversammlung vom 12. Dezember 1985, kundgemacht in den Mitteilungen der Ärztekammer für Steiermark 5/1986, wird gemäß Art139 Abs1 B-VG als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 1994 in Kraft.
Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B476/92 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde eines am 16. September 1920 geborenen Facharztes für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde anhängig, die sich gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Beschwerdeausschusses bei der Ärztekammer für Steiermark vom 5. März 1992 wendet; in ihr wird die Verletzung mehrerer näher genannter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung und gesetzwidriger Verordnungen behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Mit dem angefochtenen Bescheid war der Bescheid des Verwaltungsausschusses bei der Ärztekammer für Steiermark vom 7. Mai 1991 (ausgefertigt am 19. Juni 1991) bestätigt worden, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers vom 3. März 1991 auf Gewährung der Altersvorsorge mangels Erfüllung der Voraussetzungen nach §22 Abs2 und Abs3 der Satzung des Wohlfahrtsfonds abgewiesen worden war.
2. Aus Anlaß der Beratung über die Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des Abs4 des §22 der Satzung über die Einrichtung und den Betrieb eines Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark, beschlossen in der Vollversammlung der Steiermärkischen Ärztekammer vom 15. Dezember 1969, idF des Beschlusses der Vollversammlung vom 12. Dezember 1985, entstanden, weshalb er am 30. September 1992 beschlossen hat, gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmung einzuleiten.
3.1. §22 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark - die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben - lautet wie folgt:
"§22 Altersversorgung, vorzeitige Altersversorgung, Bonus
(1) Die Altersversorgung besteht aus der Grund- und Ergänzungsleistung sowie der allfälligen Zusatzleistung (§6) und Erweiterten Zusatzleistung (§7). Bei §-2-Kassenärzten kommt noch bei Vorliegen der Voraussetzungen die Ergänzungsleistung für §-2-Kassenärzte hinzu.
Diese Leistungen werden grundsätzlich
a)
männlichen Kammerangehörigen bei Vollendung
des 65. Lebensjahres,
b)
weiblichen Kammerangehörigen bei Vollendung des 60. Lebensjahres
gewährt.
Über gesonderten Antrag ist männlichen Kammerangehörigen bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres und weiblichen Kammerangehörigen bereits ab Vollendung des 55. Lebensjahres die Altersversorgung zu gewähren (vorzeitige Altersversorgung).
Dabei erfolgt eine Reduzierung des jeweiligen Altersversorgungsanspruches (siehe Anlage 2 zur BUO) nach Maßgabe der früheren Inanspruchnahme. Die Reduzierung wirkt für die ganze Dauer des Bezuges der Altersversorgung.
(2) Voraussetzung für die Gewährung ist die Einstellung der ärztlichen Tätigkeit in vollem Umfang, ausgenommen die Verträge für die Gesundenuntersuchungen mit der Sozialversicherungsanstalt der Bauern und die privatärztliche Tätigkeit.
(3) Mit Vollendung des 70. Lebensjahres bei männlichen und mit Vollendung des 65. Lebensjahres bei weiblichen Kammerangehörigen wird die Altersversorgung unter der Voraussetzung gewährt, daß die Verträge mit den §-2-Kassen gelöst werden.
(4) Mit Vollendung des 75. Lebensjahres bei männlichen und mit Vollendung des 70. Lebensjahres bei weiblichen Kammerangehörigen wird die Altersversorgung ohne Rücksicht auf Art und Umfang der weiterhin ausgeübten ärztlichen Tätigkeit gewährt.
(5) ..."
3.2. §22 der Satzung des Wohlfahrtsfonds stützt sich offenkundig auf §65 des Ärztegesetzes 1984, der wie folgt lautet:
"§65. (1) Die Altersversorgung wird mit Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt, wobei die Satzung vorsehen kann, daß die auf Grund von Kassen- oder sonstigen zivil- oder öffentlich-rechtlichen Verträgen ausgeübte ärztliche Tätigkeit eingestellt wird. Unter Bedachtnahme auf §57 Abs1 kann die Satzung ein niedrigeres oder höheres Anfallsalter sowie bei früherer oder späterer Inanspruchnahme eine entsprechende Minderung oder Erhöhung der Leistungen vorsehen.
(2) Abs1 gilt für die Gewährung der Zusatzleistungen sinngemäß."
4. Der Verfassungsgerichtshof umschrieb im Einleitungsbeschluß seine Bedenken gegen den Abs4 des §22 der Satzung des Wohlfahrtsfonds wie folgt:
"Diese Bestimmung regelt, daß männliche Kammerangehörige erst mit Vollendung des 75. Lebensjahres, weibliche Kammerangehörige mit Vollendung des 70. Lebensjahres einen Anspruch auf Altersversorgung ohne Rücksicht auf Art und Umfang einer weiterhin ausgeübten ärztlichen Tätigkeit haben.
Der Verfassungsgerichtshof hegt nun das Bedenken, daß §22 Abs4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds weder im §65 noch in einer sonstigen Bestimmung des Ärztegesetzes 1984 seine Deckung findet.
§65 Abs1 erster Satz des Ärztegesetzes 1984 unterscheidet bei der Altersversorgung ausdrücklich nicht zwischen weiblichen und männlichen Kammerangehörigen. Auch die im zweiten Satz dieser Gesetzesbestimmung enthaltene Verordnungsermächtigung scheint - bei verfassungskonformer Interpretation - die in Prüfung gezogene Regelung nicht zu tragen.
Die in Prüfung gezogene Bestimmung scheint daher mit Gesetzwidrigkeit ihres Inhaltes belastet zu sein."
5. Die Vollversammlung der Ärztekammer für Steiermark hat die Verordnungsakten vorgelegt und im übrigen auf die Abgabe einer Stellungnahme verzichtet.
Die Steiermärkische Landesregierung hat auf die Aufforderung zur Erstattung einer schriftlichen Äußerung im Verordnungsprüfungsverfahren nicht reagiert.
6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
6.1. Zur Zulässigkeit:
Die Anlaßbeschwerde ist zulässig. Die in der Beschwerde geäußerte Ansicht, der angefochtene Bescheid sei nichtig, weil er (nur) vom Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses, nicht aber (auch) vom Präsidenten und Finanzreferenten der Ärztekammer unterschrieben ist, ist offenkundig verfehlt; Bescheide des Beschwerdeausschusses zählen nicht zu den Angelegenheiten nach §52 Abs1 Ärztegesetz 1984. Der Verfassungsgerichtshof wird über die Beschwerde meritorisch zu entscheiden haben. Hiebei hat er aber nicht nur die Anordnung des §22 Abs3 der Satzung des Wohlfahrtsfonds anzuwenden, wonach die Gewährung der Altersversorgung zur Voraussetzung hat, daß die Verträge mit den §-2-Kassen gelöst wurden, worauf sich die belangte Behörde bei der Erlassung ihres Bescheides gestützt hat, sondern auch Abs4 leg.cit., da der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Antragstellung bereits das 70. Lebensjahr vollendet hatte; diese Bestimmung sieht vor, daß männlichen Kammerangehörigen mit Vollendung des 75. Lebensjahres und weiblichen Kammerangehörigen mit Vollendung des 70. Lebensjahres die Altersversorgung ohne Rücksicht auf Art und Umfang der weiterhin ausgeübten ärztlichen Tätigkeit gewährt wird. Der Beschwerdeführer hat wohl das 70. Lebensjahr, nicht aber das 75. überschritten. Die Bestimmung steht also der Zuerkennung der Altersversorgung entgegen, da nur weiblichen Kammerangehörigen bereits mit Vollendung des 70. Lebensjahres die Altersversorgung trotz weiterhin ausgeübter ärztlicher Tätigkeit zusteht. Die - in Prüfung gezogene - Verordnungsbestimmung, die zwischen männlichen und weiblichen Kammerangehörigen differenziert, ist daher präjudiziell.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
6.2. In der Sache selbst:
Der Verfassungsgerichtshof hält zunächst fest, daß er gegen §65 Ärztegesetz 1984, welcher offenkundig die gesetzliche Grundlage der in Prüfung gezogenen Regelung bildet - entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Anlaßverfahren - keine Bedenken wegen Unbestimmtheit iS des Art18 B-VG hegt.
Die im Einleitungsbeschluß aufgeworfenen Bedenken treffen zu.
§22 Abs4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark differenziert bei der Gewährung der Altersversorgung ohne Rücksicht auf die weiterhin ausgeübte ärztliche Tätigkeit zwischen männlichen und weiblichen Kammerangehörigen, und das dergestalt, daß männliche Kammerangehörige mit Vollendung des 75. Lebensjahres, weibliche Kammerangehörige jedoch schon mit Vollendung des 70. Lebensjahres einen Anspruch auf Altersversorgung haben. §65 Abs1 erster Satz Ärztegesetz 1984, auf den sich §22 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark offensichtlich stützt, spricht jedoch nur von der Gewährung der Altersversorgung, ohne zwischen männlichen und weiblichen Kammerangehörigen zu unterscheiden. Auch der zweite Satz des §65 Abs1 Ärztegesetz 1984, der die Ärztekammern dazu ermächtigt, in den Satzungen des Wohlfahrtsfonds unter Bedachtnahme auf §57 Abs1 Ärztegesetz 1984, und damit auf die finanzielle Sicherstellung der Leistungen aus dem Wohlfahrtsfonds in den Satzungen ein niedrigeres oder höheres Anfallsalter sowie bei früherer oder späterer Inanspruchnahme eine entsprechende Minderung oder Erhöhung der Leistungen vorzusehen, erlaubt es bei verfassungskonformer Auslegung den Ärztekammern nicht, bei der Gewährung der Altersversorgung zwischen weiblichen und männlichen Kammerangehörigen zu unterscheiden. Das aber heißt, daß der §22 Abs4 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark in §65 Ärztegesetz 1984 keine Deckung findet. Da das Ärztegesetz 1984 auch sonst keine Bestimmung enthält, die den Verordnungsgeber zu einer derart differenzierenden Regelung ermächtigt, ist die in Prüfung gezogene Bestimmung gesetzwidrig.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
7. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zu unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung ergibt sich ebenso wie die Fristsetzung für das Außerkrafttreten aus Art139 Abs5
B-VG.
8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
geschlechtsspezifische Differenzierungen, Pensionsversicherung, Pensionsalter, Ärzte Versorgung, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Kosten, Versorgungsrecht ÄrzteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:V108.1992Dokumentnummer
JFT_10069071_92V00108_00