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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1. des S G, 2. der B G, 3. der A G und 4. des M G, alle vertreten durch Dr. Frank Philipp, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Bahnhofstraße 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 17. Oktober 2022, LVwG-458-1/2022-R9, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde der revisionswerbenden Parteien, alle Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 24. November 2021, mit dem deren Anträge auf Erteilung (jeweils) eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“ vom 8. April 2021 gemäß § 45 Abs. 12 iVm. § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen worden waren, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG keine Folge gegeben und der vor dem Verwaltungsgericht bekämpfte Bescheid (unter Richtigstellung eines im behördlichen Spruch unterlaufenen Schreibfehlers) bestätigt. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
2 Auf das Wesentliche zusammengefasst, ergibt sich aus dem angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der in der Revision angesprochenen Gesichtspunkte Folgendes: Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin miteinander verheiratet und diese die Eltern der minderjährigen dritt- und viertrevisionswerbenden Parteien seien. Es traf weiters Feststellungen (u.a.) zu den Einkommensverhältnissen sowie zu den regelmäßigen Aufwendungen der in Österreich subsidiär schutzberechtigten revisionswerbenden Parteien und es legte seine Berechnungen zum erforderlichen monatlichen Haushaltsnettoeinkommen näher dar. Das von den revisionswerbenden Parteien erzielte Einkommen unterschreite die erforderlichen finanziellen Mittel um ca. € 215,--.
3 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht (u.a.) aus, der Umstand, dass das Gesamteinkommen der revisionswerbenden Parteien den „Familienrichtsatz“ unterschreite, habe nicht jedenfalls zur Folge, dass vom Fehlen der Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm. Abs. 5 NAG auszugehen sei. Vielmehr bedürfe es einer individuellen Prüfung. Bei einer vorausschauenden Prognose sei auch „Vergangenes“ miteinzubeziehen. Somit sei neben dem Umstand, dass mit dem derzeitigen Gesamteinkommen der „Familienrichtsatz“ nicht unerheblich unterschritten werde, auch der von der belangten Behörde ins Treffen geführte Aspekt zu berücksichtigen, dass die revisionswerbenden Parteien in der Vergangenheit Sozialhilfeleistungen bezogen hätten und der Erstrevisionswerber zwischen September 2017 und Juni 2021 acht Mal den Arbeitgeber gewechselt habe, woraus abgeleitet werden könne, dass in diesem Zeitraum kein regelmäßiges Einkommen bestanden habe. Dass der Erstrevisionswerber über den Nachweis einer Hochschulbildung verfüge, sei zwar zu dessen Gunsten zu werten. Allerdings sei er bisher nicht in diesem „Bereich“ tätig gewesen. Es bestünden auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Erstrevisionswerber aufgrund seiner Ausbildung in absehbarer Zeit ein höheres Einkommen erzielen werde. Eine gesamthafte Betrachtung, die insbesondere unter Berücksichtigung der nicht bloß geringfügigen Unterschreitung des „Familienrichtsatzes“, des erst seit Kurzem unbefristeten Arbeitsverhältnisses der Erstbeschwerdeführerin sowie des über einen längeren Zeitraum erfolgten Bezugs von Sozialhilfeleistungen zu erstellen sei, führe zum Ergebnis, dass fallbezogen die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm. Abs. 5 NAG nicht erfüllt seien.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass nicht ausschließlich auf das punktgenaue Erreichen der erforderlichen Richtsätze abzustellen sei, sondern auch darüber hinausgehende Umstände zu berücksichtigen seien. Zu Unrecht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass weitere Umstände von vornherein irrelevant seien und die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 45 NAG auch bei einer noch so geringfügigen Unterschreitung der Richtsätze keinesfalls möglich sei. Auf diese Weise würden Fremde, die sparsam lebten und mit einem „auch noch so knapp - sei es um einen Eurocent -“ unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegenden Einkommen problemlos auskämen, rechtsgrundlos gegenüber Fremden mit einem Einkommen knapp über dem Ausgleichszulagenrichtsatz benachteiligt. Diese durch das Verwaltungsgericht rechtsirrig und falsch beantwortete Frage sei zudem in einer Vielzahl von Verfahren von Bedeutung.
Bei Durchführung der gebotenen umfassenden Prüfung des gegenständlichen Falls hätte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangen müssen, dass die revisionswerbenden Parteien die „finanziellen Kriterien“ für die Erteilung des beantragten Titels erfüllten, weil sie über einen langen Zeitraum nachgewiesen hätten, in der Lage zu sein, ihren Lebensunterhalt durch Sparsamkeit, effiziente Lebensführung sowie durch gute Organisation ohne Fremdhilfe mit dem selbst erwirtschafteten Arbeitseinkommen zu bestreiten.
Zudem hätte eine Befragung der revisionswerbenden Parteien zu den seitens des Verwaltungsgerichts nach der mündlichen Verhandlung am 9. März 2022 beschafften Beweismitteln, die im angefochtenen Erkenntnis unter Missachtung des Parteiengehörs verwertet worden seien, ergeben, dass die revisionswerbenden Parteien - wie eine der Revision beiliegende Bestätigung belege - jederzeit willens und in der Lage seien, ihr Einkommen zu erhöhen, wenn dies zweckmäßig und notwendig sei.
5 Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG liegen nicht vor:
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zunächst ist festzuhalten, dass entgegen den Behauptungen der Revision der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses nicht die (unzutreffende) Auffassung zugrunde gelegt wurde, dass bei Prüfung der Frage, ob der Aufenthalt des Fremden zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, ausschließlich auf die jeweiligen Richtsätze des § 293 Allgemeines Solzialversicherungsgesetz abzustellen sei und bereits deren geringfügige Unterschreitung zur Nichterteilung des beantragten Titels zu führen hätte. In diesem Zusammenhang zeigt die Revision somit bereits aus diesem Grund keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf (zur erforderlichen individuellen Prüfung des jeweiligen Falls vgl. etwa VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024, Pkt. 4.6. der Entscheidungsgründe).
10 Allein mit dem Hinweis, dass es den revisionswerbenden Parteien über einen langen Zeitraum gelungen sei, ihren Lebensunterhalt durch Sparsamkeit, effiziente Lebensführung sowie durch gute Organisation ohne Fremdhilfe mit dem selbst erwirtschafteten Arbeitseinkommen zu bestreiten, legt die Revision auch nicht dar, dass die im Hinblick auf § 11 Abs. 2 Z 4 iVm. Abs. 5 NAG erfolgte einzelfallbezogene Prüfung des Verwaltungsgerichts als unvertretbar zu betrachten wäre bzw. eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen würde (vgl. dazu VwGH 28.7.2022, Ra 2018/22/0294 bis 0296, Pkt. 6.2. und Pkt. 6.3. der Entscheidungsgründe).
11 Ferner ist der Revision entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht seine Feststellungen zur Höhe des den revisionswerbenden Parteien zur Verfügung stehenden Einkommens auf Basis der von diesen vorgelegten Gehaltsnachweisen traf, sodass insofern eine Verletzung des Parteiengehörs nicht ersichtlich ist (vgl. VwGH 9.9.2020, Ra 2019/22/0216, Rn. 11). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die in der Revision ins Treffen geführte Verbesserung der Einkommensverhältnisse, die sich aus einer (laut der mit dem Revisionsschriftsatz vorgelegten Bestätigung vom 10. November 2022) ab 1. November 2022 erfolgenden Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit der Zweitrevisionswerberin auf 18 Stunden ergebe, eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung darstellt.
12 Da die Revision somit keine Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzeigt, war sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 12. Jänner 2023
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022220175.L00Im RIS seit
24.02.2023Zuletzt aktualisiert am
24.02.2023