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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Mag. Liebhart-Mutzl und Dr.in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Röder, über die Revision des Gemeindevorstands der Marktgemeinde W, vertreten durch die Ehrenhöfer & Häusler Rechtsanwälte GmbH in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 22. Oktober 2021, LVwG-AV-731/002-2021, betreffend Außerkrafttreten eines Mandatsbescheids (mitbeteiligte Parteien: 1. B M, 2. H N und 3. Mag. J N, alle vertreten durch die Oehner & Partner Rechtsanwaelte GmbH in 1220 Wien, Donau-City-Straße 7; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 9. Jänner 2020 untersagte die Baubehörde I. Instanz den mitbeteiligten Parteien gemäß § 29 Abs. 1 Z 1 NÖ Bauordnung 2014 die Fortsetzung der Ausführung eines näher bezeichneten Bauvorhabens (Spruchpunkt I.) und trug gemäß § 29 Abs. 2 leg. cit. den Abbruch der bereits hergestellten und näher bezeichneten Teile des Bauvorhabens binnen einer Frist von fünf Tagen auf (Spruchpunkt II.). Die Baubehörde I. Instanz wies diesen Bescheid als Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG aus und begründete die Vorgangsweise mit „Gefahr im Verzug“ unter anderem durch die Eignung des Bauvorhabens zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.
2 Dagegen erhoben die mitbeteiligten Parteien mit Schriftsatz vom 23. Jänner 2020 Vorstellung, deren Eingang mit Schreiben der Baubehörde 1. Instanz vom 29. Jänner 2020 bestätigt wurde. Unter einem teilte die Baubehörde I. Instanz ohne weitere Ausführungen mit, dass „gem. § 57 Abs. 3 AVG das Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.“
3 Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies die Baubehörde I. Instanz mit Bescheid vom 23. September 2020 die Vorstellung ab, wogegen die mitbeteiligten Parteien Berufung erhoben, die sie mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbanden.
4 Dieser Berufung wurde mit Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom 18. März 2021 insofern Folge gegeben, als der Bescheid der Baubehörde I. Instanz vom 23. September 2020 aufgehoben und die „Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung, zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde I. Instanz zurückverwiesen“ wurde (Spruchpunkt I.1.). Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde abgewiesen (Spruchpunkt I.2).
5 Mit der angefochtenen Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (LVwG) wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde Folge gegeben und der Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend abgeändert, dass dieser nun auf die ersatzlose Behebung des Bescheids der Baubehörde I. Instanz vom 23. September 2020 zu lauten habe. Unter einem sprach das LVwG aus, dass gegen diese Entscheidung eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, dass die am 9. Jänner 2020 erfolgte Anforderung eines Termins mit dem Bausachverständigen am 10. Februar 2020 ohne konkrete Bezugnahme auf ein Bauverfahren keine Einleitung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 57 Abs. 3 AVG darstelle. Die erste konkrete Befassung mit der vorliegenden Sache nach Einlangen der Vorstellung sei erst am 10. Februar 2020 erfolgt, als der allgemeine Termin mit dem Bausachverständigen nach den Angaben des Bürgermeisters gleich zur Erstellung einer Niederschrift für das Ermittlungsverfahren genutzt worden sei. Die Vorstellung sei am 23. Jänner 2020 bei der Gemeinde eingelangt, die zweiwöchige Frist des § 57 Abs. 3 AVG habe demnach am 6. Februar 2020 geendet. Eine bloße Verständigung von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens stelle für sich noch keinen in einem Ermittlungsverfahren vorgenommenen Verfahrensschritt dar, da sie weder der Ermittlung des Sachverhalts diene noch der Partei Gelegenheit gebe, ihre Rechte oder rechtlichen Interessen geltend zu machen. Die Terminanfrage an den Sachverständigen am 9. Jänner 2020 habe nach Angaben des Bürgermeisters allgemein dem Zweck der raschen Bearbeitung von nicht näher definierten Bauvorhaben gedient. Außer der Tatsache, dass die Terminvereinbarung nicht in Bezug auf den Verfahrensgegenstand erfolgt sei, liege der Zeitpunkt auch nicht nach Einlangen der Vorstellung gegen den Mandatsbescheid. Mangels Einleitung des Ermittlungsverfahrens bis spätestens 6. Februar 2020 sei der Mandatsbescheid vom 9. Jänner 2020 gemäß § 57 Abs. 3 AVG ex lege außer Kraft getreten und der Bescheid vom 23. September 2020 von der Baubehörde I. Instanz unzuständigerweise erlassen worden. Unzuständigkeiten seien vom LVwG von Amts wegen wahrzunehmen, selbst dann, wenn sie nicht von den mitbeteiligten Parteien geltend gemacht worden seien. Der Beschwerde sei daher Folge zu geben und der Bescheid der Baubehörde I. Instanz ersatzlos zu beheben gewesen. Das Außer-Kraft-Treten des Mandatsbescheides hindere die Behörde nicht daran, nachträglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und sodann in der Sache neuerlich zu entscheiden.
7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit Verfahrensmängel durch Verletzung des Parteiengehörs und Verstoß gegen das Überraschungsverbot sowie in Form von Ermittlungs- und Feststellungsmängeln vorbringt und eine zu Unrecht unterlassene Zeugeneinvernahme sowie eine zu Unrecht unterbliebene mündliche Verhandlung rügt. Weiters behauptet die Amtsrevision eine Abweichung von näher genannter Rechtsprechung zu § 57 Abs. 3 AVG.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Zuallererst ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Frage der Einleitung des Ermittlungsverfahrens und des Außer-Kraft-Tretens eines Mandatsbescheids nach § 57 Abs. 1 AVG ausgesprochen hat, dass gemäß Abs. 3 leg.cit. entscheidend ist, ob die Behörde eindeutig zu erkennen gibt, dass sie sich nach Erhebung der Vorstellung durch die Anordnung von Ermittlungen mit der den Gegenstand des Mandatsbescheides bildenden Angelegenheit befasst. Eine bestimmte Art von Ermittlungen oder eine bestimmte Form ist für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens nicht vorgeschrieben (vgl. VwGH 23.3.2004, 2004/11/0008, mwN).
12 Insbesondere ist der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch zu entnehmen, dass eine bloße Verständigung von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens für sich noch keinen in einem Ermittlungsverfahren unternommenen Verfahrensschritt darstellt. Sie dient weder der Ermittlung eines maßgeblichen Sachverhaltes noch gibt sie der Partei Gelegenheit, ihre Rechte oder rechtlichen Interessen geltend zu machen (vgl. VwGH 21.10.1994, 94/11/0202). Das LVwG stützte seine Erwägungen darauf, dass bis auf das Schreiben zur Bestätigung des Eingangs der Vorstellung samt der bloßen Information über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens keine Verfahrensschritte im Akt dokumentiert seien und die Terminanfrage an den Sachverständigen am Tage des Mandatsbescheids, dem 9. Jänner 2020, ohne Hinweis auf einen Konnex mit insbesondere der vorliegenden Angelegenheit ergangen sei, weshalb der Mandatsbescheid in Ermangelung der rechtzeitigen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 57 Abs. 3 AVG ex lege außer Kraft getreten sei. Vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung zu § 57 Abs. 3 AVG gelingt es der Amtsrevision mit ihrem bloß pauschal gehaltenen Vorbringen nicht, aufzuzeigen, dass das LVwG von dieser Rechtsprechung abgewichen wäre:
13 Soweit die Revision im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens Verfahrensmängel - hier Ermittlungs- und Feststellungsmängel - geltend macht, ist zu bemerken, dass Rechtsfragen des Verfahrensrechtes nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen oder die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre, wozu kommt, dass auch die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels dargelegt werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/05/0002, mwN). Dabei muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch schon in der abgesonderten Zulassungsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 24.5.2022, Ra 2022/14/0123, mwN). Eine solche konkrete und fallbezogene Relevanzdarstellung lässt die Revision mit ihrem pauschal gehaltenen Vorbringen jedoch vermissen. Insbesondere verabsäumt sie es, konkret aufzuzeigen, welche Feststellungen aufgrund welcher Ermittlungen zu treffen gewesen wären und aufgrund welcher Umstände diese zu einer anderen Entscheidung hätten führen können.
14 Schließlich handelt es sich auch beim Vorbringen der Verletzung des Parteiengehörs um einen behaupteten Verfahrensmangel, dessen Relevanz in der Begründung der Zulässigkeit dargetan werden muss (vgl. VwGH 1.6.2022, Ra 2022/02/0079, mwN). Dieser Anforderung entspricht der Amtsrevisionswerber, der es verabsäumt, darzustellen, welches konkrete Vorbringen bei Einräumung von Parteiengehör erstattet worden wäre, nicht.
15 Wenn die Amtsrevision weiters einen Verstoß gegen das Überraschungsverbot rügt, so ist dem Folgendes entgegenzuhalten:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das sogenannte Überraschungsverbot auch im Verwaltungsverfahren anzuwenden. Unter dem Überraschungsverbot ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren. Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass sich das zum Überraschungsverbot in Beziehung gesetzte Parteiengehör nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, nicht aber auf die von der Behörde vorzunehmende rechtliche Beurteilung erstreckt. Auch führt ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot nur dann zu einer Aufhebung der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erledigung, wenn diesem Verfahrensmangel Relevanz zukommt, was im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof darzulegen ist (vgl. VwGH 21.9.2022, Ra 2021/19/0212). Der Amtsrevisionswerber, der vermeint, durch das angefochtene Erkenntnis von der Frage der Einhaltung der Frist des § 57 Abs. 3 AVG „überrascht“ worden zu sein, vermag mit diesem Vorbringen eine derartige Relevanz jedoch nicht darzulegen. Der Amtsrevisionswerber bringt zwar vor, er hätte bei rechtzeitiger Kenntnis von dieser Prüfung die Einvernahme zweier näher genannter Personen beantragt, er unterlässt es aber anzugeben, welche konkreten fristgerechten Ermittlungsschritte diese bezeugen hätten können.
16 Zu der von der Amtsrevision ebenso gerügten Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist abschließend darauf hinzuweisen, dass eine Amtsrevision, in der das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung releviert wird, auch die Relevanz der unterbliebenen mündlichen Verhandlung aufzuzeigen hat, weil die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde in einer von ihr erhobenen Revision nicht die Verletzung subjektiver Rechte (etwa nach Art. 6 MRK oder des Art. 47 GRC), sondern einen objektiven Verstoß gegen Verfahrensbestimmungen geltend macht (vgl. VwGH 26.9.2022, Ro 2020/04/0036, mwN). Eine derartige Relevanzdarstellung lässt die Amtsrevision auch zu diesem Zulässigkeitsvorbringen vermissen.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 16. Jänner 2023
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021050223.L00Im RIS seit
24.02.2023Zuletzt aktualisiert am
24.02.2023