TE Vwgh Beschluss 2023/1/18 Ra 2019/22/0176

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Veröffentlicht am 18.01.2023
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Norm

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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des D O, zuletzt vertreten durch Dr. Alois Eichinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen das am 25. Juli 2019 mündlich verkündete und mit 29. Juli 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/064/4857/2019-15, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien (im Folgenden: Behörde) vom 6. Februar 2019, mit dem sein am 12. Oktober 2018 persönlich bei der Behörde gestellter Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für Studierende gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) aus den Gründen des § 11 Abs. 1 Z 5 iVm § 21 Abs. 6 und § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 sowie § 11 Abs. 3 NAG abgewiesen worden war, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab.

2.2. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dem Revisionswerber sei zunächst in Italien ein bis 31. Dezember 2018 gültiger Aufenthaltstitel zu Studienzwecken erteilt worden. Seit September 2018 betreibe er als ordentlicher Studierender ein Masterstudium an der Fachhochschule Campus Wien. Er sei zu dem Zweck erstmals am 15. September 2018 in Österreich eingereist und habe am 12. Oktober 2018 persönlich bei der Behörde den gegenständlichen Antrag gestellt. Er halte sich seitdem - abgesehen von einer zweitägigen Unterbrechung im Oktober 2018 - dauerhaft in Österreich auf.

Der Revisionswerber habe in Nigeria die Schule besucht und ein Studium absolviert. Bis zur Ausreise habe er im Familienverband mit seiner Mutter und seinen vier Schwestern gewohnt, die weiterhin in Nigeria lebten. In Österreich habe er keine familiären oder sonstigen nennenswerten sozialen Anknüpfungspunkte. Er weise geringe Deutschkenntnisse auf. Er habe bislang erfolgreich studiert und sehr gute Studienleistungen erbracht. Er beziehe zwei Stipendien und decke damit die Wohnungsmiete und die Studiengebühren ab. Er sei (verwaltungs)strafrechtlich unbescholten.

2.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen, der Revisionswerber sei als Inhaber eines bis 31. Dezember 2018 gültigen italienischen Aufenthaltstitels nach Art. 21 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) berechtigt gewesen, visumfrei für drei Monate (in einem Zeitraum von sechs Monaten) in Österreich einzureisen und den gegenständlichen Antrag zu stellen. Die Inlandsantragstellung am 12. Oktober 2018 sei daher - da er damals erst weniger als einen Monat im Bundesgebiet aufhältig gewesen sei - gemäß § 21 Abs. 2 Z 5 NAG rechtmäßig erfolgt. Seit der Antragstellung halte er sich - von einer zweitägigen Unterbrechung abgesehen - dauerhaft im Bundesgebiet auf und habe folglich den zulässigen sichtvermerkfreien Aufenthalt überschritten. Der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels stehe somit das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG entgegen.

Die Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG führe ebenso nicht zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels. Der Revisionswerber studiere zwar erfolgreich, beziehe zwei Stipendien, womit er die Studiengebühren und die Wohnungsmiete abdecke, und sei unbescholten. Zu seinem Nachteil falle jedoch ins Gewicht, dass er sich seit etwa acht Monaten ohne Berechtigung in Österreich aufhalte, keine nennenswerten sozialen Anknüpfungspunkte aufweise, im Herkunftsstaat - wo er bis 2017 gelebt und seine Ausbildung absolviert habe - familiär integriert sei und in den Haushalt der Mutter zurückkehren könne, sowie dass auch die monierte Verfahrensdauer nicht als übermäßig lang zu erachten sei. Bei Würdigung aller Umstände überwiege daher das öffentliche Interesse an der Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen das private Interesse an einem weiteren Verbleib in Österreich.

2.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende - außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung Folgendes ausgeführt wird:

„Es fehlt Judikatur zur Geltung von § 11 Abs 5 [offenbar gemeint: § 11 Abs. 1 Z 5] NAG nach bereits erfolgter Zulassung zum Studium, einer Konstellation, die nicht vergleichbar mit einer unzulässigen Inlandsantragstellung ist, weil die allgemeinen und besonderen Zulassungsbedingungen bereits erfüllt wurden. Diese Bestimmung steht in Widerspruch zur erwähnten Richtlinie [gemeint: Richtlinie (EU) 2016/801 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen unter anderem zu Studienzwecken]. Es handelt sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.“

3.2. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird damit freilich nicht aufgezeigt.

4.1. Gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 NAG vorliegt. § 21 Abs. 6 NAG wiederum bestimmt, dass eine Inlandsantragstellung - unter anderem gemäß Abs. 2 Z 5 (also während eines erlaubten visumfreien Aufenthalts) - kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht schafft. Vielmehr ist nach Ablauf eines solchen erlaubten Aufenthalts gemäß § 21 Abs. 1 NAG die Entscheidung im Ausland abzuwarten.

4.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs setzt der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG (soweit hier von Bedeutung) einen zunächst sichtvermerkfreien Aufenthalt des Antragstellers und in der Folge die Überschreitung der Dauer des so erlaubten Aufenthalts voraus. Der Zweck der genannten Bestimmung liegt darin, zu verhindern, dass Fremde ihren Aufenthalt im Bundesgebiet durch das Stellen eines Antrags nach dem NAG über den sichtvermerkfreien Zeitraum hinaus ohne Vorliegen eines Aufenthaltstitels ausdehnen bzw. legalisieren (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2019/22/0126, Rn. 15 f). Das Verfahren ist daher nach rechtmäßiger Antragstellung im Inland und nach Ablauf des sichtvermerkfreien Zeitraums im Ausland abzuwarten. Ein Zuwiderhandeln steht der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels entgegen, auch wenn zwischenzeitlich eine Ausreise erfolgt ist (vgl. zum Ganzen VwGH 11.11.2021, Ra 2020/22/0089, Pkt. 5.3., mwN).

4.3. Vorliegend ist unstrittig, dass der Revisionswerber aufgrund seines italienischen Aufenthaltstitels zunächst berechtigt war, visumfrei in Österreich einzureisen und den gegenständlichen Erstantrag (am 12. Oktober 2018) zu stellen, wobei nach den Feststellungen zu jenem Zeitpunkt die zulässige Aufenthaltsdauer nach Art. 21 Abs. 1 SDÜ (von 90 Tagen in einem Zeitraum von 180 Tagen) noch nicht überschritten und die Inlandsantragstellung daher gemäß § 21 Abs. 2 Z 5 NAG rechtmäßig war. In der Folge hat der Revisionswerber jedoch durch den festgestellten (abgesehen von einer zweitägigen Unterbrechung im Oktober 2018) dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet den zulässigen sichtvermerkfreien Aufenthalt überschritten, sodass der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG entgegensteht. In Anbetracht dessen ist das Verwaltungsgericht ohne aufzugreifenden Rechtsirrtum von der Verwirklichung des Versagungsgrunds des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG ausgegangen.

5.1. Dem vermag der Revisionswerber in seinem (oben zitierten) - soweit inhaltlich nachvollziehbaren - Zulässigkeitsvorbringen nichts Stichhältiges entgegenzusetzen.

5.2. Auf die hervorgehobene (aufrechte) Zulassung zum Studium kommt es fallbezogen nicht entscheidend an. Diese stellt zwar eine besondere Erteilungsvoraussetzung für die beantragte Aufenthaltsbewilligung für Studierende dar (vgl. etwa VwGH 31.3.2021, Ra 2018/22/0230, Pkt. 4.2.). Zusätzlich bedarf es jedoch gemäß § 64 Abs. 1 Z 1 NAG auch der Erfüllung der (allgemeinen) Erteilungsvoraussetzungen des 1. Teils (mit Ausnahme des § 11 Abs. 2 Z 2), die - nach dem oben Gesagten - fallbezogen jedenfalls nicht gegeben ist.

Soweit der Revisionswerber - dessen ungeachtet - argumentiert, dass „die allgemeinen und besonderen Zulassungsbedingungen bereits erfüllt wurden“, genügt es, auf die schon erwähnte hg. Rechtsprechung hinzuweisen, wonach das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG selbst dann verwirklicht ist, wenn nach rechtmäßiger Antragstellung im Inland zunächst der Zeitraum des sichtvermerkfreien Aufenthalts überschritten wurde, in der Folge jedoch eine Ausreise stattfand und daher (insbesondere) im Entscheidungszeitpunkt ein Zuwiderhandeln nicht mehr vorlag (vgl. auch VwGH 28.5.2019, Ro 2016/22/0016, Pkt. 6.3.). Umso mehr ist jedoch das genannte Erteilungshindernis verwirklicht, wenn - wie im hier gegenständlichen Fall - das Überschreiten des sichtvermerkfreien Aufenthalts noch im Entscheidungszeitpunkt fortdauerte.

5.3. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers steht § 11 Abs. 1 Z 5 NAG auch nicht im Widerspruch zur Richtlinie (EU) 2016/801 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen unter anderem zu Studienzwecken (im Folgenden nur: Richtlinie). In dem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof zu Art. 20 Abs. 1 iVm Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie bereits Folgendes ausgesprochen (VwGH 24.3.2021, Ra 2020/22/0215, Rn. 8):

„Art. 7 Abs. 4 RL sieht vor, dass der Antrag entweder außerhalb des Hoheitsgebietes des Mitgliedstaates gestellt wird oder sich der Drittstaatsangehörige rechtmäßig im Mitgliedsstaat aufhält, entweder aufgrund eines Aufenthaltstitels, eines Visums für einen langfristigen Aufenthalt oder - wenn der Mitgliedstaat dies im Einklang mit seinem nationalen Recht vorsieht - eines anderen, eben nicht langfristigen Aufenthaltsrechts. Art. 7 Abs. 4 RL enthält weder eine Regelung darüber, unter welchen Umständen ein Aufenthalt rechtmäßig ist, noch dazu, was rechtens ist, wenn ein Aufenthaltsrecht ausläuft, bevor über den Antrag entschieden wurde. Da eine günstigere Regelung, die eine Inlandsantragstellung auch zulässt, wenn der Drittstaatsangehörige [...] über kein langfristiges Aufenthaltsrecht verfügt, im Einklang mit dem nationalen Recht stehen muss, ist es systemkonform, auch die Rechtsfolgen bei Wegfall des kurzfristigen Aufenthaltsrechts nach der nationalen Rechtslage zu beurteilen. Dies ist im vorliegenden Fall die Verpflichtung, bei Ablauf des (kurzfristigen) Aufenthaltsrechts das Bundesgebiet zu verlassen, um nicht einen Versagungstatbestand zu verwirklichen.“

Fallbezogen ist daher für den Revisionswerber auch aus dem Verweis auf die Richtlinie (insbesondere Art. 7 Abs. 4) nichts zu gewinnen, zumal er demnach den Antrag zwar zulässigerweise im Inland stellen durfte, sich nach dem Ablauf der visumfreien Zeit aber nach dem insoweit maßgeblichen nationalen Recht nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt, sondern das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklichte.

6. Bei dem soeben genannten Erteilungshindernis handelt es sich nicht um einen absoluten Versagungsgrund, sodass grundsätzlich auch in einem solchen Fall unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist (vgl. VwGH 10.12.2019, Ro 2018/22/0015, Rn. 14).

Vorliegend wendet sich der Revisionswerber jedoch in der Zulässigkeitsbegründung nicht (auch) gegen die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG.

7. Insgesamt wird daher in der maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 17.1.2019, Ra 2017/22/0115, Pkt. 4.3.) keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 18. Jänner 2023

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2023:RA2019220176.L00

Im RIS seit

24.02.2023

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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