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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §21;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des MP in H, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 30. September 1994, Zl. III 222-2/94, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 30. September 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, gemäß § 18 Abs. 1, Abs. 2 Z. 2 und §§ 19 bis 21 FrG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, daß der Beschwerdeführer seit 17. Oktober 1990 - im wesentlichen rechtmäßig - sich im Bundesgebiet aufhalte. Er habe hiezu bei seiner Einvernahme angegeben, daß er bereits seit neun Jahren mit Unterbrechungen in Österreich sei, in den letzten drei Jahren durchgehend. Er sei nach seinen Angaben verheiratet, die Gattin halte sich auch in Österreich auf; das gemeinsame Kind sei auf einem Pflegeplatz bei einer Frau untergebracht, deren Familiennamen er nicht kenne. Die Gültigkeit des dem Beschwerdeführer zuletzt erteilten Sichtvermerkes habe am 30. Juni 1993 geendet. Seither sei ihm kein Sichtvermerk bzw. keine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden.
Im März/April 1993 habe der Beschwerdeführer um den Betrag von DM 1.400,-- von einem Landsmann einen total gefälschten "jugoslawischen" Führerschein gekauft und in der Folge diesen im Rechtsverkehr verwendet. Am 16. Juni 1993 habe er als Lenker eines PKW bei der versuchten Ausreise nach Deutschland dem kontrollierenden Beamten der bayrischen Grenzpolizei diesen Führerschein vorgelegt. Der Führerschein sei als Falsifikat erkannt und dem Beschwerdeführer die Einreise nach Deutschland verweigert worden. Der Beschwerdeführer sei damals in Begleitung der Staatsbürgerin des ehemaligen Jugoslawien N gewesen, auf die der vom Beschwerdeführer gelenkte PKW zugelassen war. Den total gefälschten jugoslawischen Führerschein habe der Beschwerdeführer erworben, nachdem er mehrmals bei der Führerscheinprüfung durchgefallen war.
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 11. August 1993 sei der Beschwerdeführer dreimal (Tatzeiten 16. und 24. Juni sowie 2. Juli 1993) wegen Verwaltungsübertretung nach § 64 Abs. 1 KFG sowie wegen der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO (Tatzeit 2. Juli 1993) rechtskräftig bestraft worden.
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom 8. April 1992 sei der Beschwerdeführer wegen Übertretung des Paßgesetzes 1969 und des Fremdenpolizeigesetzes 1954 rechtskräftig bestraft worden, weil er am 15. Dezember 1991 sichtvermerksfrei zur Arbeitsaufnahme in das Bundesgebiet eingereist sei und sich seit der Einreise rechtswidrig im Bundesgebiet aufgehalten habe.
Die rechtskräftigen Bestrafungen wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG, des § 5 Abs. 1 StVO und wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG. Die im § 18 Abs. 1 umschriebene Annahme sei gerechtfertigt.
Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers. Dieser Eingriff sei aber zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele des Schutzes der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie zum Schutz der Rechte anderer dringend geboten.
Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes. Der Beschwerdeführer sei aufgrund des genannten Aufenthaltes im Bundesgebiet integriert. Der vom Beschwerdeführer behauptete zeitweise Aufenthalt zu Saisonarbeiten bereits seit neun Jahren falle nicht dermaßen ins Gewicht, daß dadurch ein für den Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis der Interessenabwägung möglich wäre. Intensive familiäre Bindungen des Beschwerdeführers bestünden zur jugoslawischen Staatsbürgerin N (im angefochtenen Bescheid sowie in der Beschwerde fallweise auch als "P" bezeichnet), laut Behauptung des Beschwerdeführers seine Ehefrau. Das behauptete gemeinsame Kind lebe nach den Angaben des Beschwerdeführers bei einem von ihm nicht anzugebenden Pflegeplatz in H, was nicht gerade auf eine besonders intensive Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Kind hindeute. Im Bundesgebiet sei weiters nach den Angaben des Beschwerdeführers seine gesamte Familie - insgesamt 16 Personen - und die gesamte Verwandtschaft - 30 Personen - aufhältig. Die Bindungen des Beschwerdeführers zu den genannten Personen würden durch das Aufenthaltsverbot zwar beeinträchtigt, allerdings hätten diese Beeinträchtigungen aufgrund der vom Beschwerdeführer für die Allgemeinheit ausgehenden großen Gefahr zurückzutreten.
§ 20 Abs. 2 FrG stehe der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhaltes nicht seit mindestens 10 Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich gehabt habe.
Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes entspreche den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen. Die belangte Behörde sei aufgrund der vom Beschwerdeführer an den Tag gelegten Beharrlichkeit in bezug auf Straftaten der Ansicht, daß bis zum Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes das Verstreichen von zehn Jahren vonnöten sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht das Vorliegen der im angefochtenen Bescheid genannten rechtskräftigen Bestrafungen, meint aber, daß die Übertretungen des § 5 StVO und des § 64 KFG nicht als schwerwiegende im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG einzustufen seien.
Dem ist zu entgegnen, daß nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes das Lenken eines KFZ in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (§ 5 Abs. 1 StVO) wie auch das Lenken eines KFZ ohne Lenkerberechtigung jeweils als schwerwiegende Verwaltungsübertretung im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 2 (erster Fall) FrG zu qualifizieren ist. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung ist die belangte Behörde zu Recht von der Erfüllung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG ausgegangen und hat auch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme als gerechtfertigt angesehen, handelt es sich doch bei den in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die von alkoholisierten Kraftfahrzeuglenkern ausgehende große Gefahr für die Allgemeinheit und den Umstand, daß das Lenken eines KFZ ohne Lenkerberechtigung zu den gröbsten Verstößen gegen das KFG zählt, um Gefährdungen öffentlicher Interessen (der öffentlichen Ordnung und Sicherheit) von großem Gewicht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0474). Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß er ohnehin nicht mehr mit dem Auto fahre, weil er weder im Besitze eines solchen, noch im Besitz eines Führerscheines sei, ist er daran zu erinnern, daß ihn eben diese Umstände nicht gehindert haben, am 2. Juli 1993 ein auf eine andere Person zugelassenes Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu lenken. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Umstände sind daher nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch die Ansicht des Beschwerdeführers, es sei die Voraussetzung des § 19 FrG nicht erfüllt, nicht zu teilen. Vielmehr läßt die von den inkriminierten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers ausgehende Gefahr die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über ihn zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (vgl. Art. 8 Abs. 2 MRK) dringend geboten erscheinen.
Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch unter dem Blickwinkel des § 20 Abs. 1 FrG zu bejahen. Die belangte Behörde hat hiebei sowohl auf den im wesentlichen rechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit Oktober 1990 als auch den Aufenthalt seiner Gattin und seines Kindes Bedacht genommen. Dem vom Beschwerdeführer behaupteten zeitweisen Aufenthalt zu Saisonarbeiten seit neun Jahren wurde von der belangten Behörde kein entscheidendes Gewicht beigemessen. Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang, die belangte Behörde hätte sich nicht mit der Wiedergabe seiner Aussage vom 29. Juli 1993 begnügen dürfen, sondern hätte weitere Feststellungen treffen müssen. Welche Feststellungen die belangte Behörde bei Vermeidung eines Verfahrensmangels hätte treffen können, verschweigt die Beschwerde. Aus dem Akteninhalt ist hiezu lediglich ersichtlich, daß der Beschwerdeführer am 17. Oktober 1990 aus Jugoslawien kommend in Österreich zur (polizeilichen) Anmeldung kam. Die Abmeldung erfolgte am 5. Februar 1991. Für diesen Zeitraum ergibt sich ein am 20. Dezember 1990 erteilter Sichtvermerk mit Gültigkeitsdauer bis 8. Juni 1991. Am 18. Februar 1992 kam es neuerlich zu einer Anmeldung des Beschwerdeführers und zwar ebenfalls aus Jugoslawien kommend. Hiezu ergibt sich aus dem Akteninhalt, daß er am 15. Dezember 1991 zur Arbeitsaufnahme ohne den erforderlichen Sichtvermerk einreiste. Ein solcher wurde ihm am 2. März 1992 mit einer Gültigkeitsdauer bis 1. Juli 1992 erteilt. Schließlich ergibt sich noch ein weiterer Sichtvermerk ausgestellt am 1. September 1992 mit Gültigkeitsdauer bis 30. Juli 1993. Meldedaten oder Anhaltspunkte für Sichtvermerke zur Arbeitsaufnahme vor dem 17. Oktober 1990 können dem Akt nicht entnommen werden. Wenn die belangte Behörde aufgrund dieser vom Beschwerdeführer beigebrachten Unterlagen keine weiteren Erhebungen vornahm, ist dies nicht rechtswidrig. Dies gilt auch für die Rüge, die belangte Behörde hätte feststellen müssen, ob der Beschwerdeführer mit N (P) verheiratet sei und das gemeinsame Kind in H bei einer namentlich nicht bekannten Frau untergebracht sei. Die vom Beschwerdeführer hiezu gemachten Angaben sind derart vage und unbestimmt, daß die Behörde gar nicht in die Lage versetzt wurde, weitere zielführende Erhebungen zu tätigen. Auf die erstmals in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, der Beschwerdeführer unterhalte eine intensive Beziehung zu seinem Kind, weil er es an seinen arbeitsfreien Tagen immer vom Pflegeplatz abholt, ist zufolge des Neuerungsverbotes des § 41 VwGG nicht einzugehen. Wenn somit die belangte Behörde die hier maßgebenden, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. November 1993, Zl. 93/18/0504) hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen für gewichtiger erachtete als die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers, kann ihr nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers schließlich, seine Rückkehr nach Bosnien sei aussichtslos und unmöglich, ist nicht zielführend, weil mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes ausschließlich das Verbot, sich weiter in Österreich aufzuhalten, verbunden ist, nicht jedoch auch ein Abspruch darüber, in welches Land der Fremde auszureisen habe, allenfalls abgeschoben werde (vgl. hiezu aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 18. Oktober 1995, Zl. 95/21/0133).
Der Beschwerdeführer hält die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 20 Abs. 2 FrG für unzulässig, weil er seit nunmehr bereits zehn Jahren, nur mit kurzen Unterbrechungen in Österreich den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe.
Dieses Vorbringen steht mit dem oben wiedergegebenen Akteninhalt in einem unlösbaren Widerspruch. Wenn die belangte Behörde aufgrund des Akteninhaltes zu Auffassung kam, daß die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz nicht erfüllt sei, stößt dies auf keine Bedenken.
Der Beschwerdeführer bekämpft aber mit Recht die Dauer des Aufenthaltsverbotes. Der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, warum unter Bedachtnahme auf die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände (§ 21 Abs. 2 FrG) der Wegfall des Grundes für diese Maßnahme unter der Voraussetzung künftigen Wohlverhaltens des Beschwerdeführers erst nach Ablauf der gesetzlichen Höchstdauer von zehn Jahren angenommen werden könne. Die von der belangten Behörde für ihren Standpunkt ins Treffen geführte Beharrlichkeit des Beschwerdeführers in bezug auf Straftaten ist angesichts der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebenden Tatzeiten im Juni und Juli 1993 nicht überzeugend.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Verhältnis zu anderen Normen und MaterienEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995210051.X00Im RIS seit
12.06.2001