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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art50 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 9. September 1994, Zl. SD 526/94, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 9. September 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen israelischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 2 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer halte sich seit dem Jahre 1986 im Bundesgebiet auf. Er sei seither insgesamt 106 mal wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung und des Kraftfahrgesetzes bestraft worden. Davon seien insgesamt 20 Verstöße gegen § 103 Abs. 2 KFG sowie eine Bestrafung wegen Verwendens eines nicht zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeuges auf einer öffentlichen Verkehrsfläche hervorzuheben. Die letztgenannte Gesetzesverletzung stelle - ebenso wie die Verletzung des § 103 Abs. 2 KFG - eine schwerwiegende Verwaltungsübertretung (im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG) dar. Darüberhinaus sei der Beschwerdeführer zweimal wegen unbefugter Gewerbeausübung bestraft worden. Auch dabei handle es sich um schwerwiegende Verwaltungsübertretungen. Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 erster Fall FrG sei somit erfüllt. Das den Bestrafungen zugrundeliegende Gesamtfehlverhalten rechtfertige auch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme.
Im Hinblick darauf, daß sich der Beschwerdeführer seit dem Jahre 1986 mit seiner Ehegattin in Österreich aufhalte und für drei Kinder sorgepflichtig sei, stelle das Aufenthaltsverbot einen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des § 19 FrG dar. Diese Maßnahme sei jedoch aufgrund der aus den mehr als
100 Verwaltungsübertretungen resultierenden gleichgültigen Einstellung des Beschwerdeführers "in bezug auf Befolgung gesetzlicher Normen" zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie im Interesse der Verkehrssicherheit - dringend geboten und daher im Grunde des § 19 FrG zulässig.
Im Rahmen der gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, daß "die Vielzahl sowie die rasche Abfolge" der vom Beschwerdeführer begangenen Verwaltungsübertretungen eine positive Zukunftsprognose nicht zuließen. Weiters sei zu beachten, daß auch gegen die Ehegattin des Beschwerdeführers ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie hätten daher kein solches Gewicht, daß sie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme überwögen.
Die zehnjährige Dauer des Aufenthaltsverbotes erscheine notwendig, um den Beschwerdeführer "dahin zu bringen, daß er die in Österreich geltenden Rechtsvorschriften zu beachten hat".
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 30. November 1994, B 2192/94-3).
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. In der Beschwerde bleibt die Tatsache der zahlreichen Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen der genannten Verwaltungsübertretungen unbestritten. Der Beschwerdeführer wendet sich jedoch gegen die Beurteilung der belangten Behörde, daß es sich bei einzelnen Übertretungen um "schwerwiegende Verwaltungsübertretungen" im Sinne des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG handle und aufgrund seines Gesamt(fehl)verhaltens die in § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes wegen der von ihm begangenen Übertretungen stelle eine lebensfremde "Überbewertung im Bereich des Kraftfahrwesens" dar. Dies ergebe sich auch aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0308. Darüberhinaus sei ein Teil der Verwaltungsstrafen gemäß § 55 VStG bereits getilgt. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes widerspreche daher der "Regelungsabsicht des Fremdengesetzes" und "den heutigen Lebenssachverhalten des Straßenverkehrs".
1.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Aufenthaltsverbot gestützt auf § 18 Abs. 1 FrG auch dann erlassen werden, wenn keiner der Tatbestände des § 18 Abs. 2 leg. cit. erfüllt ist, jedoch triftige Gründe vorliegen, die in ihrer Gesamtheit die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 94/18/0184). Vorliegend wurde der Beschwerdeführer wegen insgesamt 108 () Übertretungen, vorwiegend des KFG, der StVO und der Gewerbeordnung, bestraft. Er hat damit klar dokumentiert, daß er nicht gewillt ist, sich an österreichische Rechtsvorschriften zu halten und sich auch durch mehrfache Bestrafungen nicht davon abhalten läßt, weitere Übertretungen zu begehen. Dieses Gesamt(fehl)verhalten stellt jedenfalls eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung (hier: auf dem Gebiet des Kraftfahrwesens, der Straßenpolizei und des Gewerberechts) und der öffentlichen Sicherheit dar. Diese Beurteilung widerspricht keinesfalls "den heutigen Lebenssachverhalten des Straßenverkehrs" und es liegt darin auch keine "Überbewertung im Bereich des Kraftfahrwesens". Gerade die sichere und zügige Abwicklung des immer dichter werdenden Straßenverkehrs erfordert die gewissenhafte Einhaltung der zu diesem Zweck erlassenen Vorschriften durch jeden einzelnen Verkehrsteilnehmer. Aus dem hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0308, läßt sich für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts gewinnen. Darin hat der Gerichtshof ausgeführt, daß aufgrund der ERSTEN UND BISHER EINZIGEN derartigen Verfehlung eines Beschwerdeführers (schuldhafte Verursachung eines Verkehrsunfalles mit einem Toten und mehreren Verletzten in alkoholisiertem Zustand, wobei auch der Beschwerdeführer verletzt wurde) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG nicht zulässig sei. Bei der nach § 18 Abs. 1 FrG gebotenen Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens sind auch jene strafbaren Handlungen zu berücksichtigen, bei denen die deswegen erfolgten Bestrafungen bereits getilgt sind (vgl. das zur Frage der Berücksichtigung von getilgten gerichtlichen Verurteilungen zugrunde gelegenen strafbaren Handlungen ergangene, aber auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 21. Juli 1994, Zl. 94/18/0374).
Aus diesen Gründen ist der belangten Behörde jedenfalls insoweit zuzustimmen, als sie zum Ergebnis gelangte, daß aufgrund des Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Von daher gesehen kann es dahingestellt bleiben, ob - wie die belangte Behörde meinte - einzelne Bestrafungen des Beschwerdeführers tatsächlich wegen "schwerwiegender Verwaltungsübertretungen" erfolgt seien und daher der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG erfüllt sei.
1.3. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes widerspreche dem Grundsatz "ne bis in idem" und dem Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen, sind schon im Ansatz verfehlt, weil das Aufenthaltsverbot keine Strafe, sondern eine administrativ-rechtliche Maßnahme darstellt.
1.4. Zur Frage der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG und zu der nach § 20 Abs. 1 leg. cit. vorzunehmenden Interessenabwägung führt die Beschwerde aus, daß die volle Integration der Familie des Beschwerdeführers in Österreich übergangen worden sei. Hätte die belangte Behörde seine Lebenssituation ausreichend ermittelt und festgestellt, wäre sie bei der Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis gelangt. Es hätte dabei auch der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. Nr. 590, 591/1987 (richtig: 1978), berücksichtigt werden müssen. Die Anführung des gegen seine Gattin erlassenen Aufenthaltsverbotes sei eine "Scheinbegründung", weil jenes Verbot "bis heute weder rechtskräftig noch vollstreckbar" sei.
Die belangte Behörde ist ohnehin davon ausgegangen, daß das Aufenthaltsverbot einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Grunde des § 19 FrG darstellt. Im Hinblick auf das Verhalten des Beschwerdeführers, der sich trotz einer überaus großen Anzahl von Bestrafungen geradezu beharrlich weigert, die österreichische Rechtsordnung zu beachten, ist ihr aber zuzustimmen, wenn sie zu dem Ergebnis gelangte, daß die Verhängung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (hier: zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen) dringend geboten sei.
Bei der Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG hat die belangte Behörde berücksichtigt, daß sich der Beschwerdeführer seit dem Jahre 1986 mit seiner Ehegattin im Inland aufhalte und für drei Kinder sorgepflichtig sei. Die Ansicht des Beschwerdeführers, seine privaten Verhältnisse seien weder erhoben noch festgestellt worden, ist somit nicht richtig. Welche weiteren Umstände die belangte Behörde zu erheben und festzustellen gehabt hätte, tut die Beschwerde nicht dar. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, daß die aufgrund des Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit 1986 im Bundesgebiet und der intensiven Beziehungen zu seiner Familie gegebene Integration durch die große Zahl der von ihm begangenen Verwaltungsübertretungen eine gewisse Minderung erfährt. Bezüglich der Staatsverträge "Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" (BGBl. Nr. 590/1978) und "Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte" (BGBl. Nr. 591/1978) hat der Nationalrat gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG beschlossen, daß sie durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen sind. Diese Staatsverträge sind somit nicht unmittelbar anwendbar. Schon deshalb ist der Beschwerdehinweis auf diese Verträge nicht zielführend.
Das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung begegnet angesichts des überaus beharrlichen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers - unabhängig davon, ob dessen Integration durch das (am selben Tag wie der angefochtene Bescheid) gegen seine Gattin erlassene Aufenthaltsverbot eine (weitere) Minderung erfährt - keinen Bedenken.
2. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als zur Gänze unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994181020.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
12.07.2012