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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §58 Abs10Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des C I U, vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Steyrergasse 103/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2022, I412 2171394-2/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte nach unrechtmäßiger Einreise am 17. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde letztlich im Instanzenzug mit am 15. Juni 2021 mündlich verkündetem und am 31. August 2022 ausgefertigtem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abgewiesen; unter einem wurde eine Rückehrentscheidung gegen den Revisionswerber erlassen. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
2 Am 29. Dezember 2021 beantragte der Revisionswerber die Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen nach § 56 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
3 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 23. August 2022 wurde dieser Antrag - da der Revisionswerber näher bezeichnete Urkunden nicht vorgelegt habe, worin eine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht gelegen sei - gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen. Unter einem wurde eine Rückkehrentscheidung verbunden mit einem auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbot gegen den Revisionswerber erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen gerichtete Beschwerde, in der u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt worden war, ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass es den Ausspruch über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde aufhob und die Dauer des gegen den Revisionswerber verhängten Einreiseverbots auf 18 Monate herabsetzte. Eine Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision (gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert) vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Demgemäß erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 24.10.2022, Ra 2022/17/0162, mwN).
10 Soweit die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen einen Verstoß gegen die Verhandlungspflicht rügt, ist darauf hinzuweisen, dass zwar der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände, besondere Bedeutung zukommt. Allerdings kann gemäß dem in Bezug auf die verhängte Rückkehrentscheidung in Betracht zu ziehenden § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) - trotz des Vorliegens eines diesbezüglichen Antrages - (ausnahmsweise) von der Durchführung einer Verhandlung unter anderem dann abgesehen werden, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (vgl. erneut VwGH 24.10.2022, Ra 2022/17/0162, mwN).
Verweist die Revision darauf, das Bundesverwaltungsgericht hätte der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber bedurft, ohne fallbezogen auf die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer Verhandlung näher Bezug zu nehmen, so verabsäumt sie es, konkret darzulegen, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht von den in der Rechtsprechung zum für die Erlassung der Rückkehrentscheidung maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA-VG aufgestellten Leitlinien abgewichen wäre (vgl. erneut VwGH 24.10.2022, Ra 2022/17/0162, mwN).
Im Zusammenhang mit einer Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist die Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht einschlägig, sondern die Frage nach dem zulässigen Unterbleiben einer Verhandlung auf Basis des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu beurteilen. Demnach kann eine Verhandlung (u.a.) dann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2017/22/0196; 31.8.2022, Ra 2022/17/0116, mwN).
Dass der verfahrenseinleitende Antrag nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen, behauptet die Revision in der Darlegung ihrer Zulässigkeit aber nicht.
11 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. erneut VwGH 24.10.2022, Ra 2022/17/0162, mwN).
Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 30.9.2022, Ra 2022/20/0240, mwN).
Das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 28.9.2020, Ra 2020/20/0348, mwN).
Der Revisionswerber begründet den Vorwurf der Rechtswidrigkeit der durch das Bundesverwaltungsgericht angestellten Interessenabwägung mit der Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet. Vor dem Hintergrund, dass diese gemäß der vorzitierten Rechtsprechung nicht alleine maßgeblich ist und das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen eine Reihe weiterer Aspekte wie die Unsicherheit seines bisherigen Inlandsaufenthalts, seine (nur geringfügigen) Deutschkenntnisse, den Umstand, dass er (lediglich) als Verkäufer einer Straßenzeitung tätig ist, seine derzeitige Obdachlosigkeit und seine Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigte, legt der Revisionswerber nicht dar, dass diese Interessenabwägung mit einem im Revisionsverfahren aufzugreifenden Fehler belastet wäre.
12 Der Revisionswerber wendet sich schließlich auch gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 28.7.2022, Ra 2022/20/0041, mwN).
Der Revisionswerber zeigt mit seinem allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären.
13 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 3. Jänner 2023
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022170198.L00Im RIS seit
23.02.2023Zuletzt aktualisiert am
23.02.2023