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82 GesundheitsrechtNorm
EMRK Art10 Abs2Leitsatz
Verfassungswidrigkeit des umfassenden Werbeverbotes für Ärzte nach dem ÄrzteG; verfassungskonforme Auslegung im Sinne der Meinungsäußerungsfreiheit nicht möglichSpruch
Die Bestimmungen des §25 Abs1 und 2 des Ärztegesetzes 1984, BGBl. Nr. 373/1984, waren verfassungswidrig.
Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B600/92 ein Verfahren über eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, die sich gegen den Bescheid des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz vom 17. Februar 1992, Z DS 7/1991, mit dem der Beschwerdeführer für das Vergehen nach §95 Abs1 Z2 ÄrzteG 1984 wegen Verletzung des Werbeverbotes mit einer Geldstrafe von S 3.000,-- belegt wurde.
2. Bei der Beratung über die Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §25 Abs1 und Abs2 des ÄrzteG 1984, BGBl. Nr. 373/1984, entstanden.
Der Verfassungsgerichtshof hat daher mit Beschluß vom 30. November 1992, B600/92 - 6, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung eingeleitet.
3. Der Verfassungsgerichtshof ging davon aus, daß die in Prüfung gezogene Regelung von der belangten Behörde angewendet wurde und auch von ihm bei der Überprüfung des angefochtenen Bescheides aufgrund der vorliegenden Beschwerde anzuwenden sei, sodaß die Präjudizialität vorzuliegen scheine. Der Verfassungsgerichshof äußerte gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung folgende Bedenken:
"Wie der Verfassungsgerichtshof u.a. im Erkenntnis VfSlg. 10948/1986 dargetan hat, fällt auch die kommerzielle Werbung in den Schutzbereich des Art10 EMRK. Diese Ansicht wurde auch wiederholt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten (Fall Barthold, EuGRZ 1985, 173; Fall Markt Intern, Revue Universelle de Droits de l'Homme 1989, 240). Demnach kann der Gesetzgeber Werbebeschränkungen für Ärzte vorsehen, 'wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse ... des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer unentbehrlich sind und um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern ...'. Das Werbeverbot der Abs1 und 2 des §25 ÄrzteG dürfte zufolge seines umfassenden Inhaltes, da jede Art der Werbung untersagt ist, in keinem der Zwecke des Gesetzesvorbehaltes des Abs2 des Art10 EMRK Deckung finden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Regelung in verfassungswidriger Weise Ärzten selbst dann Werbung verbietet, wenn diese der Sachinformation der Patienten dienlich ist und ein Werbeverbot für den Schutz der in Art10 Abs2 EMRK geschützten Rechtsgüter nicht erforderlich sein dürfte. Die in Prüfung gezogene Regelung scheint auch einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich zu sein. Der Verfassungsgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf seine Erkenntnisse VfSlg. 12886/1991, VfSlg. 12942/1991 und vom 24. Juni 1992, V313/91, V18/92. Demnach dürfte die in Prüfung gezogene Regelung mit Art10 EMRK im Widerspruch stehen."
Der Verfassungsgerichtshof hegte somit das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Regelung mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Meinungsäußerung im Widerspruch stehe.
4. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.
5. §25 ÄrzteG 1984, BGBl. Nr. 373/1984 (Abs4 angefügt durch ArtI Z23 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 314/1987) - die in Prüfung gezogenen Absätze sind hervorgehoben -, hatte folgenden Wortlaut:
"(1) Dem Arzt ist im Zusammenhang mit der Ausübung seines ärztlichen Berufes jede Art der Werbung, insbesondere auch für diagnostische oder therapeutische Methoden sowie für die Anwendung von Arzneimitteln oder Heilbehelfen, verboten.
(2) Unter dieses Verbot fallen:
1. die Ankündigung unentgeltlicher oder brieflicher Behandlung (Fernbehandlung);
2. die Veröffentlichung von Heilberichten in Wort, Schrift oder Bild, ausgenommen solche in fachwissenschaftlichen Schriften.
(3) Dem Arzt ist verboten, für die Zuweisung von Kranken an ihn oder durch ihn eine Vergütung, gleich welcher Art, zu versprechen, sich oder einem anderen zusichern zu lassen, zu geben oder zu nehmen. Rechtsgeschäfte, die dieses Verbot verletzen, sind nichtig; Leistungen, die entgegen diesem Verbot erbracht worden sind, können zurückgefordert werden.
(4) Die Ausübung der Ärzten gemäß Abs1 bis 3 verbotenen Tätigkeiten ist auch sonstigen physischen und juristischen Personen untersagt."
Mit Bundesgesetz BGBl. Nr. 461/1992 wurde §25 ÄrzteG 1984 wie folgt geändert:
"§25. (1) Der Arzt hat sich jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Informationen im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten.
(2) Der Arzt darf keine Vergütungen für die Zuweisung von Kranken an ihn oder durch ihn sich oder einem anderen versprechen, geben, nehmen oder zusichern lassen. Rechtsgeschäfte, die gegen dieses Verbot verstoßen, sind nichtig. Leistungen aus solchen Rechtsgeschäften können zurückgefordert werden.
(3) Die Vornahme der gemäß Abs1 und 2 verbotenen Tätigkeiten ist auch sonstigen physischen und juristischen Personen untersagt.
(4) Die Österreichische Ärztekammer kann nähere Vorschriften über die Art und Form der in Abs1 genannten Informationen erlassen. Solche Vorschriften sind in der Österreichischen Ärztezeitung und in den Mitteilungsblättern der Ärztekammern in den Bundesländern kundzumachen. Sie treten ein Jahr nach ihrer Kundmachung in Kraft."
Die Neuregelung ist mit 1. August 1992 in Kraft getreten.
6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
6.1. Das Verfahren hat nichts ergeben, was gegen die Richtigkeit der vorläufigen Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß der in Prüfung gezogenen Regelung Präjudizialität im Sinne des Art140 Abs1 B-VG zukomme, spricht. Auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor.
6.2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes treffen auch zu:
6.2.1. Der Verfassungsgerichtshof verweist zunächst auf seine Vorjudikatur zum Werbeverbot, insbesondere auf seine Erkenntnisse zu den Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes VfSlg. 12467/1990, 12886/1991, zu den "Werbeverbotsrichtlinien" der Wirtschaftstreuhänder V313/91 und V18/92 vom 24. Juni 1992, sowie auf seine Judikatur zur Meinungsfreiheit, auf die in den eben genannten Erkenntnissen Bezug genommen wurde.
Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluß davon aus, daß das Werbeverbot der Abs1 und 2 des §25 ÄrzteG 1984 zufolge seines umfassenden Inhalts, der jede Art der Werbung untersagt, keine Deckung im Gesetzesvorbehalt des Abs2 des Art10 EMRK finden dürfte.
Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfaßt. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.
Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muß sohin, wie auch der EGMR ausgesprochen hat (Fall Sunday times v. 26.4.1979 EuGRZ 1979, S. 390; Fall Barthold v. 25.3.1985, EuGRZ 1985, S. 173),
a)
gesetzlich vorgesehen sein,
b)
einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK
genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und
c)
zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein.
§25 Abs1 und 2 normierten ein grundsätzliches Werbeverbot, das dem Arzt jede Art der Werbung untersagte. Die Bestimmungen unterbanden dadurch auch für den Patienten nützliche und sachliche Informationen. Der Verfassungsgerichtshof kann keine Umstände erkennen, die nach Art10 Abs2 EMRK ein Werbeverbot für Ärzte, wie es die in Prüfung gezogene Bestimmung vorsah, erlauben würden. Im Interesse des Schutzes der Gesundheit, der Moral, des guten Rufes wie der Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten ist ein derart weitreichendes Werbeverbot nicht erforderlich.
Eine verfassungskonforme Auslegung, wie sie beispielsweise im bereits zitierten Erkenntnis VfSlg. 12467/1990 vorgenommen wurde, ist beim erwähnten Wortlaut ausgeschlossen.
Die Bestimmung ist wegen ihres untrennbaren Zusammenhanges zur Gänze verfassungswidrig. Eine Untersuchung darüber, ob einzelne Elemente zulässig sind oder nicht, kann daher unterbleiben.
7. Da der in Prüfung gezogenen Bestimmung des §25 Abs1 und 2 ÄrzteG 1984, BGBl. Nr. 373/1984, mit der Novelle BGBl. Nr. 461/1992 derogiert wurde, war auszusprechen, daß die angefochtene Bestimmung gesetzwidrig war.
Die Verpflichtung zur Kundmachung dieses Ausspruches durch den Bundeskanzler stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ärzte, Disziplinarrecht Ärzte, Meinungsäußerungsfreiheit, Werbeverbot (Ärzte), Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:G5.1993Dokumentnummer
JFT_10069070_93G00005_00