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24/01 Strafgesetzbuch;Norm
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des I in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 26. August 1994, Zl. IV-276.906/FrB/94, betreffend Ungültigerklärung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. August 1994 erklärte die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) den dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 24. September 1990 erteilten unbefristeten Sichtvermerk gemäß § 11 Abs. 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz für ungültig. In der Begründung ging die belangte Behörde von einem Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 1978 aus. Bereits am 28. Juli 1980 sei er nach einer Verurteilung fremdenpolizeilich verwarnt worden. Zwischen 1979 und 1985 sei der Beschwerdeführer insgesamt dreimal gerichtlich verurteilt worden, davon zweimal wegen Körperverletzung. Am 23. Oktober 1985 sei eine zweite fremdenpolizeiliche Verwarnung mündlich ausgesprochen worden. Nunmehr sei der Beschwerdeführer am 21. Juni 1994 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen § 229 Abs. 1 StGB zu vier Monaten Freiheitsstrafe, bedingt auf drei Jahre, rechtskräftig verurteilt worden. Er sei somit nicht gewillt, sich der österreichischen Rechtsordnung entsprechend zu verhalten. Am 9. Mai 1994 sei er im Verwaltungswege wegen der Weigerung, sich zum Aufbewahrungsort des Dokumentes für den Nachweis der Aufenthaltsberechtigung zu begeben, bestraft worden. Beziehungen und Bindungen zu Österreich könnten dem Beschwerdeführer aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes nicht abgesprochen werden; allerdings sei er kurz nach der Erteilung des unbefristeten Sichtvermerkes ohne Beschäftigung gewesen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 11 Abs. 1 Fremdengesetz ist ein Sichtvermerk ungültig zu erklären, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, welche die Versagung des Sichtvermerkes (§ 10 Abs. 1 und 2 leg. cit.) rechtfertigen würden. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Der Beschwerdeführer zeigt zutreffend auf, daß für die Beurteilung, ob nachträglich eine Tatsache im Sinne des § 11 Abs. 1 Fremdengesetz eingetreten oder bekannt geworden ist, welche die Versagung des Sichtvermerkes rechtfertigen würde, auf die zum Zeitpunkt der Erteilung des Sichtvermerkes der Behörde bereits bekannten Tatsachen nicht Bedacht genommen werden darf. Indem die belangte behörde im angefochtenen Bescheid "diesen Sachverhalt", erkennbar somit die Verurteilungen des Beschwerdeführers im Zeitraum 1979 bis 1985 und die "nunmehrige" Verurteilung vom 21. Juni 1994 als Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG wertete, verkannte sie die oben dargestellte Rechtslage. Nach dieser durfte sie für die Frage, ob der von ihr ins Auge gefaßte gesetzliche Tatbestand als verwirklicht anzusehen ist, allein das konkrete, der Verurteilung vom 21. Juni 1994 zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers heranziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 95/18/0086). Sie unterließ es, dieses zu ermitteln und festzustellen.
Im grundsätzlichen sei angemerkt, daß - anders als für die Frage der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes - für die Gewichtung der maßgeblichen öffentlichen Interessen auf das gesamte Fehlverhalten des Beschwerdeführers, somit auch auf die früheren Straftaten, und darüber hinaus auch auf die fremdenpolizeilichen Verwarnungen Bedacht zu nehmen ist. Dieser Bedachtnahme stünde weder eine bedingte Strafnachsicht noch eine Tilgung der strafgerichtlichen Verurteilungen entgegen (vgl. das zu § 18 Abs. 1 FrG ergangene, aber auch hier anzuwendende hg. Erkenntnis vom 28. April 1995, Zl. 94/18/0368).
2. Wegen der dem angefochtenen Bescheid anhaftenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Gemäß §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 VwGG war dem Beschwerdeführer Aufwandersatz in der verzeichneten Höhe zuzusprechen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994180763.X00Im RIS seit
20.11.2000