Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie Hofrat Mag. Cede und Hofrätin Mag. I. Zehetner als Richter und Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Binder, über die Revisionen 1. des I P und 2. der I N R E Kft., beide vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 25. Juli 2022, VGW-002/068/7061/2021, VGW-0002/V/068/7064/2021, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. des GSpG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Beschluss wurden die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien gegen ein Straferkenntnis der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 23. Juli 2020 wegen Verspätung zurückgewiesen.
2 Das Verwaltungsgericht legte dieser Zurückweisung - soweit hier von Bedeutung - die folgenden Feststellungen zugrunde: Das Straferkenntnis der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde sei den revisionswerbenden Parteien zuhanden ihres rechtsfreundlichen Vertreters am 7. September 2020 zugestellt worden. Am 7. April 2021 sei bei der belangten Behörde eine Bescheidbeschwerde per E-Mail eingelangt. Das Einlangen einer von den revisionswerbenden Parteien „behaupteten früheren Beschwerde vom 17.9.2020“ könne nicht festgestellt werden. In beweiswürdigender Hinsicht führte das Verwaltungsgericht dazu aus, das Einlangen der Bescheidbeschwerde per E-Mail am 7. April 2021 gehe aus dem Akteninhalt hervor. Das Vorbringen des rechtsfreundlichen Vertreters der revisionswerbenden Parteien, er hätte die Beschwerde bereits am 17. September 2020 „durch Eingabe in einen Briefkasten“ abgefertigt, sei mangels Beweisen, aber auch aufgrund des Umstands, dass ein berufsmäßiger Parteienvertreter bei einer derart hohen Strafsumme (von € 80.000,-) „jegliche Vorsicht außer Acht“ lasse und die Beschwerde nachweislos versende, nicht glaubhaft. Dass bei der belangten Behörde zu diesem Zeitpunkt keine Beschwerde gegen das Straferkenntnis eingelangt sei, gehe aus dem Aktenvermerk vom 4. Februar 2021 hervor.
3 Dem angefochtenen Beschluss gingen - soweit hier von Relevanz - die folgenden Verfahrensschritte voraus: Mit Schreiben vom 17. Mai 2021 hielt das Verwaltungsgericht den revisionswerbenden Parteien (neben dem Umstand, dass eine behauptete Ortsabwesenheit der erstrevisionswerbenden Partei in einem bestimmten Zeitraum noch nicht belegt worden sei) unter anderem vor, dass laut einem Aktenvermerk vom 4. Februar 2021 bis zu diesem Zeitpunkt bei der belangten Behörde keine Beschwerde eingelangt sei und dass eine „Beschwerde datiert mit 17.9.2020“ mit E-Mail des rechtsfreundlichen Vertreters der revisionswerbenden Parteien vom 7. April 2021 übermittelt worden sei. Im Begleitschreiben sei vorgebracht worden, dass die Beschwerde „bereits am 17.9.2020 übermittelt“ worden sei. Die revisionswerbenden Parteien hätten Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Dieser Vorhalt wurde in einer Stellungnahme vom 19. Juli 2021 damit beantwortet, dass die Beschwerde von der „rechtsfreundlichen Vertretung am 17.09.2020 abgefertigt“ worden sei und der Erstrevisionswerber zur Frage seiner Ortsabwesenheit seine Einvernahme anbiete und „noch entsprechende Urkunden“ vorlegen werde. Das Verwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch, in der nach Eröffnung des Beweisverfahrens festgehalten wurde, dass „gegen die Verlesung des Akteninhalts“ kein Einwand bestehe und „mit Zustimmung der Parteien der gesamte Akteninhalt verlesen“ wurde. In der Verhandlung am 2. Februar 2022 wurde den revisionswerbenden Parteien der Auftrag erteilt, innerhalb von zwei Wochen unter anderem „Nachweise für die rechtzeitige Postaufgabe der Beschwerde“ vorzulegen. In einer fortgesetzten Verhandlung am 6. April 2020 wurde festgehalten, dass ein näher bezeichneter Mitarbeiter der Kanzlei der rechtsfreundlichen Vertretung der revisionswerbenden Parteien telefonisch mitgeteilt habe, „dass er einen Beleg für die Übermittlung der Beschwerde am 17.09.2020 erst suchen müsse und sich später noch melden werde“. Das Verwaltungsgericht erklärte am Ende der Verhandlung den „Schluss des Beweisverfahrens“. In einem E-Mail vom 14. April 2022 nahm der rechtsfreundliche Vertreter der revisionswerbenden Parteien folgendermaßen Stellung: Er könne sich an den konkreten Tag der (behaupteten) Postaufgabe der Bescheidbeschwerde nicht erinnern. Er fertige täglich mehrere Eingaben ab, sodass ihm „aus dem Zeitraum 17.09.2020 keine Erinnerungen“ mehr vorliegen würden. Er weise „allgemein“ darauf hin, dass in seinem Kanzleisystem ein „Abfertigungsstempel“ verwendet werde. Jeder Kanzleimitarbeiter habe seine Initialen zu vermerken, wenn das Dokument abgefertigt werde. Nachdem das Dokument weder per Fax noch per Einschreiben übermittelt worden sei, könne er nur vermuten, dass an diesem Tag eine Fax-Zustellung an die belangte Behörde nicht möglich gewesen sei oder seine Sekretärin bereits mit den eingeschriebenen Briefen zur Post gefahren sei und er „am späten Abend“ die Bescheidbeschwerde „durch Eingabe in einen Briefkasten abgefertigt“ habe.
4 Das Verwaltungsgericht erklärte eine Revision gegen den angefochtenen Beschluss im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Gegen diesen Beschluss richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wird in den Revisionen vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe gegen die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen. Nach dieser Rechtsprechung seien Beweise unmittelbar aufzunehmen und treffe das Gericht eine amtswegige Ermittlungspflicht. Einer Verlesung und Verwertung von außerhalb der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht abgelegten Aussagen eines Zeugen stehe § 46 Abs. 1 iVm § 48 VwGVG entgegen (Hinweis auf VwGH 6.7.2015, Ra 2014/02/0152). Die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw des Unmittelbarkeitsgrundsatzes stelle einen „Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze, bzw eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung“ dar (Hinweis auf VwGH 19.12.2016, Ra 2015/02/0028). Das Wesen eines Gerichtsverfahrens sei es, dass sich das Gericht einen unmittelbaren Eindruck von Zeugen verschaffe. Das Verwaltungsgericht habe den einschreitenden Vertreter „als nicht glaubhaft klassifiziert, ohne diesen jemals gesehen zu haben“ und gleichzeitig einen Aktenvermerk der Landespolizeidirektion Wien „als glaubwürdig abgetan, ohne den Verfasser dieses Aktenvermerkes jemals gehört zu haben“. Die revisionswerbenden Parteien seien auch in ihrem Fragerecht beschnitten worden. Wenn der Aufnahme eines unmittelbaren Beweises kein tatsächliches Hindernis entgegenstehe, dürfe sich das Verwaltungsgericht nicht mit einem mittelbaren Beweis zufriedengeben; Unmittelbarkeit im Hinblick auf die Aussage eines Zeugen bedeute die Einvernahme vor dem Verwaltungsgericht (Hinweis auf VwGH 31.1.2014, 2013/02/0227).
10 Zur Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel wird in der Zulässigkeitsbegründung Folgendes vorgebracht: Hätte das Verwaltungsgericht „das Polizeiorgan[,] welches den Aktenvermerk verfasst hat“, geladen, so hätten die revisionswerbenden Parteien dieses befragen können, „ob es nicht schon öfters vorgekommen ist, dass bei der LPD Eingaben nicht gefunden werden“. Weiters hätte sich das Gericht „durch die Einvernahme des einschreitenden Vertreters von dessen Glaubwürdigkeit überzeugen können, zumal dieser bereits hunderte derartige Beschwerden - ohne Zustellprobleme - übermittelt“ habe. Das Gericht hätte sodann festgestellt, „dass eine rechtzeitige Beschwerde vorliegt“.
11 Das wiedergegebene Zulässigkeitsvorbringen zeigt keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.
12 Soweit es sich auf eine behauptete Abweichung von der hg. Rechtsprechung (wie etwa dem Erkenntnis vom 6. Juli 2015, Ra 2014/02/0152) stützt, wonach einer Verlesung und Verwertung von außerhalb der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht abgelegten Aussagen eines Zeugen § 46 Abs. 1 iVm § 48 VwGVG entgegen stehe, lässt das Vorbringen nicht erkennen, inwiefern es sich bei dem ins Treffen geführten Aktenvermerk und der in der Beweiswürdigung herangezogenen Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters der revisionswerbenden Parteien um Beweismittel handeln soll, die nur unter den in § 46 Abs. 3 VwGVG genannten Gründen verlesen werden dürften.
13 Im Übrigen wird die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel nicht nachvollziehbar dargelegt: Bei der pauschalen Behauptung, dass bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensmängel „festgestellt“ worden wäre, „dass eine rechtzeitige Beschwerde vorliegt“, handelt es sich um eine rechtliche Qualifikation, die allenfalls aufgrund bestimmter Tatsachen vorzunehmen gewesen wäre, nicht aber um die Darlegung konkreter, erst die Voraussetzung einer solchen rechtlichen Würdigung bildenden Tatsachen.
14 Soweit eine Relevanzdarlegung in dem Hinweis zu erblicken sein sollte, dass die revisionswerbenden Parteien den Verfasser des Aktenvermerks hätten „befragen können, ob es nicht schon öfters vorgekommen ist, dass bei der LPD Eingaben nicht gefunden werden“, handelt es sich um ein vom Gegenstand dieses Aktenvermerks unterschiedliches Beweisthema: Dass die unmittelbare Aufnahme von Aussagen zu dem im Aktenvermerk dokumentierten Umstand (wonach eine Beschwerde zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht eingelangt sei) - abgesehen davon, dass dieser Aktenvermerk ohnehin ein Bestandteil des mit Zustimmung der Parteien in der Verhandlung verlesenen Akteninhalts war - zu Feststellungen im Sinne des in der Revision angedeuteten Beweisthemas geführt hätte, ist folglich nicht nachvollziehbar. Tatsächlich berührt das zitierte Vorbringen der Revision daher nicht die Frage des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, sondern die Frage, ob das Verwaltungsgericht von Amts wegen (entsprechende Beweisanträge lagen nicht vor) weitere Ermittlungen vorzunehmen gehabt hätte. Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes des Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt, oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt in einem solchen Zusammenhang nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. zB VwGH 20.10.2014, Ra 2014/12/0014; 22.6.2022, Ra 2021/08/0021, mwN). Derartiges bringen die Revisionen aber nicht vor.
15 Soweit die Ausführungen der Revisionen (erkennbar) auf die Verwertung der schriftlichen Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters der revisionswerbenden Parteien zum Thema der (behaupteten) Postaufgabe eines Beschwerdeschriftsatzes am 17. September 2020 Bezug nehmen und diesbezüglich geltend machen, das Verwaltungsgericht habe „den einschreitenden Vertreter als nicht glaubhaft klassifiziert, ohne diesen jemals gesehen zu haben“, ist Folgendes festzuhalten: Voraussetzung dafür, dass die Beschwerde mit dem Tag ihrer Postaufgabe als fristwahrend zu betrachten gewesen wäre, wäre, dass der zur Post gegebene Beschwerdeschriftsatz in der Folge auch tatsächlich bei der Behörde eingelangt ist. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Beförderung einer Sendung durch die Post auf Gefahr des Absenders erfolgt. Die Beweislast für das Einlangen des Schriftstückes bei der Behörde trifft den Absender. Dafür reicht der Beweis der Postaufgabe nicht aus (vgl. VwGH 26.1.2011, 2010/12/0060; 25.1.2012, 2009/13/0001; 26.7.2017, Ra 2016/13/0039, jeweils mwN). Inwiefern daher im Fall der Vermeidung der in den Revisionen gerügten Vorgangsweise des Verwaltungsgerichts, die schriftliche Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters zum Thema der (behaupteten) Postaufgabe als unglaubhaft zu würdigen (in den Worten der Revisionen: „den einschreitenden Vertreter als nicht glaubhaft“ zu klassifizieren, „ohne diesen jemals gesehen zu haben“), Feststellungen hervorgekommen wären, die in der Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, zeigt das Zulässigkeitsvorbringen der Revisionen vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung nicht auf.
16 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher - nach § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG unter Abstandnahme von der beantragten Verhandlung - gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 17. Jänner 2023
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023120003.L00Im RIS seit
22.02.2023Zuletzt aktualisiert am
22.02.2023