TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/23 95/06/0122

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Veröffentlicht am 23.11.1995
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Index

L37158 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Vorarlberg;
L81708 Baulärm Vorarlberg;
L82000 Bauordnung;
L82008 Bauordnung Vorarlberg;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauG Vlbg 1972 §2 litg;
BauG Vlbg 1972 §30 Abs1;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs10;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs7;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs8;
BauG Vlbg 1972 §7 Abs1;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der M in Feldkirch, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 18. April 1995, Zl. II-2228/92, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. E in Feldkirch, 2. Stadt Feldkirch, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die erstmitbeteiligte Partei (der Bauwerber) beantragte mit dem am 8. März 1994 bei der Behörde eingelangten Ansuchen die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Flugdaches und die Verlängerung des bestehenden Vordaches (nordöstlich) und das Versetzen eines bestehenden Geräteschuppens auf dem Grundstück Nr. m5/243, KG N.

Über dieses Ansuchen wurde eine mündliche Verhandlung anberaumt, zu der die Beschwerdeführerin als Anrainerin nachweislich unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 geladen wurde. In der Verhandlung vom 19. April 1994 sprach sich die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin gegen die Erteilung der Baubewilligung für das Flugdach aus, weil es damit zu einer Erweiterung der landwirtschaftlichen Teilnutzung innerhalb des Wohngebietes käme, was zu unmutbaren Beeinträchtigungen bereits in der Vergangenheit geführt habe. Weiters sei durch die Errichtung eines Stahlgerüstes direkt an der Grundstücksgrenze davon auszugehen, daß eine Verlängerung des Flugdaches auf dieses Gerüst beabsichtigt sei, um damit den gesamten Bereich zu überdachen. Die Offenhaltung aller Seiten, die vom Flugdach überdacht werden, werde gefordert.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 6. Mai 1994 wurde dem Bauwerber die beantragte Baubewilligung erteilt, die Einwendungen der Beschwerdeführerin wurden abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung hat die Berufungskommission der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit Bescheid vom 7. September 1994 abgewiesen. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung führte die Beschwerdeführerin aus, das Flugdach sei als Zubau, somit als Gebäudeteil zum bereits errichteten Pferdestall zu betrachten, es seien die zwingenden baurechtlichen Abstandsvorschriften zu berücksichtigen. Mit diesem Zubau werde lediglich ein Abstand von 2 m zur Grundstücksgrenze der Beschwerdeführerin eingehalten, § 6 Abs. 7 des Baugesetzes verlange für oberirdische Gebäude eine Entfernung von mindestens 3 m von der Nachbargrenze.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 18. April 1995 wurde der Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Berufungskommission vom 7. September 1994 keine Folge gegeben. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, das gegenständliche Flugdach stelle keine Erweiterung des bereits bewilligten Pferdestalles dar, sondern es sei schon aus bautechnischer Sicht ein eigenständiges Bauwerk, das sich durch eine gänzlich andere Konstruktion von der Massivbauweise des Gebäudes, in dem sich der Pferdestall befinde, abhebe. Es bestehe auch keine räumliche Verbindung zwischen dem Pferdestall und dem Platz unter dem Flugdach. Nach der Beschreibung im erstinstanzlichen Baubescheid - nur diese sei letztlich für den Umfang des Baukonsenses maßgeblich - diene das Flugdach der Unterbringung eines Traktors, der bisher an der gleichen Stelle abgestellt wurde. Ergänzende Erhebungen der Aufsichtsbehörde hätten ergeben, daß dieser Traktor sowohl der Pferdehaltung als auch anderen damit nicht im Zusammenhang stehenden Zwecken diene. Von diesem Unterstellplatz für einen Traktor ginge nach der allgemeinen Lebenserfahrung keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarn aus, dies sei von der Beschwerdeführerin auch nie behauptet worden. Nach der Definition des § 2 lit. g des Baugesetzes sei ein Gebäude ein überdachtes Bauwerk, das von Menschen betreten werden könne und mindestens einen Raum allseits überwiegend umschließe. Im vorliegenden Fall sei der Unterstellplatz unter dem Flugdach lediglich durch die Hauswand des bestehenden Objektes und eine Profilblechwand an der südwestlichen Schmalseite umschlossen. Profilblechwände in der Fortsetzung dieser Wand sowie entlang der Grundgrenze seien zum einen nicht von der bekämpften Baubewilligung umfaßt, zum anderen bildeten sie auch keine Außenwände eines Gebäudes. Das gegenständliche Bauwerk sei kein Gebäude, es müsse daher von der Nachbargrenze nur 2 m entfernt sein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Einhaltung der gesetzlichen Mindestabstände gemäß § 6 des Vorarlberger Baugesetzes verletzt; außerdem verletze der Bescheid das Recht der Beschwerdeführerin auf Festschreibung größerer Abstände als der gesetzlichen Mindestabstände bzw. ihr Recht auf Versagung der Baubewilligung, weil mit dem Verwendungszweck des Bauwerkes eine über das ortsübliche Ausmaß hinausgehende Belästigung der Beschwerdeführerin verbunden sei.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Mitspracherecht des Nachbarn ist im Baubewilligungsverfahren nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg.Nr. 10317/A, und die seither ständige Rechtsprechung).

Rechte des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren nach dem Vorarlberger Baugesetz, LGBl. Nr. 39/1972 in der Fassung LGBl. Nr. 34/1994, werden in § 30 Abs. 1 und 2 leg. cit. wie folgt umschrieben:

"(1) Über Einwendungen der Nachbarn, die sich auf Rechte stützen, die durch folgende Vorschriften begründet werden, ist in der Erledigung über den Bauantrag abzusprechen:

a) § 4, soweit mit Auswirkungen auf Nachbargrundstücke zu rechnen ist;

b) § 6, insoweit er den Schutz der Nachbarn aus Rücksichten des Brandschutzes und der Gesundheit, insbesondere Belichtung, Luft und Lärm, betrifft;

c) § 9 Abs. 1 hinsichtlich von Einfriedungen an der Grenze eines Nachbargrundstückes;

d) § 12 Abs. 1, insoweit er sich auf Einrichtungen auf Nachbargrundstücken bezieht, die eines besonderen Schutzes gegen Lärm und sonstige Belästigungen bedürfen;

e) § 17, soweit mit Auswirkungen auf Nachbargrundstücke zu rechnen ist;

f) § 37 Abs. 4, soweit er dem Schutz der Nachbarn dient.

(2) Einwendungen der Parteien, mit denen die Verletzung anderer als im Abs. 1 genannter öffentlicher-rechtlicher Vorschriften behauptet wird, sind als unzulässig zurückzuweisen, Einwendungen, die sich auf das Privatrecht stützen, sind auf den Rechtsweg zu verweisen."

Die Aufzählung der Nachbarrechte in § 30 Abs. 1 Baugesetz ist - wie sich aus Abs. 2 dieser Bestimmung zweifelsfrei ergibt - eine taxative (vgl. die Erkenntnisse vom 6. Juli 1981, Slg. Nr. 10514/A, vom 26. April 1984, Zl. 82/06/0110, BauSlg. 250, u.a.).

§ 6 Baugesetz lautet im hier interessierenden Zusammenhang auszugsweise:

"(7) Von der Nachbargrenze müssen oberirdische Gebäude mindestens 3 m entfernt werden.

(8) Bei oberirdischen Bauwerken, ausgenommen Gebäude und Einfriedungen oder sonstige Wände bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück, hat der Abstand von der Nachbargrenze mindestens 2 m und bei unterirdischen Bauwerken mindestens 1 m zu betragen, falls nicht der Nachbar einem geringeren Abstand zustimmt und die im Abs. 9 genannten Interessen nicht beeinträchtigt.

(9) Wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes von den in Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden.

(10) Die Behörde kann auch größere als in den Abs. 2 bis 8 vorgeschriebene Abstandsflächen und Abstände festsetzen, wenn der Verwendungszweck eines Bauwerkes eine das ortsübliche Maß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarn erwarten läßt."

Im Beschwerdefall kann nun dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin mit ihren Einwendungen betreffend die Verletzung von Abstandsbestimmungen im Sinne des § 6 Abs. 7 und Abs. 10 des Baugesetzes präkludiert ist und ob ihre Berufung einen begründeten Berufungsantrag enthielt, weil selbst bei Verneinung des Eintrittes der Präklusion und der Beurteilung, daß die Berufung der Beschwerdeführerin einen begründeten Berufungsantrag enthalte - eine Beurteilung, die sowohl die Berufungsbehörde als auch die Aufsichtbehörde in einem für die Beschwerdeführerin günstigen Sinn vorgenommen haben, die Beschwerdeführerin durch die meritorische Erledigung ihrer Berufung in keinem Recht verletzt worden ist.

Kern des Streites ist, ob das projektierte Bauwerk als "Gebäude" anzusehen ist, wie die Beschwerdeführerin meint, oder nicht.

Gemäß § 2 lit. g des Baugesetzes ist ein Gebäude ein überdachtes Bauwerk, das von Menschen betreten werden kann und mindestens einen Raum allseits oder überwiegend umschließt. Diese strittige Frage ist - jedenfalls zur Beurteilung, ob die Abstandsvorschriften des § 6 Abs. 7 oder Abs. 8 leg. cit. anzuwenden sind - im Sinne der Beurteilung der belangten Behörde zu lösen. Das eingereichte Projekt - und nur dieses ist Gegenstand des Baubewilligungsverfahrens, nicht allfällig beabsichtigte spätere Umbaumaßnahmen - sieht vor, daß das 9,10 m lange Flugdach an seiner Längsseite an das bestehende und bewilligte Gebäude anschließt und an einer Schmalseite von einer Wand abgeschlossen wird, andere Umfassungswände sind projektsgemäß nicht vorgesehen. Wenn das Flugdach von der Einfriedungswand zur Grundgrenze der Beschwerdeführerin 2 m entfernt ist, so ist entgegen der Rechtsansicht der Beschwerdeführerin auch diese Einfriedungswand nicht als weitere Begrenzung des Flugdaches anzusehen. Da das projektierte Flugdach an einer Längsseite und an einer Querseite offen ist, liegt keine allseitige oder überwiegende Umschlossenheit im Sinne des § 2 lit. g BauG vor, sodaß nicht die Abstandsbestimmung des § 6 Abs. 7, sondern jene des § 6 Abs. 8 des Baugesetzes heranzuziehen war. Den dort geforderten Abstand von 2 m hält das bewilligte Projekt ein. Selbst wenn man das 2,90 m breite Flugdach als vorragenden Gebäudeteil des 4,90 m von der Grundgrenze entfernten Gebäudes ansieht, ist es in zufolge des § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 BauG zulässig.

Soweit die Beschwerdeführerin die mangelnde Übereinstimmung des gegenständlichen Flugdaches bzw. der davon überdachten Abstellfläche mit der Flächenwidmung im Zusammenhalt mit der Bestimmung des § 6 Abs. 10 des Baugesetzes behauptet, ist dazu folgendes festzustellen: Den Nachbarn kommt nach dem System der subjektiv-öffentlichen Rechte des Vorarlberger Baugesetzes kein unmittelbarer Anspruch auf die Einhaltung der Flächenwidmung zu; sie genießen jedoch im Rahmen des § 6 Abs. 10 einen auf die jeweilige Widmung bezogenen Belästigungsschutz (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. März 1994, Zl. 93/06/0096). Der Erstmitbeteiligte hat angegeben, daß der Traktor ca. 20 mal pro Jahr benützt wird, es kann daher der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie, wie die Baubehörden, zur Auffassung gelangte, daß von diesem Unterstellplatz schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarn ausgehe (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1983, Zl. 83/06/0090), es kam daher die Bestimmung des § 6 Abs. 10 des Baugesetzes über die Vorschreibung größerer Abstände für das gegenständliche Flugdach mit Recht nicht zur Anwendung.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzusehen.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995060122.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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