Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §184;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde der mj. IK, vertreten durch den Vater HK in K, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 9. September 1994, Zl. 1044/35-III/10/94, betreffend Heimbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 2. November 1993 beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung von Heimbeihilfe nach dem Schülerbeihilfengesetz 1983 (SchBG) für das Schuljahr 1993/1994. Die Einkommensverhältnisse der Eltern betreffend wurden Lohnzettel für das Jahr 1992 und der den Vater der Beschwerdeführerin betreffende (berichtigte) Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1992 vorgelegt. Der Vater der Beschwerdeführerin gab bekannt, er habe am 31. August 1993 einen Schlaganafall erlitten und werde sich wenigstens bis August 1994 im Krankenstand befinden. Daraus ergebe sich eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse, insbesondere durch Entfall von Gefahrenzulage, Fahrtkostenzuschuß, Aufwandsentschädigung und Überstundenengelten.
Mit Mandatsbescheid vom 15. Dezember 1993 sprach der Landesschulrat für Oberösterreich aus, daß kein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Heimbeihilfe bestehe. Nach der Begründung des Bescheides nahm die Behörde ein Einkommen des Vaters von S 347.176,-- und ein Einkommen der Mutter von S 57.633,-- an.
Die Beschwerdeführerin erhob Vorstellung. Sie legte dar, es sei eine - näher aufgegliederte - Verringerung des Jahreseinkommens ihres Vaters von ca. S 150.000,-- zu berücksichtigen. Ferner seien Freibeträge geltend gemacht worden. Ein Freibetragsbescheid werde erst im September 1994 vorliegen.
Mit Bescheid vom 21. Juli 1994 gab die Behörde erster Instanz der Vorstellung statt und setzte die Heimbeihilfe für das Schuljahr 1993/94 mit S 1.000,-- fest. Begründend wurde u. a. dargelegt, das Einkommen des Vaters der Beschwerdeführerin (Gehalt ohne Zulagen und Überstundenentgelte, nach Abzug der Beiträge für Kranken- und Pensionsversichung, des Sonderausgaben- und Werbungskostenpauschales sowie der auf den Nachweisen eingetragenen Freibeträge) betrage S 260.392,--. Das Einkommen der Mutter betrage S 57.633,--. Auf Grund der näher dargestellten Berechnung ergebe sich eine zumutbare Unterhaltsleistung im Sinne des § 12 Abs. 6 SchBG von S 25.958,--.
In der Berufung wurde eine "erneute Berechnung der Bemessungsgrundlagen" begehrt. Es sei im Vorstellungsverfahren geltend gemacht worden, daß im Jahr 1993 außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen seien. Art und Ausmaß der außergewöhnlichen Belastungen seien der beigelegten Steuererklärung zu entnehmen. Der Jahresausgleichsbescheid 1994, mit dessen Ergehen im September 1994 zu rechnen sei, werde unverzüglich nach Vorliegen übermittelt werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und sprach aus, daß der Beschwerdeführerin mangels Bedürftigkeit keine Heimbeihilfe gebühre. Nach der Begründung des Bescheides nahm die belangte Behörde - ausgehend von Nachweisen über die Monatsbezüge für November 1993 und August 1994 nach Abzug der Familienbeihilfe, der Gewerkschaftsbeiträge, des Sonderausgaben- und Werbungskostenpauschales und nach Hinzurechnung eines Rückzahlungsbetrages für das "Schuljahr 1993/1994" - ein Jahreseinkommen des Vaters von S 260.632,53 an. Über die Pauschalbeträge hinaus wurden weder Sonderausgaben noch außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt; die Behörde verwies darauf, daß ein noch nicht vorliegender Jahresausgleichsbescheid für das Jahr 1993 keine Berücksichtigung finden könne. Die zumutbare Unterhaltsleistung im Sinne des § 12 Abs. 6 SchBG ermittelte die belangte Behörde mit S 26.043,11. Gemäß § 11 Abs. 2 und 4 SchBG gebühre der Beschwerdeführerin daher keine Heimbeihilfe. Eine Bedürftigkeit im Sinne des SchBG hätte sich auch bei anderen Varianten der Schätzung nicht ergeben, etwa dann, wenn das geschätzte Bruttoeinkommen um die im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1992 enthaltenen Beträge für Sonderausgaben, Werbungskosten und außergewöhnliche Belastungen vermindert worden wäre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 3 Abs. 1 SchBG sind für die Beurteilung der Bedürftigkeit Einkommen, Vermögen und Familienstand im Sinne dieses Bundesgesetzes maßgebend. Für die Nachweise im Sinne der Abs. 2 und 3 und den Familienstand ist der Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend.
Nach § 3 Abs. 2 Z. 2 SchBG ist das Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes bei Personen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beziehen, durch die Vorlage des Bescheides über den Jahresausgleich über das letztvergangene Kalenderjahr oder, sofern dieser nicht vorliegt, durch die Vorlage der Lohnbestätigung(en) über das letztvergangene Kalenderjahr nachzuweisen. Über Sonderausgaben, allfällige weitere steuerfreie Einkünfte, sowie Beträge gemäß § 5 Z. 2 sowie ausländische Einkünfte ist eine Erklärung abzugeben. Es können, insbesondere bei ausländischen Einkünften, auch andere Nachweise über das Einkommen oder Teile desselben gefordert werden.
Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß mit Rücksicht auf die Stichtagsregelung des Abs. 1 für die Ermittlung der Bedürftigkeit allein die im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegenden Nachweise im Sinne des § 3 Abs. 2 SchBG maßgebend sind (vgl. die Erkenntnisse vom 22. Oktober 1990, Zl. 90/10/0083, und vom 18. April 1994, Zl. 92/10/0434).
Nach § 3 Abs. 3 erster und zweiter Satz SchBG ist abweichend von den Abs. 1 und 2 für die Beurteilung der Bedürftigkeit das zu erwartende Jahreseinkommen heranzuziehen, wenn nach Ablauf des gemäß Abs. 2 maßgebenden Kalenderjahres durch eine schwere Erkrankung, die Pensionierung (Berentung) eines leiblichen Elternteiles (Wahlelternteiles) wegen Krankheit, Unfall oder Erreichung der Altersgrenze oder durch Arbeitslosigkeit voraussichtlich eine länger währende Verminderung des Einkommens eintreten wird. Das Jahreseinkommen ist aus dem nach der schweren Erkrankung (der Pensionierung usw.) zu erwartenden Einkommen zu schätzen.
Im Beschwerdefall liegt nach übereinstimmender Auffassung der Parteien ein Sachverhalt vor, der dem § 3 Abs. 3 erster Satz SchBG zu subsumieren ist. Die belangte Behörde war daher vor die Aufgabe gestellt, jenes Jahreseinkommen zu schätzen, das für den Vater der Beschwerdeführerin nach Eintritt der schweren Erkrankung zu erwarten war, und dieses Einkommen der Beurteilung der Bedürftigkeit zugrunde zu legen. Mit dem Begriff "Einkommen" verweist § 3 Abs. 3 zweiter Satz SchBG auf den in § 4 Abs. 1 leg. cit. definierten Einkommensbegriff. Danach ist Einkommen im Sinne dieses Bundesgesetzes das Einkommen gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1988 zuzüglich der sich aus den §§ 5 und 6 ergebenden Hinzurechnungen.
Die belangte Behörde hatte daher für den fraglichen Zeitraum - das Jahr nach Eintritt der Erkrankung (somit abweichend vom Kalenderjahr) - das Einkommen des Vaters der Beschwerdeführerin im Sinne des § 2 Abs. 2 EStG 1988 im Schätzungswege zu ermitteln. Im Sinne der zuletzt zitierten Vorschrift hatte sie somit den Gesamtbetrag der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18 EStG 1988) und außergewöhnlichen Belastungen (§ 36 EStG 1988) - Einkünfte bzw. Abzugsquellen anderer Art kamen nach Lage des Falles nicht in Betracht - zu schätzen.
Eine Bindung an die im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegenden Nachweise - wie im Verfahren nach § 3 Abs. 2 SchBG - kommt im Schätzungsverfahren nach dem dritten Absatz dieser Gesetzesstelle schon begrifflich nicht in Betracht. Die Behörde hatte daher nicht nur den Gesamtbetrag der Einkünfte, sondern - im Hinblick auf den hier maßgeblichen Einkommensbegriff des § 4 Abs. 1 SchBG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 EStG 1988 - gegebenenfalls auch den Betrag der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen im Schätzungswege zu ermitteln.
Der Vater der Beschwerdeführerin hatte im Berufungsverfahren insbesondere auf (näher aufgeschlüsselte) außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 34 EStG 1988 verwiesen. Die belangte Behörde glaubte darauf nicht eingehen zu müssen; sie begnügte sich mit dem Hinweis, daß ein noch nicht vorliegender Jahresausgleichsbescheid für 1993 nicht Berücksichtigung finden könne. Mit dieser - offenbar an § 3 Abs. 2 SchBG orientierten - Vorgangsweise hat sie das Gesetz verkannt; im Verfahren nach § 3 Abs. 3 SchBG hatte sie auch den Betrag der außergewöhnlichen Belastungen selbständig im Schätzungsweg zu ermitteln. Dabei stand es ihr frei, auf allfällige Ergebnisse des Jahresausgleichsverfahrens - unter Bedachtnahme auf die zeitliche Lagerung von außergewöhnlichen Belastungen in Beziehung zum Zeitpunkt des Eintrittes der Erkrankung - zurückzugreifen; andernfalls mußte sie ihrem Bescheid eine selbständige Beurteilung der Frage der außergewöhnlichen Belastungen auf Grund eigener Ermittlungen zugrunde legen. Dabei hatte die belangte Behörde - wollte sie den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren entsprechen - ihre Vorgangsweise bei der nach § 3 Abs. 3 SchBG vorzunehmenden Schätzung an jenen Grundsätzen zu orientieren, die die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 184 BAO entwickelt hat.
Im Hinblick auf ihre unrichtige Rechtsauffassung hat es die belangte Behörde unterlassen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob (gegebenenfalls mit welchem Betrag) bei der Ermittlung des Einkommens des Vaters der Beschwerdeführerin Sonderausgaben im Sinne des § 18 EStG 1988 und außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 34 EStG 1988 vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen waren. Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Bedachtnahme insbesondere auf die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen in der Frage der Bedürftigkeit zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre. Daran vermag auch der - allerdings nicht weiter konkretisierte - Hinweis des angefochtenen Bescheides nichts zu ändern, daß auch eine Bedachtnahme auf die im Einkommensteuerbescheid für 1992 festgestellten Abzugsposten kein anderes Ergebnis erbracht hätte; denn die belangte Behörde hatte die Beurteilung der Bedürftigkeit im Sinne des § 3 Abs. 3 SchBG nicht auf die Verhältnisse des Jahres 1992 (vor Eintritt der Erkrankung), sondern auf jene nach Eintritt der Erkrankung des Vaters der Beschwerdeführerin abzustellen. Dabei hatte sie sich mit dem Vorbringen auseinanderzusetzen, daß bei der Ermittlung des Einkommens des Vaters mit der Erkrankung im Zusammenhang stehende außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen seien. Dieser Verpflichtung konnte sie mit ihrem Hinweis auf die Verhältnisse des Jahres 1992 schon deshalb nicht entsprechen, weil im Jahr 1992 nach Lage des Falles "krankheitsbedingte" außergewöhnliche Belastungen nicht entstanden waren.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994100152.X00Im RIS seit
02.08.2001