TE Lvwg Erkenntnis 2022/9/29 VGW-102/013/6214/2022

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Veröffentlicht am 29.09.2022
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Entscheidungsdatum

29.09.2022

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art. 130 Abs1 Z2
SPG 1991 §38
SPG 1991 §88

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwer-de des Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch weiträumige Absperrmaßnahmen im Zuge der Räumung des Protestcamps der „„Lobau bleibt“ – Bewegung und den dreimaligen Hinweis, dass er auch als Pressevertreter den abgesperrten Bereich nicht betreten dürfe, am 5.4.2022 in Wien, gegen die Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 29.09.2022 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer hat dem Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) EUR 368,80 für Schriftsatzaufwand, EUR 57,40 für Vorlageaufwand und EUR 461,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin EUR 887,20 an Aufwand-ersatz, binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu leisten.

III. Die Revision ist unzulässig.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Schriftsatz vom 16.5.2022, per E-Mail eingebracht am folgenden Tag und sohin rechtzeitig, erhob der Einschreiter durch seinen Rechtsfreund Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin er zum Sachverhalt vorbringt:

„Der BF ist freier Journalist und beabsichtigte am 05.04.2022, über die Räumung des Protestcamps der „Lobau bleibt“ – Bewegung in Wien zu berichten.

Er fuhr zu diesem Zweck mit dem Fahrrad zum Vorfallsort Nähe der U-Bahn-Station D.-straße. Bereits die Anfahrt gestaltete sich schwierig, zumal zahlreiche Straßen polizeilich gesperrt waren.

Gegen 13:40 Uhr erreichte der BF vom E.-Platz kommend den Ort der Räumung. Die Straße, die unter der Tangente zur Baustelle führte, war mit Tretgittern abgesperrt. Ein dort anwesender Polizeibeamter teilte dem BF mit, dass er nicht weiterfahren dürfe; dies gelte auch für Pressevertreter [„Nein, auch nicht Presse“). Der BF trug zu diesem Zeitpunkt seinen Presseausweis sichtbar über der Jacke (Amtshandlung 1).

Auf Nachfrage des BF, ob es einen Ort gäbe, von dem aus er mehr wahrnehmen könne, antwortete der Polizist, dass dies auf der anderen Seite der Tangente möglich wäre. Der BF machte sich erneut auf den Weg und erreichte gegen 13:50 Uhr eine Absperrung an der F.-Straße. Dort musste er feststellen, dass eine sinnvolle Berichterstattung von dort aus nicht möglich war, zumal die Distanz zu den Geschehnissen infolge der weitläufigen Absperrungen zu weit war. Zusätzlich war das Sichtfeld durch Polizeifahrzeuge versperrt. Der BF traf auf weitere Journalisten, die angaben, dass laut Auskunft der Pressestelle der belangten Behörde keine Möglichkeit bestünde, sich dem Ort der Räumung weiter zu nähern. Innerhalb des abgesperrten Bereiches fand eine Kundgebung der Organisation „G.“ statt. Es war zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr möglich, sich dieser zu nähern.

Der BF traf auf eine Polizistin, die eine blaue Jacke trug, auf der sinngemäß zu lesen war, dass sie für Öffentlichkeitsarbeit zuständig war. Er erkundigte sich, ob er sich der Kundgebung im abgesperrten Bereich nähern dürfe und machte darauf aufmerksam, dass sich auch andere Journalistinnen und Kundgebungsteilnehmerinnen dort aufhielten.

Die Beamtin verweigerte dies und hielt telefonische Rücksprache. Nach Beendigung des Telefonats teilte sie dem BF mit, dass er sich nicht innerhalb der Sperre bewegen dürfe. Sie verwies den BF darauf, dass er es an der anderen Absperrung versuchen könne. Der BF gab daraufhin an, dass er an dieser Stelle bereits weggeschickt worden war, die Polizistin beharrte jedoch weiter auf ihrem Standpunkt (Amtshandlung 2).

Der BF versuchte in weiterer Folge, außerhalb der Polizeiabsperrung näher an das Geschehen heranzutreten.

Dabei wurde er nahe einiger alter Gebäude nahe der H.-Straße von rund zehn Beamtinnen aufgehalten und in Folge darauf hingewiesen, er könne stattdessen um die Gebäude herumgehen und es dort versuchen. Der BF gelangte so zu einem Feld, wo er auf weitere Journalistinnen traf. Von dort aus war es ihm jedoch nicht möglich, die Räumung zu dokumentieren, da der Sichtabstand zu groß war.

Er versuchte ein weiteres Mal an einem anderen Punkt, außerhalb der Polizeiabsperrung mit Tretgittern von besagtem Feld durch ein bewaldetes Gebiet näher heranzutreten, wurde dort aber von einer Polizistin darauf hingewiesen, dass dies unzulässig sei. Er müsse einen größeren Umweg machen (Amtshandlung 3).

Der BF und weitere Journalistinnen waren durch die weitläufige Abriegelung mittels Sperrgittern daran gehindert, die Räumung des Protestcamps zu dokumentieren. Aufgrund der großen Distanz gelang es dem BF nicht, verwertbares Bildmaterial herzustellen.

Aufgrund der Tretgitter und der dahinter postierten Polizistinnen war für den BF eindeutig, dass es ein Nähertreten unverzüglich durch Befehls-und Zwangsgewalt unterbunden werden würde. Innerhalb der abgesperrten Zone befanden sich zudem zahlreiche Polizistinnen, wodurch dieser Eindruck verstärkt wurde.

Erst gegen 14:30 Uhr fand der BF letztlich eine Möglichkeit, sich der Räumung zu nähern, ohne Sperrgitter überwinden zu müssen.“

In rechtlicher Hinsicht wird vorgebracht, der Beschwerdeführer sei durch das Ab-sperrgitter und die Verbote der einschreitenden Polizeibeamten darin gehindert worden, den Polizeieinsatz rund um die Räumung des Protestcamps als Journalist zu dokumentieren. In Beschwerde gezogen wurden drei Vorfälle, im Zuge derer Polizeibeamte dem Beschwerdeführer verboten hätten, das durch Absperrgitter abgeriegelte Gebiet zu betreten (Amtshandlung 1 und 2), bzw. ihn aufgefordert hätten, weiterzugehen und nicht vor dem Bauzaun stehen zu bleiben (Amts-handlung 3). Der Beschwerdeführer habe aufgrund des Auftretens der Beamten damit zu rechnen gehabt, dass er bei einer Weigerung (sic! Gemeint offenbar: bei einem Zuwiderhandeln) zwangsweise daran gehindert werden würde, dass gesperrte Gelände zu betreten, bzw. gewaltsam abgeführt werden würde. Es habe sich also um Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt. Nicht bekannt sei, auf welche Rechtsgrundlage sich die belangte Behörde bei den in Beschwerde gezogenen Amtshandlungen gestützt habe. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wegweisung nach § 38 SPG seien nicht vorgelegen.

Der Beschwerdeführer sei während des gesamten Zeitraumes aufgrund seines offen getragenen Presseausweises sowie aufgrund seines Equipments als Journalist erkennbar gewesen. Es habe kein Anlass bestanden, davon auszu-gehen, dass der Beschwerdeführer berechtigtes Ärgernis erregen und so die öffentliche Ordnung stören würde.

Die Absperrung des Geländes sei unverhältnismäßig weitläufig gewesen, sodass die journalistische Berichterstattung in Form von Foto- und Filmaufnahmen nicht möglich gewesen sei. Selbst wenn in unmittelbaren Umfeld der Räumung eine allgemeine Gefahr für Leben oder Gesundheit mehrerer Menschen oder für Eigen-tum oder Umwelt im großen Ausmaß bestanden hätte, was bestritten werde, so würde dies nicht eine derartige weitläufige Absperrung rechtfertigen, welche eine Berichterstattung de facto vollständig unterbunden habe. Auch an den Voraus-setzungen für eine Absperrung nach § 93 Abs. 3 StPO habe es gefehlt, wobei fraglich gewesen sei, ob überhaupt ein Tatort im Sinne der Bestimmung vorge-legen habe. Der Beschwerdeführer schließt daraus auf die Rechtswidrigkeit der in Beschwerde gezogenen Amtshandlungen. Weitere Ausführungen betreffen – im Gegenstand nicht erlassene – Verordnungen gemäß § 36 Abs. 2 bzw. gemäß § 37 SPG. Sollte eine solche Verordnung den Amtshandlungen zugrunde liegen, so regt der Beschwerdeführer an, die dem Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorzulegen.

Es wird beantragt, die Amtshandlungen kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären. Zu der gleichzeitig unter GZ: VGW-102/013/6339/2022 eingebrachten Richtlinienbeschwerde hat der Beschwerdeführer keinen Antrag gemäß § 89 Abs. 4 SPG gestellt, weshalb diesbezüglich eine Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes Wien nicht entstanden ist.

2. Mit Schriftsatz vom 1.7.2022 legte die belangte Behörde die Anzeige der Einsatzabteilung vom 5.4.2022 und, als Hintergrundinformation, 22 Lichtbilder der besetzten Baustelle sowie den Einsatzabschnittsbericht vom 2.2.2022 vor.

2.1. Unter einem erstattete sie zu ihrer GZ: PAD/…/1 eine Gegenschrift, worin sie zum Sachverhalt vorbringt:

„Der gesamte Baustellenbereich wurde mit Tretgittern abgesperrt. Ziel war es, einen Zustrom von Personen auf die zu räumende Baustelle zu verhindern. Pressevertreter und Journalisten wurden auf den Medientreffpunkt verwiesen.

Für Pressevertreterinnen und Journalistinnen war ein Medientreffpunkt in Wien, K.-Gasse, eingerichtet und war diese Information mit einer Aussendung der Pressestelle benannt gegeben worden.

Von dort aus begab sich die zuständige Social Media Referentin der Polizei mit den interessierten Medienvertreterinnen an den Sperrkreis, welcher sich an der zu räumenden Baustelle (Absperrung F.-Straße) befand. Dort machte die, mit einer Weste mit der Aufschrift „Öffentlichkeitsarbeit- Soziale Medien" bekleidete Referentin der Polizei mehrmals auf sich aufmerksam, bevorsie es den anwesenden Pressevertreterinnen ermöglichte, sich dem Aktionsraum der Räumung bis auf ca. 50 - 100m zu nähern. Diese Möglichkeit wurde für ca. 1,5 - 2 Stunden aufrechterhalten. Danach begab sich die Personengruppe wieder hinter die Absperrung.

Kurz darauf sprach der BF die Referentin an, und teilte mit, dass er ebenfalls in den abgesperrten Bereich wolle, um von dort aus zu berichten. Dem BF wurde gesagt, dass dies nun nicht mehr möglich ist.

Allerdings erkundigte sich die Referentin hinsichtlich etwaiger anderer Möglichkeiten des Zutritts, musste dem BF jedoch schließlich eröffnen, dass diese nicht bestanden.

Der BF wurde zu keinem Zeitpunkt von der Absperrung weggewiesen. Ebenso wenig wurde er an der Dokumentation der Räumung gehindert.

Zu ergänzen ist, dass seitens der ASFINAG als Eigentümerin sowie Verfügungs-berechtigte der gegenständlichen Liegenschaft am 30.03.2022 ein schriftliches Räumungsersuchen an die LPD Wien gestellt worden war.“

In rechtlicher Hinsicht bezieht sich die belangte Behörde auf § 38 Abs. 3 SPG, wonach die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt sind, jeder-mann aus einem Gefahrenbereich zu weisen, dessen Leben und Gesundheit dadurch gefährdet sind, dass einen gefährlichen Angriff ein Ende gesetzt wird. Es sei am 1.2.2022 bei der Räumung der Baustellenbesetzung D.-straße zu Durchbruchsversuchen an der Klimacamp Außensicherung durch Sympathisant-Innen gekommen, die versucht hätten, in das Klimacamp einzudringen. Dabei habe Pfefferspray zum Einsatz gebracht werden müssen. Auch am 5.4.2022 sei mit gewaltsamen Durchbruchsversuchen zuströmender Sympathisanten der Aktivisten zu rechnen gewesen. Hinzu komme, dass auf dem von den Einsatz-kräften der LPD Wien zu räumendem Areal verschiedenstes Baumaterial ver-streut herumgelegen sei, Holzgebäude seien errichtet und eine Erdhöhle gegra-ben worden. Die einschreitenden Beamten hätten daher vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen mit der Camp-Räumung und auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten vertretbar annehmen dürfen, dass ein gefährlicher Angriff bevor-stehe. Es schien real, dass es im Zuge des Bestrebens, die Räumung zu verhin-dern zu Verletzungen der einschreitenden Beamten oder Dritter, Widerstand gegen die Staatsgewalt oder Sachbeschädigungen kommen werde.

Somit sei es unerlässlich gewesen, Absperrmaßnahmen durchzuführen, welche das Betreten des Areals verhindert und gleichzeitig die gesicherte Zufahrt von Baggern und anderen Fahrzeugen ermöglicht hätten. Die Hinderung des Beschwerdeführers am Überschreiten der Absperrung habe dessen präventivem Schutz vor allfälligen Gefahren in einer noch nicht übersehbaren, aber doch den Umständen nach – ex ante - als gefährlich zu bewertender Situation gedient.

Die Amtshandlungen 1 und 2 seien als Einheit zu betrachten, indem dasselbe Verbot zweimal hintereinander zur Kenntnis gebracht worden sei. Außerdem stelle diese Amtshandlung keinesfalls eine Wegweisung dar. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Beschwerdeführer aufgefordert worden wäre, einen bestimmten Ort oder dessen unmittelbare Umgebung zu verlassen, was objektiv nicht der Fall gewesen sei und nicht einmal vom Beschwerdeführer behauptet werde. Ebensowenig sei es dem Beschwerdeführer verboten worden, sich vor oder an der Absperrung aufzuhalten. Vielmehr habe es sich bei der Interaktion zwischen dem Beschwerdeführer und den Polizeibeamten um eine Information an den Beschwerdeführer gehandelt, und sei diesem daher weder Zwang angedroht noch angekündigt worden. Tatsächlich sei dem Beschwerdeführer gegenüber auch keine Zwangsgewalt ausgeübt worden. Dass der Beschwerdeführer mit Zwang am Übertreten der Absperrung gehindert worden oder gewaltsam abge-führt worden wäre, sei somit reine Spekulation.

Zu der vom Beschwerdeführer behaupteten Amtshandlung 3, nämlich der Aufforderung, nicht am Bauzaun stehenzubleiben, lägen keine Unterlagen vor und sämtliche Bemühungen, die erwähnte Polizeibeamtin auszuforschen, seien erfolglos geblieben. Es werde daher bestritten, dass der Beschwerdeführer grundlos aufgefordert worden sei, nicht am Tretgitter (gemeint offenbar: am Bauzaun) stehen zu bleiben.

Beantragt wird die kostenpflichtige Abweisung der Maßnahmenbeschwerde.

2.2. Mit Schriftsatz vom 4.9.2022 legte der Beschwerdeführer ein Video über die Amtshandlung 2 laut Beschwerde vor, ferner einen Lageplan mit Markierung der erwähnten Absperrungen und einen Presseartikel, der die von der belangten Behörde behauptete Anwendung von Pfefferspray widerlegen soll.

Gleichzeitig nahm der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsfreund zu den Aus-führungen in der Gegenschrift Stellung und verwies darauf, dass eine Wegwei-sung sehr wohl auch in dem Verbot, einen bestimmten Ort zu betreten, bestehen könne, wobei sich bei diesem Ort hier um den großflächig abgesperrten Bereich handle. Für die Beurteilung des Befehlscharakters sei auf die Umstände der beiden Amtshandlungen 1 und 2 aus dem Blickwinkel des Beschwerdeführers abzustellen. Die Polizei habe eindeutig wahrnehmbare Absperrmaßnahmen mit Tretgittern vorgenommen. Es seien sehr viele Beamte im Einsatz gewesen, welche teilweise auch hinter den Absperrgittern positioniert gewesen seien, um zu verhindern, dass sich unbefugte Personen Zugang verschafften. Zudem sei dem Beschwerdeführer unmissverständlich mitgeteilt worden, dass er diesen Bereich nicht betreten dürfe, und dass diese Anordnung auf einen Befehl des Einsatzkommandanten zurückgehe. Der Beschwerdeführer habe in dieser Situation sehr wohl davon ausgehen müssen, dass sein Eindringen in dem abgesperrten Bereich von einem dort positionierten Beamten mit physischem Zwang verhindert worden wäre. Zur Amtshandlung 3 laut Beschwerde enthält die Stellungnahme Ausführungen zu § 38 Abs. 3 SPG und führt aus, aus der Gegen-schrift ergebe sich nicht, dass sich innerhalb des abgesperrten Bereiches gefähr-liche Angriffe nach § 16 Abs. 2 SPG ereignet hätten, deren Beendigung den Beschwerdeführer potenziell gefährdet hätte. Außerdem setze die Bestimmung voraus, dass sich im Zeitpunkt der Wegweisung bereits ein gefährlicher Angriff ereigne, dessen Beendigung im Eskalationsfall zur Gefährdung von Leben oder Gesundheit führen könne. Es könne nicht genügen, einen drohenden gefährlichen Angriff ausschließlich mit dem pauschalen Verweis auf polizeiliche Erfahrungen im Zusammenhang mit einem zweimonatigen zurückliegenden Einsatz anzuneh-men. Die Behauptung der belangten Behörde, wonach es bei Amtshandlungen gegenüber der Lobau-bleibt-Bewegung mehrfach zu Widerstand gegen die Staatsgewalt gekommen sei, seien ebenso unrichtig wie dass die Beamten mit Pfefferspray angegriffen worden wären. Der Bereich um die Baustelle sei so weiträumig abgesperrt gewesen, dass eine Berichterstattung in Form von Foto- und Filmaufnahmen nicht möglich gewesen wäre.

Nicht zuletzt sei im Bereich, den der Beschwerdeführer nicht habe betreten dürfen, dürfen eine angemeldete Kundgebung von G. abgehalten worden. Diese Versammlung sei weder im Vorfeld untersagt noch im Verlauf des Tages aufgelöst worden. Die Beamtin, welche die zweite Amtshandlung durchgeführt habe, habe auch eingestanden, dass Personen dort verweilen durften, die sich schon zu Beginn der Räumung (Hinweis: es geht dabei um die Räumung der zuvor aufgelösten Versammlung) innerhalb des abgesperrten Bereiches aufgehal-ten hätten. Auch dies spreche gegen die Annahme einer großflächigen Gefahren-situation. Die Beobachtung zwecks Dokumentation des Räumungseinsatzes aus einem angemessenen Abstand wäre ohne Gefährdung der Journalisten oder an-dere Rechtsgüter und ohne eine Behinderung der Amtshandlung möglich gewe-sen, sei jedoch durch die belangte Behörde rechtswidrig unterbunden worden.

3. Am 29.9.2022 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwal-tungsgericht Wien statt, zu der der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsvertreter und die Zeugen Obstlt. L., BzI M. sowie die Zeugin KI N. ladungsgemäß erschienen sind. Die belangte Behörde war durch Frau Mag. P. vertreten. Die Verhandlung wurde gemeinsam mit einem Parallelfall zu GZ: VGW-102/013/6216/2022 durchgeführt. Nach Abschluss des Beweisverfahrens wurde das Erkenntnis verkündet.

3.1. Aufgrund des Akteninhaltes und des vorgelegten Videos, Einvernahme der genannten Zeugen und Parteienvernehmung hat das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

Der Beschwerdeführer wollte am 5.4.2022 die von der belangten Behörde durchgeführte Räumung des Protest-Camps in der Nähe der U-Bahn-Station D.-straße in Wien fotografisch und filmisch dokumentieren. Die Besetzung des für den Bau einer sogenannten „Stadtstraße“ gewidmeten Geländes durch selbsternannte „Klimaaktivisten“ diente zwar wohl auch der physischen Verhinderung dieses konkreten Bauvorhabens, stellte aber in erster Linie – wie sich bereits aus den selbst gewählten Bezeichnungen wie „Protest-Camp“ und „KlimaaktivistInnen“ ergibt - eine Manifestation gegen den Bau als überflüssig empfundener Straßen und die damit verbundene Bodenversiegelung dar. Sie wurde daher von der belangten Behörde als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes 1953 gewertet, und war bereits zuvor wenigstens zwei Mal aufgelöst worden; so auch zum gegenständlichen Datum.

Als der Beschwerdeführer eintraf, befand sich die Räumung bereits im Gange, und der zu räumende Bereich war weiträumig durch Tretgitter abgesperrt. Die weiträumige Absperrung hatte den Zweck, sowohl die Sammlung der erforderli-chen Polizeikräfte ungestört zu ermöglichen, ebenso wie die Zufahrt von Bau-maschinen, die für das Wegräumen der rechtswidrig errichteten Bauten benötigt wurden. Ferner musste das Gelände sodann gegen das neuerliche Zuströmen der vorher entfernten Aktivisten und zusätzlich erwarteter Sympathisanten gesichert werden.

Der Beschwerdeführer wurde in den Absperrungen von verschiedenen Exekutivbeamten darauf hingewiesen, dass ein Zutritt oder Durchgang durch die Absperrung mit Tretgittern, in einem Fall möglicherweise auch durch einen Bauzaun, nicht erlaubt sei. Ein Befehl, sich zu entfernen, oder die Androhung - geschweige denn Anwendung – von Zwang kann nicht festgestellt werden.

3.2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweisergebnisse:

Sowohl aus der Parteienvernehmung wie aus den vorgeführten Videos ergibt sich lediglich, dass der Beschwerdeführer darauf hingewiesen worden ist, er dürfe den abgesperrten Bereich ungeachtet seines Presseausweises nicht betreten. Weder hat der Beschwerdeführer laut seinen eigenen Angaben versucht, die Absperrun-gen zu durchbrechen oder zu überqueren, noch wurde ihm für diesen Fall physi-scher Zwang angedroht. An der in der Beschwerde erwähnten, offenbar in der abgesperrten Zone zugelassenen Demonstration wollte der Beschwerdeführer - soweit sich der Beschwerde entnehmen lässt – nicht teilnehmen.

Aus den Aussagen des Zeugen ObStlt. L. und dem Akteninhalt ergibt sich, dass es im Zuge einer Räumung nach Auflösung einer Versammlung um die Freihaltung des Versammlungsortes und des für die Räumung erforderlichen Aktionsraumes von nicht mit der Räumung befassten Personen gegangen ist. Eben dies ergibt sich aus der Aussage des Zeugen BzI M., welcher den im gemeinsam verhandelten Parallelfall beschwerdeführenden Journalisten, welcher sich bereits auf dem Gelände befunden hatte, hinausgeleitet hat.

3.3. In rechtlicher Hinsicht wurde erwogen:

3.3.1. Das Vorhandensein von Tretgittern und von diese bewachenden Polizisten stellte keine Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar. Dafür reichte auch nicht der Hinweis, dass der Durchgang verboten sei. Es liegt daher keine Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangs-gewalt vor.

3.3.2. Zur Rüge des Beschwerdevertreters während der öffentlichen mündlichen Verhandlung, wonach er aufgrund der Gegenschrift der belangten Behörde davon ausgegangen sei, die belangte Behörde stütze sich auf ihre Befugnis zur Wegwei-sung nach § 38 Abs. 3 des Sicherheitspolizeigesetzes, während das Gericht nun-mehr anscheinend das Versammlungsgesetz 1953 als Grundlage prüfe, ist Fol-gendes festzuhalten:

Eine unzulässige Auswechslung der Rechtsgrundlage entsteht nicht aus dem Vergleich mit dem – zwangsläufig nachträglichen – Vorbringen der Behörde im Verfahren gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, sondern mit der Rechtsgrundlage, welche tatsächlich von den amtshandelnden Beamten für die Amtshandlung herangezogen worden ist. Dies ist eine Beweisfrage, welche oben in den Punkten 3.1. und 3.2. abgehandelt worden ist. Wenn nun die Behörde in ihrer Gegen-schrift (welche gesetzlich im Übrigen gesetzlich nicht vorgeschrieben ist) ent-weder aus tatsächlicher Unkenntnis oder aus Rechtsunsicherheit – nachträglich eine andere Rechtsgrundlage anführt, so ist diese Rechtsgrundlage unbeachtlich, denn gerade ihre Heranziehung würde eine Auswechslung der Rechtsgrundlage darstellen. Das Gericht hat somit im Beweisverfahren festzustellen, auf welcher Rechtsgrundlage die Beamten tatsächlich eingeschritten sind, und diese Rechts-grundlage seiner Beurteilung zugrunde zu legen.

Bei dieser handelt es sich - wie zu den Beweisergebnissen ausgeführt – eben um das Versammlungsgesetz 1953, welches für die Räumung der gegenständlichen Besetzung samt „Protestcamp“ herangezogen worden ist, und auf welche sich auch die weiträumigen Absperrungen stützen, die diese Räumung erst ermögli-chen sollten. Dass bei der Besetzung des Baugeländes neben dem Kundgebungs-zweck auch eine physische Behinderung der Baumaßnahmen angestrebt wurde, hindert nicht die Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes 1953 (vgl. dazu insbesondere VfSlg. 20275/2010 betreffend das sogenannte „Murcamp“).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3.3. Da es sich - wie oben 3.3.1 festgehalten, im Gegenstand nicht um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt hat, ist nur noch am Rande Folgendes zu bemerken:

Die Räumung einer Versammlung hat nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit zu erfolgen. Es ist daher einsichtig, dass bei der Auflö-sung einer Versammlung und deren nachfolgender Räumung die Versammlungs-teilnehmer nicht nur von ihrem Standpunkt und dessen engster Umgebung weg-zubringen sind, sodass sie sich womöglich zwischen den Polizeikräften oder in dem Raum aufhalten dürften, den diese für ihre Räumung benötigen oder wel-cher zur Absicherung gegen Angriffe oder Aktionen von außerhalb benötigt wird. Denn bei einer derart verengten Sichtweise würde die gesetzlich vorgesehene Räumung ihren Zweck nicht erfüllen. Der Versammlungsort ist daher wesentlich weiter zu definieren als der unmittelbare Aufenthaltsort der Versammelten; alternativ ausgedrückt, beinhaltet das nach der Auflösung geforderte Verlassen des Versammlungsortes eben auch jenen Raum, den die Polizei für die zwangs-weise Räumung und für die Absicherung der Aktion benötigt, egal wie man diesen Raum bezeichnen mag.

Dieser „Aktionsraum“ ist nicht willkürlich festzulegen, sondern bemisst sich da-nach, mit welchen weiteren Gefahren (z.B. Gegendemonstranten, Rücklauf von entfernten Personen, gefährliche Angriffe) gerechnet werden muss, und welche Mittel für die Räumung eingesetzt werden. Dazu kommt, dass die gegenständ-liche Kundgebung gleichzeitig als Baustellenbesetzung fungierte und das Ziel darin bestand, den geplanten und bewilligten Bau einer Straße physisch zu ver-hindern. Da der Baustellenbereich mit mehreren Bauten vollgestellt war, musste schweres Gerät herangeschafft werden, um diese rechtswidrigen Bauten zu ent-fernen. Weiters haben sich Personen festgeklebt, die schonend losgemacht wer-den mussten. In der Situation wie der gegenständlichen, wo nicht nur eine Kund-gebung, sondern gleichzeitig eine Besetzung mit all den aufgezählten Begleitum-ständen stattfand, war es daher erforderlich, einen relativ weiten Bereich von den anwesenden Personen zu räumen und diesen gegen neuerliches Betreten zu sichern. Das Verlassen des Versammlungsortes inkludiert daher auch den von der Polizei für ihre Aktion in verhältnismäßiger Weise in Anspruch genommenen Raum. Dürfte nach dem Versammlungsgesetz nur das Verlassen des unmittelba-ren Aufenthaltsortes der Kundgebungsteilnehmer (und gleichzeitig Besetzer) erzwungen werden, so wäre der Zweck der Räumung – wenn überhaupt – nur unter erhöhtem Gewaltaufwand, unter Umständen sogar nur mit Waffengewalt, zu erreichen, was nicht im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gelegen sein kann.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG in Verbindung mit der VGW-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 570/2013.

5. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Maßnahme; Befehls- und Zwangsgewalt; Tretgitter; Räumung; Versammlung; Versammlungsort; Aktionsraum; Absperrung; Rechtsgrundlage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.102.013.6214.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2023
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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