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90/01 Straßenverkehrsordnung 1960Norm
B-VG Art139 Abs1 Z1Leitsatz
Aufhebung einer — im Jahr 2010 erlassenen — GeschwindigkeitsbeschränkungsV in Graz mangels gesetzlicher Grundlage; dokumentierter Wegfall der Grundlage auf Grund der Änderung der örtlichen Verhältnisse sowie Ignorieren der Ergebnisse der ÜberprüfungRechtssatz
Gesetzwidrigkeit der GeschwindigkeitsbeschränkungsV (30 km/h) des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 09.04.2010, ZA 10/1-008032/2010-0004, betreffend den Bereich St. Peter-Hauptstraße Nr 172 bis Nr 182 auf Grund einer auf der Liegenschaft St. Peter-Hauptstraße Nr 182 befindlichen Volksschule an Schultagen, in der Zeit von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr.
Die Verletzung der fünf- (bzw zwei-)jährigen Überprüfungspflicht nach §96 Abs2 StVO 1960 begründet für sich allein noch keine Gesetzwidrigkeit von Verordnungen, deren Überprüfung unterblieben war, sodass davon auszugehen ist, dass eine Verordnung für die in §96 Abs2 StVO 1960 festgelegte Zeit auch dann gesetzlich gedeckt ist, wenn die Voraussetzungen für ihre Erlassung in der Folge wegfallen sind. Dies gilt nicht, wenn die Behörde eine Überprüfung durchgeführt hat, aus der sich ergibt, dass die Erforderlichkeit einer Verordnung nicht mehr gegeben ist.
Anlässlich einer Besprechung der Arbeitsgruppe "Verkehrssicherheit" am 28.06.2019 und einer Besichtigung der örtlichen Gegebenheiten wurde festgehalten, dass die Auflassung der angefochtenen Geschwindigkeitsbeschränkung bereits am 29.03.2019 thematisiert worden sei. Die Berechtigung der angefochtenen Geschwindigkeitsbeschränkung sei vom Vertreter der Polizei im Hinblick darauf hinterfragt worden, dass sich der Zugang zu der betreffenden Volksschule abseits der St. Peter-Hauptstraße befinde. Umbauarbeiten hätten mittlerweile zu geänderten örtlichen Gegebenheiten geführt. Die Gehsteige wiesen eine Mindestbreite von zwei Metern auf und seien stadteinwärts durch den Fahrstreifen für Omnibusse und stadtauswärts durch einen Mehrzweckstreifen von den Fahrstreifen des motorisierten Individualverkehrs getrennt. Die Erforderlichkeit der angefochtenen Geschwindigkeitsbeschränkung sei nicht mehr gegeben. Die anwesenden Mitglieder der Arbeitsgruppe sprachen sich in der Folge für die Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung aus. Dieses Protokoll wurde an die zuständige Stadträtin übermittelt. Mit E-Mail vom 18.09.2019 ersuchte die Stadträtin ohne nähere Begründung um Beibehaltung der angefochtenen Geschwindigkeitsbeschränkung.
Die Voraussetzungen für die Erlassung der angefochtenen Verordnung iSd §43 Abs1 StVO 1960 (insbesondere auf Grund der mittlerweile geänderten baulichen Gegebenheiten) sind bereits im Jahr 2019 nicht mehr vorgelegen und dieser Umstand war der Behörde auch bekannt. Dadurch, dass im Verordnungsakt lediglich dieser Wegfall der tatsächlichen Grundlage dokumentiert ist und sich keine Hinweise dafür finden, dass die verordnungserlassende Behörde in der Folge noch weitere Ermittlungsschritte gesetzt hätte, die zu dem Schluss geführt hätten, dass die angefochtene Verordnung weiterhin erforderlich gewesen wäre, wurde die angefochtene Geschwindigkeitsbeschränkung gesetzwidrig. Das eingeholte Gutachten aus dem Fachbereich Verkehrstechnik und Verkehrsplanung vom 28.07.2022 vermag daran nichts zu ändern, weil dieses erst anlässlich des vorliegenden Verfahrens eingeholt wurde und überdies nicht Bestandteil des vorgelegten Verordnungsaktes ist.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Geschwindigkeitsbeschränkung, Grundlagenforschung, Ermittlungsverfahren, Verordnungserlassung, Straßenverwaltung, VfGH / GerichtsantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V177.2022Zuletzt aktualisiert am
15.02.2023