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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des M in F, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. August 1994, Zl. 4.334.820/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. August 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines irakischen Staatsangehörigen, der am 13. Februar 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 15. Februar 1992 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 25. März 1992, mit dem festgestellt worden war, daß er die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, abgewiesen und damit die Gewährung von Asyl versagt.
Begründend führte die belangte Behörde - zusammengefaßt - aus: In seiner niederschriftlichen Befragung vor der Behörde erster Instanz am 27. Februar 1992 habe der Beschwerdeführer angegeben, daß er von 1964 bis 1986 führendes Mitglied der kommunistischen Partei und innerhalb dieser für die militärischen Angelgenheiten zuständig gewesen sei. Er habe die Partei Saddam Husseins kritisiert und verbal bekämpft. Im Jahr 1970 sei er festgenommen und während der einjährigen Haft gefoltert (an einen Ventilator gebunden, an den Füßen aufgehängt, am Kopf und am Penis mit Stromstößen versetzt, mit Lederriemen und Gummikabeln geschlagen) worden, wovon Dauerschäden zurückgeblieben seien. Im Jahr 1978 habe er mit Hilfe seiner Partei über Syrien nach Jemen flüchten können, nachdem gegen ihn ein Todesurteil erlassen worden sei. Dort habe er sich bis 1981 aufgehalten, als er schließlich (unter Zurücklassung seiner Familie in Jemen) wieder in den Nordirak gereist sei, um dort die kurdischen Freiheitskämpfer bewaffnet gegen die Regierungstruppen zu unterstützen. Im Jahr 1985 sei er wieder zurück zu seiner Familie nach Jemen geflohen und mit dieser nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Ungarn sowie anschließend in Libyen über Bulgarien nach Österreich gelangt.
Nach Darstellung des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde unter Verweis auf § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 aus, daß der Beschwerdeführer wohlbegründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung in seinem Heimatland nicht habe glaubhaft machen können. Die von ihm geschilderten Vorfälle während seiner behaupteten Haft im Jahre 1970 seien lediglich als Übergriffe selbständig handelnder Einzelpersonen zu werten und nicht dem Staat Irak selbst zuzuordnen. Seine Ausführungen in der Berufungsschrift, wonach im Jahre 1978 32 Soldaten gefoltert und seinen Namen als Organisator einer geheimen Widerstandsbewegung preisgegeben hätten, weshalb gegen ihn ein Todesurteil erlassen worden sei, müßten angesichts seiner Aussagen in erster Instanz als unglaubwürdig angesehen werden. Der Umstand, daß er 1981 in den Irak zurückgekehrt sei, lasse die schlüssige Folgerung zu, daß er sich dort vor allfälliger asylrelevanter Verfolgung sicher gefühlt habe. Wenn die Behörden tatsächlich Interesse daran gehabt hätten, seiner habhaft zu werden, so hätte er wohl im Zuge einer intensiven Fahndung aufgegriffen werden können. Es sei auch nicht erkennbar, daß für ihn ein weiterer Verbleib im Irak unerträglich gewesen wäre, wenn er dort - mit Hilfe kurdischer Oppositioneller - 3 Jahre hindurch keine Probleme gehabt habe. Das aktive Eintreten für eine politische Organisation sei nur dann glaubhaft, wenn der Asylwerber hinreichende Kenntnisse über Zielsetzung, Struktur und Arbeitsweise nachzuweisen sowie im einzelnen seine Motive und die Tätigkeit für diese Organisation in einem zeitlich und örtlich nachvollziehbarem Zusammenhang darzutun vermag. Dies sei bei seinen Angaben nicht der Fall. Wenn der Beschwerdeführer schließlich ein Schreiben einer Menschenrechtsorganisation im Irak vorlege, wonach er schiitisch-oppositionell gewesen sei, so könne dies nicht zur Glaubwürdigkeit seines Vorbringens beitragen. Die Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft teile der Beschwerdeführer mit 45 bis 60 % der insgesamt 95 %-igen moslemischen Bevölkerung Iraks. Da die Staatsreligion des Irak der Islam und die Bevölkerungsmehrheit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft gehöre, könne er wegen seines schiitischen Glaubens einer Verfolgung nicht ausgesetzt (gewesen) sein. Die allgemein im Irak herrschenden politischen Zustände könnten nicht zu einer Verfolgung aus Konventionsgründen führen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Argumentation der belangten Behörde erweist sich von der Warte der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden allgemeinen Schlüssigkeitsprüfung aus als eine unzulängliche Begründung, die überdies auf in der Beschwerde zutreffend gerügten Verfahrensfehlern beruht.
Die belangte Behörde hat die vom Beschwerdeführer geschilderten Mißhandlungen während seiner Inhaftierung im Jahre 1970 als Übergriffe von Einzelpersonen gewertet, die nicht dem Staat zugerechnet werden könnten. Behauptet jedoch ein Asylwerber Mißhandlungen oder Folter, und weist er sogar Verletzungsfolgen auf, so belastet die Behörde nach ständiger hg. Judikatur ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wenn sie dieses Vorbringen mit der Begründung abtut, die behaupteten Mißhandlungen würden lediglich Übergriffe einzelner Organe darstellen, ohne jedoch darzutun, auf welcher Sachverhaltsgrundlage diese Ansicht beruht (vgl. hg. Erkenntnisse vom 17. Februar 1993 und 31. März 1993, Zlen. 92/01/0835 und 92/01/0883).
Der Beschwerdeführer hat als Folge seiner Mißhandlungen sichtbare Verletzungsspuren (Narben auf dem rechten Oberschenkel und auf dem rechten Fußgelenk) behauptet. Dem Akteninhalt kann entnommen werden, daß die Behörde erster Instanz dazu die gutachterliche Stellungnahme eines medizinischen Sachverständigen einholte. Danach seien Narben vorhanden, wobei aus der Anamnese hervorgehe, daß der Beschwerdeführer an einer "entzdl. Sigmastenose" leide und zur weiteren Verifizierung eine Irrigoskopie angezeigt sei. Die belangte Behörde hat weder eine solche weitere Untersuchung angeordnet noch die Gründe genannt, warum dies unterblieben ist; im angefochtenen Bescheid setzt sie sich damit überhaupt nicht auseinander. Solange aber nicht nachvollziehbar dargelegt wird, warum die behaupteten Verletzungsfolgen nicht auf Mißhandlungen des Beschwerdeführers zurückgeführt werden können, es deshalb keiner weiteren medizinischen Untersuchung bedarf, läßt sich eine verläßliche Beurteilung des darauf aufbauenden Fluchtgrundes nicht vornehmen.
Abgesehen davon, daß die belangte Behörde gemäß dem von ihr selbst herangezogenen § 20 Abs. 1 Asylgesetz nicht auf Neuerungen im Berufungsverfahren Bedacht zu nehmen hatte, ist nicht ersichtlich, warum die in der Berufungsschrift näher erläuterte Ursache für die behauptete Erlassung eines Todesurteiles gegen den Beschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner Angaben in erster Instanz unglaubwürdig sein sollen, zumal insoweit die Berufungsausführungen mit der vor der damals zuständigen Sicherheitsdirektion aufgenommenen Niederschrift nicht in Widerspruch stehen und sich daraus nicht ergibt, daß der Beschwerdeführer zu einer entsprechenden näheren Begründung für die Erlassung des Todesurteiles aufgefordert worden war.
Die Beschwerde weist (zutreffend) darauf hin, daß die im angefochtenen Bescheid als schlüssig dargestellte Folgerung, aus der Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak im Jahr 1981 lasse sich ableiten, daß er sich dort vor Verfolgung sicher gefühlt habe, nicht hinreichend begründet ist.
Der Beschwerdeführer gab an, in den Irak zur bewaffneten Unterstützung der kurdischen Opposition, somit notwendigerweise illegal und unter Vermeidung von üblichen Behördenkontakten zurückgekehrt zu sein. Die Teilnahme des Beschwerdeführers an bewaffneten Auseinandersetzungen gegen Regierungstruppen kann aber nicht die Vermutung der belangten Behörde rechtfertigen, daß er sich im Lande sicher gefühlt habe.
Unter der Annahme, daß sich der Beschwerdeführer illegal und lediglich zur Teilnahme am gewaltsamen Widerstand sowie unter der Gefahr des Vollzuges eines Todesurteils im Irak aufgehalten habe, ist auch die weitere Schlußfolgerung im angefochtenen Bescheid, aufgrund seines anzunehmenden problemlosen Aufenthaltes bis zum Jahr 1985 wäre sein weiterer Verbleib im Lande durchaus zumutbar gewesen, nicht nachvollziehbar. Aus der Tatsache, daß er während seines 3-jährigen Aufenthaltes nicht verhaftet worden ist, läßt sich angesichts der oben aufgezeigten Umstände seines Aufenthaltes nicht ohne weiteres der Schluß ziehen, daß die irakischen Behörden kein Interesse an seiner Person gehabt hätten.
Die Auffassung der belangten Behörde, die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der kommunistischen Partei im Irak sei deshalb nicht glaubhaft, weil dieser keine hinreichenden Kenntnisse über ihre Zielsetzung, örtliche Struktur und Arbeitsweise sowie seine Tätigkeit für diese Organisation dargelegt habe, ist nicht schlüssig begründet. Aus dem Protokoll über die niederschriftliche Befragung geht nämlich nicht hervor, daß der Beschwerdeführer aufgefordert worden wäre, entsprechend fundierte Angaben im Sinne der vorerwähnten Kriterien darzulegen, um die Glaubwürdigkeit seiner Parteimitgliedschaft darzutun.
Dem von der belangten Behörde angesprochenen Schreiben einer Menschenrechtsorganisation im Irak läßt sich nicht nur die näher behandelte Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur schiitischen Glaubensgemeinschaft, sondern auch seine oppositionelle Einstellung entnehmen, auf die der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe in erster Instanz stützt. Demgemäß gehen die dazu oben wiedergegebenen Ausführungen der belangten Behörde insoweit am rechtlichen Kern der Argumente des Beschwerdeführers vorbei.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, wobei dem Beschwerdeführer lediglich die gesetzlich vorgesehenen Stempelgebühren zuzusprechen waren.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994200799.X00Im RIS seit
20.11.2000