TE Vwgh Erkenntnis 1995/11/28 95/04/0144

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Veröffentlicht am 28.11.1995
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der D-Gesellschaft m.b.H. & Co KG in Wien, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 8. Mai 1995, Zl. MA 63 - P 21/95, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.A. Entziehung der Gewerbeberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Magistrat der Stadt Wien (Magistratisches Bezirksamt für den 15. Bezirk) hat der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 29. November 1994 gemäß § 87 Abs. 1 Z. 2 im Zusammenhang mit § 13 Abs. 3 GewO 1994 die Gewerbeberechtigung "Gastgewerbe in der Betriebsart einer Bar mit den Berechtigungen nach § 189 Abs. 1 GewO 1973

Z. 2 Verabreichung von Speisen jeder Art und der Verkauf von warmen und angerichteten kalten Speisen;

Z. 3 Ausschank von alkoholischen Getränken und der Verkauf dieser Getränke in unverschlossenen Gefäßen;

Z. 4 Ausschank von nichtalkoholischen Getränken und der Verkauf dieser Getränke in unverschlossenen Gefäßen,

im Standort Wien 15., G-Straße 67", entzogen.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin durch ihren

Geschäftsführer (in der Folge: M.P.) Berufung.

Mit Schreiben vom 13. Jänner 1995 teilte der Landeshauptmann von Wien der Beschwerdeführerin mit, daß die von ihr am 22. Dezember 1994 zur Post gegebene Berufung als verspätet angesehen werde.

In der "Äußerung" vom 30. Jänner 1995 erhob die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen Antrag begründete die Beschwerdeführerin wie folgt:

"a. Herr P selbst war seit 6.12.1994 bettlägrig. Wegen dringlicher Geschäfte hat er aber am 7.12. doch das Haus verlassen und die Hinterlegungsanzeige auf diese Weise vorgefunden. Nach Behebung am 21. habe er einem Boten, nämlich seiner Frau EP, 1150 Wien, D-Gasse 14/2/35, aufgetragen, das Schriftstück unverzüglich der Kanzlei des Dr. F zuzuleiten, was von dieser auch vorgenommen wurde. Da der Vertreter, Dr. X, die Information so verstand, daß noch am Tag der Hinterlegung, nämlich dem 7., die Sendung behoben worden war, ging Dr. X laut Berufung von der Rechtzeitigkeit der Sendung aus.

Die Unschärfe, daß nämlich schon am 6.12. die Hinterlegung stattgefunden hatte, war offenbar in der Krankheit des MP begründet bzw. beruhte auf einer unrichtig weitergeleiteten Information, daß die Hinterlegung am 7.12. stattgefunden hat; aus diesem Grunde konnte es geschehen, daß die Berufung um einen Tag verspätet abgesandt wurde.

Beweis: Beiliegende Kopie Krankenstandsbestätigung

vom 6.12.1994.

EP.

b. Die Berufungswerberin hat im Sinne des § 71/2 AVG erstmals durch den Vorhalt vom 13.1. mit 19.1. Kenntnis erlangt, sodaß der Wiedereinsetzungsantrag als fristgerecht gestellt anzusehen ist.

Die Berufungswerberin beantragt daher, ihr die Wiedereinsetzung wider die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen, wobei verwiesen wird, daß offenbar nur ein minderer Grad des Versehens vorliegt, welcher überdies durch die Krankheit des Geschäftsführers veranlaßt und mitverursacht war und allenfalls nur leichte Fahrlässigkeit vorliegt.

Da die versäumte Prozeßhandlung bereits vorgenommen wurde, kann sich der Antrag darauf beschränken, der Einschreiterin die Wiedereinsetzung wider die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen und auf die schon eingereichte Berufung zu verweisen..."

Mit Bescheid vom 8. Mai 1995 wies der Landeshauptmann von Wien als Berufungsbehörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab (Spruchpunkt A.) und unter einem die Berufung zurück (Spruchpunkt B.).

In der Begründung dieses Bescheides wird festgestellt, auf der vom Zustellorgan der Post in das Hausbrieffach eingelegten - mit 6. Dezember 1994 datierten - Verständigung über die Hinterlegung der Sendung sei vermerkt worden, daß das Schriftstück ab dem nächsten Werktag (d.h. ab 7. Dezember 1994) habe behoben werden können. Zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages vertrat die belangte Behörde im wesentlichen die Ansicht, die Beschwerdeführerin sei nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne Verschulden oder nur minderen Grad des Versehens gehindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten. Eine Erkrankung stelle nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG dar, wenn sie einen Zustand der Dispositionsunfähigkeit zur Folge habe und so plötzlich und so schwer auftrete, daß der Erkrankte nicht mehr in der Lage sei, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen zu treffen. Daß die Erkrankung des M.P. zwischen dem 6. und dem 23. Dezember 1994 derart schwer gewesen sei, sei schon deswegen nicht anzunehmen, weil die Krankheit ihn nicht gehindert habe, bereits am zweiten Tag seiner Erkrankung seinen Betrieb aufzusuchen und am 21. Dezember 1994 die bei der Post hinterlegte Sendung zu beheben. Wenn er trotz des offenkundig drohenden Ablaufs der Rechtsmittelfrist verabsäumt habe, seinen rechtsfreundlichen Vertreter über den Zeitpunkt der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides beim Postamt richtig zu informieren, könne dies nicht bloß als ein Versehen minderen Grades gewertet werden. M.P. sei nach den Umständen verpflichtet gewesen, seine Ehegattin zu beauftragen, den Rechtsanwalt ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Sendung bereits ab 7. Dezember 1994 beim Postamt zur Abholung bereitgehalten worden sei und er hätte sich vergewissern müssen, daß diese Information auch zugekommen sei. Auch der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin könne sich nicht auf einen bloß minderen Grad des Versehens berufen, wenn er es verabsäumt habe, die Botin (erforderlichenfalls auch M.P.) zu befragen, wann der erstinstanzliche Bescheid beim Postamt hinterlegt worden sei bzw. ab wann er zur Abholung bereitgehalten worden sei. Als rechtkundige Person hätte er wissen müssen, daß nicht der Zeitpunkt der Aussendung der Verständigung über die Hinterlegung des Schriftstückes, sondern der Beginn der Abholfrist für den Lauf der Rechtsmittelfrist maßgeblich sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die vorliegende Beschwerde richtet sich nur gegen den Spruchpunkt A. des angefochtenen Bescheides, mit dem der Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen wurde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt. Sie bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides bzw. dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im wesentlichen vor, die belangte Behörde habe einen Verfahrensmangel "gesetzt", indem ein beantragter Zeuge nicht vernommen worden sei. Auch sei die Frage eines minderen Grades des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) unrichtig ausgelegt worden. Wie in der "Äußerung" vom 30. Jänner 1995 vorgebracht, sei M.P. gemäß Krankenstandsbestätigung seit 6. Dezember 1994 bettlägrig gewesen; er habe aber wegen dringlicher Geschäfte am 7. Dezember 1994 das Haus verlassen und im Standort der Gewerbeberechtigung die Hinterlegungsanzeige vorgefunden. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, daß am 21. Dezember 1994, dem letzten Tag der Frist, die hinterlegte Postsendung behoben worden und M.P. seiner Frau EP aufgetragen habe, unverzüglich das Schriftstück der Kanzlei Dr. F zuzuleiten und dort vom Vertreter Dr. X die Information so verstanden worden sei, "daß am 7.12.1994 die Postsendung hinterlegt worden war und noch am selben Tag behoben worden war (wobei Dr. X aber die Hinterlegungsanzeige nicht übergeben werden konnte, da diese ja beim Postamt verbleibt)". Auf Grund der an sich unbedenklichen Angaben "durfte Dr. X darauf vertrauen, daß die Frist am Tag nach der Hinterlegung, also dem 8.12., beginnt und daher die Absendung der Berufung mit 22.12. fristwahrend war". Die bezeichnete Entscheidung überspanne nach Ansicht der Beschwerdeführerin die Überprüfungs- oder Sorgfaltspflichten des Anwaltes, wenn er eine für ihn plausible und nicht offenbar unrichtige Information erhalte, hier noch nachzufragen, ob die Information auch richtig sei. EP sei als Botin anzusehen. Deren unrichtige Übermittlung des Datums der Hinterlegungsanzeige sei auch für die Beschwerdeführerin unerwartet gewesen. Die Einvernahme der Zeugin hätte erbracht, daß sie derartige Agenden gewissenhaft abwickle und sie in dieser Tätigkeit von der Beschwerdeführerin auch entsprechend überwacht werde, und zwar durch Nachfragen, Verlangen von Übergabebestätigung u.ä. Die Beschwerdeführerin habe vor allem durch den Umstand, daß sie (gemeint offenbar M.P.) über einen Zeitraum von rund 17 Tagen bettlägrig gewesen sei, glaubhaft gemacht, daß sie persönlich kein Verschulden treffe. Es könne ihr auch nicht als Verschulden angelastet werden, wenn am letzten Tag der Frist die hinterlegte Sendung behoben und einem Anwalt übergeben werde. Folge man der Ansicht der bekämpften Entscheidung, dann dürften hinterlegte Postsendungen nie am letzten Tag oder in den letzten Tagen der Hinterlegungsfrist behoben werden. Die bezeichnete Entscheidung werfe dem Beschwerdeführer (offenbar gemeint: M.P.) vor, er hätte die Botin beauftragen müssen, seinen Anwalt ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Sendung bereits am 7. Dezember 1994 beim Postamt zur Abholung bereitgehalten worden sei und hätte sich vergewissern müssen, daß diese Information seinem rechtsfreundlichen Vertreter zugekommen sei. Die Botin habe dem Rechtsvertreter jedoch unrichtig mitgeteilt, daß die Hinterlegung (erst) am 7. Dezember stattgefunden habe. Das unabwendbare Ereignis liege daher in dieser unrichtigen Bekanntgabe eines Hinterlegungsdatums. Für die Annahme der Behörde, die Beschwerdeführerin hätte die Botin unrichtig informiert, fehle die Grundlage. Die Beschwerdeführerin verweise diesbezüglich auf ihre Berufung, worin bekannt gegeben werde, daß die Hinterlegungsanzeige am 7. Dezember aufgefunden worden und dem einschreitenden Anwalt unrichtigerweise mitgeteilt worden sei, daß dies auch der Tag der Hinterlegung sei "(während er richtig schon am 6.12. stattgefunden hatte)".

Dieses Vorbringen vermag die Beschwerde nicht zum Erfolg zu führen:

Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG ist u.a. gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat, ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers (innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist) gedeckt ist (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. April 1985, Zl. 84/11/0011).

Wenn es im Wiedereinsetzungsantrag heißt, der Rechtsvertreter sei (irrtümlich) davon ausgegangen, "daß noch am Tag der Hinterlegung, nämlich dem 7., die Sendung behoben worden war", so konnte dieses Vorbringen schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil ein solcher Irrtum für eine verspätete Erhebung der Berufung am 22. Dezember 1994 nicht kausal sein konnte. Wenn aber an anderer Stelle des Wiedereinsetzungsantrages auf die "Hinterlegung" (am 6. Dezember 1994) Bezug genommen wird, so hat die belangte Behörde zutreffend erkannt, daß es für den Lauf der Rechtsmittelfrist auf den Beginn der Abholfrist ankommt. Gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz ist nämlich eine hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser First als zugestellt. Insofern wurde der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin - jedenfalls im Ergebnis - auch richtig informiert. Es ist nämlich unbestritten, daß die Abholfrist mit 7. Dezember 1994 begann.

Schließlich ist für die Beschwerdeführerin aus einem Rechtsirrtum ihres Vertreters über den normativen Gehalt des § 17 Abs. 3 Zustellgesetz nichts zu gewinnen. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach mangelnde Rechtskenntnis oder Rechtsirrtum nicht als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zu werten sind (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. November 1980, Slg. N.F. Nr. 10.309/A), ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde davon ausging, der Vertreter der Beschwerdeführerin hätte als rechtskundige Person wissen müssen, daß nicht der Zeitpunkt der Auffindung der Verständigung über die Hinterlegung des Schriftstückes, sondern der Beginn der Abholfrist für den Lauf der Rechtsmittelfrist maßgeblich sei.

Die belangte Behörde ist daher nicht rechtswidrig vorgegangen, wenn sie im angefochtenen Bescheid die Berechtigung des Wiedereinsetzungsantrages verneinte.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995040144.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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