Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Kein Verstoß gegen das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums durch eine Regelung des 2. COVID-19-Justiz-BegleitG betreffend die Verschiebung der Fälligkeit von Zahlungen bei Kreditverträgen (Kreditmoratorium); Eigentumsbeschränkungen der Kreditinstitute (Verlängerung der Kreditverträge, Tragung der Kosten und die Verpflichtung, das Kapital für zusätzliche zehn Monate zur Verfügung zu stellen) sind nicht unverhältnismäßig und dienen dem Schutz der von der Pandemie betroffenen Verbraucher und Kleinstunternehmer; zahlreiche wesentliche geldpolitische und bankaufsichtsrechtliche Maßnahmen der EZB für Kreditinstitute zur Abfederung der Folgen der COVID-19-PandemieRechtssatz
§2 des 2. COVID-19-Justiz-BegleitG greift in die Privatautonomie der Vertragsparteien ein, weil die Fälligkeit der Leistungen aus dem Kreditvertrag für die Dauer von zehn Monaten für Verbraucherkreditverträge bzw Kreditverträge mit Kleinstunternehmen, die zwischen 01.04.2020 und 30.06.2020 fällig wurden, gesetzlich hinausgeschoben wird (Kreditmoratorium). Sie bildet auf Grund dieser Verschiebung der Fälligkeit von Zahlungsverpflichtungen in laufenden Verträgen einen Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums. Dieser Eingriff ist als Eigentumsbeschränkung der antragstellenden Kreditinstitute zu qualifizieren, weil ihnen dadurch die Möglichkeit genommen wird, ihr Kapital für einen Zeitraum von zehn Monaten, um den die Fälligkeit der Zahlungsverpflichtungen hinausgeschoben wird, anderweitig zu verwenden.
Kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums: Das - von den antragstellenden Parteien ausdrücklich nicht angegriffene - Kreditmoratorium und die dadurch bewirkte Verlängerung der Kreditverträge stellt für sich genommen grundsätzlich einen erheblichen Eingriff in die Privatautonomie der Kreditinstitute und damit auch in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums dar. Die Kosten für das Kreditmoratorium sind einseitig und pauschal von den Kreditgebern zu tragen: Kreditgeber dürfen den Kreditnehmern für den Zeitraum der Stundung keine Sollzinsen verrechnen und die Verlängerung der Kreditverträge ist unentgeltlich. Die angefochtene Bestimmung dient dem öffentlichen Interesse des Schutzes der von der Pandemie betroffenen Verbraucher und Kleinstunternehmen. Sie soll diese Gruppen vor negativen Konsequenzen bewahren, die dadurch entstehen können, dass auf Grund der COVID-19-Pandemie und der dadurch vielfach verursachten Einkommensverluste laufende Kreditraten (samt Zinsverbindlichkeiten) nicht beglichen werden können. Die angefochtene Bestimmung, welche die Fälligkeit der Leistungen aus dem Kreditvertrag für die Dauer von zehn Monaten hinausschiebt und für die Dauer des Kreditmoratoriums eine Zinsfreistellung bewirkt, ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen, weil den Kreditnehmern dadurch Zeit verschafft wird, das für die Rückzahlung erforderliche Kapital bereitzustellen.
Relativierung der Erheblichkeit des Eigentumseingriffs: Anwendung des Kreditmoratoriums nur auf Kreditnehmer, die sich in einer derart unzumutbaren Lage befanden, dass sie voraussichtlich (ohnehin) die Kreditzahlungsverpflichtungen (zumindest vorübergehend) nicht erfüllen hätte können. Wenn nun der Gesetzgeber für diesen besonderen Sachverhalt ein (zinsloses) Kreditmoratorium statuiert, greift er zwar nachträglich in die vertraglichen Regelungen zwischen dem Kreditinstitut und dem Kreditnehmer ein; es kann nicht ohne weiteres von einem gravierenden Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums gesprochen werden. Da viele Kreditinstitute die Voraussetzungen für das Kreditmoratorium nicht geprüft hatten, kam ein wesentlicher Teil der Kreditnehmer in den Genuss des zinslosen Kreditmoratoriums. Bei einer Prüfung der Voraussetzungen wären die von den antragstellenden Parteien angegebenen Rückstellungen für Zinszahlungen möglicherweise von vornherein erheblich geringer gewesen. Die antragstellenden Parteien haben zudem nicht dargelegt, welche Auswirkungen die angefochtene Bestimmung hinsichtlich der Dauer des Kreditvertrags, fixe oder variable Verzinsung bzw Fälligkeitsregelungen ..., nach sich gezogen hat.
Zahlreiche wesentliche geldpolitische und bankaufsichtsrechtliche Maßnahmen der EZB zur Abfederung der Folgen der COVID-19-Pandemie: Erweiterung der gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (günstige, langfristige Kredite für die Kreditinstitute zu einem Zinssatz von -0,5% bis -1%); pandemische längerfristige Notfall-Refinanzierungsgeschäfte (Zurverfügungstellung ausreichender Liquidität), Lockerung der Anforderungen an die zu hinterlegenden Sicherheiten für Refinanzierungsgeschäfte; Möglichkeit der Verwendung der Kapital- und Liquiditätspuffer zur Kreditvergabe; Lockerung der Regeln, nach welchen Kriterien notleidende Kredite finanziert werden.
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz: Regelungen betreffend Kreditgeber und Wohnungsvermieter sind unterschiedliche Sachverhalte, die nicht am Maßstab des Gleichheitsgrundsatzes gemessen werden können.
Schlagworte
COVID (Corona), Kreditwesen, Eigentumsbeschränkung, Eigentumseingriff, Verhältnismäßigkeit, Rechtspolitik, Geldwesen, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, PrivatautonomieEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G174.2022Zuletzt aktualisiert am
13.02.2023