TE OGH 2023/1/17 10ObS76/22g

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Veröffentlicht am 17.01.2023
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber, den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Heinz Schieh (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Kramreither (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch die Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1081 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kostenübernahme, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. März 2022, GZ 12 Rs 17/22i-28, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. November 2021, GZ 18 Cgs 40/21x-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Der Kläger ist Berufssoldat beim Österreichischen Bundesheer und hat eine dreijährige Intensivausbildung für den Einsatz im Jagdkommando absolviert. Zu den Aufgaben des weltweit tätigen Jagdkommandos gehören vor allem Geiselbefreiungen, Kommandoaufträge, Aufklärung und andere Spezialaufträge. Der Kläger ist Kampfschwimmer bzw Kampftaucher. Zu seinen Aufgaben zählt es zum Beispiel, im Fall einer Geiselnahme in Wassernähe über das Wasser (schwimmend oder tauchend) zuzugreifen. Er kann aber auch als Fallschirmspringer eingesetzt werden.

[2]            Der Kläger hat anlagebedingt eine geringe Kurz- und Stabsichtigkeit von etwa einer Dioptrie, die im Rahmen der Ausbildung mithilfe von Kontaktlinsen korrigiert wurde (und werden kann). Während seiner Ausbildung trug er permanent (weiche) Kontaktlinsen. Für Trainingsaufgaben ist der Kläger uneingeschränkt einsetzbar, nicht jedoch für Einsätze. Er ist zwar in der Lage, während eines 2-monatigen Einsatzes jeden Tag Kontaktlinsen zu tragen, wenn die dafür notwendigen logistischen (Nachschub an Kontaktlinsen) und hygienischen Voraussetzungen vorliegen. Die Tragedauer der Kontaktlinsen ist aber auf 12 bis 14 Stunden täglich beschränkt. Die Angelegenheiten des täglichen Lebens kann der Kläger auch ohne Korrektur der Sehschwäche problemlos verrichten.

[3]            Die Kurzsichtigkeit des Klägers war dem Österreichischen Bundesheer bei seinem Eintritt bekannt und wurde toleriert. An Therapiemöglichkeiten zum Ausgleich der Fehlsichtigkeit ist entweder eine Korrektur durch Brillen oder Kontaktlinsen oder ein refraktiver chirurgischer Eingriff (Laserbehandlung) möglich. Nach einer Laserbehandlung kommt es in etwa 30 % der Fälle zu einem sehr trockenen Auge, in rund 5 % der Fälle zu Beeinträchtigungen durch Streulichter und bei knapp 50 % der Fälle im Verlauf der Zeit – was unter Umständen 10 bis 15 Jahre bedeuten kann – zu einem Nachlassen der Sehschärfe.

[4]            Mit Bescheid vom 9. Februar 2021 wies die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau die Anträge des Klägers, die Kosten einer refraktiven Augenoperation laut Arztbrief eines namentlich genannten Facharztes für Augenheilkunde und Optometrie zu übernehmen, ab.

[5]            Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Übernahme dieser Kosten. Die Einsatzorte von ausgebildeten Kampftauchern bzw -schwimmern seien neben Wäldern in Österreich auch Wüsten, arktische und Dschungelgebiete, in denen aber nirgends die für das Tragen von Kontaktlinsen erforderliche Hygiene sowie der notwendige (sichere) Nachschub von Kontaktlinsen gewährleistet sei. Schon im bloßen Wintertraining seien in Österreich zuletzt -26 und in Kanada -40 Grad Celsius und damit Temperaturen erreicht worden, bei denen Kontaktlinsen unbrauchbar seien. Das Tragen von Brillen sei wiederum beim Kampftauchen ebenso wie beim (militärischen) Fallschirmspringen mit einer hohen Verletzungsgefahr verbunden. Wenn er als Teil eines (kleinen) Kampfteams wegen Verletzungen oder Infektionen der Augen (infolge des Tragens von Brillen oder Kontaktlinsen) während eines Kampfeinsatzes ausfalle, sei das nicht nur für ihn, sondern auch für seine Kameraden potentiell lebensgefährlich. Ebenso müssten die Soldaten des Jagdkommandos bei Einsätzen wie beispielsweise in Afghanistan 24 Stunden am Tag einsatzfähig sein, zumal bei einem überraschenden Angriff auf das Camp schlicht keine Zeit bestehe, zunächst noch Kontaktlinsen einzusetzen oder eine Brille zu suchen. Für eine Tätigkeit als Soldat des Jagdkommandos seien Brillen oder (weiche) Kontaktlinsen somit ungeeignet, sodass nur die begehrte Laserbehandlung in Frage komme. Ihm diese zu verweigern mache im Übrigen auch keinen wirtschaftlichen Sinn, weil die Laserbehandlung im Vergleich zur laufenden Versorgung mit Kontaktlinsen (oder Brillen) schon nach wenigen Jahren insgesamt günstiger sei.

[6]            Die Beklagte hält dem im Wesentlichen entgegen, dass der Kläger bei Verwendung von Sehbehelfen (Brille oder Kontaktlinsen) zwar nur unter erschwerten Bedingungen an Kampfeinsätzen teilnehmen könne. Das liege aber im Verantwortungsbereich des Dienstgebers, der den Kläger trotz Kenntnis der Fehlsichtigkeit und des späteren Einsatzgebiets zum Soldaten des Jagdkommandos ausgebildet habe. Es sei nicht Aufgabe der Krankenversicherung, eine für einen bestimmten Dienst von Anfang an nicht geeignete Person (erst) diensttauglich zu machen.

[7]            Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Da der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen bereits vor Dienstantritt nicht geeignet gewesen sei, alle Aufgaben eines Soldaten des Jagdkommandos zu erfüllen, scheide eine Wiederherstellung und Festigung seiner Arbeitsfähigkeit iSd § 62 Abs 2 B-KUVG aus. Denkbar wäre zwar allenfalls eine „Besserung“ seiner Dienst-(un-)fähigkeit. Nach den Wertvorstellungen der Gesellschaft zähle es aber nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, Versicherten einen Berufswunsch zu erfüllen oder Rekrutierungsprobleme von Arbeitgebern zu lösen, die für anspruchsvolle Tätigkeiten keine uneingeschränkt geeigneten Bewerber fänden. Wenn die Beklagte wie hier eine ausreichende Leistung (Sehbehelfe) zur Verfügung stelle, bestehe kein Anspruch des Versicherten auf eine bestimmte andere Gesundheitsleistung. Abgesehen davon, dass es vor diesem Hintergrund von vornherein keiner Feststellungen zu den Kosten der weiteren Versorgung mit Brillen bzw Kontaktlinsen bedürfe, wären in der vom Kläger angesprochenen „Kosten-Nutzen-Rechnung“ neben den Risiken der begehrten Laserbehandlung und der Wahrscheinlichkeit eines erneuten Nachlassens der Sehkraft überdies noch die Kosten der weiteren Versorgung mit Sehbehelfen zu berücksichtigen, die mit Blick auf die Gebrauchsdauer von – laut der Satzung der Beklagten – drei Jahren für Brillen und zwölf Monaten für weiche Kontaktlinsen sowie den in § 65 Abs 2a B-KUVG vorgesehenen Ersatz überschaubar seien.

[8]            Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht zur Frage Stellung genommen habe, ob ein Anspruch auf eine das Maß des Notwendigen an sich überschreitende Krankenbehandlung bestehe, wenn sie zur erstmaligen Herstellung der Dienstfähigkeit erforderlich sei.

[9]       Dagegen richtet sich die – als „ordentliche und außerordentliche“ bezeichnete – Revision des Klägers, mit dem Antrag, der Klage stattzugeben. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10]     In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, eventualiter, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11]     Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[12]           1. Nach § 62 Abs 2 B-KUVG (der § 133 Abs 2 ASVG und § 90 Abs 2 GSVG entspricht) muss die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein, darf allerdings das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Ziel der Krankenbehandlung ist es, die Gesundheit, die Dienstfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern.

[13]           1.1. Mit § 62 Abs 2 B-KUVG (§ 132 Abs 2 ASVG) wird der Umfang des Krankenbehandlungsanspruchs festgelegt, den der Versicherte bei Vorliegen eines behandlungsbedürftigen Leidens geltend machen kann (10 ObS 315/00x SSV-NF 15/57). Die Begriffe „ausreichend“, „zweckmäßig“ und „notwendig“ im ersten Satz des § 62 Abs 2 B-KUVG sind dabei als Instrument gegen eine zweckwidrige Leistungsgewährung, das heißt, als Leistungsschranke zu verstehen (RIS-Justiz RS0106240), die die Belastungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Interesse des Patienten an einer weitestgehenden Deckung der bestmöglichen Krankenbehandlung in Einklang bringen soll (10 ObS 135/14x SSV-NF 28/73; 10 ObS 20/12g SSV-NF 26/19 ua). Dass die Krankenbehandlung ausreichend sein muss, bedeutet die Festlegung einer Minimalgrenze der Leistungsverpflichtung, die unter Zugrundelegung von gesicherten medizinischen Erkenntnissen und nach dem anerkannten Stand der Medizin nach Umfang und Qualität eine hinreichende Chance auf die Erreichung eines von der Krankenbehandlung verfolgten Ziels bieten muss. Eine Behandlung ist zweckmäßig, wenn sie nach den Erfahrungssätzen der medizinischen Wissenschaft mit hinreichender Sicherheit objektiv geeignet ist, die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Notwendig ist jede Maßnahme, die zur Erreichung des Zwecks unentbehrlich oder unvermeidlich ist (10 ObS 55/21t; 10 ObS 86/09h SSV-NF 23/81 ua).

[14]           1.2. Aus den in Satz 2 des § 62 Abs 2 B-KUVG (bzw § 133 Abs 2 ASVG) genannten Zielen ergibt sich, dass sich der Anspruch auf Krankenbehandlung nicht nach rein medizinischen, sondern auch nach gesellschaftlichen und ökonomischen Kriterien richtet, weshalb nicht jede Störung des Wohlbefindens zu Lasten der Krankenversicherung zu beseitigen ist. Weder soll der Idealzustand eines gesunden Menschen erreicht werden, noch ist es Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, dem Versicherten maximale Bedürfnisbefriedigung zu ermöglichen. In dem von einer objektiven Sichtweise geprägten Sozialversicherungsrecht muss vielmehr eine Grenze der Leistungspflicht dort gezogen werden, wo Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre des einzelnen Versicherten prägend in den Vordergrund treten (10 ObS 111/13s SSV-NF 27/70 = DRdA 2014/32 [Petric]; 10 ObS 227/03k SSV-NF 18/65 = ZAS 2006/14 [Pfeil]). Geht ein einzelner mit diesen Wertvorstellungen nicht konform, muss er die Beseitigung oder Besserung des von ihm persönlich nicht tolerierten Zustands auf eigene Kosten veranlassen (10 ObS 227/03k SSV-NF 18/65).

[15]           1.3. Darauf aufbauend entspricht es der von der Lehre gebilligten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass der Krankenbehandlungsanspruch letztlich (auch) von einem gesellschaftlichen Konsens darüber abhängt, dass die Kosten von der Versichertengemeinschaft und nicht vom Versicherten selbst getragen werden sollen, was sich insbesondere aus der gesetzlichen Auflistung der Ziele der Krankenbehandlung ergibt (10 ObS 111/13s SSV-NF 27/70; Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm [243. Lfg] § 133 ASVG Rz 26; Schober in Sonntag, ASVG13 § 133 Rz 9; Tomandl, Der Anspruch auf Krankenbehandlung, JAS 2021, 132 [137 f, 140]; Ettmayer/Posch, Gedanken zum Krankheitsbegriff – Erkenntnisse zur Potenz, DRdA 2006, 199 [200 f]).

[16]           2. Diese, schon von den Vorinstanzen erläuterten Grundsätze zieht der Kläger in der Revision nicht in Zweifel. Er geht auch selbst davon aus, dass er aufgrund seiner Fehlsichtigkeit für die von ihm angestrebte Tätigkeit im Rahmen von Kampfeinsätzen im In- oder Ausland weder uneingeschränkt diensttauglich ist, noch bei Beginn seiner Ausbildung war. Darauf aufbauend räumt er zwar ein, dass es eine Grenze der Leistungspflicht der Krankenversicherung geben müsse. Er meint jedoch, diese sei nicht überschritten, weil nicht seine (höchst-)persönlichen Bedürfnisse, sondern das vitale Interesse der Gesellschaft im Vordergrund stünde, dass bei einem der wenigen grundsätzlich geeigneten Soldaten einer Spezialeinheit erstmals und dauerhaft die volle (uneingeschränkte) Dienstfähigkeit hergestellt werde. Wenn er unter Einsatz seines eignen Lebens selbstlos Antiterroreinsätze durchführe, sei es nämlich nicht mit den Wertvorstellungen der Gesellschaft vereinbar, ihm die einzig zweckmäßige Krankenbehandlung zu verweigern.

[17]           3. Dem ist nicht zu folgen.

[18]           3.1. Nach den Feststellungen liegt ein medizinisch regelwidriger Körperzustand vor, der mit Mitteln der Krankenbehandlung beeinflusst werden kann. Zu klären ist daher, ob die begehrte Laserbehandlung unentbehrlich notwendig ist, um eines der Ziele der Krankenbehandlung zu erfüllen, und, wenn man dies verneint, ob es dennoch den Wertvorstellungen der Gesellschaft entspricht, deren Kosten zu decken.

[19]           3.2. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist Ausgangspunkt für die Beurteilung der Dienst- bzw Arbeitsfähigkeit iSd § 62 Abs 2 B-KUVG (bzw § 133 Abs 2 ASVG) nicht der allgemeine Arbeitsmarkt, sondern die bisher ausgeübte Tätigkeit (vgl RS0084726; RS0106774). Durch die Krankenbehandlung soll daher nicht die Arbeitsfähigkeit im Allgemeinen, sondern die Fähigkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden, die mit dem Dienstgeber konkret vereinbarten Aufgaben, hier also der Einsatz im Rahmen von Kampfeinsätzen im In- und Ausland, zu erfüllen. Das ist bei einem Dienstnehmer, der sich zu Diensten verpflichtet, die er – wie der Kläger selbst
vorbringt – von Anfang an aus gesundheitlichen Gründen nicht leisten kann, nicht möglich. Denn das Wiederherstellen, Festigen oder Bessern der Dienstfähigkeit setzt sowohl sprachlich als auch logisch voraus, dass diese zunächst einmal bestanden hat. Eine nie (uneingeschränkt) vorhandene Dienstfähigkeit, mag sie auch auf einem regelwidrigen Körperzustand beruhen, kann hingegen weder wiederhergestellt, also erneut erlangt, gefestigt, das heißt, gestärkt oder stabilisiert, noch gebessert, also im Vergleich zu vorher nicht noch besser gemacht werden. Der Dienstnehmer hat in diesem Fall schlicht eine Tätigkeit (hier: Kampfeinsätze im In- und Ausland) mit dem Dienstgeber vereinbart, der er von Anfang an nicht gewachsen war. Das bedeutet freilich nicht, dass kein Anspruch auf Behandlung besteht. Liegt eine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG vor, besteht selbstverständlich ein solcher Anspruch. Er orientiert sich aber an den anderen Zielen des § 133 Abs 2 Satz 2 ASVG, für deren Erreichen unter Umständen Behandlungen nicht notwendig sind, die bei der Beeinträchtigung besonderer beruflicher Anforderungen als unentbehrlich oder unvermeidbar zu erbringen wären. Genau darauf zielen im Übrigen auch die in der Revision kritisierten Ausführungen des Berufungsgerichts ab, wonach die begehrte Laserbehandlung auch sonst nicht notwendig sei, weil der Kläger durch die Fehlsichtigkeit weder bei den Angelegenheiten des täglichen Lebens (etwa beim Lenken eines Fahrzeugs) beeinträchtigt sei, noch eine andere (insb medizinische) Indikation bestehe, die gegen die Versorgung mit Sehbehelfen spreche.

[20]           3.3. Ebenso wenig entspricht es den (derzeit geltenden) Wertvorstellungen der Gesellschaft, die begehrte Laserbehandlung zu finanzieren. Der Kläger übergeht dabei zunächst, dass Maßstab für die Abwägung zwischen den Interessen des Patienten und der Versichertengemeinschaft nicht ein (vitales) Interesse der Gesellschaft an der (hier) Beseitigung der Fehlsichtigkeit, sondern das Ausmaß der „Betroffenheit“ des Patienten selbst ist (RS0083816 [T8]; 10 ObS 67/20f SSV-NF 34/51 ua). Damit sind die Auswirkungen der konkreten strittigen Behandlung auf den Patienten gemeint, bei deren Bewertung in erster Linie die absolute Priorität des Lebens zu beachten ist. Geringeren Stellenwert besitzen hingegen die körperliche Bewegungsfreiheit und die geistige Betätigungsfreiheit, die spezielle Ausformungen in der Arbeitsfähigkeit und Selbsthilfefähigkeit finden (10 ObS 135/14x SSV-NF 28/73; 10 ObS 111/13s SSV-NF 27/70).

[21]           Beim Kläger steht das Interesse im Vordergrund, erstmals eine ganz bestimmte Tätigkeit ausüben zu können, für die er – auch nach seinem eigenen Standpunkt – schon vor Beginn der Ausbildung nicht alle notwendigen körperlichen Voraussetzungen erfüllt hat bzw für die er nicht voll (dienst-)tauglich ist/war. Wie schon das Berufungsgericht zu Recht betont hat, soll die begehrte Laserbehandlung dem Kläger somit „bloß“ ein subjektiv angestrebtes Tätigkeitsfeld eröffnen, indem ihm erstmalig die (uneingeschränkte) Teilnahme an Kampfeinsätzen ermöglicht wird. Zutreffend sehen die Vorinstanzen dieses Interesse als von den (anhand gesellschaftlicher Werte determinierten) Zielen der gesetzlichen Krankenversicherung als nicht gedeckt an.

[22]           3.4. Dass der Kläger mit seinem Dienstgeber auch andere Aufgaben bzw Tätigkeitsbereiche vereinbart hat, für deren Bewältigung die begehrte Laserbehandlung eine unentbehrliche Maßnahme zur Wiederherstellung, Festigung oder Besserung seiner (dafür vorhandenen) Dienstfähigkeit bedeuten würde, hat der Kläger nicht behauptet.

[23]           4. Der Ansicht des Berufungsgerichts, es habe keiner ergänzenden Feststellungen zu den Kosten der Laserbehandlung im Vergleich zu den Kosten der (weiteren) Versorgung mit Brillen oder Kontaktlinsen bedurft, weil die Beklagte dem Kläger eine ausreichende Leistung (Sehbehelfe) zur Verfügung stelle (so auch 10 ObS 111/13s SSV-NF 27/70 [Laserbehandlung]), hält der Kläger nichts Stichhältiges entgegen. Entgegen seiner Ansicht sind bei der von den Vorinstanzen angesprochenen Kosten-Nutzen-Analyse nicht die Kosten ins Verhältnis zu den Vorteilen der Gesellschaft oder seiner (bei Kampfeinsätzen andernfalls gefährdeten) Kameraden, sondern zum angestrebten Heilungserfolg zu setzen (10 ObS 174/93 SSV-NF 7/112 = RS0083823; Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 133 ASVG Rz 53).

[24]           5. Zusammenfassend stehen die Entscheidungen der Vorinstanzen mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang. Da auch weder die vom Kläger behauptete Aktenwidrigkeit noch eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vorliegen (§ 510 Abs 3 ZPO), ist die Revision insgesamt nicht erfolgreich.

[25]     Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Zwar entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 2 Abs 1 ASGG, § 502 Abs 1 ZPO abhängt (RS0085871). Ein Kostenzuspruch kommt hier aber nicht in Betracht, weil aus der Aktenlage keine Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers ersichtlich sind, die einen Kostenzuspruch rechtfertigen könnten.

Textnummer

E137281

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00076.22G.0117.000

Im RIS seit

13.02.2023

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2023
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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