TE Vwgh Erkenntnis 1995/12/12 95/08/0230

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Veröffentlicht am 12.12.1995
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §27 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der S in G, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in G, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses in Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 14. Juni 1995, Zl. LA 2/7022/B-Dr.J/Fe, betreffend Höhe des Karenzurlaubsgeldes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 9. Dezember 1994 beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung von Karenzurlaubsgeld aufgrund der Geburt ihrer Tochter J am 16. Oktober 1994. Im Antragsformular und in einem weiteren Formular, welches Unterhaltsleistungen für das Kind betrifft, gab die Beschwerdeführerin an, in 8041 Graz, F-Gasse 31, wohnhaft zu sein. Der Kindesvater wohne in N 69. Alimente für das Kind seien derzeit keine vereinbart. Es würden S 1.500,-- "laut Absprache - persönliche Übergabe" geleistet. In einer vom Arbeitsmarktservice Graz aufgenommenen Niederschrift vom 28. Dezember 1994 gab die Beschwerdeführerin an, daß sie seit ca. zweieinhalb Jahren mit dem Kindesvater befreundet sei. Kurz vor der Geburt der Tochter sei die Beziehung beendet worden. Sie erhalte vom Kindesvater aufgrund privater Absprache S 1.500,-- Alimente in bar. Ein offizieller Unterhaltsvergleich existiere nicht. Auch das Besuchsrecht für die Tochter sei nicht offiziell geregelt. Der Kindesvater komme seine Tochter ca. zweimal wöchentlich besuchen, je nachdem wie es sein Beruf erlaube. Er nehme seine Tochter mit zu sich. Er übernachte nie bei der Beschwerdeführerin und habe bei ihr auch keine Bekleidungsstücke bzw. Toilettenartikel. Auch sie besuche ihn niemals an dessen Wohnsitz. Er unterstütze sie lediglich dadurch, daß er auch über die vereinbarten S 1.500,-- Alimente hinaus bei Bedarf Bekleidung, Windeln und die Babyartikel für die Tochter kaufe. Der Begriff der Lebensgemeinschaft sei ihr erklärt worden.

Nach einem Aktenvermerk vom 23. Jänner 1995 habe eine Verwandte des Kindesvaters erklärt, daß dieser an seiner Adresse N 69 nicht mehr wohnhaft sei. Er wohne "bei seiner Freundin in Graz" und sei unter deren Telefonnummer (der Telefonnummer der Beschwerdeführerin) erreichbar.

Mit Bescheid vom 30. Jänner 1995 stellte das Arbeitsmarktservice Graz gemäß § 27 Abs. 1 in Verbindung mit § 27 Abs. 4 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977, fest, daß der Beschwerdeführerin Karenzurlaubsgeld im Ausmaß von täglich S 201,10 gebühre. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß die in der Niederschrift vom 28. Dezember 1994 "angeführten Tatbestände ... nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens" entsprechen würden. Wie das Ermittlungsverfahren ergeben habe, sei der Kindesvater an der Adresse der Beschwerdeführerin wohnhaft.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Im Berufungsverfahren wurden Erhebungen am Wohnort der Beschwerdeführerin durchgeführt und festgestellt, daß am 24. April, 27. April, 9. Mai und 25. Mai 1995 das Kraftfahrzeug des Kindesvaters vor dem Haus der Beschwerdeführerin gesehen worden sei. Bei einer am 6. Juni 1995 durchgeführten Erhebung ließ die Beschwerdeführerin die Erhebungspersonen nicht in das Haus, bejahte aber die Frage, ob der Wagen vor ihrem Haus dem Kindesvater gehöre, mit ja. Nach dem Erhebungsbericht habe die Beschwerdeführerin erklärt, sie habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß sich der Kindesvater öfter bei ihr aufhalte. Sie sehe überhaupt nicht ein, warum sie jetzt noch einmal und zu später Stunde kontrolliert werde. Bei einer vorangegangenen Erhebung vom 6. April 1995 wurde - nach dem diesbezüglichen Erhebungsbericht - festgestellt, daß kein Hinweis dafür gefunden habe werden können, daß der Kindesvater an der Adresse der Beschwerdeführerin wohnhaft sei. Im "Allibert" sei ein Rasierapparat vorgefunden worden, von dem die Beschwerdeführerin erklärt habe, daß er ihr gehöre. Bei der Erhebung habe man jedoch das Gefühl gehabt, daß das Haus "erhebungsgerecht" hergerichtet gewesen sei.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und folgenden - entscheidungswesentlichen - Sachverhalt festgestellt: Es müsse von einem gemeinsamen Haushalt mit dem Kindesvater ausgegangen werden, da dessen wiederholt wahrgenommene Anwesenheit bei der Beschwerdeführerin mit dem Kontakt zu dem gemeinsamen Kind bzw. der persönlichen Übergabe des Unterhaltsbetrages nur unzureichend erklärt sei. Ein Unterhaltsvergleich existiere nicht, ebenso nicht eine Besuchsrechtsregelung. Nach diesen Feststellungen sei die zwischen der Beschwerdeführerin und dem Vater der Tochter bestehende Gemeinschaft "als Lebensgemeinschaft zu verstehen". Die Beschwerdeführerin sei daher nicht alleinstehende Mutter im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im gegenständlichen Verfahren strittige Frage, ob der Beschwerdeführerin das Karenzurlaubsgeld im Sinne des § 27 Abs. 1 AlVG zusteht oder das erhöhte Karenzurlaubsgeld als alleinstehende Mutter im Sinne des § 27 Abs. 2 AlVG, hängt davon ab, ob die Beschwerdeführerin als "alleinstehend" im Sinne des § 27 Abs. 4 AlVG anzusehen ist.

Gemäß § 27 Abs. 4 AlVG gilt als nicht alleinstehend eine Mutter, die ledig, geschieden oder verwitwet ist und mit dem Vater des Kindes nach den Vorschriften des Meldegesetzes 1972, BGBl. Nr. 30/1973, an der gleichen Adresse angemeldet ist oder anzumelden wäre oder vom Vater des unehelichen Kindes für sich Unterhalt in einem Ausmaß erhält, das den Freibetrag nach § 6 Abs. 3 erster Satz der Notstandshilfeverordnung zuzüglich des Unterschiedsbetrages zwischen § 27 Abs. 1 und 2 AlVG übersteigt.

Dieser Bestimmung liegt - wie der Verwaltungsgerichtshof

u. a in seinem Erkenntnis vom 16. Oktober 1990, Zl. 89/08/0286 - ausgesprochen hat, die Vermutung zugrunde, daß die dem Meldegesetz 1972 entsprechende Meldung der Mutter an derselben Adresse wie der Kindesvater nach der Lebenserfahrung einen gewissen Grad einer Hausgemeinschaft indiziert, wobei die Wirtschaftskraft eines solchen Haushaltes über jener einer gänzlich alleinstehenden Mutter steht (so auch das Erkenntnis vom 15. Oktober 1984, Zl. 84/08/0202, zur gleichlautenden Bestimmung des § 39 Abs. 2 AlVG im Zusammenhang mit der Sondernotstandshilfe).

Da der Kindesvater nicht an der Adresse der Beschwerdeführerin gemeldet war, hängt die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides davon ab, ob er nach den "Vorschriften des Meldegesetzes 1972" anzumelden gewesen wäre.

Es kann auf sich beruhen, ob sich seit Inkrafttreten des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992 (gemäß dessen § 23 Abs. 2 das Meldegesetz 1972 gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Meldegesetzes 1991 am 1. März 1992 außer Kraft getreten ist), die Verweisung in § 27 Abs. 4 AlVG nunmehr auf die Bestimmungen des Meldegesetzes 1991 bezieht, weil die wesentliche Voraussetzung für eine "Meldung nach den Bestimmungen des Meldegesetzes" in beiden Fällen gleich ist: Danach ist zu melden, wer in einer Wohnung oder in einem Beherbergungsbetrieb Unterkunft nimmt oder eine solche Unterkunft aufgibt (§ 1 Abs. 1 Meldegesetz 1972, § 2 Abs. 1 Meldegesetz 1991).

Die belangte Behörde gründet ihre (aus dem Bescheid 1. Instanz übernommene) Feststellung, der Kindesvater sei an der Adresse der Beschwerdeführerin "wohnhaft", im wesentlichen auf den Umstand, daß seine "wiederholt wahrgenommene Anwesenheit bei der (Beschwerdeführerin) mit dem Kontakt zu dem gemeinsamen Kind bzw. der persönlichen Übergabe des Unterhaltsbetrages nur unzureichend erklärt" sei, und daher von einem gemeinsamen Haushalt (bzw. einer Lebensgemeinschaft) ausgegangen werden müsse. Die belangte Behörde führt zwar nicht näher aus, aus welchem Grund sie der Auffassung ist, daß die "wiederholt wahrgenommene" Anwesenheit des Kindesvaters mit dem Kontakt zum gemeinsamen Kind nur unzureichend erklärt sei; legt man die aktenkundigen Ermittlungsergebnisse zugrunde, so wurde das Kraftfahrzeug des Kindesvaters zwischen dem 24. April und dem 25. Mai insgesamt viermal vor dem Haus der Beschwerdeführerin gesehen und dieser am 6. Juni 1995 um

20.15 Uhr, vom Erhebungsorgan bei der Beschwerdeführerin angetroffen. Dieses Ermittlungsergebnis allein - ungeachtet dessen, daß es die belangte Behörde nicht in die Begründung ihres Bescheides übernommen hat - stünde mit dem angegebenen Zweck der Besuche (nämlich im Kontakt zum gemeinsamen Kind) noch nicht im Widerspruch. Insoweit ist die Feststellung der belangten Behörde, zwischen der Beschwerdeführerin und dem Kindesvater bestehe ein gemeinsamer Haushalt bzw. dieser wohne an ihrer Adresse, nicht zureichend begründet, wie in der Beschwerde zu Recht gerügt wird. Es läßt sich daher mangels verläßlicher Sachverhaltsfeststellungen auch nicht beurteilen, ob der Kindesvater nach den Bestimmungen des Meldegesetzes an der Adresse der Beschwerdeführerin zu melden gewesen wäre (zum Begriff der Unterkunftsnahme vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0188, mit weiteren Rechtsprechungs- und Literaturhinweisen).

Die belangte Behörde bezieht sich in der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Gegenschrift erstmals der Sache nach auch auf den (eingangs erwähnten) Aktenvermerk vom 23. Jänner 1995, wonach dem Arbeitsmarktservice Graz bei telefonischer Kontaktaufnahme an der bekanntgegebenen Unterkunft des Kindesvaters die Auskunft erteilt worden sei, dieser sei in Graz bei der Beschwerdeführerin wohnhaft und unter deren Telefonnummer erreichbar.

Diese Auskunft hat die belangte Behörde weder in die Begründung des angefochtenen Bescheides aufgenommen, noch kann den Verwaltungsakten - entgegen den diesbezüglichen Ausführungen in der Gegenschrift der belangten Behörde - entnommen werden, daß sie der Beschwerdeführerin zu diesem Aktenvermerk Parteiengehör gewährt hat: Darüber liegt weder eine Beurkundung vor, noch bezieht sich die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 25. Jänner 1995, AS 49, worin sie "bezugnehmend auf (das) Telefonat vom 23. Jänner 1995 ... die Zustellung eines Feststellungsbescheides begehrt" ausdrücklich oder dem Sinne nach auf dieses Ermittlungsergebnis. Ist aber den Verwaltungsakten nicht entnehmbar, daß die Beschwerdeführerin in Kenntnis dieses Ermittlungsergebnisses gewesen ist, dann kann der Umstand, daß sie darauf weder in der Berufung, noch in der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof Bezug nimmt, nicht in der Richtung gedeutet werden, daß sie der Sache nach nicht bestreite, daß der Kindesvater bei ihr wohne; im Gegenteil: Nach den Beschwerdehauptungen wohne der Kindesvater an eben jener Adresse, die der belangten Behörde von der Beschwerdeführerin angegeben worden sei.

Die Nachholung der (im Bescheid fehlenden) Begründung in der Gegenschrift ersetzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht die der Behörde obliegende Verpflichtung, Parteiengehör zu gewähren und den Bescheid zu begründen (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 607, im dritten und vierten Absatz wiedergegebene Rechtsprechung).

Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, jedoch begrenzt durch das hinter den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung zurückbleibende Kostenbegehren im Beschwerdeschriftsatz.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995080230.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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