Norm
BDG 1979 §43 Abs2 BDG i.V.m. §91Schlagworte
MisshandlungText
Die Bundesdisziplinarbehörde hat am 11.04.2022 nach der am 11.04.2022 in Anwesenheit des Beamten, des Verteidigers, des Disziplinaranwaltes und der Schriftführerin durchgeführten mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Beamte ist schuldig,
a)
er hat am 20.11.2021, um 17:00 Uhr, bei Ankunft im PAZ in N.N. den mittels Handfesseln gesicherten festgenommenen A.A. an der Kleidung ergriffen und zu Boden gerissen, sodass dieser am Asphalt aufprallte und ihm in weiterer Folge je einen Fußtritt in den Bauch und gegen den rechten Oberarm versetzt, wodurch deutliche Rötungen am Arm entstanden. Weiters habe er A.A. am T-Shirt hochgerissen und seinen Kopf stark gegen den Asphalt gedrückt,
er hat dadurch Dienstpflichtverletzungen gemäß § 43 Abs. 2 BDG i.V.m. § 91 BDG 1979 begangen.
Über den Beamten wird gem. § 92 Abs. 1 Zi 3 BDG die Disziplinarstrafe der Geldstrafe im Ausmaß von € 7.000,- (in Worten siebentausend) verhängt.
Hingegen wird der Beamte von dem Vorwurf,
b)
er hat am 20.11.2021 als Lenker des Arrestantenwagens im Zuge des Transports des Festgenommenen A.A. nach N.N mehrmalige, vorsätzliche Notbremsungen begangen, wodurch A.A., der sich während der Fahrt aggressiv verhielt, laut Angaben der Begleitperson B.B. aus dem Gleichgewicht kam (er war am Rücken geschlossen) und zu Boden fiel,
er hat dadurch Dienstpflichtverletzungen gemäß §§ 43 Abs. 1 und 2 BDG und 44 Abs. 1 BDG i.V.m. der Dienstanweisung der LPD N.N. „Dienstkraftfahrzeuge“, Pkt. III.2., GZ: N.N. v. 10.03.2015 i.V.m. § 91 BDG 1979 begangen.
Gemäß § 126 Abs. 2 BDG i.V.m. § 118 Abs. 1 Zi 2 BDG im Zweifel freigesprochen.
Die Suspendierung des Beamten wird gemäß § 112 Abs. 6 BDG mit sofortiger Wirkung aufgehoben.
Seitens des Beamten wurde gemäß § 127 BDG eine Ratenzahlung im Ausmaß von 36 Monatsraten beantragt und seitens des Senates bewilligt.
Dem Beamten erwachsen keine Kosten aus dem Verfahren gemäß § 117 BDG.
Begründung
Der Verdacht, schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen begangen zu haben, gründet sich auf die Disziplinaranzeige der Dienstbehörde vom 02.12.2021 zu N.N. sowie den Erhebungen der LPD N.N.
Sachverhalt:
Am 22.11.2021 wurde der Personalabteilung der Landespolizeidirektion N.N. durch die begleitenden Beamten C.C. und B.B. Bericht erstattet, wonach folgende Verdachtsmomente festgestellt wurden:
Der Beamte führte am 20.11.2021 als Lenker des Arrestantenwagens den Transport einer festgenommenen Person, A.A., nach N.N durch. A.A. war aufgrund seines aggressiven Verhaltens gegenüber Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 Z 3 VStG festgenommen worden. Der Festgenommene verhielt sich auch während der Überstellungsfahrt aggressiv, wobei dieser Beleidigungen schrie und auch einmal absichtlich mit seinem Kopf gegen die Türe schlug. Der Häftlingstransport wurde von C.C. und B.B. begleitet. Die begleitenden Beamten berichten über mehrmalige vorsätzliche Notbremsungen des Beamten während der Überstellungsfahrt, wodurch der Festgenommene aus dem Gleichgewicht kam und zu Boden fiel. Der Festgenommene betätigte während der Fahrt mehrmals bzw über eine längere Dauer den Notknopf, was einen schrillen Alarmton im Fahrzeug auslöste.
Als C.C. nach dem Eintreffen im PAZ N.N. um 17:00 Uhr im Begriff war den mittels Handfessel gesicherten Festgenommenen aus dem Arrestantenwagen zu begleiten, ergriff der Beamte den Festgenommenen an der Kleidung und riss ihn zu Boden. Durch die angelegte Handfessel war es A.A. nicht möglich sich abzufangen, weshalb er aus einer Höhe von etwa 50 cm auf dem Asphalt aufprallte. Als der Festgenommene nunmehr auf dem Boden lag, holte der Beamte mit seinem Fuß aus und trat diesem gegen den Bauch. In der Absicht weitere Eskalationen zu verhindern, hielt B.B. den Festgenommen am linken Arm fest. Indes trat der Beamte mit seinem Stiefel auf den rechten Oberarm des Festgenommenen. Hierdurch wurde dessen Haut zwischen Stiefel und Asphalt dermaßen eingequetscht, dass anschließend deutliche Rötungen am Arm wahrzunehmen waren. Anschließend riss der Beamte den Festgenommenen am T-Shirt hoch und drückte seinen Kopf stark gegen den Asphalt.
Verletzungen:
Im Zuge der obligatorisch durchgeführten polizeiamtsärztlichen Untersuchung wurde von Herrn A.A. kein Misshandlungsvorwurf geäußert. Laut Gutachten hatte A.A. einmal erbrochen und verweigerte die Fotodokumentation und die weitere Untersuchung. Es wurde eine oberflächliche Abschürfung (ca. zwei cm) an der rechten Wange und eine Rötung im Bereich der linken Schulter diagnostiziert.
Angaben der Zeugen:
C.C. gibt im Zuge der Zeugeneinvernahme an, dass der Amtsvermerk gemeinsam mit B.B. verfasst wurde, in welchem die Amtshandlung und die Festnahme des A.A. dokumentiert wurden. Zwecks Überstellung des Häftlings in das PAZ N.N. wurde der Arrestantenwagen angefordert. Dem Festgenommenen wurden die Handfesseln mit den Armen am Rücken angelegt. Zu dem Zeitpunkt, als A.A. in den Arrestantenwagen verbracht wurde, konnten an ihm keine sichtlichen Verletzungen wahrgenommen werden. B.B. fuhr im Arrestantenwagen mit. C.C. fuhr mit dem Stkw A/4 zum PAZ N.N. Er hatte während der Fahrt keinen Blickkontakt zu dem Arrestantenwagen. Als er zum PAZ kam, war der Arrestantenwagen bereits vor Ort. Nachdem das Fahrzeug eingeparkt wurde, positionierten sich die Beamten zu Dritt vor der Schiebetüre des Fahrzeuges. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Häftling laut geschrien. Nachdem die Türe von C.C. geöffnet wurde, konnte A.A. auf der Bank sitzend wahrgenommen werden. Er trug nach wie vor Handfesseln am Rücken. A.A. war nach der Ansprache sehr ruhig und nahm die Aufforderungen kommentarlos zur Kenntnis. A.A. ging langsam mit C.C. zurück in Richtung Ausgang des Fahrzeuges. Beim Ausgang befinden sich zwei Stufen. Plötzlich und unerwartet kam von hinten die Hand des Fahrers, welcher den Häftling am linken Oberarm packte und ihn zurückriss. Infolgedessen stürzte A.A. aus dem Arrestantenwagen, wobei C.C. versuchte den Sturz zu bremsen, indem er A.A. am rechten Ärmel festhielt. A.A. stürzte jedoch trotzdem nach draußen auf den Betonboden. A.A. lag seitlich mit der linken Schulter am Boden. Zu diesem Zeitpunkt stand der Beamte unmittelbar vor dem am Boden liegenden A.A. Plötzlich holte der Beamte mit dem (vermutlicher rechten) Fuß voll nach hinten aus und trat dem Häftling damit in den Bauchbereich. C.C. sagte sofort unzählige Male „stopp – stopp – stopp“ und „a Ruah is“. Er stellte sich auch sofort zwischen dem am Boden liegenden A.A. und den Beamten, um etwaige weitere Tritte zu verhindern. A.A. sagte noch „Ihr (oder Du) seids das Letzte. Ihr (oder Du) seids weniger wert als nichts.“ Der Beamte sagte: „…auf a Demo gehen!“ Die von B.B. wahrgenommene Misshandlung, bei welcher der Beamte dem Häftling auf den Oberarm trat, wurde von C.C. nicht wahrgenommen. Auch, dass der Beamte den Kopf des A.A. gegen den Asphalt drückte, konnte nicht wahrgenommen werden. Danach wurde A.A. in eine „Handzelle“ (Anm.: vermutlich ist mit diesem Begriff eine Anhaltezelle gemeint) bei der Aufnahme des PAZ gebracht. Dabei gab es keinen Vorfall, außer dass er schimpfte. In dieser Zelle kniete sich A.A. selbstständig nieder und schlug von selbst seinen Kopf gegen die Holzbank.
B.B. gibt im Zuge der Zeugeneinvernahme an, dass der Beamte bereits beim Einsteigen in den Arrestantenwagen zu ihr sagte „ob ihr eh bewusst ist, dass sie auf dem Weg zum PAZ mehrere Notbremsungen machen“. B.B. hielt dies für einen Witz. Von dem Beamten wurde das Blaulicht während der Fahrt eingeschalten. Die Fahrt wurde so durchgeführt, wie zuvor angekündigt. Der Beamte hatte mehrere Male mit verschiedener Intensität stark gebremst. Aufgrund dessen ist der Häftling in der Zelle auch mehrmals aus dem Gleichgewicht geraten. B.B. konnte über die Videoüberwachungsanlage sehen, dass er auch öfter mit dem Kopf rechts und links gegen die Türe schlug. A.A. hatte auch die ganze Zeit geschrien. Er hatte die verschiedensten Schimpfwörter verwendet. Er trat auch ständig gegen die Türe. Einmal hatte er auch absichtlich seinen Kopf gegen die Türe geschlagen. B.B. hat zwei kurze Videos vom Bildschirm der Videoüberwachungsanlage angefertigt. Diese übermittle sie dem Referat N.N. Der Beamte schien darüber erheitert zu sein, dass A.A. immer wieder das Gleichgewicht verlor. Der Beamte sagte auch sinngemäß: „Wenn du wüsstest, was wir früher mit dem gemacht hätten. Da hätte er nach seiner Mama gewinselt!“ Auch fand er es unverantwortlich, dass sich in einer Pandemie die Menschenmassen zu einer Demo ansammeln.
Gegen Ende der Fahrt, hatte der Häftling auch auf den in der Zelle befindlichen Alarmknopf gedrückt. Aufgrund dessen wurde von dem Beamten das Fahrzeug sehr stark abgebremst. Dabei flog A.A. wieder mit dem Kopf gegen die Türe. B.B. hatte den Eindruck, dass er dann etwas benommen war. B.B. glaubte, dass A.A. nach dieser Vollbremsung im Gesicht blutete und teilte dies dem Beamten mit. Dieser erwiderte: „Jawohl, jawohl!“. Später stellte sich jedoch heraus, dass A.A. doch nicht blutete. Offenbar war dies ein Fehler im Video. Im PAZ N.N. eingetroffen, wurde der Arrestantenwagen in den Innenhof gelenkt. C.C. war bereits anwesend. Alle drei Beamten hatten sich vorbereitet, den Häftling aus dem Arrestantenwagen zu holen. Er schrie laut, dass er raus will. Von C.C. wurde die Zellentüre geöffnet. Er sagte zu A.A., dass er keinen Widerstand leisten soll. Zu diesem Zeitpunkt war der A.A. ganz ruhig. C.C. erfasste A.A. am Oberkörper und begleitete ihn in Richtung Ausgang des Arrestantenwagens. Dabei ging A.A. rückwärts. Er war zu diesem Zeitpunkt mittels Handfesseln (mit den Armen am Rücken) gesichert. C.C. war sehr vorsichtig, damit der Häftling nicht vom Arrestantenwagen hinausfällt.
Wie aus dem Nichts ergriff der Beamte plötzlich A.A. an der Kleidung, irgendwo am Oberkörper und zog ihn nach draußen, wodurch A.A. vom Arrestantenwagen auf den Asphaltboden stürzte. Er lag dann auf der linken Seite in gekrümmter Haltung.
Der Beamte holte enorm mit dem Fuß nach hinten aus und trat dem A.A. in die Bauchgegend. B.B. glaubt, es war der rechte Fuß, mit welchem er zugetreten hat. Der Tritt war mit Sicherheit kein Versehen, sondern wurde offensichtlich vorsätzlich durchgeführt. A.A. hatte sich am Boden gewunden und kam in Bauchlage zum Liegen.
Der Beamte stand dann mit seinem Stiefel mit vollem Gewicht am rechten Oberarm des A.A. und rutschte mit der Sohle des Stiefels langsam nach unten, wobei er die Haut des Oberarms quetschte. Auch diese Aktion war absichtlich und kein Versehen. Die Haut war in diesem Bereich anschließend gerötet. Danach ergriff der Beamte das T-Shirt von A.A. und zog ihn nach oben, sodass das Kleidungstück fast gerissen wäre. Dann drückte er mit der Hand den Kopf des A.A. mit Gewalt zu Boden. Dabei hatte er ihn im Bereich der Wange mit der Hand nach unten gedrückt. Ob rechts oder links kann nicht angegeben werden. C.C. sagte sinngemäß: „Stopp – stopp, jetzt ist aber Schluss, wir machen das schon.“ Der Beamte hörte darauf und beendete sein Verhalten. Aufgrund der dynamischen Abfolge innerhalb kürzester Zeit konnte der Tathergang weder durch C.C. noch durch B.B. verhindert werden.
Als die Amtshandlung beendet war, verständigte C.C. telefonisch den PI – Kommandanten von dem Vorfall.
Suspendierung:
Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes wurde der Beamte mit Bescheid der Landespolizeidirektion N.N. vom 22.11.2021 gem. § 112 Abs. 1 BDG 1979 vorläufig vom Dienst suspendiert.
Die BDB verfügte in weiterer Folge am 22.12.2021 die Suspendierung gem. § 112 Abs. 2 BDG.
Verantwortung:
Der Beamte selbst wurde zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert. In dieser bedauerte er sein Verhalten zutiefst, und führte an, dass er den festgenommenen A.A. nicht verletzen wollte. Er habe die Notbremsungen nicht absichtlich herbeigeführt, sondern haben sich diese aufgrund der Einsatzfahrt und dem noch immer andauernden Demonstrationszug verkehrsbedingt ergeben und habe er seine Kollegin gerade auf diese Umstände vor der Fahrt aufmerksam gemacht.
Aufgrund starker privater Belastungen (Erkrankung der Kinder und auch eigene Erkrankung in der Pandemie) wäre ihm die Situation vermutlich über den Kopf gewachsen und er habe aus nicht nachvollziehbaren Gründen den Festgenommen einmal getreten. In weiterer Folge wäre er ihm aber unabsichtlich auf den Arm gestiegen. Um Schadensgutmachung zu leisten, habe er aber dem Opfer nunmehr € 1300,- Schmerzensgeld angeboten und werde diesen Betrag in den nächsten Tagen nach Erhalt der Kontodaten überweisen.
Gerichtsverfahren:
Seitens des LG für Strafsachen N.N. wurde eine Diversion mit einer Geldbuße von € 6.750,- verhängt.
Mündliche Disziplinarverhandlung:
Mit Bescheid vom 30.12.2021 wurde das ordentliche Disziplinarverfahren eingeleitet und die mündliche Verhandlung nach Rechtskraft der Diversion für 11.04.2022 anberaumt und durchgeführt.
Der Beamte bekannte sich zu Beginn der Verhandlung zu den Anlastungen für teilweise schuldig und führte an, dass er hinsichtlich Punkt 1 zwar Notbremsungen durchgeführt hätte, dies wäre jedoch verkehrsbedingt gewesen. Er wäre einsatzmäßig gefahren, um den Festgenommenen so rasch wie möglich abzuliefern. Dies war aber nicht so einfach, zumal er auf dem Gleiskörper der Straßenbahn fuhr und die Demonstration noch immer im Gange war. Der Festgenommene hätte während der Fahrt immer wieder herumgeschrien und auf den Notknopf gedrückt. Er hätte auch über den Monitor beobachtet, dass der Festgenommene im Auto mit dem Kopf gegen die Fahrzeugwand geschlagen hatte und gegen die Wand trat. Der Monitor befindet sich im Arrestantenwagen rechts oberhalb des Lenkers. Die junge Kollegin auf dem Beifahrersitz wäre nicht angeschnallt gewesen, hielt ihr Handy in der Hand und musste auch einige dienstliche Telefonate führen. Vermutlich habe sie deshalb die Notbremsungen besonders schlimm empfunden. Die vorliegenden Videoaufnahmen wurden von ihr gemacht, als sie bereits in der Hofeinfahrt zum PAZ standen.
Hinsichtlich des körperlichen Übergriffs führte der Beamte an, dass er lediglich helfen wollte, zumal er bereits zuvor wahrgenommen hatte, wie aggressiv der Festgenommene gegenüber den einschreitenden Polizisten war. Die Kollegin wäre sehr zierlich gewesen und er wäre aufgrund des vorangegangenen Verhaltens davon ausgegangen, das sich der Festgenommene weiterhin renitent verhalten werde.
Über Befragen gab der Beamte jedoch an, dass es grundsätzlich keinerlei Auftrag für den Lenker eines Arrestantenwagens gebe zu unterstützen.
Der Kollege C.C. ist nach der Ankunft im PAZ in den Arrestanten gestiegen, um den Festgenommenen zu holen. Als dieser gerade im Begriff war, aus dem Bus zu steigen, hätte er selbst nach ihm gegriffen und ihn aus dem Fahrzeug gerissen, sodass der Festgenommene zu Boden fiel. Ohne zu überlegen, hätte er mit dem Fuß nach ihm getreten. Er wisse noch immer nicht, was er sich dabei gedacht hatte aber offenbar wären bei ihm „sämtliche Sicherungen durchgebrannt“.
Er wäre über seine Handlung selbst schockiert gewesen und deshalb habe er nicht auf die Gesichter der Kollegen geachtet. C.C. hätte jedenfalls sofort „Stopp-Stopp“ gerufen und sich dazwischen gestellt.
Sein Verhalten tue ihm unendlich leid und er könne es nur darauf zurückführen, dass ihm die private Situation während der Corona-Zeit zuviel geworden ist. Sein 5jähriger Sohn litt an einer schweren Lungenentzündung und die Behandlung während Corona stellte sich als äußerst schwierig und kompliziert heraus und seine 11jährige Tochter hätte durch Corona psychische Probleme davongetragen. Er selbst hatte zeitgleich einen Nierenstein und war am Vorfallstag nach einem längeren Krankenstand zum ersten Mal im Dienst.
Während der Suspendierung hatte er Zeit zum Nachdenken und suchte auch immer wieder um eine Erklärung für sein Verhalten. Natürlich gebe es keine Entschuldigung für das vorgefallene Verhalten. Dennoch habe er dem A.A. Schadensgutmachung angeboten und sich auch schriftlich bei ihm entschuldigt.
Im Zuge des Beweisverfahrens wurden die von der B.B. angefertigten Videos abgespielt, die den Festgenommenen zeigten, als er schreiend mit den Füßen gegen die Wände des Fahrzeuges trat. Hinsichtlich Notbremsungen konnten dadurch keine Erkenntnisse gewonnen werden.
Der Disziplinaranwalt führte in seinem Plädoyer aus, dass der Sachverhalt aufgrund des teilweisen Geständnisses und des Beweisverfahrens hinreichend geklärt ist.
Der Beamte machte einen geläuterten Eindruck und trat auch in der mündlichen Verhandlung sehr ruhig auf. Er hat bereits Schadensgutmachung geleistet und wird dies auch als Milderungsgrund herangezogen. Auch wenn der Beamte anführt, dass er private Probleme hatte, so wird diesbezüglich entgegnet, dass er einen Diensteid auf die Rechtstaatlichkeit abgelegt.
Mildernd war das Geständnis, die sehr gute Dienstbeschreibung, die Entschuldigung beim Opfer und die Schadensgutmachung.
Erschwerend wirkten mehrere Dienstpflichtverletzungen.
Antrag: Geldstrafe im höheren Ausmaß
Der Verteidiger führte in seinem Plädoyer aus, dass der Beamte reumütig und geständig ist und auch Schadensgutmachung geleistet hat. Bis heute könne er sich sein Verhalten nicht erklären, zumal er, wie auch in der formlosen Dienstbeschreibung angeführt, grundsätzlich ein sehr ruhiger Mensch ist.
Die Aspirantin und auch der Kollege hatten nur ihre Pflicht getan und den Vorfall gemeldet, und es war sicherlich ein einschneidendes Erlebnis gewesen. Vielleicht hat die Aspirantin die Notbremsungen im Kontext betrachtet mit den Misshandlungen im Nachhinein subjektiv anders bewertet. Der Beschuldigte ist jedenfalls verantwortlich für sein Verhalten und war ihm dies sicherlich eine Lehre, auch in finanzieller Hinsicht.
Antrag: milde Strafe
Der Beamte schloss sich im Schlusswort den Worten der Verteidigung an und entschuldigte sich neuerlich für sein Verhalten.
Der Senat hat dazu erwogen:
Zum Schuldspruch:
Der Senat ist nach Durchführung des Beweisverfahrens zum Erkenntnis gelangt, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Dienstpflichtverletzung schuldhaft begangen hat.
Der Vorwurf lautet dahingehend, dass der Beamte eine festgenommene Person misshandelt hat, indem er diesen einen Tritt gegen den Bauch gab, obwohl dieser am Rücken geschlossen war und von diesem keine Gefahr ausgehen konnte,
Die Feststellungen ergeben sich aus der eindeutigen Aktenlage, der Diversion sowie aus den Ausführungen des Beamten.
Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 BDG:
Gemäß § 43 Abs. 2 BDG ist der Beamte verpflichtet, in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit, aber auch des Dienstgebers in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt. Diese Pflicht verletzt der Beamte immer dann, wenn er durch ein inner- oder außerdienstliches Verhalten bei Dritten Bedenken dagegen auslöst, dass er bei der Vollziehung immer rechtmäßig vorgehen werde und damit seine Glaubwürdigkeit einbüßt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach entschieden hat, ist eine Verletzung der Pflicht zur Vertrauenswahrung immer dann anzunehmen, wenn der Beamte ein Rechtsgut verletzt, mit dessen Schutz er im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben betraut ist. Wie schon oben ausgeführt, ist der Beamte schuldig, einen Festgenommen körperlich attackiert und misshandelt zu haben.
Er ist dabei schuldig, das Fehlverhalten im Kernbereich seiner dienstlichen Aufgaben realisiert zu haben, weil die Vollziehung der Strafgesetze grundsätzlich von jedem Polizeibeamten zu besorgen ist. Die Einhaltung der Normen des StGB ist eine der wichtigsten Aufgaben der Polizei, die dafür auch wesentliche Ressourcen aufwendet.
Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und der Disziplinaroberkommission (bis 31.12.2013) werden gerade an Polizeibeamte qualifizierte Anforderungen gestellt, da diese im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben zum Schutz vor Verletzungen des Straf- und Verwaltungsstrafrechts berufen sind. Von ihnen wird daher, sowohl was die Einhaltung von Rechtsnormen betrifft, aber auch hinsichtlich ihrer gesamten Dienstleistung, ein besonders vorschriftengetreues Verhalten erwartet. Wenn nun ein Polizeibeamter seine dienstlichen Pflichten vernachlässigt, weil er eine ihm körperlich klar unterlegene Person, weil am Rücken geschlossene Person, durch unbegründete massive Gewaltausübung misshandelt, so ist dies geeignet, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben zu beeinträchtigen. Das Einschreiten des Beamten ist geeignet den Eindruck zu erwecken, dass die Polizei mit den rechtlich geschützten Werten unzureichend verbunden ist und bereits bei niederschwelligen Einsätzen mit Gewaltbereitschaft vorgeht. Ein derartiges Verhalten von Polizeibeamten kann für das Vertrauen des Bürgers in die Polizei negative Folgen haben. Die Öffentlichkeit erwartet sich zu Recht, dass die Polizei, die mit einer Vielzahl von wichtigsten staatlichen Vollzugsaufgaben betraut ist, ihre dienstlichen Aufgaben gewissenhaft und professionell, im Interesse des Bürgers, sowie nur dem Gesetz verpflichtet, erfüllt und sich nicht zu körperlichen Übergriffen hinreißen lässt.
Von besonders geschulten Polizeibeamten, die noch dazu Jahrzehnte lange Erfahrung im exekutiven Außendienst haben, muss erwartet werden können, dass sie in der Lage sind, sich zu beherrschen. Es kann nicht toleriert werden, dass ein Polizeibeamter – ohne selbst unmittelbar gefährdet zu sein, bei einer leicht zu bewältigenden Routineamtshandlung grundlos den Festgenommenen attackiert. Das unprofessionelle, gewaltbereite Verhalten des Disziplinarbeschuldigten ist nach Meinung des erkennenden Senates geeignet einen Ansehensverlust, nicht nur der betroffenen Beamten selbst, sondern des gesamten Wachkörpers zu verursachen, weil das Bild einer unverhältnismäßig agierenden Polizei vermittelt wird. Der Polizei kommt also eine bedeutende Rolle zu, derartige Delikte zu verfolgen und in den eigenen Reihen zur Anzeige zu bringen und dadurch auch eine präventive Funktion zu erfüllen. Dies impliziert, dass Polizeiorgane nicht nur mit den rechtlichen Werten verbunden sein müssen (also keine Straftaten begehen), sondern sich von jeglichen tätlichen Übergriffen fernzuhalten haben.
Es handelt sich vorliegendenfalls um einen Übergriff im klassischen Sinn. Der Beamte reißt den Festgenommenen aus dem Fahrzeug und als dieser zu Boden stürzt, tritt er auf ihn ein. Das Opfer war wehrlos, weil er die Hände am Rücken geschlossen hatte. Besonders verwerflich für den Senat ist die Tatsache, dass der Beamte seine Übergriffe in Gegenwart einer Aspirantin setzte und dabei nicht nur völlig außer Acht gelassen hat, dass er Vorbildfunktion ausübt, sondern seine Kollegen in die unangenehme Situation bringt, gegen den eigenen Kollegen vorgehen zu müssen und den Vorfall zu melden.
In der mündlichen Verhandlung war der Beamte reumütig und legte auch dar, dass er bis heute selbst nicht versteht, wie es so weit kommen konnte. Er sei grundsätzlich ein friedliebender und phlegmatischer Mensch, dem nichts so schnell aus der Fassung bringen könne. Er habe auch zuvor viele Jahre als Arrestantenposten in N.N. gearbeitet und niemals Anlass für Beschwerden gegeben. Aber er wäre offenbar doch mit seiner privaten Situation (Erkrankung beider Kinder im Lockdown, zeitgleich auch eigene Erkrankung und offenbar zu früh den Dienst angetreten) überfordert gewesen, obwohl dies keine Entschuldigung sein kann.
Der Senat konnte sich in der mündlichen Verhandlung davon überzeugen, dass der Beamte tatsächlich Ruhe ausstrahlt und die damalige Situation offenbar eine einmalige Fehlleistung war.
Auch das chefärztliche und psychologische Gutachten attestieren eine positive Zukunftsprognose und liegt weder ein überhöhtes Aggressionspotential vor, noch Alkoholmissbrauch.
Zum Freispruch:
Gemäß § 118 Abs. 1 BDG ist das Disziplinarverfahren durch Bescheid einzustellen, wenn
1. der Beamte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung nicht begangen hat Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen (Strafausschließungsgründe und Strafaufhebungsgründe) (Z 1)
2. die dem Beamten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt (Z 2)
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen (Verfolgungshindernisse) Z 3
4. die Schuld des Beamten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies die Bestrafung nicht geboten ist, um den Beamten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder Dienstpflichtverletzungen durch andere Beamte entgegenzuwirken (Z 4).
Dem Beamten wird vorgeworfen, er habe grundlos Notbremsungen durchgeführt. Der Beamte führte diesbezüglich aus, dass er einsatzmäßig gefahren wäre und verkehrsbedingt mehrmals bremsen musste, zumal die Demonstration noch im Gange war. Seitens der Aspirantin wurden aus der Fahrzeugkabine vom Monitor 2 Videos gemacht, um das Verhalten des Festgenommene im Arrestantenwagen zu zeigen. Auf den Videos mit relativ kurzer Sequenz kann man erkennen, wie der Festgenommene mit den Füßen gegen die Wand des Fahrzeuges tritt und herumschrie.
Die Aufnahmen selbst wurden jedoch erst angefertigt, als der Arrestantenwagen bereits vor der Hofeinfahrt zum PAZ stand.
Hinsichtlich der angelasteten Notbremsungen brachten die Videoaufnahmen keine neuen Erkenntnisse und es ist durchaus im Bereich des Möglichen, dass die B.B. im Kontext mit der Misshandlung die Notbremsungen anders subjektiv wahrgenommen hat und nicht auf den Verkehr bezogen hat.
Da der Vorwurf der absichtlichen Notbremsungen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden konnte, wurde der Beamte im Zweifel freigesprochen.
Strafbemessungsgründe gemäß § 93 BDG:
Gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 ist das Maß für die Höhe der Strafe die Schwere der Dienstpflichtverletzung; dabei ist jedoch darauf Bedacht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Disziplinarbeschuldigten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. Zu berücksichtigen sind aber auch die bisherigen dienstlichen Leistungen, sowie sein Verhalten im Dienststand und die Qualität der bisherigen Dienstleistung. Der erkennende Senat hat sich nach der jüngsten Judikatur des VwGH jedenfalls ein umfassendes Bild des Disziplinarbeschuldigten zu machen und dann eine Prognose zu stellen, inwieweit und in welchem Ausmaß eine Bestrafung notwendig ist. Für die Schwere der Dienstpflichtverletzung ist nicht nur maßgebend, in welchem objektiven Ausmaß gegen Dienstpflichten verstoßen, oder der Dienstbetrieb beeinträchtigt wurde, sondern es muss die Bestrafung grundsätzlich in einem angemessenen Verhältnis zum Unrechtsgehalt der Verfehlung stehen und sie muss spezial- und generalpräventiv erforderlich sein. Innerhalb des Schuldrahmens darf keine strengere Strafe verhängt werden, als sie aus Gründen der Spezialprävention notwendig erscheint (vgl. Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten3, 78 ff und ihr folgend das Erkenntnis des verstärkten Senates des VwGH vom 14.11.2007).
Maßstab für die Strafbemessung ist vor allem das Verschulden des Disziplinarbeschuldigten in der konkreten Situation und war als Strafrahmen deshalb eine Geldstrafe im mittleren Bereich ausreichend. Aus generalpräventiven Gründen muss den Kollegen vor Augen geführt werden, dass derartiges Fehlverhalten bedingungslos sanktioniert wird.
Im konkreten Fall war jedoch das Geständnis, die disziplinäre Unbescholtenheit, die sehr gute Dienstbeschreibung, Schadensgutmachung, die Entschuldigung beim Opfer sowie die positive Zukunftsprognose aus heutiger Sicht mildernd zu werten.
Erschwerdend wirkte kein Umstand.
Aufhebung der Suspendierung gem. § 112 Abs. 6 BDG:
Da im Zuge der Verkündung des Disziplinarerkenntnisses seitens beider Parteien ein Rechtsmittelverzicht abgegeben wurde, tritt die Beendigung der Suspendierung ex lege mit Abgabe des Rechtsmittelverzichts ein.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zuletzt aktualisiert am
07.02.2023