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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit durch die Abweisung eines Antrags auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte mangels Erfüllung der Eintragungsvoraussetzung der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt in der erforderlichen Dauer; keine Gleichrangigkeit der Tätigkeit bei einem Notar aufgrund dessen spezielleren Aufgabengebietes trotz der notariellen Vertretungsbefugnis vor Gericht; keine Gleichheitswidrigkeit der Festlegung der praktischen Verwendungsdauer bei einem Rechtsanwalt; keine Überschreitung des rechtspolitischen Entscheidungsspielraums des GesetzgebersSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Schreiben vom 10. September 1992 beantragte der Beschwerdeführer bei der Rechtsanwaltskammer Wien seine Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte. Er führte dazu aus, er sei seit 1974 insgesamt 17 Jahre und 7 Monate wie folgt rechtsberatend tätig gewesen:
Nach neunmonatiger Gerichtspraxis sei er vom Jänner 1975 bis Oktober 1982 bei Notaren, hievon vom Jänner 1975 bis April 1980 bei einem Notar in Hainburg a. d. Donau beschäftigt gewesen. Nach dessen Ableben im April 1980 sei er für die vakante Notarsstelle als Substitut gemäß §119 Abs3 NotariatsO bis zum Februar 1981 bestellt worden. Seit Dezember 1982 sei er in leitender Funktion bei einer GesmbH (Rechtswesen) tätig. Er habe die Rechtsanwaltsprüfung in Form einer Ergänzungsprüfung zu seiner bestandenen Notariatsprüfung abgelegt, sei seit März 1985 in die Liste der Strafverteidiger eingetragen und in dieser Funktion auch tätig.
Da in Hainburg a. d. Donau nur ein Anwalt seinen Sitz gehabt habe, sei er als Dauersubstitut des Notars gemäß §120 Abs1 NotariatsO bzw. als selbständiger Substitut häufig als Parteienvertreter in Zivilsachen eingeschritten. Diese Funktion habe er gemäß §29 ZPO bzw. §5 Abs2 NotariatsO ausgeübt; diese Bestimmungen räumten dem Notar bzw. dessen Substituten in diesem Sonderfall anwaltliche Funktion ein, nämlich die der umfassenden Parteienvertretung. Im Sinne einer systematisch-logischen Auslegung und unter Berücksichtigung der über die RAO hinausreichenden und diese ergänzenden Bestimmungen der ZPO und der NotariatsO müsse daher die Zeit, in der ein Notar auch die Funktion eines Anwaltes gemäß §5 Abs2 NotariatsO und §29 ZPO ausübe, auf die erforderliche Zeit, die bei einem Rechtsanwalt gemäß §2 Abs1 RAO verbracht werden muß, angerechnet werden.
Seit Dezember 1982 sei er Leiter der Rechtsabteilung einer GesmbH, die namens und auftrags einer Arbeitsgemeinschaft der Republik Österreich und der Stadt Wien den Neubau eines Krankenhauses durchführe. Er habe dabei ua. die Interessen der Republik Österreich und der Stadt Wien bei Gerichten, Verwaltungsbehörden etc. zu vertreten. Er übe dabei zweifellos eine ähnliche Tätigkeit wie die Vertreter der Finanzprokuratur aus.
2. Mit Beschluß vom 6. Oktober 1992 wies der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien den Antrag mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer sei während der gesamten Zeit der praktischen Verwendung gemäß §2 Abs1 RAO keinen einzigen Tag in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen gewesen. Gemäß §2 Abs2 RAO sei jedoch eine praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in der gesetzlichen Ausbildungsdauer von drei Jahren zwingend vorgeschrieben. Die vom Beschwerdeführer absolvierte praktische Verwendung könne nur im Rahmen der in §2 Abs1 RAO normierten Voraussetzungen, also im Ausmaß von 15 Monaten, anerkannt werden.
3. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 21. Dezember 1992, Zl. Bkv 8/92-6, keine Folge gegeben. Begründend wurde unter Hinweis auf die §§1 und 2 RAO ausgeführt, der Berufungswerber selbst behaupte gar nicht, daß er drei Jahre in praktischer Verwendung bei einem Rechtsanwalt tätig gewesen sei. Im Hinblick darauf, daß Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte (ua.) eine praktische Verwendung von mindestens neun Monaten bei Gericht und von mindestens drei Jahren bei einem Rechtsanwalt sei, könnten - bei einem Erfordernis einer insgesamt fünfjährigen praktischen Verwendung - höchstens fünfzehn Monate Tätigkeit bei einem Notar anerkannt werden. Die anrechenbare Praxis als Notariatskandidat und die anrechenbare Verwendung bei Gericht könnten, selbst wenn eine dieser Verwendungen länger und gegebenfalls insgesamt sogar mehr als fünf Jahre betrage, das Fehlen der geforderten praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt nicht ersetzen; der Mangel einer gesetzlichen Voraussetzung könne nicht durch das (allfällige) "Übermaß" einer anderen Voraussetzung kompensiert werden.
4. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz "in Verbindung mit der Erwerbsfreiheit" sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
5. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den bekämpften Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der angefochtene Bescheid stützt sich insbesondere auf §2 Abs1 und 2 RAO, Abs1 idF des Bundesgesetzes BGBl. 556/1985, Abs2 idF des Bundesgesetzes BGBl. 176/1992; diese Bestimmungen lauten:
"§2. (1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird.
(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen."
2.1. Die Beschwerde behauptet, die belangte Behörde habe §2 Abs2 RAO denkunmöglich angewendet:
§5 Abs2 NotariatsO normiere ebenso wie §29 ZPO für den Fall, daß am Sitz eines Bezirksgerichtes nur ein in die Liste der Rechtsanwälte eingetragener Rechtsanwalt tätig sei, ein Notar die Befugnis habe, als "Rechtsanwalt" einzuschreiten. Es handle sich dabei um eine die RAO ergänzende Bestimmung. Der Beschwerdeführer sei bei einem Notar beschäftigt gewesen, der als "Rechtsanwalt" gemäß §5 NotariatsO und §29 ZPO im Sprengel des Bezirksgerichtes Hainburg, in dem nur ein Rechtsanwalt seinen Sitz hatte, tätig gewesen sei. Er erfülle daher "materiell" die Eintragungsvoraussetzung der notwendigen Dauer der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt. Die belangte Behörde hätte seine Tätigkeit bei einem Notar mit der praktischen Verwendung gemäß §2 RAO bei einem Rechtsanwalt gleichstellen müssen.
§2 RAO stelle auf "die funktionelle rechtsanwaltschaftliche Tätigkeit", nicht aber auf den formellen Begriff der Tätigkeit eines in die Liste eingetragenen Rechtsanwaltes ab.
2.2. Aus den gleichen Erwägungen sieht sich der Beschwerdeführer auch in seinem gemäß Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt.
2.3. Sollte die belangte Behörde §2 Abs2 RAO nicht denkunmöglich angewendet haben, sei die Eintragungsvoraussetzung der mindestens dreijährigen praktischen Verwendungsdauer bei einem Rechtsanwalt gleichheitswidrig. Die RAO stelle eine Tätigkeit bei einem Notar, der im Sinne des §5 Abs2 NotariatsO tätig gewesen sei, nicht mit der Praxis bei der Finanzprokuratur gleich, obwohl jeweils die Aspiranten funktionell und inhaltlich die gleiche Tätigkeit ausübten. Da die RAO diesbezüglich in unsachlicher Weise nicht differenziere, verstoße diese Bestimmung gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung.
3. Der Verfassungsgerichtshof kann aus folgenden Erwägungen nicht finden, daß der Beschwerde Berechtigung zukommt:
3.1. Was die vorgetragenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden gesetzlichen Regelung betrifft, ist zunächst daran zu erinnern, daß der Verfassungsgerichtshof bislang keine Bedenken gegen §2 Abs1 RAO hegte (vgl. VfSlg. 12337/1990, 12670/1991). Er sieht sich durch das Beschwerdevorbringen weder veranlaßt, von dieser Auffassung abzurücken, noch hegt er Bedenken gegen §2 Abs2 RAO. Denn es ist, wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3.3.1992, G315/91 ua., zum Ausdruck brachte, ganz offensichtlich im öffentlichen Interesse der rechtssuchenden Bevölkerung, darüber hinaus aber auch im öffentlichen Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege und Rechtsberatung gelegen, daß nur solche Personen den Beruf eines Rechtsanwaltes eigenverantwortlich ausüben, die ausreichend praktische Erfahrungen gesammelt und eine bestmögliche Ausbildung absolviert haben. Die Festlegung der Dauer einer praktischen Verwendung, die jemand vor der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte nachzuweisen hat, fällt in den rechtspolitischen Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, der der nachprüfenden Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes auf ihre Übereinstimmung mit der Bundesverfassung, insbesondere auch mit dem Gleichheitsgebot, unterliegt (vgl. VfGH 3.3.1992, G315/91, ua., S 19). Der Verfassungsgerichtshof kann - jedenfalls aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles - nicht finden, daß der Gesetzgeber die ihm durch die Bundesverfassung, insbesondere die durch Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG sowie durch Art6 StGG gezogenen Grenzen überschritten hat, wenn er anordnet, daß von den insgesamt geforderten - auch vom Beschwerdeführer nicht beanstandeten - fünf Jahren der praktischen Verwendung mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen sind. Dies auch dann nicht, wenn §2 Abs2 RAO jener Sinn zukommt, den ihm die belangte Behörde beimißt, daß nämlich unter einem Rechtsanwalt im Sinne dieser Gesetzesstelle nur ein in die Liste der Rechtsanwälte eingetragener Rechtsanwalt zu verstehen ist, nicht jedoch auch ein Notar, dem die dargestellten Befugnisse der Vertretung vor Gericht zustehen bzw. zugestanden sind. Denn die solcherart getroffene Lösung stellt in unbedenklicher Weise darauf ab, daß eine optimale Berufsausbildung jedenfalls eine praktische Verwendung im angestrebten Beruf selbst erfordert, eröffnet aber auch die Möglichkeit der Berücksichtigung einer praktischen Verwendung in benachbarten Berufssparten.
Auch ist ganz allgemein das Tätigkeitsfeld des Notars infolge seiner besonderen Aufgaben in der Praxis viel spezieller als das eines Rechtsanwaltes. Wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 10478/1985 zum Ausdruck gebracht hat, gilt dies auch unter Bedachtnahme auf die ausnahmsweise Erlaubnis der Notare zur Vertretung in Zivilprozessen. Er hält diese Überlegungen auch im vorliegenden Zusammenhang für zutreffend, zumal es sich bei der Vertretungsbefugnis der Notare ungeachtet des §5 Abs1 NotariatsO und des §29 Abs1 ZPO (wonach die Notare berechtigt sind, Parteien in Zivilprozessen, auch wenn Anwaltspflicht besteht, zu vertreten, sofern am Amtssitz des Gerichtes nicht wenigstens zwei Rechtsanwälte ihren Kanzleisitz haben) um eine eingeschränkte handelt: Sie kann nur in ganz bestimmten Fällen zum Tragen kommen und ist örtlich und sachlich beschränkt, weil sie in streitigen bezirksgerichtlichen Zivilverfahren nur vor einem einzigen Bezirksgericht in Frage kommt.
Aus den gleichen Gründen ist der von der Beschwerde gezogene Vergleich mit der Verwendung bei der Finanzprokuratur verfehlt (vgl. auch VfSlg. 12670/1991).
Damit erübrigt sich auch die Prüfung der Frage, ob es sich gegebenenfalls bei dem von der Beschwerde dargestellten Fall um einen ausnahmsweisen Härtefall handelt, der aus der Sicht des Gleichheitssatzes hinzunehmen wäre (vgl. VfSlg. 3568/1959, 4154/1962, 5098/1065, 5958/1969, 6260/1970, 6401/1971, 7891/1976, 7996/1977, 8002/1977, 9908/1983, 10276/1984, 11615/1988).
3.2. Wenn aber, wie dargetan, gegen die angewendeten Rechtsvorschriften auch unter der Annahme des von der belangten Behörde angenommenen Inhaltes keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, ist es auch ausgeschlossen, daß dem angefochtenen Bescheid die in der Beschwerde behaupteten, in die Verfassungssphäre reichenden Fehler anzulasten sind; insbesondere sind keine solchen, den Gleichheitssatz und die Erwerbsfreiheit verletzenden Fehler erkennbar.
Im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren ist auch nicht hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre.
3.3. Der Beschwerdeführer wurde deshalb weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer generellen Norm in seinen Rechten verletzt. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, daß dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.
III. 1. Die Beschwerde war deshalb als unbegründet abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Erwerbsausübungsfreiheit, Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Notare, Rechtsanwälte AusbildungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B389.1993Dokumentnummer
JFT_10068988_93B00389_00