Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Auswertung in ArbeitSpruch
I. 1. Die beschwerdeführenden Parteien sind, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Georgien unter Setzung einer Frist von zwei Monaten für die freiwillige Ausreise sowie gegen die Anordnung der Unterkunftnahme abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die beschwerdeführenden Parteien sind georgische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet und Eltern des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin.
2. Die beschwerdeführenden Parteien stellten erstmals am 2. Februar 2017 Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, nachdem ihre Asylanträge in Deutschland laut eigenen Angaben abgewiesen worden seien. Mit Bescheid vom 8. April 2017 wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß §5 Abs1 AsylG 2005 zurückgewiesen und festgestellt, dass gemäß Art18 Abs1b der Verordnung (EU) 604/2013 Deutschland zur Prüfung der Anträge zuständig sei, gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung gemäß §61 Abs1 FPG angeordnet und gemäß §61 Abs2 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Deutschland zulässig sei. Am 18. April 2017 stellten die beschwerdeführenden Parteien einen Antrag auf unterstützte, freiwillige Rückkehr in ihr Herkunftsland Georgien und reisten am 2. Mai 2017 aus dem Bundesgebiet nach Georgien zurück. In weiterer Folge reisten sie erneut in das Bundesgebiet ein und stellten am 9. Juni 2019 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.
3. Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachten die beschwerdeführenden Parteien sinngemäß vor, dass sich der Gesundheitszustand des minderjährigen Drittbeschwerdeführers, der an Muskeldystrophie Duchenne leide, verschlechtert habe und sie deshalb neuerlich Anträge auf internationalen Schutz stellten.
4. Mit Bescheid vom 24. Juli 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch der subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Republik Georgien zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Weiters wurde den beschwerdeführenden Parteien gemäß §15b Abs1 AsylG 2005 aufgetragen, eine bestimmte Unterkunft zu nehmen.
5. Dagegen erhoben die beschwerdeführenden Parteien Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch und wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 12. Oktober 2021 mit der Maßgabe, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Monate beträgt, als unbegründet ab.
6.1. Hinsichtlich der Krankheit des Drittbeschwerdeführers stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass dieser an einer genetisch bedingten Muskelerkrankung, der Muskeldystrophie Typ Duchenne, und an einer Skoliose leide. Er bekomme Medikamente. Laut einem neurologischen Bericht vom 18. November 2020 sei er schwer beeinträchtigt, sitze im Rollstuhl und könne die Arme nicht bis in die Waagrechte heben. Der Vater übernehme jeglichen Lagewechsel; der Drittbeschwerdeführer könne sich auch im Liegen nicht selbst umdrehen.
6.2. Im Einzelnen gibt das Bundesverwaltungsgericht dazu in seinen Feststellungen diverse ärztliche Befunde auszugsweise wieder:
"Bericht der Klinik ********* ************, Rehabilitationszentrum für Neurologie, Pädiatrie, Orthopädie und Onkologie vom 13.11.2020:
[…] Die Muskeldystrophie Duchenne ist eine progressive genetisch bedingte Erkrankung, bei der es zu fortschreitendem Muskelfaserverlust kommt. Dies führt zu einer zunehmenden Schwäche der gesamten Muskulatur, was sich in einem Verlust der gesamten Beweglichkeit des Betroffenen zeigt […] Unser Patient ****** ist in seinem Alter von 12 Jahren bereits massiv beeinträchtigt. Ein selbstständiger Lagewechsel im Bett ist genauso wenig möglich wie selbstständiges Aufsetzen, Aufstehen oder gar Gehen. ****** ist auf die Hilfe seiner Eltern bei jeglichen Lagewechseln angewiesen, was aufgrund von ******* Körpergröße und -gewicht zunehmen schwieriger durchführbar wird. […] Leider ist die Muskeldystrophie Duchenne zum heutigen Stand nicht kurativ heilbar. […]
Neurologischer Schlussbericht der Klinik ********* ************, Kinder- und Jugendlichenrehabilitation vom 18.11.2020:
[…] Im Jänner 2016 gelang der Nachweis einer Muskeldystrophie Duchenne. Im selben Jahr kam die Familie nach Deutschland, wo ****** eine Therapie mit Calcort, Pantoloc und O[l]eovit Tropfen erhielt. Seit 2018 (Alter von 10 Jahren) is[t] er nun nicht mehr gehfähig. […] Er ist schwer beeinträchtigt, sitzt im Rollstuhl und angelehnt im Bett und kann nur kurz frei sitzen. Ein Heben der ausgestreckten Arme ist weder nach vorne noch auf die Seite bis in die Waagrechte möglich. Durch Anwinkeln der Unterarme und gleichzeitiges Vorbeugen des Oberkörpers kann ****** die Hände zum Gesicht führen. In beiden Knien besteht ein deutliches Streckdefizit, außerdem besteht eine Spitzfußhaltung der Füße. Beide unteren Extremitäten können nicht von der Unterlage hochgehoben werden. Jegliche Lagewechsel und Transfers müssen vom Vater übernommen werden. Auch in der Nacht muss der Vater regelmäßig aufstehen um ****** anders zu lagern, da er sich nicht selbst im Liegen umdrehen kann. […]
Diagnosebericht der Caritas **************** vom 26.04.2021:
[…] ****** leidet an einer Muskeldystrophie Duchenne mit fortgeschrittenen Kontrakturen der unteren Extremitäten. Er sitzt im Rollstuhl. Es hat sich eine Skoliose entwickelt. Er wird von den Eltern gepflegt. Er kann noch selbstständig ein Glas heben, andere Handfunktionen sind schon verloren gegangen. Die Klumpfüße sind mit neuen orthopädischen Schuhen versorgt. Die Skoliose sollte operativ versorgt werden. […]"
6.3. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hält das Bundesverwaltungsgericht weiter fest, "dass der Maßstab der Beurteilung der Zulässigkeit der Überstellung der bP3 aus juristischer und therapeutisch/medizinischer Sicht ein unterschiedlicher ist." Der Drittbeschwerdeführer habe aus juristischer Sicht jede Maßnahme hinzunehmen, welche keinen Eingriff in die durch Art3 EMRK gewährleisteten Rechte darstelle. Zudem habe er "aus juristischer Sicht Beeinträchtigungen der Gesundheit hinzunehmen […], welche von Angehörigen eines medizinischen bzw therapeutischen Berufes jedenfalls abzulehnen sind, nämlich genau jene, welche zwar aus medizinisch-therapeutischer Sicht eine Beeinträchtigung bzw ein Hindernis zur (Wieder-)herstellung der Gesundheit, aber noch keinen Eingriff in die durch Art3 EMRK dargestellten Rechte darstellen." Die Beschwerdeführer hätten keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Georgien belegen können.
6.4. Heilbehelfe wie E-Rollstuhl, Toilettensitz und orthopädische Schuhe seien in Georgien laut Anfragebeantwortung verfügbar. Das für den Drittbeschwerdeführer empfohlene Medikament "Calcort" sei zwar in Georgien weder zugelassen noch erhältlich. Jedoch werde unter Zugrundelegung einer amtsärztlichen Stellungnahme vom 15. Juli 2020 ausgeführt, dass das Medikament ein Cortisonpräparat sei. Cortison sei in jedem Land erhältlich; die Art des Cortisons sei unwesentlich. Folglich müsse kein namensgleiches, sondern ein wirkungsgleiches Präparat in Georgien zur Verfügung stehen. Cortisonpräparate seien in Georgien erhältlich und für den Drittbeschwerdeführer zugänglich.
7. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht selbst einräume, dass das Medikament "Calcort" in Georgien weder zugelassen noch erhältlich sei. Die Feststellung, wonach der Drittbeschwerdeführer in Georgien Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung finden werde, leide an einem wesentlichen Begründungsmangel. Eine spezielle und intensive Behandlung, wie er sie benötige, werde in Georgien nicht angeboten und wenn doch, dann in Verbindung mit hohen Kosten.
8. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Georgien, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, gegen die Festsetzung einer Frist von zwei Monaten für die freiwillige Ausreise und gegen die Anordnung der Unterkunftnahme richtet, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt die im Lichte dessen notwendige Auseinandersetzung mit der gesundheitlichen Situation des – schwer kranken – Drittbeschwerdeführers im Hinblick auf eine nach seiner Rückführung in den Herkunftsstaat erfolgende, mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art3 EMRK nicht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise vor (vgl hiezu VfGH 19.9.2014, U634/2013 ua; 30.6.2016, E381/2016 ua; 24.11.2016, E1085/2016 ua mwN); es führt insbesondere keine hinreichende Prüfung des Einzelfalles anhand der Kriterien aus der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR 13.12.2016 [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10; vgl zuletzt auch EGMR 7.12.2021 [GK], Fall Savran, Appl 57.467/15) durch (zur Maßgeblichkeit einer Prüfung des Einzelfalles anhand der Kriterien dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in vergleichbaren Fällen vgl bereits VfSlg 20.371/2020; VfGH 11.6.2019, E2094/2018 ua; 11.6.2019, E3796/2018):
3.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt (durch auszugsweise Wiedergabe ärztlicher Befunde) zum Gesundheitszustand des Drittbeschwerdeführers fest, dass dieser an einer – zum Verlust der Beweglichkeit führenden – genetisch bedingten, nicht heilbaren Muskelerkrankung leide, trotz seines jungen Alters (von im Entscheidungszeitpunkt knapp 13 Jahren) in seiner Mobilität massiv beeinträchtigt und bereits vollständig auf fremde Hilfe angewiesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht hält zudem fest, dass während des Aufenthaltes im Bundesgebiet eine (weiter fortschreitende) Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Drittbeschwerdeführers eingetreten sei. Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen ist es für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, wenn das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (auch in Bezug auf den Drittbeschwerdeführer) davon ausgeht, dass die beschwerdeführenden Parteien "keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Georgien" belegen hätten können. Soweit das Bundesverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Überstellung zudem formelhaft von unterschiedlichen Maßstäben "aus juristischer und therapeutisch/medizinischer Sicht" ausgeht und festhält, dass der Drittbeschwerdeführer "aus juristischer Sicht Beeinträchtigungen der Gesundheit hinzunehmen hat, welche von Angehörigen eines medizinischen bzw therapeutischen Berufes jedenfalls abzulehnen sind", hat es sich angesichts der eigenen Feststellungen nicht nachvollziehbar mit der entscheidenden Frage auseinandergesetzt, ob der Drittbeschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Georgien eine ernste, rasche und unwiederbringliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu befürchten hat, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl EGMR 13.12.2016 [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10).
3.2.2. Darüber hinaus lässt das Bundesverwaltungsgericht einerseits entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte das junge Alter des Drittbeschwerdeführers und damit seine sich daraus ergebende besondere Vulnerabilität außer Betracht (zur Relevanz besonderer Vulnerabilität einer Person in diesem Zusammenhang vgl VfSlg 20.371/2020; VfGH 16.9.2013, U496/2013; 22.9.2020, E2246/2020 ua). Andererseits ist der Drittbeschwerdeführer auch auf Grund seiner eingeschränkten Mobilität als besonders vulnerabel zu qualifizieren. Den Feststellungen zufolge muss der Vater jegliche Lagewechsel und Transfers übernehmen, da der Drittbeschwerdeführer schwer beeinträchtigt im Rollstuhl sitzt und ihm ein selbständiges Aufsetzen, Aufstehen oder Gehen nicht möglich ist. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt zwar die Verfügbarkeit einer (zumindest wirkungsgleichen) Medikation sowie eines Rollstuhles und anderer Heilbehelfe im Herkunftsstaat, geht aber nicht der Frage nach, ob der Drittbeschwerdeführer im konkreten Fall – etwa vor dem Hintergrund der Frage nach vorhandener Infrastruktur für Rollstuhlfahrer im Herkunftsstaat (vgl dazu VfGH 26.6.2020, E1689/2020; 14.6.2022, E4491/2021 ua) – auch tatsächlich Zugang zu den angebotenen Therapiemöglichkeiten hat und diese in Anspruch nehmen kann (vgl dazu EGMR 13.12.2016 [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10 [Z190]). Es misst dem Umstand der Vulnerabilität insgesamt für die Beurteilung der Gefahr einer Verletzung von Art3 EMRK keine hinreichende Bedeutung zu (vgl zur Maßgeblichkeit dieses Kriteriums wiederum EGMR 13.12.2016 [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10 [Z174]).
3.3. Die angefochtene Entscheidung ist aus diesen Gründen im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Drittbeschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art3 EMRK mit Willkür behaftet und erweist sich – soweit damit die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Georgien unter Setzung einer Frist von zwei Monaten für die freiwillige Ausreise sowie gegen die Anordnung der Unterkunftnahme abgewiesen wird – schon aus diesem Grund als verfassungswidrig. Sie ist somit insoweit aufzuheben.
3.4. Der Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer, die Zweit- und Viertbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014, 20.371/2020; VfGH 11.6.2019, E2094/2018 ua; 22.9.2020, E2246/2020 ua), weshalb diese auch – im selben Umfang wie jene hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers – hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers, der Zweit- und der Viertbeschwerdeführerin aufzuheben ist.
4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien in allen Aspekten rechtmäßig beurteilt hat, insoweit nicht anzustellen.
4.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, abzusehen.
III. Ergebnis
1. Die beschwerdeführenden Parteien sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Georgien, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer Frist von zwei Monaten für die freiwillige Ausreise sowie gegen die Anordnung der Unterkunftnahme abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten. Ein Streitgenossenzuschlag wurde nicht beantragt.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, ArzneimittelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E4239.2021Zuletzt aktualisiert am
02.02.2023