TE Vwgh Erkenntnis 1995/12/14 95/19/0086

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Veröffentlicht am 14.12.1995
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in H, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. April 1995, Zl. 4.336.373/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 27. April 1992 abgewiesen und damit die Gewährung von Asyl versagt.

Der Beschwerdeführer reiste am 7. März 1992 über Ungarn nach Österreich ein und stellte am 10. März 1992 einen Asylantrag. In seiner niederschriftlichen Vernehmung vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gab er im wesentlichen an, er gehöre keiner politischen Organisation an; er sei politisch nicht verfolgt worden und gehöre auch zu keiner Minderheit. Er sei Angehöriger der christlich-evangelischen Glaubensgemeinschaft; sein Vater sei Pfarrer und er arbeite als Mesner bzw. als Kirchensänger. Mitte Oktober 1991 sei ein Pfarrer aus Deutschland gekommen, um in Nigeria zu predigen. In diesem Zusammenhang sollte am 18. Oktober 1991 in Kanu ein große Messe im Freien stattfinden. Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers seien nach Kanu gereist, um dieser Messe beizuwohnen. Während dieser Meßfeier seien die Gläubigen von fanatischen moslemischen Männern, die die religiöse Veranstaltung hätten verhindern wollen, mit Waffen verschiedener Art angegriffen worden. Die Eltern des Beschwerdeführers seien nicht mehr nach Hause zurückgekehrt; er wisse nicht, ob sie noch am Leben seien. Nach dieser Auseinandersetzung habe sich die Gewalt in allen Teilen des Landes ausgebreitet; Kirchen sowie Häuser von Christen seien angezündet, Kinder und Frauen getötet worden. Auch die Kirche jener Gemeinde, der der Beschwerdeführer angehöre, sei niedergebrannt worden und er habe sich bei Verwandten verstecken müssen. Er habe jedoch nicht länger bleiben können, weil er befürchtet habe, als Sohn eines Pfarrers getötet zu werden. Seitens der Regierung könne er keine Hilfe erwarten, weil diese bei den Ausschreitungen tatenlos zugesehen habe. Im Falle einer Rückkehr würde er von moslemischen Fanatikern sicherlich getötet werden.

Mit Bescheid vom 27. April 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß die Voraussetzungen des Artikels 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge beim Beschwerdeführer nicht vorliegen. Seine niederschriftliche Vernehmung habe keine einwandfreien Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die von ihm behauptete Flüchtlingseigenschaft gegeben sei.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 15. Juli 1993 ab. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0504-6, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im fortgesetzten Verfahren vor der Berufungsbehörde legte der Beschwerdeführer ein Schreiben des Pastors J vom 2. März 1995 vor. Darin heißt es auszugsweise:

"...

Geliebter C, die religiöse Intoleranz zwischen den Christen und den Moslems führte zum Tod eines Moslems im vorigen November.

Die Bundesregierung errichtet eine Geschworenengruppe, die über all jene richten soll, die in die Krise verwickelt waren. Bruder, aufgrund der aktiven Rolle, die Du gespielt hast, um zu verhindern, daß uns die Moslems in der letzten Religionskrise getötet haben und die 1992 zu Deiner Flucht geführt hat, befindet sich Dein Name unter jenen, die vor dem Geschworenengericht zu erscheinen haben. Im Namen der Kirche schreiben wird Dir, um Dir mitzuteilen, daß Dein Leben in Gefahr ist, wenn Du jetzt nach Nigerien kommst. ..."

Im Zusammenhang mit dieser Urkundenvorlage brachte der Beschwerdeführer vor, er habe im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria willkürliche Verfolgung zu befürchten. Wegen seiner führenden Rolle innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaft drohten konkrete, gegen ihn selbst gerichtete Verfolgungshandlungen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich ab. Sie stützte sich in diesem Zusammenhang ausschließlich darauf, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Flüchtlingseigenschaft aus seinem vor der Asylbehörde erster Instanz erstatteten Vorbringen nicht ableitbar sei. Konkrete, individuell gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete Maßnahmen habe er im erstinstanzlichen Verfahren nicht einmal erwähnt. Die behaupteten Übergriffe moslemischer Extremisten auf Christen seien den staatlichen Stellen Nigerias nicht zurechenbar. Einen Versuch, vor diesen Übergriffen Schutz seitens der Behörden Nigerias zu erhalten, habe der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet. Im übrigen wäre dem Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung gestanden. Er hätte sich von dem mehrheitlich von Moslems bewohnten Norden Nigerias in den mehrheitlich christlichen Süden des Landes begeben können, um so den angeblichen Übergriffen zu entgehen.

Im Hinblick auf die Anhängigkeit des gegenständlichen Verfahrens am 1. Juni 1992 bei der belangten Behörde habe sie dieses gemäß seinem § 25 Abs. 2 erster Satz nach dem AsylG 1991 zu Ende zu führen. Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 habe die belangte Behörde ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen. Ein Fall des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 liege nicht vor. Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung sei daher nicht näher einzugehen; die vom Beschwerdeführer vorgelegten Briefe seien nicht geeignet, zu einer Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft zu führen; eine Auseinandersetzung mit ihrem Inhalt könne daher unterbleiben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Hinblick auf die Anhängigkeit des Berufungsverfahrens vor der belangten Behörde am 1. Juni 1992 hat diese zutreffend gemäß seinem § 25 Abs. 2 das AsylG 1991 angewendet. Gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 hat die belangte Behörde eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens unter anderem dann anzuordnen, wenn der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren erster Instanz nicht zugänglich waren oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrundegelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer im Zuge des Berufungsverfahrens ein mit 2. März 1995 datiertes Schreiben vorgelegt, welches - zumindestens abstrakt - geeignet ist, eine - wie sich aus der dort gebrauchten gegenwartsbezogenen Formulierung "... errichtet eine Geschworenengruppe ..."

ergibt - im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde erster Instanz noch nicht gesetzte, individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete - von staatlichen Stellen ausgehende - Verfolgungshandlung im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten zum Schutz von Mitgliedern seiner Religionsgemeinschaft zu bescheinigen. Ein solches, einen nachträglich geänderten Sachverhalt indizierendes Bescheinigungsmittel durchbricht aber jedenfalls das Neuerungsverbot (vgl. Rohrböck/AsylG 200). In diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer auch erklärend vorgebracht, die Verfolgung sei willkürlich, also durch die Art der von ihm gepflogenen Aktivitäten zum Schutz seiner Glaubenbrüder vor dem Tode nicht gerechtfertigt oder auch nur indiziert. Ein solches ergänzendes Vorbringen ist neben dem Inhalt der die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 erfüllenden Urkunde beachtlich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/19/0290).

Daraus folgt aber, daß die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 verpflichtet gewesen ist, sich im Zuge einer Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens mit dem Beweiswert des vorgelegten Bescheinigungsmittels, bzw. mit dem dazu erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen.

Indem der Beschwerdeführer darlegt, das vorgelegte Schreiben würde bescheinigen, daß seine Furcht aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, wohlbegründet sei, hat er die Relevanz dieses Verfahrensmangels mit hinreichender Deutlichkeit aufgezeigt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Neuerungsverbot Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Verfahrensmängel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1995:1995190086.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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