TE Vwgh Erkenntnis 2022/12/19 Ro 2022/03/0059

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Veröffentlicht am 19.12.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
27/01 Rechtsanwälte

Norm

AHK 2005
AHK 2005 §12
AHR
RAO 1868 §16 Abs2
RAO 1868 §16 Abs4
RAO 1868 §45
RAO 1868 §45 Abs4
RAO 1868 §45a
RAO 1868 §46 Abs1
RAO 1868 §46 Abs2
RAO 1868 §9
RATG
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Nedwed, Mag. Samm, Dr. Faber und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Michael Enzinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 13/Eingang Kleeblattg. 4, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 28. April 2022, Zl. VGW-101/V/032/4790/2022-1, betreffend Vergütung nach § 16 Abs. 4 RAO (mitbeteiligte Partei: Dr. P M, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der Revisionswerberin auf Kostenersatz wird abgewiesen.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte wurde mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (belangte Behörde und nunmehrige Revisionswerberin) vom 2. März 2020 gemäß § 45 RAO zum Verfahrenshilfeverteidiger eines Angeklagten in einem näher bezeichneten Strafverfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien bestellt.

2        Mit Antrag vom 25. März 2021 begehrte der Mitbeteiligte für seine bisher erbrachten Leistungen im oben angeführten Strafverfahren bei der belangten Behörde die Zuerkennung einer Vergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO in Höhe von insgesamt € 81.011,34, darin enthalten ein Erfolgszuschlag gemäß § 12 Autonome Honorarkriterien (AHK) von 50%. Dazu führte er aus, das gegenständliche Strafverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Aufgrund der positiven Erfolgsaussichten für einen Freispruch bzw. Teilfreispruch werde jedoch vorsichtshalber bereits ein Erfolgszuschlag für das erste Verhandlungsjahr geltend gemacht. Diesbezüglich werde noch der rechtskräftige Verfahrensausgang abzuwarten sein.

3        Mit Bescheid vom 2. November 2021 gab die belangte Behörde dem Antrag des Mitbeteiligten in Höhe von € 25.127,82 statt und wies das Mehrbegehren ab. Zum geltend gemachten Erfolgszuschlag führte die belangte Behörde aus, das RATG sehe keinen Erfolgszuschlag vor. Auch im Anwendungsbereich der AHK komme ein solcher bei Verfahrenshilfen nicht in Betracht. § 12 AHK sehe den Erfolgszuschlag nur optional vor. Während eine erfolgsabhängige Incentivierung bei Wahlverteidigern vorstellbar sei, da hier der Mandant privatautonom disponieren könne, käme die Incentivierung eines Verfahrenshelfers durch ein erfolgsabhängiges Honorar nicht nur in Konflikt mit seinem gesetzlichen Auftrag, sondern widerspräche dem Konzept des § 16 Abs. 4 RAO, einem überdurchschnittlich belasteten Verfahrenshelfer einen wirtschaftlichen Ausgleich für diese Belastung zu geben. Denn diese auszugleichende Belastung sei vom Verfahrensausgang unabhängig. Es sei sohin jedenfalls - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens - vom Zuspruch eines Erfolgszuschlags abzusehen.

4        Der Mitbeteiligte erhob gegen den abweisenden Teil des Bescheides der belangten Behörde Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien.

5        Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Verwaltungsgericht das Beschwerdeverfahren gemäß § 38 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des gegenständlichen Strafverfahrens aus und erklärte die Revision für zulässig.

6        Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bislang keine ausdrückliche Aussage dazu getroffen worden, ob ein Erfolgszuschlag bei der Berechnung von Sondervergütungsansprüchen gemäß § 16 Abs. 4 RAO zu berücksichtigen sei. In zahlreichen vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Entscheidungen sei jedoch ein solcher Erfolgszuschlag zuerkannt worden, ohne dass dies vom Verwaltungsgerichtshof (wenngleich ohne ausdrückliche Behandlung) beanstandet worden sei. Für das Verwaltungsgericht sei kein Grund ersichtlich, weshalb die Zuerkennung eines Erfolgszuschlags in Zusammenhang mit einer Vertretung durch einen Verfahrenshilfeverteidiger unangemessen oder dem Wesen der Verfahrenshilfe zuwiderlaufend anzusehen wäre. Die rechtsanwaltlichen Sorgfaltspflichten des § 9 RAO träfen jeden Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung, dies unabhängig davon, ob eine Vertretung gewillkürt oder im Rahmen der Verfahrenshilfe übernommen werde und insbesondere unabhängig davon, ob ein Erfolgszuschlag zuerkannt werde oder nicht. Ein Erfolgszuschlag nach § 12 AHK honoriere daher einen besonderen Einsatz des Rechtsanwalts, könne aber nicht die alleinige Grundlage für ein den standesrechtlichen Sorgfaltspflichten entsprechendes Handeln des Rechtsanwalts sein. Insofern sei für das Verwaltungsgericht kein Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlich-rechtlichen Pflichtenverhältnis eines gemäß § 45 RAO bestellten Verfahrenshelfers einerseits und der Bemessung eines Sondervergütungsanspruchs nach § 16 Abs. 4 RAO unter Berücksichtigung des Verfahrensausgangs zu erkennen. Vielmehr sei die Zuerkennung eines in den AHK vorgesehenen Erfolgszuschlags nach den Standesrichtlinien der Rechtsanwälte als angemessen anzusehen und komme auch im vorliegenden Fall in Betracht.Ob ein Erfolgszuschlag fallbezogen zustehe, könne aber erst mit rechtskräftigem Abschluss des gegenständlichen Strafverfahrens beurteilt werden. Dieses Strafverfahren sei derzeit noch offen, weshalb das Beschwerdeverfahren auszusetzen gewesen sei.

7        Die ordentliche Revision sei zulässig, weil in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausdrücklich geklärt worden sei, ob im Rahmen der Sondervergütung nach § 16 Abs. 4 RAO ein vom Ausgang des Strafverfahrens abhängiger Erfolgszuschlag im Sinne des § 12 AHK zuerkannt werden kann. Eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens komme denkmöglich nur in Betracht, wenn die Höhe der Sondervergütung überhaupt vom Ausgang des Strafverfahrens abhängig sei. Diese Frage stelle sich nicht bloß einzelfallspezifisch, sondern potentiell in zahlreichen weiteren Verfahren zur Zuerkennung einer Sondervergütung nach § 16 Abs. 4 RAO, weshalb die ordentliche Revision zur Klärung der Rechtslage zuzulassen sei.

8        In der vorliegenden Revision stimmt die belangte Behörde der Zulassungsbegründung des Verwaltungsgerichts vollinhaltlich zu. In der Sache widerspricht sie hingegen der Begründung des Verwaltungsgerichts und bringt zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht übersehe, dass eine erfolgsabhängige Incentivierung des Verfahrenshelfers in Konflikt mit seinem gesetzlichen Auftrag stehe, die Vertretung seines Mandanten dem Gesetz gemäß zu führen und mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Dieser Pflicht müsse er unabhängig von einem monetären Anreiz nachkommen. Ein Erfolgszuschlag widerspreche auch dem Konzept des
§ 16 Abs. 4 RAO, einem überdurchschnittlich belasteten Verfahrenshelfer einen wirtschaftlichen Ausgleich für eben diese Belastung zu bieten. Die Belastung des Verfahrenshelfers sei jedoch vom Verfahrensausgang unabhängig. Gegen die Zuerkennung eines Erfolgszuschlags spreche auch eine Wortinterpretation: § 12 AHK spreche von einem Erfolgszuschlag in der Höhe von 50 % des Honorarbetrages. Der Verfahrenshelfer erhalte aber überhaupt kein Honorar, sondern eine Vergütung für überdurchschnittliche Belastungen. Da dem Mitbeteiligten kein Erfolgszuschlag bei erfolgreichem Abschluss des Strafverfahrens zustehe, liege keine Vorfrage nach § 38 AVG vor, die vom Ausgang des Strafverfahrens abhängig sei. Die Aussetzung sei daher zu Unrecht erfolgt.

9        Zu dieser Revision wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Die Revision ist im Sinne der Zulassungsbegründung des Verwaltungsgerichts zulässig.

11       Der Verwaltungsgerichtshof hatte zwar in der Vergangenheit auch Fälle zu entscheiden, in denen die zuständigen Rechtsanwaltskammern den Verfahrenshelfern - unbestritten - auch Erfolgszuschläge nach § 12 der Autonomen Honorarrichtlinien (AHR) zuerkannt hatten (vgl. VwGH 30.3.2004, 2002/06/0159 und 2002/06/0166; VwGH 28.2.2006, 2002/06/0211; VwGH 17.4.2007, 2003/06/0050; VwGH 26.5.2008, 2006/06/0264; VwGH 23.6.2010, 2007/06/0218). Die Rechtmäßigkeit dieser Vorgangsweise war jedoch in keinem dieser Fälle Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, weshalb eine abschließende Beurteilung, ob die Zuerkennung des Erfolgszuschlags an die Verfahrenshelfer frei von Rechtsirrtum war, nicht erfolgt ist.

12       Die Revision ist auch begründet.

13       Gemäß § 16 Abs. 4 Rechtsanwaltsordnung, RGBl. Nr. 96/1868 in der Fassung BGBl. I Nr. 19/2020 (RAO), hat ein nach den §§ 45 oder 45a bestellter Rechtsanwalt in Verfahren, in denen er innerhalb eines Jahres ab dem ersten von ihm geleisteten Verhandlungstag mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird, unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 leg. cit. für alle jährlich darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtanwaltskammer Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Der Antrag auf Vergütung ist vom Rechtsanwalt bei sonstigem Ausschluss bis spätestens zum 31. März des auf das abgelaufene Kalenderjahr, in dem der Rechtsanwalt seine Leistungen erbracht hat, folgenden Jahres bei der Rechtsanwaltskammer einzubringen.

14       Die Regelung des § 16 Abs. 4 RAO geht auf die im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Februar 1991, VfSlg. 12.638/1991, enthaltenen Erwägungen zurück, in denen der Verfassungsgerichtshof ausgeführt hat, der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz mache es erforderlich, dass dem einzelnen Rechtsanwalt in Fällen besonders umfangreicher und arbeitsintensiver Vertretungen und Strafverteidigungen, die ihn als Verfahrenshelfer wochen- und auch monatelang in Anspruch nehmen, ausnahmsweise eine individuelle Vergütung zustehen soll.

15       Im Einzelnen führte der Verfassungsgerichtshof aus, die den Rechtsanwälten gemäß § 16 Abs. 2 RAO obliegende Verpflichtung, im Falle ihrer Bestellung zum Verfahrenshelfer die Vertretung oder Verteidigung einer mittellosen Partei zu übernehmen, bestehe auch dann, wenn zufolge besonderer Umstände (z.B. Komplexität des Verfahrensgegenstandes) Prozesse oder Strafverfahren eine weit über dem Durchschnitt liegende Dauer erreichten, und wenn eine sorgfältige Vertretung oder Verteidigung einen ungewöhnlich hohen Arbeitsaufwand erfordere. Die Beigebung eines Verfahrenshelfers diene Interessen der Rechtspflege; bei komplizierten und langdauernden Verfahren bestehe ein besonderes Interesse der Rechtspflege daran, dass auch Parteien, die nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Beistandes oder Verteidigers verfügten, ein solcher beigegeben werde. Es sei dem Verfahrenshilfesystem immanent, dass Rechtsanwälte als Verfahrenshelfer insbesondere auch in solchen Fällen mit einer Vertretung oder Verteidigung betraut würden, die einen überdurchschnittlich hohen Arbeitsaufwand für sie nach sich zögen. Die Verpflichtung zur Übernahme einer Verfahrenshilfe in Prozessen mit überdurchschnittlich langer Dauer stelle eine große Belastung für den Anwalt dar und könne sich in wochen- oder monatelangen Verfahren (unter Umständen) existenzbedrohend auswirken. Dies könne aus der Sicht des Gleichheitsgrundsatzes nicht vernachlässigt werden.

16       In den Gesetzesmaterialien zur Neuregelung des § 16 Abs. 4 RAO (AB 1380 BlgNR. XVII. GP, S. 7) wurde zum Ziel der Norm festgehalten, es gehe darum, der gerechtfertigten Forderung zu entsprechen, eine besondere Entlohnung für diejenigen Verfahrenshilfeanwälte vorzusehen, die in überdurchschnittlich lang dauernden Verfahren herangezogen würden.

17       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine angemessene Vergütung des Verfahrenshelfers im Sinne des § 16 Abs. 4 RAO unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme darauf, was in gleich gelagerten Fällen geschieht, zu bemessen. Dabei ist auch darauf Bedacht zu nehmen, dass die Vergütung nicht zuletzt der Abwendung der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 12.638/1991 dargelegten Auswirkungen der Belastung der Rechtsanwälte durch überlange Verfahren, die bis zur Existenzbedrohung gehen können, dient.

18       Den von der ständigen Vertreterversammlung der österreichischen Rechtsanwaltskammern erstellten Honorarrichtlinien (AHR) bzw. den sie ersetzenden Autonomen Honorar-Kriterien (AHK) kommen als kodifizierte Gutachten über die Angemessenheit der im RATG nicht näher geregelten anwaltlichen Leistungen für die Honorarberechnung Bedeutung zu.

19       Das bedeutet aber nicht, dass die nach § 16 Abs. 4 RAO zu ermittelnde Sondervergütung für den Verfahrenshelfer den Ansätzen der AHK in allen Punkten entsprechen muss.

20       So hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt erkannt, dass die Rechtsanwaltskammer nach § 16 Abs. 4 RAO nicht etwa die angemessene Entlohnung eines Wahlverteidigers, der auf Grund vertraglicher Vereinbarung mit seinem Klienten tätig wurde, zu bemessen, sondern eine angemessene Vergütung für einen gemäß § 41 StPO vom Gericht beigegebenen und gemäß § 45 RAO von der Rechtsanwaltskammer bestellten Rechtsanwalt, der somit auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Pflichtenverhältnisses im Rahmen der Mitwirkung der Rechtsanwaltschaft an der Rechtspflege tätig wird, festzusetzen hat.

21       Es wurde in der höchstgerichtlichen Judikatur auch nicht als rechtswidrig angesehen, wenn die Sondervergütung nach § 16 Abs. 4 RAO nur in Annäherung an die nach den Standesrichtlinien als angemessen anzusehende Entlohnung ausgemessen wird und etwa in Verweisung auf die allgemeine Übung von den Ansätzen der AHR ausgehend ein Abschlag vorgenommen wird.

22       Maßgeblich ist nach der ständigen Rechtsprechung, in welcher Höhe die Vergütungen für gemäß § 45 RAO bestellte Rechtsanwälte in Fällen mit vergleichbarem Leistungsumfang bemessen werden (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 4.11.2002, 2000/10/0050; VwGH 30.3.2004, 2002/06/0159; VwGH 28.2.2006, 2002/06/0211; VwGH 26.5.2008, 2006/06/0264; VwGH 17.12.2009, 2009/06/0144).

23       Fallbezogen ist strittig, ob dem Verfahrenshilfeverteidiger bei Festsetzung der Sondervergütung nach § 16 Abs. 4 RAO auch ein Erfolgszuschlag nach § 12 AHK zusteht.

24       Nach § 12 AHK kann in offiziosen Strafsachen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen ein Erfolgszuschlag bis zu 50% des Honorarbetrages verrechnet werden; dies insbesondere, wenn das Verfahren eingestellt wird oder das Urteil auf Freispruch lautet oder ein wegen eines Verbrechens Angeklagter wegen eines Vergehens oder eines mit einem niedrigeren Strafsatz bedrohten Verbrechens verurteilt wird.

25       Wenn die belangte Behörde den Erfolgszuschlag als Incentivierung des Rechtsvertreters bezeichnet, also als Anreiz in Form einer Zusatzleistung, welche die Motivation oder die Leistungsbereitschaft steigern soll, so ist klarstellend festzuhalten, dass jeder Rechtsanwalt gemäß § 9 RAO verpflichtet ist, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten, und zwar unabhängig davon, ob in einem Gerichtsverfahren letztlich ein Erfolg für den Mandanten absehbar ist oder nicht bzw. ob für den Erfolg eine entsprechende zusätzliche Entlohnung in Aussicht steht oder nicht.

26       Dies gilt in gleicher Weise für den nach den §§ 45 oder 45a RAO bestellten Verfahrenshelfer, der die Vertretung oder Verteidigung gemäß § 16 Abs. 2 RAO mit der gleichen Sorgfalt wie ein frei gewählter Rechtsanwalt zu besorgen hat.

27       Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein Verfahrenshelfer zur Übernahme der Vertretung oder Verteidigung im Unterschied zu einem frei gewählten Rechtsanwalt gesetzlich verpflichtet ist. Er hat nur eine sehr beschränkte Möglichkeit, sich von der Heranziehung als Verfahrenshelfer befreien zu lassen (vgl. § 46 Abs. 2 RAO), oder die ihm übertragene Vertretung oder Verteidigung abzulehnen bzw. nicht mehr weiterzuführen (vgl. § 45 Abs. 4 RAO). In diesem Sinne ist es auch seiner Disposition entzogen, die Vertretung in einem Strafverfahren abzulehnen, das einen überdurchschnittlichen Verfahrensaufwand mit sich bringen wird, obwohl die Erfolgsaussichten für den Verfahrensbefohlenen gering sind. Umgekehrt ist es im Hinblick auf die Bestellung der Verfahrenshelfer nach festen Regeln, die eine möglichst gleichmäßige Heranziehung und Belastung der der betreffenden Kammer angehörenden Rechtsanwälte gewährleisten sollen (vgl. § 46 Abs. 1 RAO), regelmäßig auch dem Zufall überlassen, wenn der Verfahrenshelfer einen erfolgversprechenden Fall zugewiesen erhält. Der Verfahrenshelfer hat daher, anders als der frei gewählte Rechtsanwalt, keinen Einfluss darauf, welche Klienten er (etwa) in einem Strafverfahren zu verteidigen hat, womit ihm auch die Möglichkeit genommen wird, die Übernahme der Rechtsvertretung bzw. die Vereinbarung des Honorars vom Aufwand seiner Tätigkeit in Verhältnis zu dem voraussichtlich zu erzielenden Erfolg abhängig zu machen.

28       Vor diesem Hintergrund ist es mit § 16 Abs. 4 RAO nicht vereinbar, die Sondervergütung für eine überdurchschnittliche Belastung eines Verfahrenshelfers - unbeschadet seiner Verpflichtung zur bestmöglichen Vertretung oder Verteidigung des Verfahrensbefohlenen - vom Erfolg seiner Tätigkeit abhängig zu machen. Dies würde zu einer sachlich nicht begründbaren Schlechterstellung von Verfahrenshelfern mit wenig erfolgversprechenden Fällen gegenüber solchen mit erfolgreichen Fällen führen, obwohl die Verfahrenshelfer in allen diesen Konstellationen von den überdurchschnittlichen Belastungen der Vertretung in gleicher Weise betroffen sein können. Der belangten Behörde ist daher zuzustimmen, wenn sie die Gewährung eines Erfolgszuschlags nach § 12 AHK mit dem Konzept des § 16 Abs. 4 RAO und dem damit verfolgten Zweck einer angemessenen Vergütung für überdurchschnittliche Belastungen von Verfahrenshelfern als nicht vereinbar ansieht.

29       Dass der Verfahrenserfolg für die Bemessung der Sondervergütung nach § 16 Abs. 4 RAO irrelevant ist, erhellt auch daraus, dass diese Norm eine jährliche Abrechnung unter gleichzeitiger Festlegung einer Ausschlussfrist (bis spätestens zum 31. März des auf das abgelaufene Kalenderjahr, in dem der Rechtsanwalt seine Leistungen erbracht hat, folgenden Jahr) zur Beantragung der Vergütung vorsieht. Dem Gesetzgeber kann nicht zugesonnen werden, diesen Abrechnungsmechanismus vorgesehen, gleichzeitig aber ein Abwarten des Verfahrensausgangs zur Beurteilung eines Erfolgszuschlags intendiert zu haben.

30       Ausgehend davon kommt es entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts im gegenständlichen Fall nicht darauf an, wie das Strafverfahren gegen den Verfahrensbefohlenen des Mitbeteiligten enden wird. Damit lag auch keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG (in Verbindung mit §17 VwGVG) vor, die eine Aussetzung des Verfahrens hätte rechtfertigen können.

31       Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

32       Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 47 Abs. 4 VwGG, der einen Kostenersatz für eine Revision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG (wie im vorliegenden Fall) nicht vorsieht.

Wien, am 19. Dezember 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022030059.J00

Im RIS seit

01.02.2023

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2023
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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