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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art139 Abs6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der H GmbH in I, vertreten durch Mag. Norbert Huber, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Meinhardstraße 5a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 13. Juni 2022, Zl. LVwG-2021/37/3279-5, betreffend Vergütung für den Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Landeck), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 20. Oktober 2021 wies die Bezirkshauptmannschaft Landeck (belangte Behörde) unter anderem den Antrag der Revisionswerberin auf Vergütung für den Verdienstentgang wegen pandemiebedingter Schließung des Gastronomiebereichs der Revisionswerberin im Zeitraum vom 17. bis 25. März 2020 gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) ab.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, die Revisionswerberin sei zum einen von einer Betriebsschließung durch eine auf das EpiG gestützte Verordnung der belangten Behörde im Zeitraum vom 17. bis 25. März 2020 betroffen gewesen. Zusätzlich sei sie ab 17. März 2020 dem mit § 3 COVID-19-Maßnahmenverordnung, BGBl. II Nr. 96/2020 (COVID-19-MV-96), verfügten Betretungsverbot für Gastgewerbebetriebe unterfallen. Die Revisionswerberin vertrete die Rechtsansicht, dass ihr für diesen Zeitraum eine Entschädigung nach dem EpiG zugesprochen werden müsse. Dem sei aus Sicht des Verwaltungsgerichts nicht zuzustimmen, weil die Verordnung der belangten Behörde durch das Inkrafttreten des § 3 COVID-19-MV-96 nicht mehr anwendbar gewesen sei (§ 4 Abs. 2 COVID-19-MG). Mangels Anwendbarkeit des EpiG könnten Entschädigungsansprüche nicht auf § 32 Abs. 1 Z 5 EpiG gestützt werden. Dies gelte ungeachtet der Tatsache, dass § 3 COVID-19-MV-96 mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2020, E 2355/2020, als gesetzwidrig erkannt worden sei. Der Verfassungsgerichtshof habe zwar ausgesprochen, dass die beanstandete Norm nicht mehr anzuwenden sei, dies führe aber nicht dazu, dass die materiell derogierte Verordnung der belangten Behörde wieder aufgelebt sei.
4 Die Revision sei zuzulassen, weil die vorhandene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 28.2.2022, Ra 2021/09/0229) auch so verstanden werden könnte, dass sie der vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Erkenntnis vertretenen Rechtsansicht entgegenstünde.
5 Die Revision bringt vor, die Revisionswerberin sehe in der Frage, ob und welche Auswirkungen das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2021, V 188/2021, in Bezug auf § 4 Abs. 2 COVID-19-MG habe, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, welche die Revision zulässig mache. In der Sache macht sie geltend, dass ihr die begehrte Vergütung zuzuerkennen sei, weil § 3 der COVID-19-MV-96 nicht mehr angewendet werden dürfe und damit keine rechtmäßig erlassene Verordnung im Sinne des § 4 Abs. 2 COVID-19-MG mehr vorliege, die einer Anwendung des EpiG entgegenstünde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und begründet.
7 Zu den vom Verwaltungsgericht aufgeworfenen Rechtsfragen, aufgrund derer es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof zugelassen hat, gleicht der vorliegende Fall in sachlicher und rechtlicher Hinsicht jenen Fällen, die der Verwaltungsgerichtshof mit den Erkenntnissen jeweils vom 14. November 2022, Ro 2022/03/0048 und Ro 2022/03/0049, entschieden hat.
8 Zusammengefasst gelangte der Verwaltungsgerichtshof in diesen Entscheidungen zu dem Ergebnis, dass der mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2021, V 188/2021 ua., als gesetzwidrig erkannte § 3 COVID-19-MV-96 infolge der Erstreckung der Anlassfallwirkung gemäß Art. 139 Abs. 6 B-VG nicht mehr dazu herangezogen werden darf, um einen Vergütungsanspruch nach § 32 Abs. 1 Z 5 EpiG abzulehnen, der sich - wie auch im gegenständlichen Fall - aus einer parallel dazu angeordneten und auf § 20 EpiG gestützten Betriebsschließung ergibt. Auf die nähere Begründung, die sich auch mit den vom Verwaltungsgericht herangezogenen gegenteiligen rechtlichen Argumenten auseinandersetzt, wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
9 Ausgehend davon ist die Revision berechtigt und das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
10 Der Kostenausspruch gründet auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. Dezember 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022030051.J00Im RIS seit
01.02.2023Zuletzt aktualisiert am
01.02.2023