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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §156;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des IY in E, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in R, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 12. April 1994, Zl. 540.077/5-I 1/1993, betreffend Antrag an das BMJ auf Erteilung der Weisung an die Oberstaatsanwaltschaft Linz, die Ehelichkeitsbestreitungsklage nach § 158 ABGB beim zuständigen BG einzubringen, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Der Verwaltungsgerichtshof hat folgenden Sachverhalt zu beurteilen:
Mit Schreiben vom 4. November 1991 ersuchte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer die Staatsanwaltschaft Wels, gemäß § 158 ABGB die Ehelichkeit der minderjährigen JY zu bestreiten. Nach Veranlassung entsprechender Erhebungen teilte der Leiter der Staatsanwaltschaft Wels dem Vertreter des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 21. Jänner 1993 mit, daß sich die Staatsanwaltschaft nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht veranlaßt sehe, eine Ehelichkeitsbestreitungsklage gemäß § 158 ABGB einzubringen. In der Folge wandte sich der Beschwerdeführer unter Berufung auf die §§ 36 und 37 StAG an die Oberstaatsanwaltschaft Linz "mit dem Antrag auf Erteilung von Weisungen". Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Linz teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 8. April 1993 mit, daß kein Anlaß bestehe, der Staatsanwaltschaft eine Weisung in dem erwünschten Sinn zu erteilen, weil die Voraussetzungen des § 158 ABGB nicht vorlägen.
Mit Schreiben vom 10. Mai 1993 wandte sich der Beschwerdeführer im "Wege der Dienstaufsicht" an das Bundesministerium (den Bundesminister) für Justiz mit dem Ersuchen um Überprüfung der Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft Wels und der Oberstaatsanwaltschaft Linz. Er stellte den Antrag auf Erteilung von Weisungen an die Staatsanwaltschaft Wels bzw. die Oberstaatsanwaltschaft Linz. Dem Beschwerdeführer wurde mit Schreiben vom 16. September 1993 mitgeteilt, daß die Erteilung einer Weisung nicht in Aussicht genommen werde. Die Klage sei weder im öffentlichen Interesse noch im Interesse des Kindes geboten. Weiters wurde in diesem Schreiben die Ansicht vertreten, daß dem Beschwerdeführer kein Anspruch auf ein Tätigwerden des Staatsanwalts auf der Grundlage des § 158 ABGB zustehe. Daher könne sein Begehren auch nicht in einem mit Bescheid zu erledigenden Verwaltungsverfahren geprüft werden. Sollte er dennoch der Ansicht sein, daß über den Antrag bescheidmäßig entschieden werden sollte, so werde um Mitteilung ersucht. In einem weiteren Schreiben vom 9. November 1993 begehrte der Beschwerdeführer schließlich, über seinen Antrag bescheidmäßig abzusprechen. Daraufhin wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Antrag des Beschwerdeführers, seiner Beschwerde Folge zu geben und der Staatsanwaltschaft Wels allenfalls im Wege über die Oberstaatsanwaltschaft Linz die Weisung zu erteilen, eine Ehelichkeitsbestreitungsklage nach § 158 ABGB einzubringen, zurückgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde, der mit Beschluß vom 20. Juni 1994, Zl. B 1138/94-3, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat, nach deren Ergänzung, nach Vorlage des Aktes und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. a VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die entscheidungswesentliche Bestimmung des § 158 ABGB lautet folgendermaßen:
"§ 158 ABGB. Hat der Mann die Ehelichkeit eines Kindes nicht innerhalb eines Jahres seit der Geburt bestritten, oder ist er gestorben oder ist sein Aufenthalt unbekannt, so kann der Staatsanwalt die Ehelichkeit bestreiten, wenn er dies im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Kindes oder seiner Nachkommenschaft für geboten erachtet."
Die §§ 36 und 37 Staatsanwaltschaftsgesetz - StAG, BGBl. Nr. 164/1986, haben samt Überschriften folgenden Wortlaut:
"Abschnitt VII
Aufsichtsrecht
Dienstaufsicht
§ 36. (1) Die Oberstaatsanwaltschaften haben in Ausübung ihres Aufsichtsrechtes den Geschäftsgang der ihnen unterstellten Staatsanwaltschaften regelmäßig durch geeignete Maßnahmen und wenigstens alle vier Jahre durch unmittelbare Einschau zu überprüfen.
(2) Die Dienstaufsicht des Bundesministeriums für Justiz gegenüber staatsanwaltschaftlichen Behörden richtet sich nach § 4 Abs. 1 und 2 des Bundesministeriengesetzes 1986.
Aufsichtsbeschwerden
§ 37. (1) Beschwerden gegen einen Staatsanwalt wegen seiner Amtsführung können bei jeder ihm vorgesetzten Stelle eingebracht werden. Wird die Beschwerde nicht bei der dem Staatsanwalt unmittelbar vorgesetzten Stelle eingebracht, so ist sie in der Regel dieser, wenn erforderlich mit einem Berichtsauftrag, zur weiteren Amtshandlung zu übermitteln.
(2) Alle nicht offenbar unbegründeten Beschwerden sind dem betroffenen Staatsanwalt mit der Aufforderung mitzuteilen, binnen bestimmter Frist der Beschwerde abzuhelfen und darüber zu berichten oder die entgegenstehenden Hindernisse bekannt zu geben."
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ist eine Beschwerde ua. dann ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß zurückzuweisen, wenn ihr der Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde entgegensteht. Unter diese Bestimmung fällt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 412 ff, zitierte
hg. Rechtsprechung) und herrschender Lehre (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 86 ff, mwN.) auch das Fehlen der Beschwerdelegitimation. Es genügt nicht, daß der Beschwerdeführer die Verletzung eines Rechtes durch den angefochtenen Verwaltungsakt behauptet und auch die Gründe angibt, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt; es muß vielmehr die Möglichkeit gegeben sein, daß diese Behauptung des Beschwerdeführers auch den Tatsachen entsprechen kann. Diese Rechtsverletzungsmöglichkeit ist nur dann zu bejahen, wenn die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verschieden ist, je nachdem, ob der angefochtene Bescheid aufrecht bleibt oder aufgehoben wird; eine Rechtsverletzungsmöglichkeit kann nicht vorliegen, wenn der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid - unabhängig von der Frage seiner Rechtswidrigkeit - in seinen Rechten gar nicht verletzt sein konnte.
Kernfrage im konkreten Fall ist, ob dem Beschwerdeführer ein subjektives öffentliches Recht zustand, daß der Staatsanwalt die Ehelichkeit der mj. JY bestreitet. Daran hängen die Folgefragen, ob dem Beschwerdeführer ein subjektives öffentliches Recht auf Weisungserteilung der übergeordneten Stellen an den Staatsanwalt zustand.
§ 8 AVG knüpft die Parteistellung daran, daß jemand an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt ist. Unter Sache im Sinn des § 8 AVG ist der Prozeßgegenstand des Verwaltungsverfahrens, die Verwaltungssache zu verstehen; das ist die, die Hauptfrage bildende Angelegenheit, über die im Spruch des Bescheides entschieden werden soll. Partei bedeutet, daß jemand kraft Rechtsanspruches das Recht auf eine bestimmte behördliche Tätigkeit hat. Partei kraft rechtlichen Interesses ist jemand, der zwar keine bestimmte behördliche Entscheidung begehren kann, bei dem aber die Rechtsordnung vorsieht, daß bestimmte Umstände in bezug auf seine Person von der Behörde bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen sind und damit zum rechtlichen Interesse werden. Damit verweist § 8 AVG auf alle von den Verwaltungsbehörden in der jeweiligen Verwaltungssache anzuwendenden Rechtsvorschriften und knüpft an die dort vorgesehenen (meist materiellen) Berechtigungen durch Erklärung des so Berechtigten zur Partei die prozessualen Parteirechte, wodurch die materiellen Berechtigungen zu subjektiven, dh. durchsetzbaren, öffentlichen Rechten werden. Der Umstand, daß das in Anspruch genommene rechtliche Interesse seinen Ursprung in Verhältnissen des Privatrechts und nicht im öffentlichen Recht hat, würde an sich die Parteistellung im Verwaltungsverfahren nicht ausschließen, da auch im Privatrecht begründete Interessen rechtliche Interessen und daher bei Anwendung des § 8 AVG in Betracht zu ziehen sind. Entscheidend für die Parteistellung ist, daß die Sachentscheidung in die Rechtssphäre des Betreffenden überhaupt bestimmend eingreift, und weiters, daß darin eine unmittelbare, nicht bloß abgeleitete und mittelbare Wirkung zum Ausdruck kommt (vgl. zum Ganzen die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, 103 ff, zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes). Die Parteistellung hängt nicht davon ab, ob eine rechtlich gebundene Entscheidung oder ein Ermessensbescheid in Frage kommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. März 1951, Zl. 66/50).
Der Beschwerdeführer legt seiner Beschwerde selbst zugrunde, daß er die einjährige Bestreitungsfrist des § 156 ABGB versäumt hat und eine Hemmung der Frist im Sinne des Abs. 3 leg. cit. nicht eingetreten ist. Damit aber ist davon auszugehen, daß er - durch Ablauf der materiellen Ausschlußfrist des § 156 ABGB (vgl. hierzu Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 3 zu §§ 156 bis 159, mwN.) - nicht (mehr) zur Bestreitung der ehelichen Abstammung der mj. JY berechtigt ist.
Der Staatsanwalt kann - nach dem eindeutigen Wortlaut des § 158 ABGB - die Ehelichkeit eines Kindes nur dann bestreiten, wenn er dies im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Kindes oder seiner Nachkommenschaft für geboten erachtet. Ungeachtet der Problematik der Wahrnehmung öffentlicher Interessen in diesem Zusammenhang (vgl. dazu etwa V. Steininger in "Reformen des Rechts", FS 200-Jahr-Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, 459 ff), ist aber jedenfalls ein schützenswertes Interesse des Ehemannes der Mutter, der die Frist des § 156 ABGB ungenützt hat verstreichen lassen, unter den vom Staatsanwalt wahrzunehmenden Interessen nicht zu erkennen. Schon daraus folgt, daß der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in seiner Rechtssphäre nicht beeinträchtigt sein kann und er auch nicht Partei des Verwaltungsverfahrens war.
Unter "Aufsichtsrecht" werden Befugnisse der jeweils übergeordneten Behörde zusammengefaßt, wie z.B. Maßnahmen zur straffen und raschen Lenkung der unterstehenden Behörden. Diese Aufsicht wird im öffentlichen Interesse ausgeübt. Im Sinne eines wohlverstandenen öffentlichen Interesses bedeutet dies, daß die Ausübung des Aufsichtsrechtes ebenso zum Zwecke einer im öffentlichen Interesse gelegenen Beeinträchtigung von Privatinteressen, als auch zum Zwecke einer im öffentlichen Interesse gelegenen Wahrung von Privatinteressen erfolgen kann. An die zweite Möglichkeit knüpft die Aufsichtsbeschwerde an. Mit ihr wird von einem am vorhergehenden Verfahren Beteiligten der Versuch unternommen, das Aufsichtsrecht auszulösen und damit aus dem Titel des öffentlichen Interesses eine Besserung seiner eigenen Position zu erreichen. Mit der Aufsichtsbeschwerde wird ANGEREGT, das Aufsichtsrecht in einer bestimmten Richtung auszuüben. Aufsichtsbeschwerde kann grundsätzlich jedermann, der sich durch das Vorgehen eines Organes für beschwert erachtet, erheben. Jedoch ist die angerufene Verwaltungsbehörde nicht verpflichtet, dem Einschreiter eine ERLEDIGUNG über seine Aufsichtsbeschwerde zukommen zu lassen. Selbst wenn dem Einschreiter im vorhergegangenen Verfahren, das den Anlaß zur Aufsichtsbeschwerde gegeben hat, Parteistellung zukäme, hat er kein Recht auf die Ausübung des Aufsichtsrechtes. Der Einschreiter kann im Verfahren über die Aufsichtsbeschwerde mangels eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses NIEMALS PARTEI sein. Ihm kommt daher auch kein Recht zu, welches Parteien vorbehalten ist (vgl. zum Ganzen Melichar, ÖJZ 1953, 197 ff, sowie die zu § 68 Abs. 2 bis 4 AVG ergangene Rechtsprechung, zitiert in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, Seite 594 ff).
Da sohin die Rechtsstellung des Beschwerdeführers auch bei einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides gleich bliebe, kann er in seinen Rechten nicht verletzt sein, weshalb die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATION Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen Rechtspersönlichkeit Verfahrensrecht Weisungen Führung der Verwaltung öffentliche InteressenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1994191203.X00Im RIS seit
02.07.2001