TE OGH 2022/12/21 6Ob136/22a

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Veröffentlicht am 21.12.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Mag. Wessely-Kristöfel, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Gernot Murko und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei L*, vertreten durch Wiedenbauer Mutz Winkler & Partner Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 43.048,41 EUR sA (Rekursinteresse 30.003,69 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. April 2022, GZ 2 R 38/22h-37, womit das Teilurteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 16. Dezember 2021, GZ 86 Cg 8/21w-23, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, und es wird in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Teilurteil des Erstgerichts einschließlich seines Kostenvorbehalts zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.402,92 EUR (darin enthalten 697,32 EUR an Umsatzsteuer und 1.219 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin war nach einer öffentlichen Ausschreibung mit Schlussbrief der beklagten Partei vom 30. 1. 2020 von dieser mit Bauarbeiten an der *brücke beauftragt worden. Nach Abschluss ihrer Arbeiten legte die Klägerin Schlussrechnung vom 30. 6. 2020. Darin macht sie auch Forderungen für aus der COVID-19-Pandemie resultierende Mehrkosten im Zusammenhang mit der Ausführung des Bauvorhabens geltend.

[2]       Die Klägerin begehrte zuletzt – soweit im Rechtsmittelverfahren gegenständlich – von der beklagten Partei die Bezahlung dieser Mehrkostenforderung in Höhe von restlich 30.003,69 EUR. Dazu brachte sie vor:

[3]       Am 15. 3. 2020 sei in Österreich das Gesetzespaket zur Eindämmung der Corona-Krise beschlossen worden, wodurch für Baustellen und auch andere Wirtschaftsbereiche einschneidende Auflagen mit 16. 3. 2020 in Kraft getreten seien. Für die Bautätigkeit habe dieses Maßnahmenpaket zunächst bedeutet, dass diese trotz der Pandemie grundsätzlich erlaubt gewesen seien. Es sei jedoch ein Mindestabstand von einem Meter zwischen Personal am Ort der beruflichen Tätigkeit sowie bei der An- und Abreise im Fahrzeug einzuhalten gewesen. Dieser Mindestabstand habe nur unterschritten werden dürfen, wenn das Infektionsrisiko durch entsprechende Schutzmaßnahmen habe minimiert werden können.

[4]       Aufgrund dieses Maßnahmenpakets seien mit Schreiben vom 19. 3. 2020 sämtliche Mehrkosten resultierend aus der COVID-19-Pandemie dem Grunde nach gegenüber der beklagten Partei angemeldet worden.

[5]       Am 26. 3. 2020 sei ein Maßnahmenkatalog „Bauarbeiten und COVID-19“ von den Sozialpartnern eröffnet worden. Darin sei festgehalten worden, dass die allgemeinen COVID-19-Schutzmaßnahmen auch für Baustellen gelten würden und vor allem folgende Maßnahmen beim Bauablauf einzuhalten seien:

[6]       Distanz von mindestens einem Meter, gründliches Händewaschen (Handhygiene) und entsprechende COVID-19-bedingte Arbeitsausrüstung, welche nach Arbeitsorten unterschiedlich gewesen sei:

? Bei Arbeiten im Freien bzw in Räumen mit entsprechender Luftbewegung sei auf den Schutzabstand von einem Meter zu achten bzw ein Mund-Nasen-Schutz (MNS) oder ein Vollvisier zu tragen gewesen.

? Bei Arbeiten in geschlossenen Räumen sei zumindest ein MNS zu tragen gewesen, wenn nicht Atemschutzmasken der Klasse FFP1 verfügbar gewesen seien.

? Bei Arbeiten in geschlossenen Räumen und unter beengten Verhältnissen, bei denen der Schutzabstand von einem Meter nicht eingehalten werden habe können, seien zumindest Atemschutzmasken der Klasse FFP2 zu tragen gewesen.

[7]       Darüber hinaus sei auch die Qualität der Arbeitshygiene auf den Baustellen definiert worden. Dazu habe das Bereitstellen von Desinfektionsmitteln und die regelmäßige Desinfektion von sanitären und sozialen Einrichtungen (Toilette, Unterkunft, Mannschaftscontainer) gezählt. Bei Nutzung von Fahrzeugen, Baumaschinen und Werkzeug sei vor Verwendung durch anderes Personal eine Desinfektion durchzuführen gewesen. An organisatorischen Maßnahmen seien die zeitliche Staffelung und örtliche Entflechtung aller Beschäftigten zur Wahrung des nötigen Abstands und die Trennung der Arbeitsbereiche von verschiedenen Gewerken erwähnt worden. Arbeitsverfahren seien so zu planen gewesen, dass die Anzahl der gleichzeitig am Ort arbeitenden Beschäftigten möglichst gering gehalten werden kann. Bei Personaltransporten habe eine Minimierungspflicht der Insassen bestanden, sodass der Mindestabstand von einem Meter eingehalten werden könne.

[8]       Durch die pandemiebedingten Maßnahmen sei es zu erheblichen Kosten und Produktivitätsminderungen gekommen. Mit Schreiben vom 15. 5. 2020 sei das Angebot der Höhe nach angemeldet worden. Der beklagten Partei seien folgende Mehrkosten zur Prüfung und Beauftragung vorgelegt worden:

„1. Tragen von Schutzmasken

Es müssen bei den Arbeiten Schutzmasken verwendet werden, da der Abstand von 1,0 m nicht garantiert werden kann. Verrechnet werden die Kosten der Schutzmasken und die Aufteilung lt. Kollektivvertrag von 5,00 %.

2. Durch das Tragen der Schutzmasken kommt es zu einem Leistungsabfall. Es ist auch notwendig teilweise den Arbeitsablauf zu ändern. Für diese Leistungsstörungen wird eine Behinderung von 10,00 % angenommen.

3. Die Quartiere müssen von Doppelbettzimmern in Einzelbettzimmer umgewandelt werden. Das heißt in einem Doppelzimmer schläft nur mehr 1 Person.

4. Die Einrichtungen und Arbeitsgeräte müssen laut den Erlässen immer wieder desinfiziert werden. Die Kosten für die Desinfektionsmittel je Mann wurden mit € 20,00 je Woche angenommen. Der Zeitaufwand beträgt 5,00 % der Arbeitszeit.“

[9]       Die zusätzlichen Aufwände und Leistungsstörungen seien anhand der Stellungnahme eines näherbezeichneten Sachverständigen zu Mehrkosten wegen geänderter Umstände der Bauausführung, ausgelöst durch Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie, berechnet worden. Es seien mehrere Gutachten von verschiedenen Personen zum Thema COVID-Kosten erstellt worden. Eines davon sei das vom genannten Sachverständigen für die Landesinnung Bau. Dessen wissenschaftliche Studie bzw seine gutachterliche Stellungnahme sei der beklagten Partei übermittelt worden, sodass die Grundlage für die angemeldete Mehrkostenforderung für diese überprüfbar gewesen sei.

[10]     Für die Arbeiten am Bau, wo der Abstand von einem Meter zum Arbeitskollegen nicht garantiert werden könne, sei laut Verordnung eine Schutzmaske zu tragen gewesen. Solche Schutzmasken seien gekauft und ausgeteilt worden. Je Mann seien am Tag zwei Stück ausgegeben worden. Der Preis habe zum damaligen Zeitpunkt zwischen 0,30 EUR und 1,00 EUR betragen. Die Verrechnung gegenüber der beklagten Partei sei mit 0,50 EUR pro Stück und einem Zuschlag erfolgt, was jedenfalls angemessen und ortsüblich gewesen sei.

[11]     Beim Tragen von Schutzmasken sei eine Aufzahlung von 5 % auf den Arbeitslohn im Sinn des geltenden Kollektivvertrags (Bau) fällig. Der Bruttomittellohn (ermittelt im K3-Blatt) sei mit 45,75 EUR pro Stunde in der Urkalkulation angeboten worden und habe sich solcherart auf 47,66 EUR pro Stunde erhöht. Weil die Einschränkungen hauptsächlich den Lohn beträfen, seien die anfallenden Kosten nur und ausschließlich dem Anteil Lohn zugeordnet worden. Die Kosten der Schutzmaske seien je Arbeitsstunde auf die Wochenarbeitszeit hochgerechnet worden (2 x 0,5 x 5 x 1,08 [Zuschlag] : 39 = 0,1385 EUR pro Stunde; Kostenaufzahlung Lohn K3-Blatt laut Angebot 45,75 EUR pro Stunde; K3-Blatt + 5 % 47,66 EUR pro Stunde). Die Differenz betrage somit 1,91 EUR pro Stunde. Der Lohnanteil aus der von der beklagten Partei übermittelten Schlussrechnung, inklusive Preisgleitung, zuzüglich des Lohnanteils MKF 01 (mobile Hilfskonstruktion) habe 137.178,48 EUR betragen. Der Anteil der Schutzmasken am Anteil Lohn sei folgendermaßen ermittelt worden: 2,0485 : 45,75 = 0,0448 EUR. 137.178,48 EUR x 0,0448 = 6.142,30 EUR.

[12]     Der Sachverständige habe im Rahmen seiner Stellungnahme ausgeführt, dass ein dauerndes Tragen einer Schutzmaske fast unmöglich sei und ein Leistungsabfall von bis zu 10 % erwartbar bzw möglich sei. Die Pausen seien in der Mehrkostenforderung nicht einkalkuliert bzw bewertet worden und der Leistungsabfall mit 10 % im Sinn der gutachterlichen Stellungnahme angenommen worden. Dies sei jedenfalls ortsüblich und angemessen und ergebe 4,575 EUR pro Stunde. Die Vorgangsweise zur Ermittlung der Kosten sei sinngemäß zu jenen der Schutzmasken durchgeführt worden: 10 % des Lohns 0,10 x 45,75 = 4,575 EUR pro Stunde, 4,575 : 45,75 = 0,10, ergebe somit 137.178,48 EUR x 0,10 = 13.717,84 EUR.

[13]     Die Unterbringung der Mitarbeiter auf Baustellen sei durch die Klägerin grundsätzlich immer in Doppelzimmern erfolgt. Durch die Corona-Pandemie sei es erforderlich gewesen auf Einzelzimmer umzustellen. Je Woche habe viermal genächtigt werden müssen. Im Durchschnitt würde eine Unterbringung im Einzelzimmer 25 EUR pro Nacht mehr als im Doppelzimmer kosten. Die Differenz habe 100 EUR pro Woche betragen. Unter Berücksichtigung des Zuschlags (100 x 1,08 : 39) errechne sich ein Lohnzuschlag von 2,769 EUR pro Stunde. Die Vorgangsweise zur Kostenermittlung sei sinngemäß zu jenen der Schutzmasken durchgeführt worden: 2,7692 EUR pro Stunde. 2,7692 : 45,75 = 0,060529. 137.178,48 EUR x 0,060529 = 8.303,27 EUR.

[14]     Alle Einrichtungen, Autos, Container, Geräte etc seien vor Arbeitsbeginn und bei Wechsel einer Person (eines Mitarbeiters) desinfiziert worden. Für die Desinfektionsmittel seien je Person 20 EUR pro Woche kalkuliert worden. Der Sachverständige habe für diese Dinge (inklusive Masken) 150 EUR pro Person und Monat vorgesehen. Die Kalkulation der Klägerin ergebe 20 x 1,08 : 39, somit 0,5538 EUR pro Stunde. Der Zeitaufwand für die Desinfektion sei mit 5 % bewertet worden (ergebe 45,75 x 0,05 = 2,87 EUR pro Stunde). Die Vorgangsweise zur Kostenermittlung sei sinngemäß zu jenen der Schutzmasken durchgeführt worden: 0,5538 + 2,2875 = 2,8413. 2,8413 : 45,75 = 0,0621 EUR, 137.178,48 EUR x 0,0621 = 8.519,45 EUR.

[15]     Insgesamt errechne sich damit ein Betrag von 36.682,86 EUR. Die Preisgleitung laut korrigierter Schlussrechnung der Beklagten errechne sich mit 2,26 %. Der vertraglich vereinbarte Nachlass betrage 4 %, sodass sich eine Nettosumme von 36.011,42 EUR und eine Bruttosumme von 43.213,70 EUR errechne. Die eingereichte Summe laut MKF 03 habe 40.542,68 EUR ohne Nachlass, mit Nachlass 38.159,37 EUR betragen, was einen Bruttobetrag von 46.751,24 EUR ergebe. Die Schlussrechnung sei durch die beklagte Partei korrigiert und die Preisgleitung von dieser eingefügt worden. Diese betrage 2,26 % auf den Anteil Lohn. Der Forderungsbetrag von netto 37.417,70 EUR sei wie folgt berechnet worden: Laut Schlussrechnung Preisgleitung 2,26 % = 861,29 EUR ergebe 38.971,56 EUR abzüglich des vertraglichen Nachlasses von 4 % ergebe dies 37.412,70 EUR, brutto somit 44.895,24 EUR. Abzüglich einer Teilzahlung von 15.341,55 EUR und zuzüglich einer Klagsausdehnung um 450 EUR ergebe dies den (den Gegenstand des rechtsmittelgegenständlichen Teilurteils bildenden) Betrag von 30.003,69 EUR.

[16]     Die tatsächlichen Anschaffungskosten von Masken, Desinfektionsmittel, aber auch Unterkunftsrechnungen und andere seien von der Klägerin nicht baustellenspezifisch erfasst worden, Materialien seien nach Bedarf angekauft und Unterkünfte bei der nächstgrößeren Baustelle gemeinschaftlich organisiert und bezahlt worden.

[17]     Auf die Berechnungen komme es im Ergebnis aber nicht an, weil der beklagten Partei die Prüfung der ordnungsgemäß gelegten Schlussrechnung innerhalb von 60 Tagen ab deren Legung oblegen wäre, was sie verabsäumt habe. Durch Ablauf dieser Frist habe die beklagte Partei mit 30. 8. 2020 die Forderungen der Klägerin durch Verschweigung anerkannt. Die beklagte Partei habe zwar mit E-Mail vom 15. 7. 2020 bekanntgegeben, dass die Mehrkostenforderungen MKF 01-03 amtsintern geprüft werden würden und demnächst ein gemeinsamer Verhandlungstermin geplant sei, doch erschließe sich nicht, weshalb bei alleinigem Hinweis der beklagten Partei auf eine amtsinterne Prüfung ohne Zurückstellung der Schlussrechnung oder Anforderung von weiteren einzelnen Unterlagen eine Hemmung der Prüffrist eintreten solle.

[18]     Mit E-Mail vom 18. 1. 2021 habe die beklagte Partei mitgeteilt, dass nunmehr die Berechnungen der COVID-Mehrkostenforderungen erfolgt seien. Es sei dafür ein Betrag von 12.784,62 EUR netto angeboten und mit E-Mail der Beklagten vom 12. 2. 2021 eine Überweisung von 15.341,55 EUR brutto angekündigt worden. Dieser Betrag sei am 2. 3. 2021 eingelangt. Durch diese Zahlung habe die beklagte Partei den Verrechnungsschlüssel der Klägerin grundsätzlich anerkannt, weil sie selbst bloß eine pauschale Abgeltung geleistet habe.

[19]     In der Tagsatzung vom 1. 12. 2021 brachte die Klägerin vor, sie stütze ihren Anspruch auch auf den Titel des „ortsüblichen und angemessenen Entgelts“ und auf Schadenersatz. Die beklagte Partei habe die Mehrkostenforderung zunächst nicht bemängelt und es ihr dadurch verunmöglicht, ihre tatsächlich gemachten Anschaffungen und Maßnahmen baustellenspezifisch aufzugliedern, zuzuordnen und hilfsweise zu präsentieren, obwohl sie nach § 7.4.1 der ÖNORM B 2110 die Verpflichtung gehabt hätte, der Klägerin Mitteilung zu machen, damit die Klägerin ihre Abrechnung verbessern könne.

[20]     Außerdem dehnte die Klägerin ihr Klagebegehren um 450 EUR aus. Sie machte diesen Betrag als pauschale Abgeltung für „Overhead“-Kosten bzw den coronabedingten arbeitspsychologischen Leistungsabfall ihres Geschäftsführers bei der Erstellung der Mehrkostenforderung geltend.

[21]     Die beklagte Partei wendete unter anderem die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens hinsichtlich der coronabedingten Mehrkostenforderung ein. Diese seien für sie nicht überprüfbar, weil keinerlei Nachweise über die angefallenen Aufwendungen vorgelegt worden seien. Der bloße prozentuelle Zuschlag mache das Klagebegehren unschlüssig. Ein Anerkenntnis liege nicht vor, weil aus bloßem Schweigen kein Anerkenntnis abgeleitet werden könne.

[22]     Sowohl in der Tagsatzung vom 31. 8. 2021 als auch in jener vom 1. 12. 2021 erörterte das Erstgericht mit der Klägerin die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens gemäß § 182a ZPO und trug ihr schon in der ersten Tagsatzung auf, ihr Vorbringen in einem Schriftsatz schlüssig zu stellen.

[23]     Das Erstgericht wies mit Teilurteil das sich auf die coronabedingte Mehrkostenforderung beziehende Klagebegehren von 30.003,69 EUR samt Zinsen ab. Es traf weder Tatsachenfeststellungen noch eine Beweiswürdigung und kam in rechtlicher Hinsicht zum Ergebnis, das Klagebegehren sei trotz Erörterung dieses Umstands unschlüssig (geblieben). Das Risiko von Bauverzögerungen und Mehraufwänden aufgrund des Coronavirus im Rahmen von ÖNORM-Verträgen habe der Auftraggeber, hier somit die Beklagte, zu tragen. Die Klägerin habe die Behauptungslast des (ungeachtet der hier vereinbarten ÖNORM B 2110) anzuwendenden § 1168 Abs 1 letzter Satz ABGB nicht erfüllt. Der Auftragnehmer (Klägerin) habe danach zu behaupten und zu beweisen, dass aufgrund der Behinderung Mehrstunden, Stehzeiten, höhere Einkaufspreise, die andersartige Zusammensetzung seines Personal- und sonstigen Ressourceneinsatzes etc konkret angefallen seien. Die Klägerin habe dagegen nur abstrakte Berechnungen ihrer behaupteten Mehrkosten vorgenommen. Ein Anerkenntnis der Mehrkostenforderung durch die beklagte Partei liege nicht vor. Soweit die Klägerin ihren behaupteten Anspruch auch auf den Titel des „ortsüblichen und angemessenen Entgelts“ oder des Schadenersatzes stütze, ändere dies an der Unschlüssigkeit nichts. Auch hinsichtlich des ausgedehnten Betrags von 450 EUR („Overhead“-Kosten) fehle es an der Darstellung des konkret entstandenen Mehraufwands.

[24]     Das Berufungsgericht hob das Teilurteil auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück und erklärter den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Die Klägerin habe sowohl vorgebracht, welcher Auftrag ihrer Tätigkeit zugrunde gelegen sei, als auch welche Arbeiten, insbesondere welche Mehraufwendungen, sie erbracht habe und wie sich der geltend gemachte Saldo zusammensetze. Das Erstgericht habe die Schlüssigkeit der Klage zu Unrecht verneint. Die vermisste mangelnde exakte Anführung der Anzahl der an die auf der konkreten Baustelle tätigen Mitarbeiter vergebenen Schutzmasken, der Mehrstunden, Stehzeiten oder Veränderungen im Arbeitsablauf, der Anzahl der Mitarbeiter, für die ein Einzelzimmer gebucht habe werden müssen, sowie die fehlende Stückzahl der für die Baustelle angekauften Desinfektionsmittel nehme dem diesbezüglichen Vorbringen nicht die Schlüssigkeit. Die Klägerin habe ausreichend präzise vorgebracht, dass sie für alle auf der Baustelle tätigen Mitarbeiter pro Tag zwei Masken ausgegeben habe, durch das Tragen der Schutzmasken ein Leistungsabfall zu verzeichnen gewesen sei, die Mitarbeiter in Einzelbettzimmern untergebracht worden seien sowie Desinfektionsmittel für die erforderliche Arbeitshygiene angeschafft und Arbeitsgeräte, Autos und Container bei jedem Schichtwechsel damit gereinigt hätten werden müssen. Eine detailliertere Berechnung bzw die baustellenspezifische Zuordnung der in diesem Zusammenhang entstandenen Kosten im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung zu verlangen, scheine zu weitgreifend: Einerseits hätten diese von der österreichischen Regierung vorgegebenen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie nicht nur die streitgegenständliche Baustelle betroffen; für sämtliche Bauvorhaben (so auch jene der Klägerin) seien, um die Bautätigkeit fortführen zu können, die dafür erforderlichen Materialien (Schutzmasken, Desinfektionsmittel) anzuschaffen, Unterkünfte zu adaptieren und Arbeitsabläufe anzupassen gewesen, sodass eine anteilsmäßige Zuordnung auf den Lohnanteil ausreichend erscheine. Andererseits habe die Klägerin gerade nicht auf bloß abstrakte Faktoren abgestellt, sondern die Abweichung von der konkreten (Basis-)Kalkulation anhand der konkreten, durch die Pandemie entstandenen Mehrkosten abgebildet und auf den Lohnanteil umgelegt. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil der Frage, wie detailliert ein Werkunternehmer seiner Behauptungslast nach § 1168 ABGB in Zusammenhang mit Mehrkosten aus einer sonstigen Behinderung (hier: Covid-19-Pandemie) nachkommen müsse bzw ob das Vorbringen einer prozentuellen Berechnung unzureichend sei und damit die Klagsabweisung rechtfertige, über den Einzelfall hinausgehend erhebliche Bedeutung zuzumessen sei und höchstgerichtliche Judikatur dazu fehle.

Rechtliche Beurteilung

[25]           Der Rekurs der beklagten Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht von oberstgerichtlicher Judikatur abgewichen ist; er ist im Sinn der Wiederherstellung des Teilurteils des Erstgerichts auch berechtigt.

1. Risikozuordnung von COVID-19-bedingten Mehrkosten

[26]           1.1. Wurde der Werkunternehmer infolge von Umständen, die auf Seite des Bestellers liegen, durch Zeitverlust bei der Ausführung des Werkes verkürzt, so gebührt ihm gemäß § 1168 Abs 1 letzter Satz ABGB angemessene Entschädigung.

[27]           1.2. Während das Risiko der neutralen Sphäre allgemein dem Auftragnehmer zugewiesen wird (vgl RS0021888; Klete?ka in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1168 Rz 19 [Stand 1. 8. 2020, rdb.at]; Rebhahn/Kietaibl in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2014] § 1168 Rz 21; Schopper in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2020] § 1168 ABGB Rz 65 mit überzeugendem Hinweis auf § 1168 e contrario iVm § 1168a S 1 ABGB), werden für die Zuordnung der Gefahrtragung bei Störungen wegen „höherer Gewalt“ aufgrund der COVID-19-Pandemie in der Literatur verschiedene Ansätze diskutiert (vgl den Überblick dazu bei Schopper in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1168 ABGB Rz 69).

[28]           1.3. Bezüglich § 1168 ABGB muss hier nicht abschließend Stellung genommen werden, weil es sich bei § 1168 Abs 1 ABGB um eine dispositive Norm handelt (RS0021858), der die speziellere (vertragliche) Regelung in der vereinbarten ÖNORM B 2110 vorgeht (RS0021825 [T2]).

[29]           1.4. Die Streitteile gehen übereinstimmend von der Anwendbarkeit der ÖNORM B 2110 aus, die unter Punkt 7.2.1 der Sphäre des Auftraggebers unter anderem Ereignisse zuordnet, wenn diese zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind.

[30]           1.5. Im Sinn der weit überwiegenden Literatur (Pochmarski/Kober, Die „neutrale Sphäre“ im ABGB- und ÖNORM-Bauwerkvertrag, ImmoZak 2020, 34 [36]; Berlakovits/Hofer, Zivilrechtliche Auswirkungen des Coronavirus auf Bauprojekte, bauaktuell 2020, 66 [67]; vgl auch [zust für Preissteigerungen und Lieferengpässe] Schopper, COVID-19-bedingte Preissteigerungen und Lieferengpässe bei ÖNORM-Bauverträgen, ZRB 2021, 47 [48 insb FN 10]; allgemein derselbe in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1168 ABGB Rz 68; aA Gallistel/Lessiak, COVID-19 und der Betrieb von Baustellen, ZVB 2020, 171 [174 ff]) sind die Folgen der Pandemie bei Anwendung der ÖNORM B 2110 grundsätzlich der Sphäre des Auftraggebers zugewiesen. Davon sind hier ohnehin sowohl die Vorinstanzen als auch die Parteien ausgegangen. Die Klägerin ist daher grundsätzlich berechtigt, den Ersatz von COVID-19-bedingten Mehrkosten von der beklagten Partei zu verlangen.

2. Maßstab für die Behauptungslast

[31]           2.1. Allgemein werden die Regelungen der ÖNORM B 2110 nicht als Ersatz, sondern als bloße Modifikation des gesetzlichen Anspruchs nach § 1168 ABGB bezüglich der Anspruchsdurchsetzung qualifiziert. Die ÖNORM B 2110 schafft keine eigenständige Rechtsgrundlage für derartige Ansprüche, der Anspruch entsteht bereits bei Eintritt der Störung der Leistungserbringung (siehe Karasek, ÖNORM B 21103 [Stand 1. 9. 2015, rdb.at] 7 Leistungsabweichung und ihre Folgen Rz 1293 f; Müller/Ilg, Die Mehrkostenforderung infolge von gestörten Bauabläufen. Eine Zwischenbilanz, in Berlakovits/Hussian/Klete?ka, FS Georg Karasek [2018] 617 [619]: Im Anwendungsbereich der ÖNORM B 2110 sind die Anspruchselemente des § 1168 Abs 1 S 2 ABGB sowohl für Mehrkostenforderungen infolge von Störungen der Leistungserbringung als auch jene infolge von Leistungsänderungen maßgeblich; Kodek/Plettenbacher, Der Werklohnergänzungsanspruch bei Abweichungen der Bauzeit nach § 1168 ABGB, bauaktuell 2018, 6 [7]).

[32]           Hier wurde eine abweichende Vertragsregelung nicht behauptet und ergibt sich eine solche auch aus den Urkunden nicht, weshalb in der gegenständlichen Frage die Behauptungslast iZm § 1168 Abs 1 ABGB maßgeblich ist.

2.2. Lehre

[33]     2.2.1. Nach der einschlägigen Literatur ist der Werkunternehmer sowohl für das Vorliegen eines „Zeitverlusts“ im Sinn einer nicht seiner Sphäre zuzurechnenden Behinderung bzw Erschwerung als auch für die Folgen des „Zeitverlusts“ (die „Verkürzung“) beweispflichtig (Kodek, 4. Verfahrensfragen, in Kodek/Plettenbacher/Draskovits/Kolm, Mehrkosten beim Bauvertrag2 [2022] 82; derselbe, Mehrkosten beim Bauvertrag: Dogmatische Grundfragen und praktische Anwendung, bauaktuell 2017, 135 [137]; weiters Prantl/Hayek, Feststellung der Mehrkosten aus Bauablaufstörungen durch ein vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten, ZRB 2020, 130 [133]; ähnlich Klete?ka in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1168 Rz 45/1: Behauptungs- und Beweislast des Werkunternehmers für den aus der Sphäre des Werkbestellers kommenden Zeitverlust und dessen Kausalität für die „Behinderung“).

[34]           2.2.2. Nach herrschender Lehre muss daher der Werkunternehmer den kausalen Zusammenhang zwischen Ursache (zB Planverzug) und Wirkung (zB Bauverzug) konkret behaupten und beweisen (Berlakovits/Karasek, Der Kausalitätsnachweis bei Mehrkostenforderungen. Eine Replik auf Klete?ka und Goger/Gallistel, bauaktuell 2017, 89 [90]; Klete?ka, Verwirrung um Mehrkostenforderungen und Beweislast, bauaktuell 2018, 52 [53]). Einigkeit besteht dabei auch zumindest darüber, dass der Werkunternehmer den Umstand behaupten und beweisen muss, der zu Mehrkosten geführt hat, ebenso, dass die Umstände, die den Zeitverlust herbeigeführt haben, aus der Sphäre des Bestellers stammen (so Schopper in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1168 ABGB Rz 151 f).

[35]           2.2.3. Dreh- und Angelpunkt der uneinheitlichen Diskussion (siehe dazu insb Hock, Zur Angemessenheitsprüfung von bauwirtschaftlichen Mehrkostenforderungen von Werkunternehmern – ein Beitrag zu § 1168 Abs 1 ABGB, ecolex 2015, 539; Klete?ka, Beweisfragen im Zusammenhang mit Mehrkostenforderungen beim Bauwerkvertrag [Teile I, II], bauaktuell 2017, 4 und 44; derselbe, bauaktuell 2018, 52; Berlakovits/Karasek, bauaktuell 2017, 89; Kodek, 2. Die Regelung des § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB, in Kodek/Plettenbacher/Draskovits/ Kolm, Mehrkosten bei Bauvertrag2 4 ff; derselbe, bauaktuell 2017, 135; Kodek/Plettenbacher, bauaktuell 2018, 6; Kropik, Mehrkostenforderungen von Bauunternehmern [Teil I] – eine rechtliche und bauwirtschaftliche Analyse, ZVB 2017, 489 und [Teil II] – Beweistiefe, Grenzen der Nachweismöglichkeiten und Berechnungsmethoden, ZVB 2017, 538; Anderl, Verteilung der Beweislast bei vom Auftraggeber angeordneten oder gewünschten Leistungsänderungen, bauaktuell 2018, 20; Hussian, Die angemessene Entschädigung des Unternehmers nach § 1168 ABGB, bauaktuell 2018, 15) ist dann aber die Frage, was konkreter Bezugspunkt der Nachteilsbehauptung (bzw des -nachweises) ist.

[36]           2.2.4. Gegenständlich führte die beklagte Partei zwar aus, dass Bauunternehmer „selbstverständlich“ während der Pandemie Schutzmaßnahmen auf deren Baustellen treffen mussten und auch nicht bestritten werde, „dass die Klägerin für alle ihre Baustellen bzw. Bauvorhaben Coronaschutzmaßnahmen treffen musste“. Freilich bestritt sie aber hinsichtlich sämtlicher von der Klägerin in Rechnung gestellten COVID-19-bezogenen Mehrkosten sowohl, dass die Kosten tatsächlich angefallen, als auch, dass diese angemessen seien, weshalb – anders als in 4 Ob 24/20p (ErwGr 1.) – hier nicht davon ausgegangen werden kann, dass die beklagte Partei nicht bestreite, „dass den Klägerinnen für den ihnen (wegen der von der Beklagten zu verantwortenden Behinderungen und Störungen) entstandenen Mehraufwand grundsätzlich ein nach § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB erhöhtes Entgelt zusteht“.

[37]           2.2.5. Zur Behauptungs- (und Beweis-)last hinsichtlich des Vorliegens eines Nachteils wird zum Teil die Ansicht vertreten, der Auftragnehmer müsse keinen durch den Zeitverlust bewirkten Schaden/Nachteil nachweisen, handle es sich doch bei § 1168 Abs 1 S 2 ABGB um eine Entgeltforderung und nicht um einen Schadenersatzanspruch (insb Klete?ka in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1168 Rz 45/1; derselbe, bauaktuell 2018, 53). Zudem wird die Forderung des Nachweises eines Vermögensnachteils als Vermischung zwischen Anspruchsgrund und Anspruchshöhe kritisiert (vgl Müller/Ilg in FS Karasek 637).

[38]           Demgegenüber weisen andere Autoren dem Auftragnehmer auch die Behauptungs- (und Beweis-)last des Vorliegens eines Nachteils zu, zumal § 1168 Abs 1 S 2 ABGB nicht schlechthin Ersatz für jeden „Zeitverlust“, sondern nur dann gewähre, wenn der Auftragnehmer dadurch „verkürzt“ wurde (insb Kodek in Schwimann/Kodek, ABGB [2021] § 1168 Rz 177; dahingehend auch Hussian, bauaktuell 2018, 15, der das Tatbestandselement der Verkürzung dem Anspruchsgrund zuordnet).

2.3. Rechtsprechung

[39]           In der Entscheidung 1 Ob 16/17k führte der Oberste Gerichtshof (unter Verweis auf 3 Ob 501/94 und 6 Ob 201/98x) aus, dass bei einem Zeitverlust beim Werkunternehmer aufgrund der Nichtannahme von angebotenen Arbeitsleistungen durch den Besteller (= dessen Risikosphäre), durch den Stehzeiten anfallen, der Besteller „den damit verbundenen Aufwand des Unternehmers zu vergüten [hat], zu dem insbesondere die (zusätzlich) anfallenden Lohnzahlungen gehören, die er ja auch dann zu leisten hat, wenn die Arbeitnehmer wegen eines 'Baustopps' untätig bleiben müssen“.

[40]           In der Entscheidung 8 Ob 14/21y wurde klargestellt, die ÖNORM B 2110 regle in Punkt 7.4.2 zwar, dass Mehrkostenforderungen auf der Preisbasis des Vertrags gerechnet werden, gleichzeitig aber betont, dass dies nichts daran ändere, dass die Verzögerung für die Mehrkosten kausal gewesen sein muss (Rz 4: „Hat daher der Auftragnehmer etwa während einer Bauverzögerung zeitgebundene Kosten im Rahmen eines Zusatzauftrags durch denselben Auftraggeber ohnehin abgedeckt, sind ihm aus dieser Position durch die Verzögerung solche Kosten gerade nicht entstanden.“; vgl weiters Rz 5: „Wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, dass vor diesem Hintergrund die Klägerin zu konkretisieren gehabt hätte, inwieweit durch die Verzögerung eine Erhöhung der zeitgebundenen Kosten während der gesamten Bauzeit entstanden ist, hält sich das im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.“).

3. Stellungnahme

[41]           3.1. In Übereinstimmung dieser Rechtsprechung mit der überwiegenden Lehre sind somit auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts in § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB („Wurde er … verkürzt, …“) für die erfolgreiche Geltendmachung von Mehrkostenforderungen die Behauptung und der Beweis von konkret entstandenen Mehrkosten erforderlich. Aus den zitierten Entscheidungen ergibt sich eindeutig, dass es einer entsprechenden klägerischen Behauptung der Mehrkosten als Verkürzung bzw Nachteil sehr wohl bedarf und es etwa nicht lediglich darum gehen kann, die Preisvereinbarung für den Verzögerungszeitraum (zB durch Heranziehung des vereinbarten Stundensatzes) fortzuschreiben.

[42]           3.2. Soweit Müller/Ilg (in FS Karasek 639 mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstands bei 621 ff) betonen, die Gesetzesmateralien sähen die Verkürzung nicht als Tatbestandselement vor (so auch Klete?ka, bauaktuell 2018, 54), so trifft dies zwar per se zu (HHB 78 BlgHH 21. GP 243). Doch ist auch zur dienstvertraglichen Parallelbestimmung des § 1155 Abs 2 ABGB, auf die die Materialien zur angemessenen Entschädigung explizit verweisen, ersichtlich, dass diese gerade die Verringerung von Leistungslohn erfassen soll (vgl HHB 78 BlgHH 21. GP 222). Auch die ständige Rechtsprechung nimmt an, dass § 1155 ABGB auf dem Lohnausfallsprinzip beruht (siehe nur 9 ObA 153/14m mwN), womit im Ergebnis wiederum eine Ausgleichsfunktion eines „Nachteils“ verbunden ist. Zudem sprechen auch Vertreter der gegenläufigen Meinung explizit davon, dass der Anspruch nach § 1168 Abs 1 S 2 ABGB nur dann bestehe, wenn der Unternehmer durch die Verzögerung oder deren Verhinderung (Forcierungsmaßnahmen) einen Nachteil erlitten hat (so Klete?ka in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1168 Rz 40).

4. Vorliegender Fall

[43]           4.1. Im Licht dieser Ausführungen erweist sich die Beurteilung der Schlüssigkeitsfrage durch das Berufungsgericht als korrekturbedürftig: Zunächst ist die dort zitierte Rechtsprechung zur möglichen Einklagung eines Saldos und zum ausreichenden Verweis auf die Urkunden im Vorbringen (RS0037907; RS0036793 [T16]; RS0037955) im gegenständlichen Fall insofern nicht einschlägig, als die Klägerin hier selbst vorbringt, die tatsächlichen Anschaffungskosten von Masken, Desinfektionsmittel, aber auch Unterkunftsrechnungen seien nicht baustellenspezifisch vorgenommen worden. Soweit sich konkrete Angaben im Klagsvorbringen finden (zB zwei Masken pro Arbeiter, Einbettzimmer statt Zweibettzimmer etc), bleiben diese Behauptungen auf halbem Weg stecken, wird doch nicht angegeben, wie viele Arbeiter wie viele Tage tätig waren, wie viele Masken daher verbraucht wurden, in wie viel Nächten wie viele Einbettzimmer statt Zweibettzimmern benützt werden mussten etc. Denn letztlich beschränkt sich das Klagsvorbringen bei der Angabe des begehrten Betrags auf abstrakte Berechnungen, die auf einem bauwirtschaftlichen Gutachten ohne jeglichen Bezug zur konkreten Baustelle basieren.

[44]           Weder der Verweis auf eine bloße Preisfortschreibung noch ein diesbezüglicher Saldo genügen den Anforderungen an die Behauptung einer konkreten Mehrforderung. Diese bloße Einpreisung anhand eines – offensichtlich nicht auf die konkrete Baustelle bezogenen und anhand einer in einem Gutachten vorgenommenen abstrakten Kalkulation berechneten – Zuschlags ist unzureichend. Sie anzuerkennen bedeutete im Ergebnis, einen Werkunternehmer letztlich von der Behauptung der jeweils tatsächlich angefallenen Mehrkosten zu entbinden.

[45]           4.2. Dieser Aspekt ist im vorliegenden Fall durchaus bedeutsam: Die Beklagte hat nämlich behauptet, sie habe bei ihren regelmäßigen Baustellenbesuchen im Zuge der Durchführung des Bauvorhabens durch die Klägerin festgestellt, dass die Bauarbeiter keine Schutzmasken getragen hätten, Abstände nicht eingehalten worden seien und sich auch der organisatorische Ablauf der Arbeitsmaßnahmen nicht wahrnehmbar verändert habe. Desinfektionsmittel oder ein Desinfektionscontainer seien auf der Baustelle nicht wahrgenommen worden.

[46]           Damit behauptet die Beklagte sinngemäß, dass der Klägerin pandemiekausale Kosten oder zumindest ein Teil davon – möglicherweise gerade wegen Missachtung der Pandemieschutzvorschriften – gar nicht entstanden sein könnten.

[47]           Auch diese Möglichkeit zeigt die Notwendigkeit der Behauptung konkret entstandener Kosten: Es versteht sich von selbst, dass die Klägerin aus der Missachtung von Schutzvorschriften nicht noch zusätzlich Ersatz für gar nicht entstandene Kosten bekommen könnte.

[48]           4.3. Den Argumenten der Klägerin in der Rekursbeantwortung ist noch Folgendes zu entgegnen:

[49]           4.3.1. Mag auch die von der Klägerin gewählte Vorgangsweise auf eine Empfehlung der Wirtschaftskammer Österreich und die von dieser veröffentlichten Stellungnahme des erwähnten Sachverständigen zurückzuführen sein, so ändert dies an den dargelegten, dem Gesetz und der Rechtsprechung entsprechenden Erfordernissen eines konkreten Vorbringens nichts.

[50]           4.3.2. Die Klägerin beruft sich auf das § 1168 Abs 1 S 2 ABGB innewohnende Prinzip der Aufrechterhaltung der subjektiven Äquivalenz (vgl auch 2 Ob 203/08d). Dies könnte etwa zwar bei der Zugrundelegung des vereinbarten Stundenlohns auch für notwendige Mehrarbeiten von Bedeutung sein (vgl auch M. Bydlinski in KBB6 § 1168 ABGB Rz 7), enthebt aber nicht von der Notwendigkeit der Behauptung, welche Mehrarbeiten angefallen sind.

[51]           4.3.3. Da hier unstrittig die ÖNORM B 2110 vereinbart war, geht der Hinweis der Klägerin, die Führung eines Bautagebuchs sei „nicht schlichtweg als gegeben zu erachten“, ins Leere (vgl Karasek, ÖNORM B 2110³ 6 Leistung, Baudurchführung Rz 897 ff).

[52]     4.3.4. Der Verweis der Klägerin auf die Anwendbarkeit des § 273 ZPO ist ebenfalls nicht zielführend: Durch § 273 ZPO wird nur die Beweislast erleichtert, nicht aber die (für die Prüfung der Schlüssigkeit allein maßgebliche) Behauptungslast abgenommen. Der Verpflichtung, die zur Ableitung des Begehrens sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach erforderlichen Tatsachen vorzubringen, wird der Beweisführer nicht enthoben (RS0040439).

[53]           4.3.5. Ein Anerkenntnis der Mehrkostenforderung durch die beklagte Partei scheidet schon nach dem Parteivorbringen der Klägerin aus, habe die beklagte Partei demnach doch gerade bekanntgegeben, dass die Mehrkostenforderungen amtsintern zu prüfen und ein gemeinsamer Verhandlungstermin geplant seien.

[54]           Punkt 7.4.1 Abs 2 der ÖNORM B 2110 setzt die Vorlage der Mehrkostenforderung „in prüffähiger Form“ voraus. Nach dem Klagsvorbringen wurde diese Forderung jedoch – wie hier im Verfahren – nur anhand der auf dem erwähnten Gutachten basierenden Berechnungen dargestellt. Damit ist aber eine „Prüffähigkeit“ zu verneinen. Auch für diesen Fall wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass in der Unterlassung der (rechtzeitigen) Retournierung einer unüberprüfbaren Rechnung „wohl kaum“ ein Anerkenntnis des Rechnungsbetrags erblickt werden könne (so Wenusch, ÖNORM B 21102 [2011] 841; bei Karasek, ÖNORM B 21103 8 Rechnungslegung, Zahlung, Sicherstellungen Rz 1809 ff findet ein Anerkenntnis als mögliche Rechtsfolge keine Erwähnung).

[55]           4.3.6. Auch Schadenersatz als alternative Anspruchsgrundlage ändert nichts an der fehlenden Schlüssigkeit eines solchen Anspruchs.

[56]           5. Somit erweist sich die Beurteilung des Erstgerichts, das Klagebegehren betreffend die Mehrkostenforderung aufgrund der COVID-19-bedingten Mehrkosten sei unschlüssig, als zutreffend, weshalb dessen Teilurteil wiederherzustellen war.

[57]     6. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Da der Rekurs kein verfahrenseinleitender Schriftsatz ist, gebührt der ERV-Zuschlag nur im Betrag von 2,10 EUR.

Textnummer

E137161

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00136.22A.1221.000

Im RIS seit

31.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2023
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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