Entscheidungsdatum
27.10.2022Index
60/02 ArbeitnehmerschutzNorm
ArbIG 1993 §23 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Dr. Lukas Diem über die Beschwerde der A. B., vertreten durch Rechtsanwälte GmbH, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 30.5.2022, Zl. MBA/.../2022, betreffend Verwaltungsübertretungen nach § 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (AZG)
zu Recht:
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG iVm § 27 Abs. 1 VStG aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang
1. Der Magistrat der Stadt Wien (im Folgenden: belangte Behörde) verhängte mit Straferkenntnis vom 30.5.2022, Zl. MBA/.../2022, über die Beschwerdeführerin wegen mehrerer Übertretungen des § 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (AZG) gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 erster Strafsatz AZG iVm § 9 Abs. 2 VStG mehrere Geldstrafen zwischen € 75,– und € 400,– (in Summe € 2.415,–) bzw. entsprechende Ersatzfreiheitsstrafen für den Fall der Uneinbringlichkeit. Zudem wurde sie zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Verfahrens in Höhe von € 255,– verpflichtet. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die C. AG für die verhängten Geldstrafen und die Verfahrenskosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand haftet.
Der Beschwerdeführerin wird vorgeworfen, sie habe es als für die Filiale Wien, D.-gasse, unter anderem für die Belange des AZG bestellte verantwortliche Beauftragte der C. AG mit Sitz in E., … zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeber in ihrem Betrieb in Wien, D.-gasse, zwei im Straferkenntnis namentlich genannte Arbeitnehmer an im Straferkenntnis näher bezeichneten Tagen im Jahr 2021 in einer jeweils im Straferkenntnis konkret angeführten Dauer länger als 10 Stunden täglich beschäftigt sowie diese zwei Arbeitnehmer in im Straferkenntnis näher bezeichneten Wochen im Jahr 2021 in einer jeweils konkret angeführten Dauer länger als 60 Stunden wöchentlich beschäftigt habe.
2. Gegen dieses Straferkenntnis brachte die Beschwerdeführerin am 27.6.2022 binnen offener Beschwerdefrist eine Beschwerde bei der belangten Behörde ein.
3. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt den Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
II. Feststellungen
Das Verwaltungsgericht legt seiner Entscheidung folgende, als erwiesen angenommene Tatsachen zugrunde:
1. Die C. AG, FN ..., hat ihren Sitz in ..., E..
2. Die C. AG betreibt unter anderem eine Filiale in Wien, D.-gasse.
3. Die C. AG übermittelte dem Arbeitsinspektorat Wien Zentrum hinsichtlich F. G. eine „BESTELLUNGSURKUNDE zum verantwortlichen Beauftragten“, die beim Arbeitsinspektorat Wien Zentrum am 2.11.2020 eingelangt ist.
Als [ö]rtlicher Zuständigkeitsbereich“ wird in dieser Bestellungsurkunde festgelegt:
„Filiale/Nummer …
Filialadresse: WIEN, D.-GASSE
Sie sind als Vertriebsmanager neben der oben angeführten Filiale für weitere Filialen verantwortlich und zum verantwortlichen Beauftragten bestellt; Sie werden vom Sitz des Unternehmens aus tätig.“
Als „[s]achlicher Zuständigkeitsberiech“ ist in dieser Bestellungsurkunde unter anderem die „Einhaltung […] der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften (AZG, ARG, MSchG, KJBG)“ angegeben.
Zudem wird in dieser Bestellungsurkunde Folgendes festgehalten: „Wir bestellen Sie für den angeführten örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich zum verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Verwaltungsstrafgesetz […].“
4. Die C. AG übermittelte dem Arbeitsinspektorat Wien Zentrum hinsichtlich der Beschwerdeführerin eine „BESTELLUNGSURKUNDE zum verantwortlichen Beauftragten“, die beim Arbeitsinspektorat Wien Zentrum am 7.1.2022 eingelangt ist. Gleichzeitig übermittelte die C. AG dem Arbeitsinspektorat Wien Zentrum die Mitteilung, dass die Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten hinsichtlich F. G. widerrufen wird.
Die Bestellungsurkunde zur verantwortlichen Beauftragten betreffend die Beschwerdeführerin ist hinsichtlich des festgelegten örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereiches – jedenfalls im zuvor beschriebenen Umfang – deckungsgleich mit der Bestellungsurkunde betreffend F. G..
5. Das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren wurde aufgrund einer an den Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, gerichteten Anzeige des Arbeitsinspektorates Wien Zentrum vom 30.3.2022 eingeleitet.
6. In dieser Anzeige führt das Arbeitsinspektorat Wien Zentrum die Beschwerdeführerin als verantwortliche Beauftragte gemäß § 23 ArbIG an.
7. Im Verwaltungsakt der belangten Behörde liegt eine (nicht vollständige) Kopie der Bestellungsurkunde zur verantwortlichen Beauftragten betreffend die Beschwerdeführerin ein. Aus dieser Kopie geht der festgelegte „[ö]rtliche Zuständigkeitsbereich“ sowie teilweise auch der „[s]achliche Zuständigkeitsbereich“ hervor. Wann die Mitteilung über die Bestellung beim Arbeitsinspektorat Wien Zentrum eingelangt ist, ist dabei jedoch nicht ersichtlich.
III. Beweiswürdigung
Die Feststellungen gründen sich auf den gesamten Akteninhalt (Verwaltungs- und Gerichtsakt), an dessen Vollständigkeit und Richtigkeit keine Zweifel entstanden sind. Im Einzelnen:
1. Die Feststellungen zum Sitz der C. AG und dazu, dass diese in der D.-gasse, Wien, eine Filiale betreibt, ergeben sich unter anderem aus der Bestellungsurkunde zum verantwortlichen Beauftragten, die beim Arbeitsinspektorat Wien Zentrum am 7.1.2022 eingelangt ist (ON 12), sowie aus der (nicht vollständigen) Kopie dieser Bestellungsurkunde, die im Verwaltungsakt einliegt (AS 5 des Verwaltungsaktes). Diese Umstände ergeben sich auch aus dem Bescheid der belangten Behörde, die im Übrigen unbestritten geblieben sind.
2. Die Feststellungen zum Inhalt der Bestellungsurkunde zum verantwortlichen Beauftragten hinsichtlich F. G. ergeben sich aus der vom Arbeitsinspektorat Wien Zentrum vorgelegten Bestellungsurkunde (ON 19). Dass dieses Schreiben beim Arbeitsinspektorat Wien Zentrum am 2.11.2020 eingelangt ist, ergibt sich aus der gleichzeitig mit der Vorlage der Bestellungsurkunde erteilten Auskunft des Arbeitsinspektorates Wien Zentrum (ON 19).
3. Die Feststellung zum Einlangen der Bestellungsurkunde zur verantwortlichen Beauftragten hinsichtlich der Beschwerdeführerin beim Arbeitsinspektorat Wien Zentrum basiert auf der Auskunft des Arbeitsinspektorates Wien Zentrum (ON 12). Die Feststellungen zum Inhalt dieser Bestellungsurkunde ergeben sich aus der Bestellungsurkunde selbst (ON 12), jene zum Inhalt der im Verwaltungsakt einliegenden (nicht vollständigen) Kopie der Bestellungsurkunde aus dieser Kopie (AS 5 des Verwaltungsaktes). Die Feststellung zur Mitteilung bezüglich des Widerrufs der Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten hinsichtlich F. G. ergibt sich aus dem Inhalt des Schreibens, das die C. AG dem Arbeitsinspektorat Wien Zentrum gleichzeitig mit der Bestellungsurkunde übermittelt hat (ON 12).
4. Die Feststellungen zur Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens aufgrund einer Anzeige des Arbeitsinspektorates Wien Zentrum sowie zum Inhalt der Anzeige ergeben sich aus der entsprechenden Anzeige (AS 1 ff. des Verwaltungsaktes).
IV. Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 27 Abs. 1 VStG ist für das Verwaltungsstrafverfahren jene Behörde örtlich zuständig, in deren Sprengel die Verwaltungsübertretung begangen worden ist, auch wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg in einem anderen Sprengel eingetreten ist.
Zur Auslegung des Begriffes des Ortes der Begehung iSd § 27 Abs. 1 VStG muss § 2 Abs. 2 VStG herangezogen werden. Eine Verwaltungsübertretung ist regelmäßig als dort begangen anzusehen, wo der Täter gehandelt hat oder (bei Unterlassungsdelikten) hätte handeln sollen. Bei Delikten von juristischen Personen kommt es dabei vielfach auf den Sitz der Unternehmensleitung an, wobei jedoch stets auf das betreffende Tatbild Bedacht zu nehmen ist (siehe VwGH 16.7.2020, Ra 2020/02/0095 mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften als Ort, an dem die Übertretung begangen wurde, jener Ort anzusehen, an dem die gesetzlich gebotene Vorsorgehandlung unterlassen wurde; dies ist grundsätzlich der Sitz der Unternehmensführung (siehe statt vieler VwGH 16.7.2020, Ra 2020/02/0095).
Nur dann, wenn für einen Filialbetrieb eines Unternehmens ein verantwortlicher Beauftragter iSd § 9 Abs. 2 zweiter Satz VStG bestellt ist, liegt der Tatort einer von diesem zu verantwortenden Verwaltungsübertretung nicht am Sitz der (zentralen) Unternehmensleitung, sondern dort, wo die Dispositionen und Anweisungen zur Vermeidung der Verstöße gegen die Verwaltungsvorschriften hätten gesetzt werden müssen. Dies ist bei einem verantwortlichen beauftragten Filialleiter der Standort dieser Filiale (zuletzt VwGH 28.5.2021, Ra 2021/02/0092; siehe auch VwGH 19.4.1994, 94/11/0055; 29.1.2004, 2003/11/0277; 16.7.2020, Ra 2020/02/0095 uva.).
Bei einem Verantwortungsbereich nicht nur für eine Filiale ist demgegenüber wiederum der Sitz des Unternehmens als Tatort anzusehen (vgl. VwGH 10.10.1995, 95/02/0280; 10.9.2004, 2001/02/0107).
2. Der Beschwerdeführerin wurden mehrere Verwaltungsübertretungen für den Zeitraum zwischen 29.3.2021 und 30.11.2021 angelastet. Zu prüfen ist daher zunächst, ob der Tatort der angelasteten Verwaltungsübertretungen der Filialbetrieb in Wien, D.-gasse, ist – mit der Konsequenz, dass die belangte Behörde iSd § 27 Abs. 1 VStG örtlich zuständig ist; oder aber, ob der Sitz der Unternehmensleitung in E. als Tatort anzusehen ist – mit der Konsequenz, dass die belangte Behörde iSd § 27 Abs. 1 VStG örtlich unzuständig ist.
3. Dazu ist es erforderlich festzustellen, ob für die fraglichen Tatzeitpunkte bzw. -räume im Jahr 2021 ein verantwortlicher Beauftragter für den Filialbetrieb in Wien, D.-gasse, bestellt wurde:
3.1. Gemäß § 9 Abs. 1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.
Nach § 9 Abs. 2 VStG sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.
Gemäß § 9 Abs. 4 VStG muss der verantwortlichen beauftragten Person für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen sein.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der räumliche oder sachliche Bereich des Unternehmens, für den ein verantwortlicher Beauftragter mit dessen Zustimmung gemäß § 9 Abs. 2 und 4 VStG bestellt wird, „klar abzugrenzen“. Erfolgt eine solche klare Abgrenzung nicht, so liegt keine wirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten vor. Die Verwaltungsstrafbehörden sollen nicht in die Lage versetzt werden, Ermittlungen über den jeweiligen Betrieb und seine Gliederung in räumlicher und sachlicher Hinsicht anstellen zu müssen. Sie sollen auch der Aufgabe enthoben sein, die Bestellung (ihren Nachweis) einer nur unter Zuhilfenahme weiterer Beweise möglichen Interpretation unterziehen zu müssen, um zu klären, welcher Inhalt einer diesbezüglich nicht eindeutigen Erklärung beizumessen ist. Jedenfalls soll vermieden werden, dass Zweifel am Umfang des Verantwortlichkeitsbereichs entstehen und dass als deren Folge die Begehung von Verwaltungsübertretungen allenfalls überhaupt ungesühnt bleibt. Die Wichtigkeit der Übernahme der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit erfordert es, dass die Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten und die damit übereinstimmende Zustimmung so erklärt werden, dass kein Zweifel an deren Inhalt entsteht. Bei der Auslegung einer Bestellungsurkunde ist sohin ein objektiver Maßstab anzulegen. Dabei kommt es im Sinne der allgemeinen Auslegungsregeln auch nicht auf die Absicht des Erklärenden, sondern auf den objektiven Erklärungswert des Empfängers an. (vgl. zuletzt etwa VwGH 20.2.2019, Ra 2018/03/0121; 24.6.2021, Ra 2020/02/0076 jeweils mwN).
Gemäß § 23 Abs. 1 ArbIG wird die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 3 VStG für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften erst rechtswirksam, nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist (siehe dazu etwa VwGH 21.10.2005, 2005/02/0168; 10.12.2014, 2012/02/0102).
3.2. Für die angelasteten Tatzeitpunkte bzw. -räume (im Jahr 2021) liegt keine wirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten iSd § 9 Abs. 2 VStG für die Filiale in Wien, D.-gasse, vor:
3.2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass lediglich F. G. als verantwortlicher Beauftragter für die genannte Filiale in Wien in Frage kommt. Die Mitteilung über die (beabsichtigte) Bestellung der Beschwerdeführerin zur verantwortlichen Beauftragten langte beim Arbeitsinspektorat Wien Zentrum nämlich erst nach den angelasteten Tatzeitpunkten und -räumen (im Jahr 2021) am 7.1.2022 ein. Das heißt, eine wirksame Bestellung der Beschwerdeführerin als verantwortliche Beauftragte für diese Filiale kommt vor dem Hintergrund des § 23 Abs. 1 ArbIG bereits aus zeitlichen Gründen nicht in Betracht.
3.2.2. Doch auch die am 2.11.2020 beim Arbeitsinspektorat eingelangte Bestellungsurkunde hinsichtlich F. G. entspricht bezüglich der örtlichen Zuständigkeit nicht den oben ausgeführten Kriterien, an denen eine Bestellungsurkunde zu messen ist:
Zwar wird die entsprechende Filiale in Wien, D.-gasse, unter der Rubrik „Örtlicher Zuständigkeitsbereich“ explizit genannt. Zusätzlich wird – innerhalb der gleichen Rubrik – auch festgehalten, dass F. G. „als Vertriebsmanager neben der oben angeführten Filiale für weitere Filialen verantwortlich [ist] und zum verantwortlichen Beauftragten bestellt [wird]“ und dass dieser „vom Sitz des Unternehmens aus tätig [wird]“.
Schließlich wird an anderer Stelle in dieser Bestellungsurkunde festgehalten, dass die C. AG F. G. „für den angeführten örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich zum verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Verwaltungsstrafgesetz“ bestellt.
Die „weitere[n] Filialen“, hinsichtlich derer ebenfalls die Bestellung erfolgen soll („Wir bestellen Sie für den angeführten örtlichen […] Zuständigkeitsbereich“), werden weder anzahlmäßig noch örtlich in irgendeiner Weise konkretisiert. Der Umfang des (räumlichen) Verantwortungsbereiches bleibt damit gänzlich unklar. Es liegt somit bereits aus diesem Grund keine wirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten iSd § 9 Abs. 2 VStG für einen klar abgegrenzten Verantwortungsbereich vor, weshalb auf die Frage, ob die Bestellungsurkunde beim „zuständigen Arbeitsinspektorat“ iSd § 23 Abs. 1 ArbIG eingelangt und dahingehend eine wirksame Bestellung erfolgt ist (siehe § 15 Abs. 2 ArbIG; vgl. VwGH 15.4.2016, Ra 2016/02/0028), nicht mehr einzugehen ist.
3.2.3. Für die Filiale in Wien, D.-gasse, ist in den angelasteten Tatzeitpunkten und -räumen im Jahr 2021 daher kein verantwortlicher Beauftragter bestellt worden.
4. Im Ergebnis bedeutet das, dass die belangte Behörde für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren iSd § 27 Abs. 1 VStG örtlich unzuständig war. Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass die Behörde im Übrigen auch bei (wie dargelegt nicht zutreffender) Annahme eines klar abgegrenzten Verantwortungsbereiches örtlich unzuständig wäre: Bei einem Verantwortungsbereich für mehr als eine Filiale, wie im vorliegenden Fall, ist nämlich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Sitz des Unternehmens abzustellen (vgl. VwGH 10.10.1995, 95/02/0280; 10.9.2004, 2001/02/0107).
5. Die belangte Behörde ist auch nicht gemäß § 28 VStG zuständig:
5.1. Nach dieser Bestimmung ist die Behörde, die zuerst von einer Verwaltungsübertretung Kenntnis erlangt, zur Verfolgung zuständig, solange nicht ein Umstand hervorgekommen ist, der nach § 27 Abs. 1 VStG die Zuständigkeit einer anderen Behörde begründet.
Ein Umstand, der gemäß § 27 Abs. 1 VStG die Zuständigkeit einer anderen Behörde begründet, kann erst dann als hervorgekommen angesehen werden, wenn er der Behörde zur Kenntnis gelangt ist, allenfalls in dem Zeitpunkt, in dem ihn die Behörde bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt hätte kennen müssen. Kommt ein solcher Umstand nicht bis zur Fällung des Straferkenntnisses hervor, dann ist die nach § 28 VStG vorläufig zuständige Behörde auch zur bescheidmäßigen Bestrafung zuständig. In Ermangelung entsprechender Indizien ist die sachlich zuständige Strafbehörde auch nicht verhalten, von Amts wegen Ermittlungen darüber anzustellen (vgl. VwGH 26.4.2016, Ra 2016/09/0037; 21.12.2020, Ra 2020/09/0063 mwN).
5.2. Im vorliegenden Fall hat das Arbeitsinspektorat Wien Zentrum Anzeige an die belangte Behörde erstattet. Die belangte Behörde hat daher als erstes Kenntnis von einer (vermeintlichen) Verwaltungsübertretung erlangt.
5.3. Die belangte Behörde konnte jedoch vor dem Hintergrund der ihr zur Verfügung stehenden Informationen nicht davon ausgehen, dass sie örtlich zuständig war:
5.3.1. In der Anzeige an die belangte Behörde wurde die Beschwerdeführerin als verantwortliche Beauftragte gemäß § 23 ArbIG bezeichnet und aus der im Verwaltungsakt einliegenden (nicht vollständigen) Kopie der Bestellungsurkunde betreffend die Beschwerdeführerin, mit der die Beschwerdeführerin zur verantwortlichen Beauftragten bestellt werden sollte, ist mangels entsprechender zeitlicher Angaben nicht ersichtlich, dass diese Bestellungsurkunde beim Arbeitsinspektorat Wien Zentrum erst im Jänner 2022 eingelangt ist, weshalb die belangte Behörde diese im Hinblick auf die Tatzeitpunkte und -räume (im Jahr 2021) für maßgeblich halten musste, zumal sie keine (weitergehenden) Ermittlungen hinsichtlich der (wirksamen) Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten für die Tatzeitpunkte und -räume (im Jahr 2021) vorgenommen hat.
5.3.2. Aus dem Inhalt der (nicht vollständigen) Kopie der Bestellungsurkunde betreffend die Beschwerdeführerin konnte bzw. musste die belangte Behörde den unklar abgegrenzten räumlichen Verantwortungsbereich erkennen (wie festgestellt entspricht diese Bestellungsurkunde in Bezug auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich jener betreffend F. G.; siehe dazu Punkt 3.2.2.) und konnte daher nicht von einer wirksamen Bestellung für eine einzelne Filiale und damit von ihrer örtlichen Zuständigkeit ausgehen. Und selbst wenn sie von einer wirksamen Bestellung ausgegangen wäre, hätte sie erkennen müssen, dass die Beschwerdeführerin nicht nur für eine Filiale bestellt wurde. Jedenfalls führt dies (in beiden Fällen) dazu, dass die belangte Behörde örtlich unzuständig ist und ihr dieser Umstand auch erkennbar war, zumal ihr auch der Sitz der C. AG in Niederösterreich unstrittigerweise bekannt gewesen ist.
6. Im Ergebnis ist das angefochtene Straferkenntnis daher aufgrund der örtlichen Unzuständigkeit der belangten Behörde zu beheben, ohne dass in Bezug auf die der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Verwaltungsübertretung eine Sachentscheidung zu erfolgen hat (VwSlg. 19.289 A/2016; 24.10.2018, Ra 2017/10/0169; 21.11.2019, Ra 2018/10/0050). Aus diesem Grund ist nicht weiter darauf einzugehen, dass die Beschwerdeführerin für die angelasteten Verstöße im Jahr 2021 aufgrund der erst im Jänner 2022 erfolgten Mitteilung an das Arbeitsinspektorat Wien Zentrum (bereits aus diesem Grund) nicht hätte bestraft werden dürfen.
7. Das Verwaltungsgericht Wien hat – nach Behebung des angefochtenen Straferkenntnisses – die Befassung der örtlich zuständigen Bezirkshauptmannschaft H. zu veranlassen (siehe VwGH 24.10.2018, Ra 2017/10/0169 mwN).
8. Eine mündliche Verhandlung konnte mit Blick auf § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass das angefochtene Straferkenntnis (wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde) aufzuheben war.
9. Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht insbesondere hinsichtlich der Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 27 Abs. 1 VStG und jener gemäß § 28 VStG sowie in Bezug auf die Anforderungen an eine wirksame Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 VStG nicht von der vorhandenen, in der Entscheidung an den entsprechenden Stellen zitierten und nicht als uneinheitlich zu qualifizierenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Auch sonst liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.
Schlagworte
Arbeitnehmerschutzvorschriften; örtliche Zuständigkeit; verantwortlicher Beauftragter; Übernahme der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit; wirksame Bestellung; ArbeitsinspektoratEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.042.095.8210.2022Zuletzt aktualisiert am
30.01.2023